6.12.2016
Bisherige Positionen und Vorschläge des DGB
Der DGB hatte bereits Ende 2014 und in der Aktualisierung Anfang 2016 eine ablehnende Position zum veröffentlichten CETA-Verhandlungsergebnis beschlossen und Nachverhandlungen gefordert. Die Kritik bestand insbesondere darin,
- dass CETA ein problematisches Investitionsschutzkapitel und spezielle Klagerechte von Investoren gegen Staaten beinhaltete, die es ausländischen Investoren ermöglichen, gegen legitime staatliche Regulierung vorzugehen;
- dass CETA keine effektiv durchsetz- und sanktionierbaren Regeln zum Schutz und zur Verbesserung von Arbeitnehmerrechten enthielt;
- dass CETA einen Negativlistenansatz verfolgte und öffentliche Dienstleistungen nicht ausreichend schützte.
Hinzu kamen die Forderungen, dass mit CETA keine Liberalisierungsverpflichtungen über die Entsendung von natürlichen Personen eingegangen werden dürfen (Mode 4). Zumindest muss das Arbeitsortsprinzip für entsandte Beschäftigte vom ersten Tag gewährleistet werden. Darüber hinaus muss das in der EU geltende Vorsorgeprinzip verbindlich verankert und geschützt werden. Sozial-ökologische Standards in der öffentlichen Auftragsvergabe dürfen kein Handelshindernis darstellen.
Der DGB ist der Überzeugung, dass wir ein gutes Handelsabkommen mit Kanada brauchen.
Das Inkrafttreten eines Abkommens, das der Gestaltung von offenen Märkten und freiem Handel nach Kriterien einer fairen Globalisierung verpflichtet ist, gewährleistet, dass Arbeitnehmerrechte auf nationaler und internationaler Ebene erhalten und ausgebaut werden können, und so dazu beiträgt, das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen zu gewinnen, wäre ein Zeichen gegen das Wiedererstarken von Protektionismus und Nationalismus, das nach dem Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen einen neuen Schub zu erhalten droht.
In der derzeit vorliegenden Form jedoch erfüllen das Abkommen und die gemeinsame Auslegungserklärung (Joint Interpretative Instrument, JII) aus Sicht des DGB die Gestaltungsanforderungen noch nicht ausreichend. Deshalb sieht der DGB die Parlamentarier insbesondere auf europäischer und auch auf nationaler Ebene in der Pflicht, einer vorläufigen Anwendung und anschließenden Ratifizierung von CETA und des JII nur dann zuzustimmen, wenn Nachbesserungen in unten genannten Bereichen erfolgen.
CETA-Zusatzerklärungen
Im Rahmen der Unterzeichnung am 30. Oktober 2016 wurden mehrere Erklärungen der CETA-Parteien beschlossen: Zusammen mit dem Abkommenstext wurden eine gemeinsame Auslegungserklärung (JII) der EU und Kanadas und 38 Erklärungen von einzelnen EU-Mitgliedern, der Kommission bzw. des Rats verabschiedet.
Das JII und einige der einseitigen Erklärungen beinhalten manche Klarstellungen (z. B. zum prozessualen Aspekt des Investitionsgerichtshofs, zur Ernennung der Schiedsrichter etc.), die im Streitfall eine Auslegung des Haupttextes erleichtern können, sollte das Dokument zur Auslegung herangezogen werden. Viele Punkte stellen allerdings offenbar lediglich eine bloße Klar- bzw. Darstellung von Elementen des Haupttextes dar, wie auch die Kommission selbst betont, und schaffen damit keine Änderung oder Verbesserung der CETA-Regeln selbst.
Die vom DGB aufgezeigten Kernprobleme bei CETA sind damit nicht umfänglich behoben worden.
- Investitionsschutz: Zwar sagt das JII, dass ausländische Investoren nicht besser behandelt werden sollen als inländische. Dies ist jedoch nur zu gewährleisten, wenndie materiellen Rechte auf gerechte und billige Behandlung und der Schutz vor Enteignung unwirksam gemacht werden, was im JII jedoch nicht der Fall ist. Zudem erklärt die Europäische Kommission einseitig, dass sie kleine und mittlere Unternehmen technisch und finanziell unterstützen will, die neuen Klagemöglichkeiten zu nutzen. Das würde zu einer Ausweitung von Schiedsgerichtsprozessen führen und diese nicht eindämmen.
- Öffentliche Dienstleistungen: Das JII unterstreicht das Recht der Staaten, Öffentliche Dienstleistungen definieren, uneingeschränkt erbringen, regulieren und rekommunalisieren zu können. Dies schließt jedoch offenbar nicht aus, dass diese Maßnahmen Investitionsklagen nach sich ziehen können. Auch um diesem Problem entgegenzutreten, fordert der DGB eine breit gefasste, komplette Ausnahme der öffentlichen Daseinsvorsorge vom Abkommen. Unser – von Prof. Krajewski übernommener – Textvorschlag findet sich weder im Abkommen, noch in einer Erklärung.
- Öffentliche Auftragsvergabe: Sozial-ökologische Kriterien dürfen laut JII angewendet werden, solange sie kein „unnötiges Handelshemmnis“ darstellen. Diese Einschränkung macht die Kriterien angreifbar.
- Vorsorgeprinzip: Die Vertragsparteien bestätigen ihre Vorsorgepflichten, die sie in internationalen Abkommen eingegangen sind. Dies sagt jedoch nichts über das Primat des Vorsorgeprinzips gegenüber den Regeln des CETA aus. Zwar gibt es eine Erklärung der EU-Kommission, die sich auf das Vorsorgeprinzip in den europäischen Verträgen bezieht. Dies ist eine wichtige Klarstellung, ist aber auf Grund ihrer Form (einseitige Erklärung) höchst wahrscheinlich wenig wirkungsmächtig.
- Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltstandards: Das JII spricht nicht von konkreten (finanziellen) Sanktionen im Falle von Verstößen gegen diese Rechte. Zwar ist davon die Rede, dass diese Rechte nicht verwässert werden dürfen, um Handel und Investitionen anzulocken. Aber welche konkreten Folgen ein Verstoß hätte, bleibt offen. Ein Abrücken vom EU-Ansatz, Streitigkeiten nur durch Mediation und Konsultation zu lösen, ist nicht zu erkennen.
Grundsätzlich bleibt die Verbindlichkeit und formale Wirkungskraft der Zusatzerklärungen zweifelhaft. Die 38 einseitigen Erklärungen einzelner EU-Mitgliedsstaaten, der EU-Kommission und des Rats haben in jedem Fall gegenüber dem JII eine geringere Verbindlichkeit, weil sie keinen gemeinsamen Standpunkt der Vertragsparteien widerspiegeln.
Der DGB kommt zu dem Schluss, dass die vorliegenden Dokumente unzureichend sind, die gewerkschaftlichen Bedenken auszuräumen. Diese Einschätzung basiert auch auf den nach juristischer Einschätzung bestehenden Möglichkeiten, Verbesserungen in gewerkschaftlichem Sinne noch vor der Unterzeichnung des Abkommens umzusetzen. Diese Möglichkeiten wurden jedoch nicht in vollem Umfang ausgenutzt. Gerade weil das Abkommen laut Ratsbeschluss in Teilen vorläufig angewendet werden soll, sobald das Europäische Parlament zugestimmt hat, müssen nun die Anstrengungen von Seiten der Parlamentarier auf EU- und nationaler Ebene umso größer sein, die gravierendsten Probleme von CETA zu beheben. Einer Ratifizierung ist nur unter der Bedingung zuzustimmen, dass die Kernkritik an Investitionsschutz, öffentlicher Daseinsvorsorge und den Regeln zu ArbeitnehmerInnen- und Umweltrechten wirksam adressiert wird.
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