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Monatsarchive: April 2020
Professor Siegfried Broß: Private Altersvorsorge in der sozialen Demokratie der Gegenwart (26. Februar 2020)
Ausgangstext für die Vorträge 2020 zum Thema „Private Altersvorsorge in der sozialen Demokratie der Gegenwart“ – Überlegungen und Anregungen – Fassung 26. Februar 2020
I. Einführende Überlegungen
1. Das Thema macht zunächst einen rasch zu identifizierenden Eindruck, was Gegenstand und Problemlage betrifft. Die Menschen leben mit bisher jedenfalls stetig steigender Lebenserwartung beträchtlich länger, werden regelmäßig allerdings mit zunehmendem Lebensalter öfter, schwerer und länger krank und trachten zudem danach, sich früher in den Ruhestand zu begeben. Demgegenüber werden die Beitragszahler im Umlageverfahren im Vergleich dazu weniger und deshalb scheint die Lösung dieses demographischen Problems – eine geradezu klassische Zwangspunktlage – nahe liegend darin zu bestehen, dass die Menschen eben länger arbeiten und damit die Aussicht auf einen langen ungetrübten Ruhestand spürbar verkürzen, weil man zudem erwarten kann, dass sich auch die Zeiten von Krankheit und Leiden verkürzen. Ferner könnte ein privater Beitrag zur Altersvorsorge helfen, die Problemlage zu entschärfen.
2. Allerdings könnte eine solche Überlegung wesentlich zu kurz greifen und deshalb von vornherein eine sachgerechte und dem gesamten Komplex gerecht werdende Lösung verhindern. Die üblichen Lösungsvorschläge weisen einen eklatanten Mangel auf und beruhen auf grundlegenden Fehlvorstellungen. Die Altersversorgung in der modernen Gesellschaft ist in ein sehr komplexes Geflecht verschiedenster nationaler und internationaler Gegebenheiten und Entwicklungen eingebettet. Von daher ist eine weit ausgreifende und umfassende Betrachtung geboten, damit überhaupt vernünftige Ansätze für eine der modernen Gesellschaft und den Menschen gerecht werdende angemessene Gestaltung der Altersvorsorge erarbeitet werden kann.
Solche werden von vornherein verfehlt, wenn rein betriebswirtschaftlich und ökonomisch überlegt wird; denn es geht um Menschen und die von ihnen gebildete Gesellschaft. Ihnen ist weltweit durch die insoweit verbindend wirkende Globalisierung eine unantastbare Menschenwürde eigen, die in ihrer Gesamtheit Grundlage einer jeden der nach den weltweit bestehenden Regeln der zahlreichen Staatenverbindungen ist. Der Umstand, dass diese Grundlage fortwährend und zunehmend beschädigt und in immer zahlreicher werdenden Regionen auch durch den Freihandel zerstört wird, kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, eine soziale Demokratie europäischer Prägung nach Maßgabe der Europäischen Verfassung und den nationalen Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten aufzugeben.
Wichtige Gesichtspunkte für eine angemessene Lösung lassen sich ohne unzumutbare Anstrengungen gewinnen, wenn man umfassend die Rahmenbedingungen für eine private Altersvorsorge ermittelt und diese zu einem sinnvollen und den grundlegenden sozial- und rechtsstaatlichen Vorgaben gerecht werdenden Ausgleich bringt. Gerade die Gründung und das Eingehen immer weiterer Staatenverbindungen verstellt vielen verantwortlichen Akteuren den Blick für die innere Systemgerechtigkeit und das Ineinanderwirken von sozial- und rechtsstaatlichen Bindungen und Verpflichtungen. Diese entstehen aus den auf den verschiedensten Ebenen eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie Problemlagen, die auf den zahlreicher werdenden Teilidentitäten beruhen, wenn bei verschiedenen Staatenverbindungen nicht jeweils dieselben Mitglieder auftreten.
II. Überlegungen zu den Rahmenbedingungen
1. Ausgangspunkt der Überlegungen für die Gestaltung der privaten Altersvorsorge ist die Frage nach gesicherten Anlageobjekten, die im Alter und damit noch nach Jahrzehnten zur Verfügung stehen und eine von Anfang an fixierte Rendite abwerfen. Sonach kann es sich nicht um Anlageobjekte handeln, die im wirtschaftlichen Wettbewerb angesiedelt sind und jederzeit frei zur Disposition der Marktkräfte stehen. Das gilt im Zeitalter der Globalisierung und des von der Europäischen Union und gerade auch von Deutschland propagierten letztlich ethisch und sozial bindungslosen Freihandels in besonderem Maße. Aktien an Wirtschaftsunternehmen dürfen auch deshalb für die hier in Rede stehende private Altersvorsorge breiter Bevölkerungskreise nicht das Mittel erster Wahl sein. Schon das Platzen der New Economy im Jahr 2000 wie auch die seit 2008 andauernde verheerende Finanzmarktkrise stützen diese Auffassung.
Aus diesem Grunde dürfen staatliche Modelle für die private Aufstockung der gesetzlichen Rente nicht hieran anknüpfen. Die Zinsentwicklung der privaten Lebensversicherungen wie der Sparzinsen bestätigen auch diesen Standpunkt.
2. Es müssen deshalb andere Wege mit der Gestaltung von Vorsorgemodellen beschritten werden, die allerdings nicht völlig unbekannt sind und sich in der Vergangenheit zudem bewährt haben. Sie haben ferner den Vorzug, dass sie dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes gerecht werden und der Würde der für eine private Altersvorsorge in diesem Sinne in Betracht kommenden Menschen die gebotene Achtung entgegenbringen.
Mit den nachfolgenden Darlegungen knüpfe ich an frühere Arbeiten an, ohne diese jeweils im Einzelfall zu zitieren. Sie sind alle über das Broß-Archiv des Bayerischen AnwaltVerband in pdf-Form, veröff. zum Teil vom Berliner Wassertisch mit umfassenden weiteren Nachweisen in zwei seiner Veröffentlichungsreihen sowie im Gesamtnachweis über die Bibliothek des Bundesverfassungsgerichts zugänglich. weiterlesen