Das Tauziehen um Erdgas-Absatzmärkte zwischen Russland und den USA, die beide künftig so viel wie möglich Erdgas nach Deutschland und Europa liefern wollen, geht vermutlich massiv auf Kosten des Klimas. In einem Fachgespräch diskutierte am Montag die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag die umstrittene Frage „Wieviel Erdgas braucht Europa?“ – und vor allem wann und wie lange.
Brauchen wir zusätzliches Erdgas, etwa als Brückentechnologie aufgrund des Atom- und Kohleausstiegs? Steht die Verpflichtung aus dem Pariser Klimavertrag nicht ganz oben auf der Agenda, wie uns die FridaysForFuture-SchülerInnen regelmäßig in Erinnerung rufen? Wie bewertet man zusätzliche Gasinfrastruktur an der deutschen Küste aus geo- und sicherheitspolitischen Interessen, brauchen wir Pipelines etwa auch zur Friedenssicherung? Verschiedene Expertinnen und Experten nahmen dazu Stellung.
Dr. Kirsten Westphal, von der Stiftung Wissenschaft und Politik wurde eingeladen, um geo- und versorgungspolitische Aspekte der Debatte aufzuzeigen. Nach Vorstellung der wichtigsten Gas-Pipeline- und Terminal-Projekte und dahinter stehender Interessen bezog sich Frau Westphal auf die Berechnungen, die von einem steigenden Gasimportbedarf in Europa ausgehen, da innereuropäische Quellen zurückgehen. Zudem bräuchte man in bestimmten Situationen im Winter die Gaskorridore. Sie beschrieb die Entscheidungen, die hier getroffen werden müssen, als komplizierten Prozess einer Prinzipien- und Güterabwägung, in dem viele Fragen zu stellen seien zu Abhängigkeiten und geo-, versorgungs-, sicherheits- und klimapolitischen Interessen, die gegeneinander abzuwägen seien.
Auf die Einbeziehung der Klimaziele angesprochen, die eigentlich insgesamt einen Rückgang fossiler Energie in Deutschland und Europa erwarten ließen, beschrieb Kirsten Westphal die Situation auf den Märkten für Erdgas als eine Wette, die Gaskonzerne Ost wie West abgeschlossen haben: eine Wette auf das Verfehlen der Klimaziele.
Prof. Christian von Hirschhausen vom DIW beantwortete die Frage, ob wir zusätzliche Gasinfrastruktur vor dem Hintergrund der Klimaziele eigentlich brauchen, mit einem eindeutigen Nein. Fossiles Erdgas könne keine Brückentechnologie sein. Wer dies fordere, möchte, dass Erdgas noch die kommenden Jahrzehnte eine relevante Rolle spielt. Nordstream 2 sei erstens energiewirtschaftlich unnötig, zweitens betriebswirtschaftlich unrentabel und drittens umweltpolitisch schädlich. Ein privater Investor käme nicht auf die Idee, eine solche Pipeline bauen zu wollen. Auch im Stromsektor brauche man zusätzliches Gas selbst vor dem Hintergrund von Atom- und Kohleausstieg nicht. Das deutsche Stromsystem könne problemlos bis 2030 zu 100 Prozent erneuerbar sein, zusammen mit Speichertechnik. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses, Klaus Ernst, es sei kaum zu verstehen, weshalb eine Pipeline gebaut werden würde, wenn sie unrentabel sei, antwortete von Hirschhausen: Circa sechs Milliarden Euro würde Nordstream 2 Verlust machen, so habe er errechnet. Die Geschichte der Erdgaspipelines zeige, dass immer politische Interessen dahinter stünden. Heute seien Speicher die Konkurrenz zu Erdgas, weil sie das Erdgas überflüssig machten.
Sebastian Scholz, Klima- und Energieexperte beim NABU Deutschland, brachte verstärkt klimapolitische Argumente in die Debatte. Er räumte mit der Legende auf, LNG würde benötigt, um den Schiffsverkehr zu dekarbonisieren. Auch das Argument, man brauche die Infrastruktur auch für grünes Gas, wies er zurück und bewertete die Debatte um Power-to-Gas als „Nebelkerze“. Man könne gar nicht so viel Strom erzeugen wie man bräuchte, um grünes Gas in großem Stil herzustellen. Da käme man mit dem Zubau an erneuerbaren Energien an die Grenzen ökologischer Verträglichkeit. Daher sei Effizienz im Umgang auch mit erneuerbaren Energien so wichtig. In Hinblick auf Methan warf er das Problem auf, dass über Methanschlupf, also das Austreten von Gas während des Produktions- oder Transportprozesses, noch zu wenig bekannt sein. Ein internationales Monitoring sei hier eigentlich notwendig, um mehr Klarheit über Leckagen und die eigentliche Klimabilanz von Erdgas zu erhalten.
In der Diskussion betonte Lorenz Gösta Beutin, energie- und klimapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, dass eine politische Richtungsentscheidung für die Einhaltung der Pariser Klimaziele notwendig sei. Es reiche nicht, den Vertrag unterschrieben zu haben, man müsse nun auch stringent danach handeln. Er verwies auf die Bewegung FridaysForFuture, von denen auch drei Mitglieder anwesend waren, die zusammen mit anderen Teilen der Klimabewegung nicht nachlassen dürften, der Regierung und den Parlamenten Druck zu machen.
Hubertus Zdebel, der in der Fraktion DIE LINKE das Fracking-Thema bearbeitet, fasste die Debatte noch einmal vor dem Hintergrund der Unternehmen zusammen, die hinter den Gas-Projekten stehen. Mächtige transnationale Konzerne drängten auf die europäischen Absatzmärkte. Dass Klimapolitik da unter die Räder gerate, müsse sich ändern. Viele Fragen seien angesprochen, aber neue Fragen aufgeworfen worden, die zu klären sich die Fraktion DIE LINKE weiter zur Aufgabe machen wird.
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