26. November 2022
Das CETA-Abkommen (Handels und Investitionsabkommen) ist seit 2017 vorläufig in Kraft und soll im Dezember vom Bundestag ohne nennenswerte Debatte verabschiedet werden.
Chemikalien und PFAS unter dem CETA-Abkommen
Die staatliche Handlungsfähigkeit bei der Regulierung von Chemikalien muss inzwischen als außerordentlich schwach und völlig unzureichend erachtet werden. Dem Verbot einer Einzelsubstanz geht ein jahre- teils jahrzehntelanges Ringen voraus, an dessen Ende nicht selten ein Scheitern des Verbotsverfahrens steht. Dass diese enorme Schieflage durch Freihandelsabkommen verstärkt wird, räumt auch die Bundesregierung ein (https://www.bmuv.de/faq/weshalb-sind-noch-nicht-alle-pfas-verboten) und nennt als einer der Gründe, warum PFAS kaum verboten sind, auch die „Anforderungen der internationalen Handelsbestimmungen, nach denen nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen erhebliche Anforderungen an den Nachweis der Umwelt- und Gesundheitsgefährlichkeit stellen“. Insbesondere das CETA-Abkommen nimmt als erstes „Abkommen der neuen Generation“ von Freihandelsabkommen eine Sonderstellung ein: Weitreichende Befugnisse intransparenter CETA-Ausschüsse zur Weiterentwicklung des Abkommens mit dem Ziel des „Abbaus nicht-tarifärer Handelshemmnisse“ (unter die auch Bestimmungen zum Gesundheits- und Umweltschutz fallen, das ist das Problem) werden voraussichtlich zu einer weiteren Verdrängung des für die Chemikalienregulierung entscheidenden Vorsorgeprinzips führen und in Kombination mit neuartigen Klagebefugnissen für Investoren, mit denen allein die bloße Androhung einer Klage ausreichend Einschüchterung entfalten kann, ein Verbotverfahren einer Substanz weitgehend aussichtslos machen (vgl. IAWR-CETA-Stellungnahme).
Über das Risiko einer Blockade von Verbotsverfahren hinaus droht mit dem CETA-Abkommen auch ein Zwang zur Wiederaufhebung bereits durchgesetzter Substanzverbote in der EU. Vergleichbare Gerichtsentscheidungen existieren bereits nach erfolgreichen innereuropäischen Klagen von Pestizid-Herstellern gegen die Bundesrepublik Deutschland, mit denen die Aufhebung von Pestizid-Anwendungsverboten entgegen der wissenschaftlichen Sachstandslage erzwungen wurde, Das UBA selbst weist inzwischen auf den unzureichenden Schutz des Grund- und Trinkwassers vor Pestiziden, selbst bei ordnungsgemäßer Landwirtschaft, hin (https://www.umweltbundesamt.de/themen/pestizidzulassungen-gefaehrden-unser-grund ; https://www.bauernstimme.de/news/details/wider-besseres-wissen). Es ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl weiterer Pestizid-Anwendungsverboten in EU-Mitgliedstaaten durch weitere Klagen zu Fall gebracht werden.
Mit dem CETA-Abkommen werden kanadische und EU-Standards als „gleichwertig“ anerkannt. Überdies erhalten Unternehmen aus Kanada bzw. den USA mit Niederlassung in Kanada besondere Klagebefugnisse. In Nordamerika sind Chemikalien in teils hohen Absatzmengen am Markt, die in der EU bereits seit Jahrzehnten verboten sind, zum Beispiel das Herbizid Atrazin (Verbot in Deutschland 1991, EU 2004, 2022 eines der meistverkauften Pestizide in USA/Kanada). Keineswegs abwegig ist daher mit dem CETA-Abkommen eine Entwicklung hin zu einer Wiederzulassung in der EU.
Die Gefährdung durch Chemikalienverschmutzung wird gesellschaftlich deutlich weniger wahrgenommen als die durch Klimawandel und Biodiversitätskrise, obwohl Untersuchungen zeigen, dass die Verschmutzung durch Chemikalien („Novel entities“) eine weitaus größere Gefährdung darstellt. (Planetary Boundaries, https://www.stockholmresilience.org/research/research-news/2022-01-18-safe-planetary-boundary-for-pollutants-including-plastics-exceeded-say-researchers.html):
„The increasing rate of production and releases of larger volumes and higher numbers of novel entities with diverse risk potentials exceed societies‘ ability to conduct safety related assessments and monitoring. We recommend taking urgent action to reduce the harm associated with exceeding the boundary by reducing the production and releases of novel entities, noting that even so, the persistence of many novel entities and/or their associated effects will continue to pose a threat.“ (https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.1c04158)
Die Europäische Umweltagentur schätzte die Anzahl der Chemikalien auf dem Markt auf 100.000, wovon nur 500 ausgiebig hinsichtlich Gefährdung und Exposition bewertet wurden (EEA, S. 239, „the unknown territory of chemical risks“). Die Chemikalienstrategie der EU-Kommission ging 2020 von einer Verdopplung der Chemikalienproduktion bis 2030 aus (Kapitel 2.5). PFAS überschreiten bereits heute bei 21 % der untersuchten Kinder und Jugendlichen den HBM-I-Wert, über dem eine Gesundheitsgefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden kann (UBA, 2020). Hierbei ist zu beachten, dass die Schwellen- und Grenzwerte für PFAS in der jüngsten Vergangenheit stark herabgesetzt, d.h. verschärft wurden. Bereits für 4 PFAS-Chemikalien allein wird die Planetary Boundary-Grenze überschritten (https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.2c02765). Außerordentlicher Handlungsbedarf zur Chemikalienregulierung in der EU ist daher geboten.
Die EU-Chemikalienstrategie (2020) besagt:
„Um gleiche Ausgangsbedingungen für EU- und Nicht-EU-Akteure zu schaffen, muss die EU im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen sicherstellen, dass ihre Vorschriften für Chemikalien sowohl intern als auch an den Grenzen vollständig durchgesetzt werden, und diese Vorschriften weltweit als Goldstandard fördern.“
Mit dem CETA-Abkommen, dessen Verhandlungsmandat aus dem Jahr 2009 stammt, geht die EU den umgekehrten Weg und legt der ohnehin völlig unzureichenden staatlichen Handlungsfähigkeit bei Chemikalienregulierung noch einmal wirksame Fesseln an. Unter dem CETA-Abkommen sind daher Rückschritte statt dringend erforderlicher Fortschritte beim Schutz von öffentlicher Gesundheit und Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu erwarten, zumindest mittelfristig, möglicherweise bereits heute: Die EU-Kommission hat beispielsweise die Revision der für die Chemikalien-Regulierung zentralen REACH-Verordnung vom 4. Quartal 2022 um 1 Jahr verschoben, so dass die Revision voraussichtlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden wird und die REACH-Revision insgesamt stark in Frage gestellt ist.
Mit herzlichem Dank an unseren verdienstvollen Wasserfreund für die Genehmigung, seinen Beitrag hier einzustellen.
Nachtrag 16.12.2022: vgl. auch Karl Bär: Freihandelsabkommen mit Kanada. Weshalb Ceta scheitern muss, in: Spiegel, 22. August 2022.
„Ceta schreibt Einzelinteressen mächtiger Industriezweige in einem internationalen Vertrag fest – und hebelt damit demokratische Entscheidungen aus. Artikel 20.30 legt zum Beispiel fest, dass Unterlagen, die Chemiefirmen bei der Zulassung eines Pestizids einreichen, zehn Jahre unter Datenschutz stehen. Derartige Regeln haben mit Freihandel nichts zu tun.“ (Karl Bär)