Vortrag in Karlsruhe am 24.10.2022 – Bildungszentrum Roncalli-Forum Karlsruhe
I. Vorbemerkung
Meine nachfolgenden Ausführungen beruhen auf meiner jahrzehntelangen beruflichen und wissenschaftlichen Erfahrung, vor allem aber auch auf meinen über 50 Auslandsdienstreisen seit dem Jahr 2000 in mehr als 20 Staaten im Zusammenhang mit der Entwicklung rechtsstaatlich-demokratischer Kulturen einschließlich des arabischen Frühlings in neuerer Zeit. Der nachfolgende Text speist sich aus vielen Vorträgen, zahlreichen Gastvorlesungen und Beiträgen in Festschriften und Tagungsbänden.
Ich verzichte auf Nachweise im Einzelnen. Interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern wie auch Leserinnen und Lesern des Textes erschließt sich mein Gedankengerüst ohne Schwierigkeiten aus zahlreichen Beiträgen im Broß-Archiv des Bayerischen Anwaltverbandes in den Jahren nach 1998 in PDF-Form, frühere sind mit der jeweiligen Fundstelle nachgewiesen ebenso die Veröffentlichungen des Berliner Wassertischs in zwei Schriftenreihen zu Privatisierung und Rekommunalisierung öffentlicher Versorgungsleistungen.
II. Einführung
1. Die globale Entwicklung der letzten Jahrzehnte seit der deutschen Vereinigung und der Auflösung der Sowjetunion und des Ostblocks ist in ihrem weiteren Verlauf überaus komplex und nicht seriös abzuschätzen. Neben heftigen Verwerfungen im Finanzbereich wie dem Aktiencrash im Jahr 2000 und die wenig später nachfolgende Finanzmarktkrise seit 2008 mit gewaltigen gesellschaftlichen Verwerfungen im Euro-Raum und weltweit sind zunehmend kriegerische Auseinandersetzungen ausgebrochen gipfelnd aktuell mit dem Überfall Rußlands auf die Ukraine (Südd. Zeitung Nr. 215 vom 17. /18.9.2022). Diese bedrückende Entwicklung wird durch eine weltumspannende Corona-Pandemie, Hungersnöte wegen dadurch ausgelöster Lebensmittelknappheit und Mangel an lebensnotwendiger Energie begleitet.
2. In Anbetracht zahlreicher weltumspannender Völkerrechtsverträge zwischen vielen einzelnen Staaten, Mehrheit von Staaten und Staatenverbindungen unterhalb der Weltebene der Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation (WTO) wird man verunsichert, welche Wirkkraft das Recht vor diesem Hintergrund hat. Eine abschließende Antwort ist nicht möglich. Allerdings kann man bei einem weit ausgreifenden Überblick jedenfalls einen Teil der
Ursachen identifizieren und näher einordnen, was für die Gegenwart nicht weiterhilft, wohl aber geeignet sein kann, bei der Lösung weit in die Zukunft gerichtet unterstützend wirksam zu werden.
Der Blick in die Vergangenheit legt offen, dass die jetzt bestehende gefährliche Lage für den Weltfrieden in struktureller Hinsicht für die Organisation von Staatswesen seit nunmehr über 70 Jahren in einem globalen schleichenden Prozess geschaffen wurde. Im Hinblick darauf ist von vornherein ausgeschlossen und kann nicht erwartet werden, dass durch weitere völkerrechtliche Verträge und Abkommen in nächster Zukunft die globale Lage beruhigt werden könnte. Das Recht kann seine befriedende Wirkkraft erst entfalten, wenn die hierfür unabdingbar erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind.
Eine für die Vergangenheit zu beobachtende Missachtung von Grund- und Funktionsbedingungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker und Staaten darf sich nicht wiederholen. Erst in einem zweiten Schritt kann das Recht auf der geschaffenen ausgewogenen und allen Beteiligten weitestgehend
gerecht werdenden Ausgangslage aufbauen.
Des Weiteren ist unabdingbar, dass man die dem politischen Ziel entsprechende angemessene Sicht einnimmt, vulgo „die richtige Brille aufsetzt“. So ist es von vornherein fehlsam, wenn auf dieser oberen Ebene die politische Beurteilung der ökonomischen offen oder unterschwellig untergeordnet wird und diese nachfolgend das Handeln der Akteure im einzelnen bestimmt. Zudem muss der kulturellen und gesellschaftlichen Seite viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, als dies etwa im Zuge der Entkolonialisierung, aber auch bei der Gestaltung der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen – nicht erst bei den neuzeitlichen Freihandelsabkommen – bisher der Fall war. Wird dies versäumt oder – wie nicht selten – gezielt ausgeblendet, kann man nicht mit einer breiten Akzeptanz bei den über den Globus verteilten Staaten rechnen.
3. Als Ausgangspunkt nehme ich den 26. Juni 1945 mit der Annahme der Charta der Vereinten Nationen und damit der Errichtung einer internationalen Organisation, die den Namen „Vereinte Nationen“ führen soll. Es ist unabdingbar, sich die Welt zum damaligen Zeitpunkt in Erinnerung zu rufen und die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und zwei Monate später im Pazifik mit der Kapitulation Japans nicht vorhersehbaren Entwicklungen nicht in ihrer
Gesamtheit, wohl aber mit den wesentlichen Gewichten zu beschreiben.
a. Zentrale Bedeutung kommt insoweit schon damals der Volksrepublik China zu, die in dem nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder aufflammenden Bürgerkrieg mit der Volksarmee die Oberhand behielt und seither bis in die Gegenwart der Konflikt mit Taiwan schwelt oder sogar – wie gegenwärtig – bedrohlich aufflammt. Zeitlich nur wenig später kam es in Korea zu einer an den Rand eines Dritten Weltkriegs führenden Auseinandersetzung zwischen Nord- und
Südkorea durch den Angriff Nordkoreas mit Unterstützung durch die Sowjetunion (1950 – 1953).
b. Entgegen den mit der Charta der Vereinten Nationen von nur wenigen Jahren zuvor verfolgten hehren Zielen war der Weltfrieden schon wieder akut gefährdet (Art. 1 Nr. 1 der Charta). Hieran wird deutlich, dass das Recht nicht „allmächtig“, sondern darauf angewiesen ist, von den jeweiligen Adressaten akzeptiert und umgesetzt zu werden.
Zudem machen die genannten Vorgänge deutlich, dass sich auch ohne formelle Konturen Blöcke abgezeichnet haben, die durch die Charta der UN mangels gemeinsamer Verbinden der Grundlagen nicht „eingefangen“ werden konnten. Ferner waren viele der heutigen Mitgliedstaaten der UN noch nicht existent.
Weitere Entwicklungen in den Jahren nach den Umwälzungen in China und Korea bedürfen allgemeiner Aufmerksamkeit, weil sie durchaus Fernwirkungen bis in die Gegenwart zeitigen; denn die damals geschaffenen nationalen Organisationsstrukturen wirken bis heute fort, wenn auch zum Teil in abgeschwächter Form und sind nicht ohne weiteres zu erkennen. Diesen kann man gleichsam „Modellcharakter“ beimessen. Worin besteht dieser?
c. Nimmt man als Beispiele die Dominikanische Republik, Haiti und Kuba, zeigen sich Auffälligkeiten dergestalt, dass Autokratien entstanden sind mit entsprechenden Figuren an der Spitze wie Battista in Kuba, Trujillo in der Dominikanischen Republik oder Duvalier in Haiti. Diese sind die Herrscher und damit die „Verhandlungspartner“ im internationalen „Geschäft“, dass von Weltwirtschaftsunternehmen mit Unterstützung ihres jeweiligen Heimatstaates dominiert wird. Diese Struktur verhindert von vornherein das Entstehen einer ausgewogenen stabilen Zivilgesellschaft als unabdingbare Funktionsbedingung für Rechtsstaat und Demokratie.
d. Schon dieser kleine Ausschnitt der Zeitspanne seit Inkrafttreten der Charta der Vereinten Nationen bis Anfang der Fünfzigerjahre spiegelt die Ohnmacht des Rechts wieder, wenn dieses nicht durch eine den Idealen von Rechtsstaat und Demokratie entsprechenden nationalen Organisationsstruktur und Gesellschaft abgestützt wird. Solche entstehen nicht von alleine aus dem Nichts, sondern müssen von den Staaten selbst oder – je nach der Ausgangslage – von ihren früheren Gewährsträgern – den jeweiligen Kolonialmächten – geschaffen werden. Dafür bedarf es wiederum weiterer Stützelemente, auf die noch näher nachfolgend einzugehen ist.
Allerdings ist schon an dieser Stelle festzuhalten, dass die Entwicklung der erforderlichen Stützelemente keineswegs von heute auf morgen durch eine normative Anordnung umgesetzt werden kann, sondern dass diese einen langen Weg eines komplexen Prozesses bis zum angestrebten Ziel zurücklegen muss. Das ist ohne weiteres einzusehen, wenn man – einige Etagen tiefer – für Deutschland gegenwärtige Großvorhaben in den Blick nimmt wie den Berliner Flughafen, Stuttgart 21, die zweite Stammstrecke in München oder auch nur die Umsetzung einzelner Windräder wegen des ins Auge gefassten Standorts.
Zu Recht hat die Politikwissenschaftlerin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass erfahrungsgemäß ein Mentalitätswandel etwa eine Generation dauere. Die Zeit hätten wir nicht (Süddeutsche Zeitung Nr. 218 vom 21.9.2022, S. 17). Nach meinen Erfahrungen und – den für alle Menschen in Deutschland wahrnehmbaren seit der Vereinigung unter „erleichterten“ Voraussetzungen – sind mindestens zwei Generationen erforderlich, weil wir mit solchen Mentalitätsänderungen, die letztlich substantielle Kulturänderungen sind, schon in Kindergarten und Schule beginnen müssen.
Normative Anordnungen bewirken ohne begleitende Entwicklung einer „anderen“ sie stützenden Kultur wenig bis gar nichts. Insoweit ist nur beispielhaft an die Beschneidung von Mädchen, die Durchsetzung der Gleichstellung der Frau oder der sexuellen Selbstbestimmung zu erinnern.
Zudem wird kaum oder überhaupt nicht eine der zentralen Funktionsbedingungen für einen solchen Prozess der Umwälzung bedacht. Diese betrifft die Familie als Mittelpunkt der Gesellschaft und deren über Jahrhunderte und in vielen Kulturen über Jahrtausende entwickelte Struktur und Organisation. Diese erreicht das Recht nur über den allgemeinen Zugang zu Bildung und diese auch für Mädchen. Wie schwer tut sich hiermit z.B. die Bundesrepublik Deutschland in Teilen noch bis in die Gegenwart.
Zur Vertiefung dieses Gesichtspunktes verweise ich auf meinen Vortrag bei einer internationalen Konferenz in Marokko im Jahre 2010 zur Entwicklung der Gleichberechtigung der Frau und ferner auf den Vortrag „Werteerziehung in einer pluralistischen und mediatisierten Gesellschaft“ (Link) im Jahre 2004, die im Broß-Archiv des Bayerischen Anwaltsverbandes in PDF-Form öffentlich zur Verfügung stehen.
e. Dieser kursorische Überblick zeigt, dass das Anliegen 1945 mit derGründung der Vereinten Nationen eine enorme humanitäre Leistung war, dass aber das Recht hierzu nur wenig beigetragen und wie die unmittelbar nachfolgenden geradezu entmutigenden Ereignisse zeigten, keine befriedende Wirkung entfalten konnte. Die in früheren Jahrzehnten entstandenen staatlichen Gegensätze sowie schon aufkommende Blockbildungen wie auch die Inanspruchnahme von gerade nicht rechtsstaatlich-demokratischen Staaten unter der Herrschaft von Autokraten durch die Großmächte Sowjetunion und Vereinigte Staaten von Amerika unter dem Einfluss der Wirtschaft konnten so nicht überwunden und in einer weltumspannenden Friedensordnung sachgerecht zusammengeführt werden.
Möglicherweise war der weit ausgreifende und umfassende Werteanspruch für einen weltumspannenden völkerrechtlichen Vertrag bei den damaligen Gegebenheiten zu anspruchsvoll; denn die staatlichen Voraussetzungen und die gesellschaftlichen und kulturellen über zum Teil Jahrhunderte entwickelten weit auseinanderliegenden Inhalten waren zu verschieden, was auch mit religiösen „Vorprägungen“ unterschiedlichster Art zu tun hatte. Viele spätere Staaten waren 1945 noch nicht existent, sondern im kolonialen Status. Mit diesem war allerdings auch eine zum großen Teil menschenverachtende Vernichtung von Kulturen und damit die Zerstörung der menschlichen und gesellschaftlichen Bindungen und ruhenden Grundlagen der individuellen und familiären Existenz verbunden. Auf diese Weise war unkontrollierbaren und nicht steuerbaren Machtinteressen der verschiedensten und vor allem bindungslosen Interessen in Staat und Wirtschaft weltweit der Weg bereitet.
Es war von vornherein eine Fehlvorstellung, dass man die über den Globus verteilten Staaten und Regionen gleichsam „mit einem Wurf“ einem normativen Geflecht letztlich beruhend auf der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1776 und der Menschenrechtserklärung der französischen Revolution von 1789 unterwerfen könnte. Ein Blick auf die Weltkarte war damals aufschlussreich: Welches Gewicht kam tatsächlich autonomen und souveränen Staaten und welches dem Rest der Welt zu.
III. Entwicklungslinien
Es gab allerdings in verschiedener Hinsicht Entwicklungen, die zu Hoffnungen im Sinne der UN-Charta berechtigten. In vielen Staaten regten sich entgegen einer Blockbildung der damaligen Großmächte und intern gegen autoritäre und diktatorische Entwicklungen Widerstände.
1. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an den Volksaufstand 1953 in der damaligen DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei. Zudem kam es in dieser Zeit zum Sturz von Diktatoren, wie Battista in Kuba durch Castro, in Ägypten des Königs durch Nasser, im Irak des Königs durch Kassem. In Algerien begann etwa Mitte der fünfziger Jahre der Befreiungskampf der FLN mit Sitz in Genf und schon vorher in Vietnam der Kampf der Vietminh gegen die französische Kolonialmacht mit der entscheidenden Niederlage Frankreichs 1954 in Dien Bien Phu durch General Giap.
2. Daneben hatte sich in diesen Jahren ein Pakt blockfreier Staaten gebildet. Die maßgebliche Bedeutung erhielt dieser durch die Konferenz von Bandung in Indonesien vom 18. bis 24. April 1955. 29 unabhängige asiatische und afrikanische Staaten nahmen hieran teil. Maßgeblich waren als gemeinsame Ziele: Beendigung der Kolonialherrschaft in allen noch von europäischen Staaten abhängigen Gebieten, Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, Beachtung der Gleichwertigkeit der Rassen und Nationen sowie atomare Abrüstung und friedliche internationale Zusammenarbeit.
3. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang und das zeigt das Gefährdungspotenzial für eine weltumspannende Friedensordnung, wenn dem entsprechende Konferenzen und einmündende Abkommen nicht sachgerecht das „Gesamtvolumen“ im Auge haben und die politische Zielrichtung ungeachtet von Quereinflüssen etwa aus der Wirtschaft und anderweitigen interessierten Kreisen strikt verfolgen. Schon damals war erklärtes Ziel der Bandung-Konferenz, das Gewicht der Dritten Welt zu erhöhen und ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Was hat sich hieran bis in die Gegenwart, wenn man an die Lieferketten-Verantwortung und die Ausbeutung von noch Nicht-Schwellenstaaten in Afrika denkt, geändert? Es fällt auf, dass im Zusammenhang mit der Bandung-Konferenz Jugoslawien mit Tito und kurz danach mit Nasser in Ägypten noch nicht bedeutende Rollen zukamen. Es zeigt aber ein Versagen von großen Teilen der einschlägigen Wissenschaften und der weltweit tätigen Beratungsunternehmen, dass offenbar der allgemeinen Aufmerksamkeit entgangen ist, welche führende Rollen in der neutralen Welt damals schon Nehru für Indien und Zhou Enlai für die Volksrepublik China wahrnahmen. Diese Staaten begegnen uns heute in der „obersten Etage“ der Neueinteilung der Welt mit einer Spitzenstellung.
4. Die Entkolonialisierung nahm Ende der Fünfzigerjahre / Beginn der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu. Nach dem Verlust der Kolonien in Indochina entstand in Algerien für Frankreich ein neuer Brandherd. Die FLN begann einen Untergrundkrieg zur Ablösung Algeriens von Frankreich. Zuvor schon hatte die „Suez-Krise“ 1956 wiederum an den Rand eines Weltbrandes geführt. Alle diese Entwicklungen konnten durch die Vereinten Nationen nicht verhindert
werden, weil die Blockbildung auf der einen Seite und die fehlende stabile Gesellschaftsstruktur infolge der kolonialen Unterdrückung und Missachtung der kulturellen gefestigten Strukturen in den betroffenen Regionen geeignete Ansatzpunkte für Einflussnahmen und Durchsetzung imperialistischer Interessen boten. Schon damals standen Rohstoffe im Blickpunkt des Interesses.
Auch hier wieder bemerkenswerte Fehlleistungen der bisherigen Kolonialmächte, die es über die lange Zeit ihrer ausbeuterischen Herrschaft versäumt hatten, in Anbindung an bestehende und etwa durch christliche Mission noch nicht zerstörte Kulturen stabile Gesellschaften zu entwickeln, die den damals – nicht den heutigen – Standards und Niveaus der Heimatländer entsprachen.
Der Rückzug damals ist durchaus dem der westlichen Staaten aus Afghanistan vergleichbar. Es bedarf keiner großen Untersuchungen, dass er damals wie in der Gegenwart nicht entfernt der Charta der Vereinten Nationen gerecht wurde. Die auf der Konferenz von Bandung formulierten Ergebnisse und Forderungen für die durch die Kolonisation benachteiligten Länder und folglich ebenfalls für die in Folge der Entkolonialisierung neu entstehenden blieben ohne Resonanz. Wenn man heute die Landkarte von Afrika anschaut und die dort seit Jahrzehnten wütenden Konflikte mit unsäglichem Leid für die Menschen reflektiert, ist auch das ein Beleg dafür, wie wenig das Recht zu bewirken vermag, wenn es keine Entsprechung in der Wirklichkeit der Staaten hat. Dieses unentschuldbare Versagen der Kolonialstaaten im vorigen Jahrhundert wirkt nicht nur nach in den einzelnen betroffenen Staaten, sondern hat zudem die Voraussetzungen für eine Blockbildung und deren Ausgreifen über die Erdteile geschaffen. Diese Erkenntnis vermittelt seit vielen Jahren die strategisch global und langfristig ausgerichtete Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China.
Hierbei mag es zunächst sein Bewenden haben.
IV. Mögliche Lösungsansätze für eine Neueinteilung der Welt
1a. Die zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen seit 1945 haben die in der Charta und weiteren Regelwerken verkörperten Grundlagen für das friedliche Zusammenleben der Völker als sehr schwach und meistens ohne Aussicht auf wirksame Zielführung in der realen Welt erkennen lassen. Im Völkerrechtsverkehr geht es letztlich immer um die Machtfrage und deren Durchsetzung. Dies hat zuletzt der Überfall Russlands auf die Ukraine mit unvorstellbaren Gräueltaten und Verwüstungen der Infrastruktur zur gezielten Schädigung der Bevölkerung und deren teilweisen Vernichtung gezeigt. Schon seit mehr als 100 Jahren bestehen internationale Abkommen für die Kriegsführung und den Schutz der Zivilbevölkerung wie auch den humanen Umgang mit Kriegsgefangenen. Schon dieser Befund zeigt, wie schwach das Recht im Konfliktfall ist, wenn ihm von vornherein die Durchsetzbarkeit fehlt oder wenn der Aggressor, der alle zivilisierten Maßstäbe verletzt, sich keinerlei Schranken mehr stellt. So ist nicht von ungefähr Russland vor wenigen Wochen aus dem Europarat ausgetreten, nachdem es ohnehin die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schon seit längerer Zeit nicht befolgt und frivol missachtet hat, um die Bindungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten abzuschütteln.
Je mächtiger ein Aggressor und gegebenenfalls hinter ihm stehende Unterstützer oder clandestin handelnde Mitwirkende sind, desto schwächer ist das Recht, weil Verstöße gegen Vertragsverpflichtungen nicht geahndet und mittels Zwangsmaßnahmen beseitigt werden können.
Die in vielen verheerenden und viele Menschenleben fordernden Kriegen in Afrika und auch in Europa international tätigen Strafgerichtshöfe können zwar für die Zukunft eine deutliche Signalwirkung dahingehend setzen, dass jedenfalls die Hauptakteure nicht damit rechnen können, das sie „ungeschoren“ davonkommen können und ihre beispiellosen Verbrechen ungesühnt bleiben werden. Nur kann man nicht darüber hinwegsehen, dass die zahllosen Verbrechen mit unsäglichen Menschenopfern so nicht rückgängig gemacht werden können und das Recht völlig wirkungslos war und die Menschen schutzlos zurückließ. Das belegt aktuell die „Schlussbilanz“ des Gerichtshofs in Kambodscha zu den unbeschreiblichen Verbrechen des Pol Pot-Regimes.
Es ist sinnvoll, mit der Suche nach angemessenen und stabilen Lösungen zur Überwindung der Barrieren für das Recht, zunächst eine höhere abstrakte Ebene zu betreten.
Inzwischen ist es im Rahmen meiner Ausführungen dringend angezeigt, dass ich mit allem gebotenen Nachdruck auf im Völkerrechtsverkehr seit der klassischen römischen Zeit – fides – Grundsätze hinweise, die seit vielen Jahren unter dem Einfluss von Ökonomie, Cleverness und rücksichtslosem Wettbewerb zwischen Staaten und Staatenverbindungen aus dem Blickfeld geraten sind: Redlichkeit, Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen. Ich tue mich schwer, solche inzwischen als übertriebene Moral oder gar „moralinsauer“ abgetanen Anstandsregeln im politischen Leben zu identifizieren. Auch auf diese Weise wird dem Recht und gerade im Völkerrechtsverkehr die unentbehrliche tragfähige Grundlage für einen friedlichen und für den Menschen ausgewogenen und stabilen Umgang zwischen den Staaten entzogen. Solche Defizite werden z.B. – nicht nur am Rande von Bedeutung, sondern zentral – zulasten der Bundesrepublik Deutschland etwa im Umgang mit den Gräueltaten der Kolonialzeit an den Herero und Nama, an Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg und in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten offenbar. Aber auch die Interpretationsanstrengungenn in Bezug auf die 2 %-Klausel für den deutschen NATO-Beitrag müssen nachdenklich stimmen.
b. Die Gesamtschau der zurückliegenden Jahrzehnte seit 1945 vermag wenig Zuversicht oder gar „Trost“ zu vermitteln. Der Fehlleistungen in der Politik waren zuviele und eine globale den Erdkreis umspannende entsprechend den aufgezeigten Entwicklungsstadien ausgehend von der Charta der Vereinten Nationen war jenseits der Vorstellungswelt der maßgeblichen politischen Akteure. Zudem war das „Klima“ durch nicht förderliche ökonomische Interessen und Einflüsse undurchsichtig und schillernd, wie sich aktuell wieder erweist. Nachdem sich das Recht allerdings häufig als wirkungslos erwiesen hatte und keinerlei Schutzwirkung zu entfalten vermochte, ist darüber nachzudenken, ob es zumindest teilweise durch geeignete Rahmenbedingungen substituiert werden muss. Solche müssten derart beschaffen sein, dass das maßgebliche Defizit – fehlende Durchsetzbarkeit gegen mächtigen Aggressor allenfalls sekundär mit riesigen Kolateralschäden für die Weltgemeinschaft und mit deren verheerenden Folgen ausgeglichen werden können, ohne dass die daneben unabdingbare Entwicklung von Gesellschaften über eine oder zwei Generationen abgewartet werden müsste.
2. Zunächst dürfte es hilfreich sein, die Überlegungen vorzustellen, die angebracht wären, wenn es um die Weiterentwicklung der bestehenden völkerrechtlichen Verträge ginge. Hierzu greife ich auf meinen Beitrag in der Festschrift für Herbert Landau „Grundgesetz und Europa“ aus dem Jahr 2016 (Verlag Mohr Siebeck, Tübingen, S. 29) zurück. Die nachfolgenden Ausführungen charakterisieren auch die jetzt gegebene komplexe Lage:
„In den letzten Jahrzehnten hat sich bei der Inangriffnahme der Bildung von neuen Staatenverbindungen eine bemerkenswerte Mentalität Bahn gebrochen. Es wird ein politischer Wille artikuliert, den es umzusetzen gilt, ohne dass zuvor weit ausgreifend die hierfür notwendigen Grundlagen und Rahmenbedingungen ermittelt und bewertet worden wären. Den Eigenheiten der insoweit einzubindenden Staaten in ihrer historischen Entwicklung, den gesellschaftlichen Gegebenheiten hinsichtlich Religion, ethnischen Befindlichkeiten, Wirtschaftsstrukturen und Abstand oder Erreichen des weltweiten durchschnittlichen Niveaus hinsichtlich Rechtsstaat, Demokratie und Stabilität, letztere etwa gespeist durch Bildung breiter Bevölkerungsschichten, wirksame staatliche Infrastruktur zur Sicherung eines erträglichen Alltagslebens der Menschen wie auch medizinische Versorgung, wird nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt und vor allem nicht die grundlegende Voraussetzung für das Gelingen des Vorhabens einer neuen Staatenverbindung erkannt. Davon abhängig ist aber und das zeigt die langjährige Entwicklung, dass die mit diesen Voraussetzungen akzessorisch verbundenen Bedingungen der nationalen Verfassungen und der Verfassung der schon eingegangenen Staatenverbindungen regelmäßig nicht in ihrer für das Gelingen der neuen Staatenverbindung letztlich ausschlaggebenden Bedeutung entsprechend einbezogen werden.“ (aaO, S. 34).
1945 stand naheliegend der Wunsch im Vordergrund, nach den furchtbaren Verheerungen des Zweiten Weltkriegs möglichst rasch viele Staaten in einem völkerrechtlichen umfassenden Abkommen zusammen zu binden, damit sich eine solche Katastrophe für die Menschheit nicht wiederholen möge. Dieses anspruchsvolle und in der Absicht segensreiche Vorhaben war vorbelastet durch nicht offenbarte Machtinteressen einzelner Staaten und sich schon abzeichnenden Machtblöcken. Auch hieran wird deutlich, dass das Recht als allgemeinverbindliche Grundlage in Form eines völkerrechtlichen Vertrages genommen wurde, dieses allerdings nur die Wirkung einer „äußeren Verpackung“ zeitigt, wenn es entgegenstehenden Machtinteressen hinderlich ist. Dies ist die nicht zu lösende Zwangslage einer Gewalt zur Durchsetzung. Die Durchsetzung des Rechts kann allein durch übereinstimmende Akzeptanz der Vertragsbeteiligten sichergestellt werden.
3. Eine nachfolgende Weiterentwicklung eines solchen globalen nahezu alle Staaten des Globus erfassenden völkerrechtlichen Vertrages stößt von vornherein auf Barrieren und Stolpersteine. Hierzu wiederum eine Passage aus dem genannten Beitrag (aaO,S. 32):
„Vor dem Hintergrund, dass es weltweit und vor allem in Europa schon zahlreiche Staatenverbindungen gibt, ergeben sich häufig komplexe Koordinierungsprobleme, denen erfahrungsgemäß nicht die gebotene Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zunächst ist zu überlegen, ob eine weltumspannende Ebene wie die Vereinten Nationen oder etwa der Welthandelsorganisation tangiert wird. Kollisionen oder Friktionen müssen vermieden werden. Man darf sich allerdings auch nicht der Einsicht verschließen, dass es Konstellationen gibt, die normativ nicht mehr sachgerecht gelöst und im Alltag umgesetzt werden können. Dies beruht unter anderem auf dem Problem der Teilidentitäten von Mitgliedschaften in mehreren Staatenverbindungen.“
Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu, der aktuell größte Bedeutung hat; hierzu wiederum eine Überlegung aus dem genannten Beitrag (aaO, S. 30):
„Die grundlegende Frage vor der Inangriffnahme einer Staatenverbindung ist zunächst darauf zu richten, auf welcher Ebene der internationalen Staatenverbindungen diese angesiedelt werden soll. Davon unabhängig ist zu erwägen, ob die Außenwirkungen der in Aussicht genommenen Staatenverbindung regional oder gar weltumspannend zum Tragen kommen können. Es ist zu bedenken, dass jede Staatenverbindung, die nicht gleichsam weltumspannend
ist, alle nichtbeteiligten Staaten ausschließt und damit diskriminiert.
Es kommt zwangsläufig zu einer Blockbildung. Geopolitisch und geostrategisch ist die Überlegung nicht fern liegend, dass die „Außenseiterstaaten“ sich aufgerufen fühlen müssen, gegenläufige Entwicklungen zu initiieren. So ist etwa mit einer Ausdehnung der europäischen Integration daran zu denken, dass der Druck auf Russland dort Überlegungen wachrufen muss, wie dem politisch und strategisch zu begegnen ist. Eine solche Gegenreaktion kann in verschiedener Richtung einmünden, etwa in einer Annäherung an die Volksrepublik China, aber auch in einer Gegenblockbildung wie die der BRIC-Staaten.“
a. Nach allem ist es unumgänglich, neue Lösungsansätze zu entwickeln. Noch mehr Verträge lassen nicht erwarten, dass die bedrohliche Weltlage stabilisiert und das Konfliktpotenzial nennenswert entschärft werden könnte. Die enorme und nicht nur die Existenz von großen Wirtschaftsunternehmen mit Millionen Arbeitsplätzen und darüber hinaus die Existenz von Staaten und die Ernährung von unzählbaren Menschen bedrohende Energiekrise weist allerdings einen bisher missachteten Weg auf, der jedenfalls – zeitlich überschaubar – geeignet sein kann, stützend zu wirken. Bezüglich der staatlichen Infrastruktur ist ein Umdenken unabdingbar.
Die Privatisierung dieser Bereiche und damit die Auslieferung an nicht steuerbare Marktkräfte ist nicht nur nach dem Grundgesetz Deutschlands ausgeschlossen, sondern politisch nicht zu rechtfertigen, weil jedes Staatswesen seine Garantenpflicht gegenüber den ihm anvertrauten Menschen für ein menschenwürdiges Dasein verletzt. Es läßt den Betrachter fassungslos zurück, wie die Politik, große Teile der Fachwissenschaft und entsprechender Institute wie auch in großem Umfang betroffene weltweit tätige Wirtschaftsunternehmen hier versagt haben, weil schon allein durch Privatisierung und Auslieferung dieser existenziellen Bereiche eine Gesellschaft zu einer Zeit, in der weltweit eine von der Realwirtschaft abgekoppelte spekulative Finanzwirtschaft mit undurchsichtigen Finanzstrukturen entstanden ist, die auch von Drittstaaten gesteuert das Funktionieren eines demokratischen Rechtsstaates – nicht nur infolge Digitalisierung – infrage stellen und – wie gegenwärtig – schlicht den Gashahn zudrehen können. Eingehend hierzu mein Beitrag „Privatisierung öffentlicher Aufgaben – Gefahr für das Gemeinwohl? –“ Glanzlichter der Wissenschaft – herausgegeben vom Deutschen Hochschulverband 2007, S. 25 ff. = UNIVERSITAS – Orientierung in der Wissenswelt 2007, S. 994 ff.). Voraussetzung ist nicht ein „Mentalitätswandel“, sondern ein Kulturwandel. Es ist über die Jahrzehnte weltweit eine Funktionselite herangewachsen, die von allem nur den Preis und den eigenen Vorteil und von nichts den Wert kennt. Verhängnisvoll kam hinzu, dass zudem gefördert durch die Europäische Union und große Teile der Wissenschaft gleichsam eine neue Werteordnung installiert wurde, die einen letztlich schrankenlosen Wettbewerb ins Zentrum stellte. Allerdings nicht einen Wettbewerb gediegener Art als Qualitätswettbewerb, sondern ein Preiswettbewerb, der ein großes ethisch nicht vertretbares Risikopotenzial für die Menschen und die Staatenwelt birgt. Die Marktteilnehmer durften sich zu Umgehungs- und Vermeidungsstrategien eingeladen fühlen; ein weiteres verstörendes Ergebnis dieser „Mentalität“ – besser „Unkultur“ – sind die weltweiten Finanzexzesse, bei deren Abwehr oder strikten Unterbindung gerade Deutschland sich nicht vorbildlich verhielt und verhält. Insgesamt bestand schon seit 1945 fortwährend latent ein Widerspruch zu Art. 1 Nr. 3 der Charta der Vereinten Nationen.
b. Ein erster Schritt zur Umkehr ist ein neues „Denken“ im politischen Geschäft. Die Wirtschaft wäre gut beraten, diesen Schritt mit zu tun. Er besteht darin, strikt objektiv-neutral losgelöst von partikularen Interessen zunächst strategisch eine Zieldefinition und eine Folgenabschätzung der angestrebten Ziele vorzunehmen. Die Hingabe an den „sharehoulder value“, der etwa Mitte der Neunzigerjahre des vorigen Jahrhunderts von zwei deutschen Spitzenmanagern ausgerufen wurde, kann – wie schon die Weiterentwicklung der Unternehmen gezeigt hat – nicht als gelungen angesehen werden. Der Ruf Deutschlands hat hierdurch und weitere Fehlentwicklungen weltweit gelitten. Dass die Politik allerdings viele der Fehlleistungen im wirtschaftlichen Bereich bezüglich Energieversorgung und Sicherung von Rohstoffquellen weltweit – vor allem in Afrika, wo ich seit vielen Jahren unterwegs war – durch Freihandelsabkommen und weitere staatliche Maßnahmen gestützt hat, erleichtert die Lösung der nunmehr flächendeckend bedrohlichen Lage für Deutschland und Europa nicht.
In einem zweiten Schritt ist dann unter durchaus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein Tableau von alternativen Wegen zu erstellen („alternativlos“ ist in der realen Welt nichts) und dann zu bewerten und abzuwägen, wie die Alternativen strategisch sachgerecht in das durch die erwähnte Bestimmung der Charta der Vereinten Nationen eingepasst werden können.
Es hätte schon längst auffallen müssen, dass wegen der aufgezeigten Denkmängel weltweit eine gefährliche Schieflage für den Weltfrieden entstanden ist. Durch eine grundlegend falsch angelegte und oberflächliche wie kurzsichtige Politik sind ganze Staatenverbindungen in Monopolabhängigkeiten geraten und haben sich dadurch ihrer Autonomie und Selbstdefinition in großem Umfang begeben. Sie drohen fremdbestimmt zu werden. (Hierzu die Beiträge in Glanzlichter und UNIVERSITAS u.ö. Nachw. im Broß-Archiv).
4. In der Gesamtschau hat die weit ausgreifende Betrachtung seit 1945 mit den zahlreichen internationalen Entwicklungslinien mit den Folgen des verheerenden Zweiten Weltkriegs, daran anschließenden weiteren die Weltentwicklung beeinflussenden Kriegen und die Auflösung der restlichen Kolonialreiche letztlich ein völlig zerrissenes Bild ergeben, dass normativ nicht überzeugend geordnet und zusammengefügt werden kann. Es ist unabdingbar, sich einer möglichen angemessenen und von möglichst vielen und vor allem der wichtigsten Staaten akzeptierten Lösungen über die verschiedensten Wege und Ebenen anzunähern. Eine solche Vorgehensweise kann nicht in toto in Regelwerke gegossen und so in die Wirklichkeit entlassen werden.
Zu bedenken ist, dass gegenwärtig weltweit ein gewaltiges Gefährdungspotenzial für den Weltfrieden und überhaupt für ein Fortbestehen der Zivilisation besteht, was zudem die Entwicklung von stabilen Zivilgesellschaften in bedrängten Staaten erschwert oder auf absehbare Zeit unmöglich macht. Es gilt vor allem, „Alleingänge“ einzelner Staaten oder von Staatenverbindungen einzudämmen, damit Blockbildungen mit dem zwangsläufigen Aufkommen von Außenseitern verhindert werden. Ich sehe keinen auch nur entfernt erfolgversprechenden Ansatzpunkt in dieser Hinsicht, weil wegen des unausweichlichen Kulturwandels weltweit die Klimaänderung und deren Abschwächung wie auch die schon entbrannten Auseinandersetzungen zwischen Staaten wegen Verteilung der über den Erdball ganz ungleich verteilten Rohstoffe mit einbezogen werden müssen. Diese verschiedenen Ebenen hängen untrennbar zusammen.
a. Man muss deshalb wie 1945 mit der Charta der Vereinten Nationen auf diese Ebene zurückkehren und weitere weltumspannende Verbindungen wie die WTO, Weltbank und IWF einbeziehen. Dieser Kreis darf nicht zu groß gezogen werden, damit die Abstimmung zwischen deren Zuständigkeiten noch handhabbar bleibt und nicht ins Ungefähre bezogen auf die gesamte Staatenvereinigung der Vereinten Nationen abgleitet.
Da diese Gliederungen auf der obersten Ebene der Vereinten Nationen mit allen Staaten gleich zukommenden Mitgliedschaftsrechten ausgestattet werden müssen, werden Außenseiter vermieden und damit auch der Anreiz zu Blockbildungen geringer. Jede Blockbildung würde eine Schwächung dieser obersten Ebene nach sich ziehen und damit das für die Weltgemeinschaft lebensnotwendige Ziel eines friedlichen Zusammenlebens und gemeinsame Bekämpfung einer den Globus zerstörenden Klimaänderung im Kern treffen.
Die für die Entwicklung stabiler Gesellschaften notwendigen Voraussetzungen können nur durch eine solche weltumspannende Gemeinschaft geschaffen werden, weil nur so Ungleichgewichte abgebaut und das Entstehen neuer Ungleichgewichte durch den individuellen Kampf um die Verteilung der Rohstoffe verhindert werden kann. Zudem würde eine effektive Kontrolle der Verhinderung von Umweltschäden, etwa durch das Abholzen der tropischen Regenwälder und andere diese fördernde Vorgehensweisen einzelner Staaten wirksam. Diese hätten selbstverständlich Anspruch auf Ausgleich, damit nicht dritte Staaten allein den Vorteil von deren Anstrengungen hätten. In diesem Zusammenhang hätte das Recht allerdings eine bedeutende Rolle. Solche globalen auf der obersten Weltebene angesiedelten Regelwerke können gerade in der Abstimmung mit den anderen ein Höchstmaß an Akzeptanz erwarten lassen und damit dem Recht ohne nicht zur Verfügung stehenden Zwangsmaßnahmen zum Durchbruch verhelfen.
b. Kurzfristig bieten sich wirksame Maßnahmen an, die viel Gefährdungspotenzial beseitigen können, allerdings bei vielen Akteuren in diesen Tätigkeitsfeldern ein ganz grundlegendes Umdenken erfordern. Ein solches hat auch in Deutschland und auf der EU-Ebene stattzufinden. Abgesehen davon, dass die Erklärung der EU von Lissabon im Jahr 2000 über ihre beabsichtigte andere Staaten verdrängende Wirtschaftspolitik bis 2010 völlig entgegen den
Erfordernissen der Zeit stand, muss sie selbst wie auch viele andere Staaten von Freihandelsabkommen in der bisher geübten Gestalt Abstand nehmen. Freihandelsabkommen haben für alle nicht daran teilhabenden andere Staaten diskriminierende Wirkung und bergen ein Aggressionspotenzial, das gerade zu einer Gegenblockbildung zwingt. Dies ist auch ein Gesichtspunkt, der ein Zusammenbinden der wirtschaftlichen Interessen unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten bezüglich der unterschiedlichen Verteilung von Rohstoffen auf der höchsten Ebene im Rahmen der WTO als Mittel erster Wahl nahelegt.
Es ist geradezu naiv, zu glauben, dass man durch solche Abkommen Vertragspartner etwa zur Einhaltung und zum Schutz der Menschenrechte anhalten könnte, wenn man die Wirklichkeit gelassen betrachtet. So könnte man z.B. nicht – wie politisch verlautbart – über den Handelspakt Mercosur den Vertragspartner Brasilien davon abhalten, tropischen Regenwald ohne Rücksicht auf das nationale und das Weltklima zu vernichten und die indigene Bevölkerung ihrer Lebensräume zu berauben.
Hinzu kommt, dass mit der Einrichtung privater Schiedsgerichte in solchen Abkommen die Staaten ihre Souveränität in nicht geringen Teilen abgeben, ihre Politikfähigkeit in diesem Umfang verlieren und die Selbstdefinition als eine rechtsstaatlich-demokratische Grundverpflichtung veräußern. Werden noch weitere Einrichtungen wie regulatorische Zusammenarbeit geschaffen, ist wegen einer dadurch bewirkten Vertiefung der Blockbildung kein Ausweg aus dem durch Unachtsamkeit und Versagen vieler einflussreicher Akteure geschaffenen Dilemma eröffnet.
c. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass ein Teil der Überlegungen nicht gerade umstürzend neu ist. Im Zusammenhang mit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 fand in Bretton Woods 1944 eine Konferenz zur Ordnung des Weltfinanzwesens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt mit Gründung von Weltbank und IWF.
Für den vorliegenden Zusammenhang gilt es die damalige Strategie festzuhalten, diese für ein gedeihliches Zusammenleben der Völker vitalen Wirkmechanismen und Funktionsbedingungen auf der obersten Weltebene zu etablieren. Spätere Entwicklungen wie die Aufgabe des Goldstandards Präsident Nixon Anfang der siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgrund vieler gewissenloser Quereinflüsse mit der Entfesselung der Finanzwelt und Ablösung von der realen Wirtschaft können die damalige überzeugende Idee nicht deshalb desavouieren. Einen Vorgeschmack auf die drohende Zukunft bei solcher Gewissen- und Bindungslosigkeit gab die Silberspekulation der Gebrüder Hunt.
Dr. Siegfried Broß
Dr. h.c. Universitas Islam Indonesia – UII – Yogyakarta
Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D.
Richter am Bundesgerichtshof a. D.
Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau
Ehrenvorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission e.V. und der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe
Ehrenmitglied des Internationalen Beratungskomitees und
Ehrenvorsitzender des Think Tank Africast von CAFRAD
Advisory Board Member Durham Law School – Centre for Criminal Law & Justice
Träger des Max-Friedlaender-Preises 2017