Rede von Sigrun Franzen (Berliner Wassertisch) zu den Auswirkungen von CETA auf die Demokratie auf dem Bundesparteitag der Piratenpartei
(28. August 2016, update: 30. August) Der Berliner Wassertisch wurde von der Piratenpartei gebeten, auf ihrem Bundesparteitag in Wolfenbüttel (27./28. August) etwas über CETA zu sagen. Dieser Bitte ist der Berliner Wassertisch sehr gerne nachgekommen. Weitere Gäste waren Tim Weber von Mehr Demokratie e.V. und „Padeluun“ von Digitalcourage.
Hier die Rede von Sigrun Franzen im Wortlaut:
„Als Mitglied der Bürgerinitiative Berliner Wassertisch begrüße ich Euch alle ganz herzlich. Herzlichen Dank auch für die Einladung, der ich gerne gefolgt bin.
Ich bin gebeten worden, hier etwas zu CETA und den Protesten dagegen zu sagen, was ich auch gerne machen werde.
Vorher möchte ich aber gerne die Gelegenheit nutzen und etwas sagen, was mir sehr am Herzen liegt. Wir vom Berliner Wassertisch finden das Piraten-Projekt wichtig, weil es eine unübersehbare Lücke in der Politik geschlossen hat. Die Alt-Parteien sind leider in einem so hohen Maße mit sich selbst und dem parlamentarischen Betrieb beschäftigt, dass sie viel zu oft aus dem Blick verlieren, was die Zivilgesellschaft gerade bewegt.
In Berlin beispielsweise hatte keine der damaligen Parlamentsfraktionen bemerkt, dass Geheimverträge mit Konzernen absolut unpopulär sind. Ein Volksbegehren, das damals der Berliner Wassertisch gemeinsam mit zahlreichen anderen Gruppen der Zivilgesellschaft zur Offenlegung der Geheimverträge der Berliner Wasser-Teilprivatisierung initiierte, wurde durch keine der Abgeordnetenhaus-Fraktionen unterstützt. Erst als 2011 durch einen Volksentscheid mit 98,2 Prozent Mehrheit das Volksgesetz für die Offenlegung der Geheimverträge der Wasser-Privatisierung beschlossen wurde, kam dies auch bei den Abgeordnetenhaus-Fraktionen an.
Trotzdem wurde das Volksgesetz immer noch nur sehr halbherzig umgesetzt. Die ebenfalls im Gesetz geforderte unabhängige juristische Überprüfung der Verträge wurde überhaupt nicht durchgeführt. Mit einer Ausnahme: Die Fraktion der Piraten reichte auf Initiative des Berliner Wassertischs eine Organklage beim Landesverfassungsgericht ein. Die Folge war, dass sich noch im gleichen Monat der Wasserkonzern Veolia entschloss, aus den Berliner Wasserbetrieben auszusteigen. Er gab so den Weg zur vollständigen Rekommunalisierung frei. Nur kurz zuvor hatte er verkündet, dass er gekommen sei, um zu bleiben.
Dies war – wie wir finden – ein einzigartiger Erfolg der Zusammenarbeit von parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition. Wir möchten uns bei den Berliner Abgeordneten, die uns unterstützt haben und heute hier sind, und insbesondere Gerwald Claus-Brunner („Faxe“) als ehemaligem Fachabgeordneten noch einmal herzlich bedanken.
Auch wenn die Fraktion mittlerweile auseinander gebrochen ist und einige der Abgeordneten noch während der laufenden Legislaturperiode die Seiten gewechselt haben, hat zumindest die Anfangsphase der Berliner Fraktion gezeigt, dass eine Partei wie die Piraten dringend notwendig ist: Die Piraten als Mitmach-Partei konnten die Lücke zwischen Zivilgesellschaft und parlamentarischem Betrieb zumindest zeitweise verringern.
Wir denken: Trotz aller Rückschläge muss es mit den Piraten auf jeden Fall weitergehen und wir wünschen den Berliner Piraten bei der Wahl in drei Wochen viel Erfolg.
Und nun zu CETA:
Wieder ist eine Situation da – ähnlich wie damals beim Wasser-Volksbegehren – in der die Meinung der Zivilgesellschaft offenbar vollkommen ignoriert wird. Vor allem wird ignoriert, dass die Zivilgesellschaft aus vielerlei Gründen berechtigten Widerstand leistet, weil nämlich ihre ureigensten Interessen berührt werden.
Vordergründig sollen mit CETA Standards vereinheitlicht und Zölle abgeschafft werden. Das ist aber nur der unbedeutendere Teil. Das wichtigere ist: Mit CETA soll ein völkerrechtlicher Vertrag in Kraft gesetzt werden, der – ähnlich wie die EU-Verträge – Normen schafft, die unsere Gesetzgebung und unsere Rechtsprechung massiv beeinflussen werden.* Der Vertrag wird eine extreme Machtverschiebung weg von der Zivilgesellschaft und den Parlamenten und hin zu den Konzernen zur Folge haben.
Der Sprengstoff des Vertrags liegt in drei Regelungen, die mit Handel eigentlich nur am Rande zu tun haben: erstens dem Investorenschutz, zweitens den Schiedsgerichten und drittens der regulatorischen Zusammenarbeit.
Kern von CETA ist der sogenannte Investorenschutz. Immer wenn gesetzliche Regulierungen die Profite von Konzernen schmälern, können sie die betreffenden Staaten auf Schadenersatz verklagen. Diese Klagemöglichkeiten gehen weit über die Möglichkeiten vor regulären staatlichen Gerichten hinaus. So können nicht nur tatsächliche Verluste, sondern auch erwartete Gewinne eingeklagt werden.
Solche Entschädigungen können Investoren verlangen, wenn sie der Ansicht sind, dass der Gesetzgeber nach ihrer Auffassung keine „legitimen politischen Ziele“ verfolgt. Über das, was politisch legitim ist, entscheiden dann aber nicht mehr Zivilgesellschaft, Parlamente oder das Verfassungsgericht. Es sind dann Schiedsgerichte, die darüber urteilen, ob ein Gesetz „politisch legitim“ ist. Ägypten beispielsweise wurde vor einem solchen Schiedsgericht von Veolia verklagt, weil es den Mindestlohn erhöht hatte.
Durch diese Investitionsschutzregeln werden die demokratischen Möglichkeiten der Parlamente massiv eingeschränkt. Auch wenn sie das Recht behalten, Gesetze für die Bevölkerung machen, ohne Konzerninteressen zu berücksichtigen, werden sie das zur Vermeidung von Klagen in Zukunft nicht mehr im erforderlichen Maße tun können. Durch die Hintertür wird damit im Artikel 20 des Grundgesetzes praktisch ein neuer Verfassungsgrundsatz geschaffen. Bisher heißt es dort „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Jetzt müsste eigentlich ergänzt werden: „und von großen Unternehmen“.
Damit die Macht der Konzerne wächst und die Demokratie schrumpft, enthält der CETA-Vertrag noch den sogenannten „Regulatorischer Rat“. Er setzt sich aus Regierungsvertretern Kanadas und der EU zusammen und soll alle Gesetzentwürfe begutachten, bevor die nationalen Parlamente sie zu Gesicht bekommen. Ziel dieses Forums ist es, Gesetzesvorhaben von Anfang an so zu beeinflussen, dass eine sogenannte „wissenschaftliche Betrachtungsweise“ der zu regulierenden Probleme durchgesetzt wird.
Im gegenseitigen Einvernehmen können die Vertragsparteien zwar andere „interessierte Kreise […] hinzuziehen.“ Dies werden aber vor allem Lobbyisten großer Unternehmen und nicht Vertreter der Zivilgesellschaft sein. Dieses intransparente Gremium wird durch seine regulatorischen Bewertungen und Vorschläge die ursprünglichen Zielsetzungen der Parlamente massiv im Sinne der Profitinteressen der großen Unternehmen beeinflussen.
Außerdem soll ein sogenannter „gemischter CETA Ausschuss“ geschaffen werden, der für alle Fragen der Handels- und Investitionstätigkeit sowie ihrer Umsetzung gemäß dem CETA-Abkommen zuständig ist. Dieser Ausschuss macht das Abkommen zu einem sog. „lebenden Abkommen“ (>living agreement<). Klingt positiv, ist aber völlig undemokratisch und brandgefährlich. Der Ausschuss kann bindende Beschlüsse für die Vertragsparteien fassen und so das Abkommen fortschreiben. Z.B. kann er festlegen, wie im Abkommen verwendete unbestimmte Rechtsbegriffe von den Schiedsgerichten auszulegen sind. Damit erhält ein Gremium, das nicht demokratisch legitimiert ist, eine Macht, die eigentlich nur Parlamenten zusteht. Der Vertrag wird auf diese Weise fortgeschrieben, ohne dass er erneut ratifiziert werden muss.
Liebe Piraten, was müssen wir daraus lernen? Die Diskussion über diese Freihandelsabkommen wird von Wirtschaftsvertretern und von einflussreichen Politikern wie Sigmar Gabriel (SPD) nicht ehrlich geführt. Der Vorsitzende des Handelsausschusses der EU, Bernd Lange (SPD), behauptet im Einvernehmen mit Sigmar Gabriel, dass TTIP ein schlechtes Abkommen und so gut wie gescheitert sei. CETA allerdings sei gut. Das ist falsch. Mit CETA ist TTIP schon da und das müssen wir verhindern!
Am 17. September werden viele Menschen in sieben Städten** erneut deutlich machen, dass sie CETA, TTIP und auch TiSA nicht wollen, weil durch diese Verträge vieles verlorengehen wird, wofür wir in Deutschland und Europa lange gekämpft haben.
Und am 19. September: Auf nach Wolfsburg zum SPD-Parteikonvent!*** Dort wollen wir die Delegierten auffordern, dem Wunsch von Herrn Gabriel nicht nachzukommen und gegen CETA zu stimmen.
Vielen Dank!“
Die Rede wurde aufgezeichnet und kann hier angesehen werden.
Zur TTIP-Demo: http://ttip-demo.de/home/
Speziell zur Berliner TTIP-Demo: http://ttip-demo.de/bundesweiter-demo-tag/berlin/
* Vgl. dazu Siegfried Broß: Überlegungen zu den Grundlagen von Staatenverbindungen. In: Grundgesetz und Europa. Liber Amicorum für Herbert Landau zum Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht. Hrsg. v. Volker Bouffier et al. Tübingen 2016, S. 29–42.
** Die Zahl bezieht sich auf Deutschland. Auch in anderen Ländern wird es an diesem Tag #StopTTIP-Demonstrationen geben.
*** In Berlin wird es Busse nach Wolfsburg geben. Mehr dazu in Kürze.
Nachtrag 30.08.2016: