70 Jahre Grundgesetz – Erfolge und Gefährdungen
Vortrag von Prof. Dr. Dr. h.c. UII Siegfried Broß, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. im Rahmen des theologisch-politischen Dialogs in der Autobahnkirche St. Christophorus Baden-Baden am 7. April 2019
I. Vorbemerkung
1. Zur Einstimmung auf die nachfolgenden Ausführungen möchte ich einige formelle Hinweise zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vorausschicken. Es ist in wenigen Wochen seit 70 Jahren in Geltung. Das Grundgesetz ist gemäß Art. 145 Abs. 2 GG mit dem Ablauf des 23. Mai 1949 in Kraft getreten. Das Bundesgesetzblatt Nr. I mit der Seite 1 wurde an diesem Tag ausgegeben.
Seit Inkrafttreten hat das Grundgesetz bis in die jüngste Vergangenheit mehr als 60 Änderungen erfahren, zuletzt die nach einigem politischen Gezerre zwischen dem Bund und den Ländern zum Digitalpakt und zur Beteiligung des Bundes an den Bildungsausgaben der Länder. Aufgrund meiner jahrzehntelangen Arbeit mit dem Grundgesetz halte ich die nachfolgenden für besonders bedeutsam: Die Notstandsgesetzgebung vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709), mit der unter anderem das Widerstandsrecht in Art. 20 Abs. 4 und im Gefolge durch das 19. Änderungsgesetz (29. Januar 1969, BGBl. I S. 97) die Individualverfassungsbeschwerde wie auch die Kommunalverfassungsbeschwerde in Art. 93 Abs. 1 Nrn. 4a und 4b in das Grundgesetz eingefügt wurden, sodann das Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 (BGBl.I S. 359), der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (BGBl.II S. 889), mit dem unter anderem die Präambel und Art. 146 GG geändert wurden sowie das Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl.I S. 2086), mit dem Art. 23 GG mit einer neuen Fassung (Verwirklichung eines Vereinten Europas) in das Grundgesetz eingefügt wurde. Hinzu kommen Änderungen des Grundgesetzes, die den föderalistischen Aufbau, die föderalistische Struktur und die Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern betreffen, so etwa das 52. Änderungsgesetz vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034), durch das die so genannte Föderalismusreform I im Grundgesetz umgesetzt wurde wie auch das Änderungsgesetz vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347), mit dem die Länder gemäß Art. 90 Abs. 2 S. 1 GG die Auftragsverwaltung für die Bundesautobahnen aufgegeben haben.
2. Nachdem schon zu früheren Jahrestagen umfassend Stellung genommen wurde, halte ich es in Anbetracht der fortgeschrittenen europäischen Integration und der aktuellen Weltlage für angezeigt, das Grundgesetz vor diesem Hintergrund zu betrachten und sich über seine Erfolge, aber auch über seine Gefährdungen Gedanken zu machen.
II. Struktur des Grundgesetzes
Bedeutung und Gehalt des Grundgesetzes erschließen sich am eindrücklichsten, wenn man den Grundrechtskatalog und die organisatorischen Teile getrennt betrachtet.
1. Bei Inkrafttreten des Grundgesetzes war sein Grundrechtskatalog weltweit beispielhaft, weil es vergleichbare Regelwerke nicht oder nicht im allgemeinen Bewusstsein gab. Hinzu kam, dass mit der individuellen Durchsetzbarkeit des Grundrechtsschutzes mittels Verfassungsbeschwerde gegenüber der öffentlichen Gewalt einschließlich des Gesetzgebers die Subjektqualität der der deutschen Staatsgewalt unterworfenen Menschen eine bisher nicht gekannte Aufwertung erfahren hat. Die Individualverfassungsbeschwerde in dieser Ausgestaltung, die sie nach 1949 in Deutschland gefunden hat, gehört auch heute noch nicht zum Allgemeingut der Staatenwelt.
2. Die organisatorischen Strukturen traten hinter die Grund- und Menschenrechte des Grundrechtskatalogs nur scheinbar zurück. Die zentralen Strukturnormen des Art. 20 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 3 GG legen die Staatsform der Bundesrepublik Deutschland als demokratischen und sozialen Bundesstaat wie auch als Rechtsstaat und das repräsentative parlamentarische System fest. Es handelt sich hier über die äußere Organisationsstruktur des Staatswesens „Bundesrepublik Deutschland“ hinaus zugleich um die unabdingbaren Funktionsbedingungen, damit die Grund- und Menschenrechte ihre Wirkung zum Schutz der Menschen entfalten können und die Würde des Menschen unantastbar gewährleistet wird und bleibt, wie Art. 1 Abs. 1 GG als oberste Grundsatznorm des Grundgesetzes bestimmt.
Vor dem beschriebenen Hintergrund möchte ich jetzt Erfolge wie auch Gefährdungen des Grundgesetzes aufzeigen und erläutern. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, eine Außenbetrachtung einzubeziehen. Diese Sicht wird mir durch mehr als 50 Auslandsdienstreisen und zahlreiche Fachgespräche mit ausländischen Delegationen im Inland – in Karlsruhe und an Universitäten – während meiner Tätigkeit im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts und nachfolgend im Ruhestand erleichtert. Es ging hierbei im Schwerpunkt seit etwa der Jahrtausendwende um den Aufbau von Rechtsstaat, Demokratie und stabilen Gesellschaften von mehr als 40 Staaten in Osteuropa, Asien, Südamerika und Afrika.
III. Erfolge
Das Grundgesetz war bei seinem Inkrafttreten 1949 und in den ersten Jahrzehnten danach – ich vernachlässige bei dieser Feststellung einige Änderungsgesetze – ein ausgesprochenes „Meisterwerk“. Es hat nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und der nicht vorstellbaren Wanderungsbewegungen durch die Vertreibungen von vielen Millionen Menschen und deren Integration in den Staatenverband der Bundesrepublik Deutschland eine funktionstüchtige und strukturell stimmige normative Grundlage geboten. Hinzugetreten ist eine wirkungsvolle institutionelle Unterstützung und Absicherung durch die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts mit umfassenden Entscheidungs-zuständigkeiten. Dessen Rechtsprechung bildet die Brücke zwischen dem abstrakten Gesetzestext mittels Verfassungsbeschwerde direkt zu den Menschen oder über die entsprechende Ausgestaltung der sie betreffenden Gesetze und die gleichzeitig sich entwickelnde Gerichtsbarkeit in den einzelnen Rechtsbereichen mit den richterlichen Vorlagen an das Bundesverfassungsgericht.
1. Grundrechte
a. Beim Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 war dem Grundrechtskatalog vergleichbar nur die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 beschlossene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Geltung. Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten folgte 1950. Diesen Regelwerken mangelte es an einer justitiellen Durchsetzbarkeit, weil zunächst keine begleitende Gerichtsbarkeit bestand. (Der EGMR in Straßburg hat seine Arbeit erst am 20. April 1959 aufgenommen). Das war allerdings die unentbehrliche Grundvoraussetzung für eine ansprechende und beispielgebende Vorbildfunktion des Grundrechtekatalogs des Grundgesetzes.
Hierfür waren aus der Anfangszeit der Rechtsprechungstätigkeit des Bundesverfassungsgerichts (gegr. 1951) vor allem zwei grundlegende Entscheidungen der Jahre 1957/1958 maßgeblich: Das vielfach und weltweit zitierte Elfes-Urteil in BVerfGE 6, 32 und das nicht weniger beachtete Lüth-Urteil in BVerfGE 7, 198. Sie konturieren das Menschenbild des Grundgesetzes und darüber hinaus den Gehalt der Menschenwürde entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und nachfolgend der weiteren Regelwerke bis in die Gegenwart entsprechend der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (Abl. Nr. C 303 S. 1).
b. Diese beiden Entscheidungen aus den Anfangsjahren der Geltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung mit dem ebenfalls in seinen Anfangsjahren befindlichen Bundes-verfassungsgericht haben der jungen Republik nach dem Schreckensregime der Nationalsozialisten während der Jahre 1933-1945 das weltweite Ansehen in Bezug auf Menschenwürde und Rechtsstaat „eingetragen“.
Zunächst hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 6,32 <40 f.> – Elfes – befunden, dass das Grundgesetz eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet hat, die die Eigenständigkeit, die Selbstverantwortlichkeit und die Würde des Menschen in der staatlichen Gemeinschaft sichern soll. Die obersten Prinzipien dieser Wertordnung sind gegen Verfassungsänderungen geschützt. Verfassungsdurchbrechungen sind ausgeschlossen. Hiernach müssen Gesetze in Einklang mit den obersten Grundwerten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als der verfassungsrechtlichen Wertordnung stehen, aber auch den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen und den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen, vornehmlich dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und dem Sozialstaatsprinzip. Vor allem dürfen die Gesetze die Würde des Menschen nicht verletzen, die im Grundgesetz der oberste Wert ist, aber auch die geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit des Menschen nicht so einschränken, dass sie in ihrem Wesensgehalt angetastet würde.
Im Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens ging es um die Ablehnung der Verlängerung des Reisepasses des Beschwerdeführers, offenbar wegen Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland, also um das Grundrecht der Freizügigkeit. Dieses ist nach Art. 11 GG nur im, nicht aber aus dem Bundesgebiet geschützt.
Für das hier behandelte Thema ist dieses Urteil unter zwei Gesichtspunkten bemerkenswert. Unter strikter Beachtung des Streitgegenstandes waren so weit ausgreifende Darlegungen vermutlich nicht veranlasst. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht im Hinblick auf die Aufbauphase der rechts- und sozialstaatlichen Demokratie in Deutschland und unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen und Wirkungszusammenhänge für die Entfaltung der Freiheitsrechte so weit ausgegriffen. Insofern haben wir es nicht mit einer Grenzüberschreitung des Gerichts zu tun, sondern, wie es zuvörderst dem Bundesverfassungsgericht zukommt und es dazu verpflichtet, die Grundlagen für die Wirksamkeit der Freiheitsrechte zu konturieren und im Streitfall zu gewährleisten.
Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht strategisch weise und mit großer Einfühlsamkeit ins allgemeine Bewusstsein gerückt, dass eine Grundrechtsbetätigung – soll sie der Würde des Menschen gerecht werden – voraussetzt, dass die hierfür erforderlichen rechts-, sozialstaats- und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bestehen. Seine Ausführungen machen deutlich, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, durch Gestaltung der Rahmenbedingungen diese über Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG gewährleisteten Grundlagen „auf kaltem Wege“ zu unterlaufen.
Diese Sicht der Grundstrukturen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und seines Menschenbildes wird in BVerfGE 7,198 <205> – Lüth „unterfüttert“. Inmitten steht das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Der Beschwerdeführer hatte zum Boykott von Filmen eines während der Naziherrschaft überaus erfolgreichen Regisseurs aufgerufen. Das Bundesverfassungsgericht hat das der Klage des Regisseurs stattgebende Urteil des Landgerichts aufgehoben.
Dort wird noch einmal betont, dass das Grundgesetz mit seinem Grundrechtsteil eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und dass gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt. Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muss als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten.
Es ist offensichtlich und diese Erkenntnis erschließt sich ohne Anstrengungen, dass Menschenrechte ihre Wirksamkeit und den Schutz der Individuen nur dann gewährleisten können, wenn dem das rechtliche, soziale und wirtschaftliche Umfeld entsprechen. Nicht mehr und nicht weniger folgt aus diesen – immer noch verbindlichen – Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts und es verwundert, mit welcher „Nonchalance“ die neuen „Strömungen“ damit umgehen. Das Bundesverfassungsgericht war seinerzeit erstaunlich weit- und scharfsichtig, solche „Pflöcke“ einzuschlagen, weil es mit dem innersten und nur schwer zu kontrollierenden und zu steuernden Wesen der Menschen vertraut war und mit dessen dem Gemeinwesen und einem gedeihlichen Zusammenleben nicht immer angemessenen Auftreten und Ausbreitung in der Zukunft rechnete.
Auf diese Zusammenhänge hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung in BVerfGE 33,303 <330 f.> – numerus clausus aus dem Jahr 1972 erneut aufmerksam gemacht. Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet, desto mehr tritt im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen. Seinerzeit stand – wie gegenwärtig – das Ausbildungswesen im Mittelpunkt. Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht ausgreifend die Rahmenbedingungen und Wirkungszusammenhänge in den Blick genommen, weil die Grundrechte ihre Gewährleistung nur entfalten können, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen in der Wirklichkeit gegeben sind. Im Hinblick darauf betont das Bundesverfassungsgericht, dass das Freiheitsrecht ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos wäre, und ferner, dass der soziale Rechtsstaat eine Garantenstellung für die Umsetzung des grundrechtlichen Wertsystems in die Verfassungswirklichkeit einnimmt.
c. Das war für Jahrzehnte der Ausgangspunkt für eine diskrete „Ausnahmestellung“ des Bundesverfassungsgerichts und durch dieses vermittelt des Grundrechtsteils des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Das wurde mit der zunehmenden Internationalisierung des Gedankenaustausches zwischen den Verfassungsgerichten und Verfassungsräten – sofern eingerichtet – in den Jahren seit etwa 1989/1990 deutlich wahrnehmbar. Vorausgegangen war schon seit Ende der sechziger Jahre und beginnend mit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Bildungs- und akademische Austausch auch in den Geisteswissenschaften (zuvor überwiegend Ingenieurwissenschaften). So wurden die Grundlagen z.B. für die Rechtswissenschaften über ausländische – vor allem, aber nicht nur – durch männliche Studenten gelegt, die aufgrund ihrer rechtswissenschaftlichen Studien in Deutschland das Wissen und ihre Erfahrung mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, mit zurück in ihre Heimatstaaten nahmen. Sie bauten dort aufgrund der kulturellen Erfahrung während ihres Aufenthalts in Deutschland in die Zukunft gerichtet Transformationszentren auf. So wurden Generationen von Doktoranden/Doktorandinnen und Habilitanden/Habilitandinnen aus Staaten Europas, Asiens, Amerika und Afrika ausgebildet.
In dem geschilderten Zeitraum ist diese Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts und des Grundrechtsteils des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland allmählich, aber stetig zurückgegangen. Maßgeblichen Einfluss auf diese Entwicklung hat die fortschreitende Integration der Bundesrepublik Deutschland in Europa.
d. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und Grundfreiheiten in Straßburg entfaltet seit vielen Jahren eine sehr beeindruckende Rechtsprechung, die hin und wieder auch dem Bundesverfassungsgericht zum „Verhängnis“ wurde, z.B. wegen überlanger Dauer von Untersuchungshaft, der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder dem Einsatz von Brechmitteln bei Drogenermittlungen. Zur Vermeidung von Missverständnissen weise ich ausdrücklich darauf hin, dass ich hiergegen nichts zu erinnern habe, sondern den Gerichtshof in seinem Bemühen, den Grund- und Menschenrechten Wirksamkeit und Geltung zu verschaffen, nach Kräften unterstütze. Das fällt mir umso leichter, als er mir gegen massive Angriffe in den Medien und aus der Wissenschaft verschiedentlich nachhaltig den „Rücken“ gestärkt hat, etwa was die überlange Dauer von Untersuchungshaft, aber auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigte gesetzgeberische Entscheidungen im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung betrifft.
Die zunehmende und äußerst begrüßenswerte Integration Deutschlands in Europa innerhalb der Europäischen Union wie auch im Geltungsbereich der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten hat die Entstehung und fortwährende Ausbildung von Rechtsordnungen zur Folge, die ebenfalls von den Grund- und Menschenrechten geprägt werden. Diese werden seit 1959 justitiell abgesichert im Geltungsbereich der Konvention durch den Gerichtshof in Straßburg und in Bezug auf die (spätere) Europäische Grundrechtecharta über Vorlageverfahren von nationalen Gerichten an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Hieran wird deutlich, dass durch die wesentlich größeren Rechtsräume der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten mit annähernd 50 Mitgliedstaaten und der Europäischen Union mit 28 Staaten ein ganz erheblicher Bedeutungszuwachs für die von ihnen geübte Rechtsprechung verbunden ist.
2. Organisatorischer Teil
Im Gegensatz zum Grundrechtsteil des Grundgesetzes ist dessen organisatorischer Teil in Bezug auf den föderalistischen Aufbau des Staatswesens mit einem Bundesstaat und darunter mit Eigenstaatlichkeit ausgestatteten Ländern von nicht allgemein bekannten Staatsorganisationsstrukturen geprägt. Insoweit ist in dieser Hinsicht für das Grundgesetz noch eine weit gehende „Alleinstellung“ gegeben. Bei allen Besuchen ausländischer Delegationen und den damit oder gesondert ausgesprochenen Einladungen stand der Grundrechtekatalog des Grundgesetzes eher am Rand. Demgegenüber ging es häufig und zentral um den föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland, vor allem im Gefolge der Vereinigung beider deutscher Staaten und die insoweit gemachten Erfahrungen und die zentralen Strukturelemente des Grundgesetzes Bundesstaat, repräsentative Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat.
a. Im Einzelnen haben sich u.a. ergeben: Einladung durch den Verfassungsrat von Nepal nach dem Bürgerkrieg aufgrund eines umfangreichen Fachgesprächs in Karlsruhe wegen Entwicklung einer föderalen Verfassung für mehr als 30 Ethnien bei etwa 18 Millionen Einwohnern. Eine vergleichbare Problemlage stellte sich bei einem eingehenden Fachgespräch mit dem Verfassungsrat des Irak nach dem zweiten Golfkrieg. Des weiteren waren etwa Zypern und Südkorea nachhaltig an den Erfahrungen in Deutschland mit der Vereinigung interessiert. Es stellte sich insoweit die Frage einer dem entsprechenden Gestaltung einer föderalen Verfassung, wenn sich z.B. Millionen von Menschen in Nordkorea auf den Weg in den Süden begeben würden.
Diese Vorbildfunktion hat sich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bewahrt, weil es an entsprechenden „konkurrierenden“ verfassungsrechtlichen Modellen in anderen Staaten fehlt. Spanien wie auch Nordirland sind neben vielen Staaten Afrikas, teilweise im Gefolge des arabischen Frühlings, hierfür ein beredtes Zeugnis.
Gleichwohl kann man die Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht auf der Haben-Seite des Grundgesetzes verbuchen. Auch nach etwa 30 Jahren ist die Integration alles andere als fest und in sich ruhend zu beobachten.
Allerdings ist der organisatorische Teil des Grundgesetzes nicht mehr so überzeugend als Vorbild geeignet. Hierfür sind verschiedene Entwicklungen und parlamentarisch nicht kontrollierbare und beherrschbare Einflüsse auf dessen zentrale Staatsstrukturen ursächlich.
b. Ausgangspunkt der die Strukturelemente negativ beeinflussenden Rahmenbedingungen für die Strukturelemente des Grundgesetzes sind unübersichtliche und nach ihrer Herkunft nicht ohne weiteres zu identifizierende und eindeutig zuzuordnende Einwirkungen.
Zunächst ist in diesem Zusammenhang der sich seit einigen Jahrzehnten vor allem unter dem Einfluss von Ökonomie und weltweit agierenden Unternehmensberatungs- und/oder Wirtschaftsprüfungs-gesellschaften wie auch Ratingagenturen entfaltende „mainstream“ zu nennen. Es handelt sich hierbei um eine unreflektierte und von allenfalls geringem rechtsstaatlichen und demokratischen wie auch sozial-staatlichen Verantwortungsbewusstsein getragene Entwicklung.
Die Staatsstrukturelemente des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland Bundesstaat, Demokratie, Sozialstaat und Rechtsstaat sind Werte an sich. Sie stehen in einem inneren Wirkungs-mechanismus und bilden so ein im Gleichgewicht stehendes Gerüst zur Stützung des Staatswesens als Ganzes und dienen in ihrem Zusammenwirken der Gewährleistung und Effektivität der Grundrechte für die Menschen. Sie sind damit die unabdingbare Funktionsbedingung für ein stabiles rechtsstaatlich-demokratisches Staatswesen in sozialer Verantwortung.
Es drängt sich auch mit dem Verfassungsrecht und den Grundlagen rechts- und sozialstaatlicher Demokratien nicht vertrauten Menschen auf, dass ökonomische Bewertungen und Parameter deshalb unangebracht sind. Hinter den Staatsstrukturelementen stehen die Gesellschaft und die Menschen mit der ihnen zukommenden unantastbaren Menschenwürde. Sie ist nicht in Euro und Cent zu messen und die Verfassung steht insgesamt nicht unter einem betriebswirtschaftlichen Regime.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon frühzeitig im KPD-Verbotsurteil vor mehr als 60 Jahren zu diesen verfassungsrechtlichen Eckpunkten ausgeführt (BVerfGE 5,85 <198>):
„Wenn als ein leitendes Prinzip aller staatlichen Maßnahmen der Fortschritt zu ,sozialer Gerechtigkeit‘ aufgestellt wird, eine Forderung, die im Grundgesetz mit seiner starken Betonung des ,Sozialstaat‘ noch einen besonderen Akzent erhalten hat, so ist auch das ein der konkreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip. Was jeweils praktisch zu geschehen hat, wird also in ständiger Auseinandersetzung aller an der Gestaltung des sozialen Lebens beteiligten Menschen und Gruppen ermittelt. Dieses Ringen spitzt sich zu einem Kampf um die politische Macht im Staat zu. Aber es erschöpft sich nicht darin… Die schließlich erreichten Entscheidungen werden gewiss stets mehr den Wünschen oder Interessen der einen oder anderen Gruppe oder sozialen Schicht entsprechen; die Tendenz der Ordnung und die in ihr angelegte Möglichkeit der freien Auseinandersetzung zwischen allen realen und geistigen Kräften wirkt aber in Richtung auf Ausgleich und Schonung der Interessen aller. Das Gesamtwohl wird eben nicht von vornherein gleichgesetzt mit den Interessen oder Wünschen einer bestimmten Klasse; annähernd gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten wird grundsätzlich erstrebt. Es besteht das Ideal der ,sozialen Demokratie in den Formen des Rechtsstaates‘. Die staatliche Ordnung der freiheitlichen Demokratie muss demgemäß systematisch auf die Aufgabe der Anpassung und Verbesserung und des sozialen Kompromisses angelegt sein; sie muss insbesondere Missbräuche der Macht hemmen.“
Es gebietet gerade gegenwärtig den größten Respekt vor dieser Leistung des Bundesverfassungsgerichts nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und den damals bestehenden enormen Belastungen und Bedrückungen für den größten Teil der Bevölkerung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorgaben des Grundgesetzes für eine stabile rechts- und sozialstaatliche Demokratie erkannt und so auch unmissverständlich benannt. Es führt in diesem Zusammenhang ferner Grund legend aus, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Gedanken der Würde und der Freiheit des Menschen die Aufgabe entnimmt, auch im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen. Dazu gehöre, dass eine Ausnutzung des einen durch den anderen verhindert werde. Allerdings lehne die freiheitliche Demokratie es ab, den wirtschaftlichen Tatbestand der Lohnarbeit im Dienste privater Unternehmer als solchen allgemein als Ausbeutung zu kennzeichnen. Sie sehe es aber als ihre Aufgabe an, wirkliche Ausbeutung, nämlich Ausnutzung der Arbeitskraft unter unwürdigen Bedingungen und unzureichendem Lohn, zu unterbinden. Vorzüglich darum ist das Sozialstaatsprinzip zum Verfassungsgrundsatz erhoben worden; es soll schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen (BVerfGE 5, 85 <205f.>).
Die zuvor beschriebenen Staatsorganisationsstrukturen haben in dieser Erklärung und Erläuterung des Bundesverfassungsgerichts in vielen Staaten eine Faszination erfahren. Es ist bedrückend, wie leichtfertig und gedankenlos von in Staat und Gesellschaft einflussreichen und wirkmächtigen Kreisen mit diesen für eine stabile Gesellschaft unentbehrlichen Funktionsbedingungen umgegangen wird. Nahe liegend gefährdet eine solche Entwicklung im „Heimatstaat“ diese Stellung der Vorbildfunktion des Grundgesetzes. Es geht hierbei nicht darum, sich einer Selbstgefälligkeit hin zu geben, sondern darum, auf eine strukturell schlüssige und überzeugende Staatsorganisation hinzuweisen, die geeignet erscheinen könnte, in einigen der von mir bereisten Staaten den Weg in eine friedvolle Gesellschaft und zu einem umfassenden und gehaltvollen Menschen- und Grundrechtsschutz zu weisen. Das könnte ferner ein sinnvoller und wirksamer Beitrag zur Eindämmung weltweiter Wanderungsbewegungen sein.
c. Vielen nicht in dem zuvor beschriebenen Sinne staatstragenden sich als Meinungsträger und Meinungsbildner fühlenden Akteuren und Gruppen kann es ein nicht von vornherein auszuschließendes Anliegen sein, Umgehungs- und Vermeidungsstrategien zu entwickeln.
Ein solches Vorgehen kann gestützt durch die Regierung der Gestalt ins Werk gesetzt werden, dass z.B. das Erarbeiten und das Erstellen von Gesetzentwürfen ausgelagert und an Dritte gleichsam als ein Akt der teilweisen Privatisierung der Gesetzgebungsarbeit übertragen wird. Gerade bei komplizierten Regelungssachverhalten ist eine zielgerichtete Vorprägung aufgrund einer möglichen inneren Befangenheit der mit dieser Arbeit Betrauten aufgrund anderweitig bestehenden geschäftlichen Beziehungen nicht auszuschließen. Allerdings ist dies schon ein in seiner Bedeutung und Wirkung nicht zu unterschätzender Vorgang zulasten der repräsentativen Demokratie.
So wurde bei der 50. Richterwoche des Bundessozialgerichts vom 18. bis 20. September 2018 ganz unverhohlen von Journalistenseite die Einfügung einer Sozialstaatsbremse im Grundgesetz gefordert (hierzu DVBl. 2019, S. 97 linke Spalte oben). Sollen damit die vom Bundesverfassungsgericht in Erfüllung des grundgesetzlichen Auftrags zur Umsetzung des Sozialstaatsprinzips entwickelten Grundlagen für den sozialen Frieden als unabdingbare Funktionsbedingung für Rechtsstaat und repräsentative Demokratie auf kaltem Weg beseitigt werden?
d. Gleichsam auf einer höheren Ebene erfahren die Grund- und Menschenrechte eine nicht beherrschbare Einbuße. Das Grundgesetz ist zutreffend nach allgemeiner Meinung europa- und völkerrechtsfreundlich. Damit ist allerdings nicht ein Freibrief des Staates dahingehend verbunden, dass er sich von den verfassungsrechtlichen Bindungen des Grundgesetzes löst und so der Sache nach seine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nach Belieben „privatisiert“. Damit spreche ich den Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in überstaatliche Staatenverbindungen wie der Europäischen Patentorganisation oder der Organisation zur Überwachung des Luftraums (Euro-Control) an.
Selbstverständlich eröffnet das Grundgesetz die Möglichkeit einer solchen Beteiligung an einer Staatenverbindung. Allerdings darf diese Beteiligung nicht beliebig gestaltet werden. So hat die Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, dass die Grund- und Menschenrechte wirksam gewahrt werden und durch einen dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gerecht werdenden, insoweit mit dem europäischen Standard übereinstimmend, effektiven Rechtsschutz abgesichert werden. Das ist erkennbar bei den genannten europäischen Staatenverbindungen nicht der Fall. Rechtsstreitigkeiten innerhalb dieser Staatenverbindungen zwischen den Bediensteten und der Institution werden einer weiteren internationalen Staatenverbindung in Gestalt der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur Streitentscheidung zugewiesen. Das ist ein eklatanter Fehlgriff, weil die ILO von den Mitgliedstaaten der EPO oder Euro-Control weder kontrolliert noch die Einhaltung rechtsstaatlich-demokratischer Grundsätze unter Beachtung der Grund- und Menschenrechte gewährleistet und ein selbst den Betroffenen günstiges Urteil nicht mit Sicherheit vollstreckt werden kann. Dies hat sich in jüngerer Vergangenheit bei der EPO und passivem Verhalten des von den Mitgliedstaaten gebildeten Verwaltungsrats unter Vorsitz Deutschlands gezeigt.
e. Die erläuterten Staatsstrukturelemente des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland können ferner durch Organisationsstrukturen unterhalb der Staatsorganisationsebene geschwächt oder weitergehend gefährdet werden. Es handelt sich hierbei um Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die je für sich nur geringere Aufmerksamkeit wecken, bei der gebotenen Gesamtbetrachtung allerdings Anlass zu großer Sorge geben. Hiervon sind die Staatsstrukturelemente Sozialstaat, Rechtsstaat und repräsentative Demokratie betroffen. In diesem Zusammenhang habe ich vor allem die Privatisierung der Bereiche öffentlicher Infrastruktur, die Strukturen von Freihandelsabkommen mit Investorschutz, privater Schiedsgerichtsbarkeit und regulatorischer Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern und die zunehmende Schaffung von „Näheverhältnissen“ zwischen Politik und Wirtschaft, Politik und Justiz wie auch von Wirtschaft und Justiz im Auge.
aa. Die Privatisierung von Bereichen öffentlicher Infrastruktur wie etwa die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Energie, Verkehrsleistungen und Krankenfürsorge durch großflächige Privatisierung von Kliniken und die Bildung von MVZ wie auch die Beseitigung von Abwasser und Abfall, wurde von einer neueren rechtswissenschaftlichen Theorie des „Gewährleistungsstaates“ flankiert und gestützt. Es handelt sich hierbei um ein Rechts- und Staatsverständnis, das zunehmend von einer eigenständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch den Staat absieht und sich stattdessen lediglich auf Vorkehrungen zur Sicherung der Verfolgung und Erreichung der gemeinwohlorientierten Ziele im Zusammenwirken mit Privaten oder diesen allein beschränkt.
Der Staat entzieht sich damit seinen im Sozialstaatsprinzip wurzelnden originären und nicht disponiblen Grundrechtsbindungen zum Schutz und Wohl der Menschen und des Staatsganzen. Er verliert die Definitionshoheit und die Steuerungsfähigkeit, zu der ihn zudem das Demokratieprinzip verpflichtet. Durch die Überweisung dieser öffentlichen Bereiche in das Privatrecht wird das Rechtsstaatsprinzip ebenfalls dadurch verletzt, dass für diese für die menschliche Existenz elementaren Bereiche im Falle rechtlicher Auseinandersetzungen keine Gleichgewichtslage mehr besteht (Beispiel aus dem Privatrechtsbereich: Dieselproblematik oder medizinische Implantate). Zudem macht es keinen Sinn, staatliche Monopole durch private Monopole oder Äquivalente wie Kartelle oder Oligopole zu ersetzen.
Die Globalisierung ist für solches Vorgehen aus verschiedenen Gründen kein taugliches Argument: Zunächst vermag sie nicht von den Grundrechtsbindungen zu befreien; ferner betreffen die Bereiche der Daseinsvorsorge das Inland und keinen internationalen Austausch von Gütern oder Leistungen und schließlich öffnet man hier für das Staatsganze vitale Infrastrukturbereiche anonymen Akteuren, etwa über weltweit agierende Investmentfonds. Diese übernehmen dann die Definitionshoheit für elementare staatliche Entscheidungen im Grundrechtsbereich.
bb. Ähnlich verhält es sich mit den genannten Strukturelementen der aktuell zunehmend abgeschlossenen Freihandelsabkommen der Europäischen Union etwa mit Japan oder Kanada, aber auch weniger bekannten mit Staaten in Afrika und Asien. Sofern solche Freihandelsabkommen die genannten Strukturelemente enthalten – zum Teil ist man mit der Schiedsgerichtsbarkeit zurückhaltender geworden –, sind immer noch Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie – wenn auch versteckt – das Sozialstaatsprinzip betroffen. Über die regulatorische Zusammenarbeit wird durch eine Vorprägung der Gesetzgebung die Selbstdefinition eines Staates wie auch die Wahrnehmung seiner Gestaltungsverpflichtung nach seiner nationalen und auf der Ebene der Europäischen Union deren Verfassung betroffen.
Ferner ist zu bedenken, dass der Investorschutz nicht angemessen ist. Hat man die Besorgnis, Opfer eines Unrechtsregimes zu werden, muss man überlegen, dass der ausländische Investor gegenüber den dortigen inländischen bevorzugt ist, diese also diskriminiert werden. Des weiteren stellt sich allerdings vorab die grundlegende Ausgangsüberlegung: Darf man in solchen Staaten überhaupt investieren, wenn erkennbar schwerste Verletzungen der Menschenrechte im Alltag und vor allem im Arbeitsleben Wirklichkeit sind. Damit verstoßen die Staaten gegen die unangefochten anerkannten Grundsätze der Menschlichkeit und zahlreicher bestehender internationaler Regelungswerke, die sie selbst mit geschaffen haben.
cc. Eine weitere Gefährdung der Staatsstrukturelemente des Grundgesetzes liegt in der zunehmenden Begründung von „Näheverhältnissen“. Hierbei geht es nicht nur um Lobbystrukturen, sondern um institutionalisierte Beziehungen zwischen Angehörigen der genannten staatlichen Institutionen, die für die genannten Staatsstrukturelemente stehen. Diese werden geschwächt; denn die Aufweichung der Konturen der einzelnen Strukturelemente und der ihnen immanent vorausgesetzten strikten Trennung der Sphären durch solche „Näheverhältnisse“ gefährden ferner die Grund- und Menschenrechte. Es entstehen innere Abhängigkeiten und innere Befangenheiten bei den Beteiligten der verschiedenen Bereiche zu Lasten des Gemeinwohls.
Es war für mich bei zahlreichen Auslandsdienstreisen und Fachgesprächen im Inland deprimierend, dass diese Problematik auf Grund dieser Entwicklung immer mehr in den Vordergrund gerückt ist, was im Inland so nicht wahr genommen wurde. Insoweit hat das Internet weltweit Transparenz geschaffen, jedenfalls eine bereichsspezifische positive Wirkung der Globalisierung.
3. Abschluß
Es sollte zu vertieftem Nachdenken aller mit diesen Fragestellungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes unmittelbar oder mittelbar in Berührung kommenden Kreisen anregen, dass durch die von mir beispielhaft erwähnten Entwicklungen unter anderem auch die Strukturen geschaffen oder zumindest begünstigt werden, für deren Beseitigung sich viele Staaten Unterstützung durch das Vorbild des Grundgesetzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhoffen.
Wenn die heutige Veranstaltung hierzu beigetragen hat, dann kann ich […] bei meinem Vortrag zu 75 Jahre Grundgesetz im Jahr 2024 den 2. Teil des Untertitels weglassen.
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