An das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Bundesministerium für Gesundheit
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Oktober 2022
Offener Brief
Fracking klar ablehnen – Verbot aufrechterhalten!
Sehr geehrte Minister*innen,
der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat in brutaler Weise die fatale Abhängigkeit von fossilen Brenn- und Rohstoffen, insbesondere fossilem Gas, offenbart. Nun kann die Notwendigkeit einer zügigen vollständigen Umsetzung der Energiewende, deren zentraler, existenzieller Klima- und Umweltschutzgedanke für alle Ihre Ministerien eine Rolle spielt, nicht mehr negiert werden.
Allerdings werden just in diesen Tagen rückwärtsgewandte Stimmen laut, die eine Aufhebung des im Wasserhaushaltsgesetz verankerten Fracking-Verbots fordern. Ein Verbot, das nach einer intensiven, jahrelangen Auseinandersetzung mit Fakten berechtigterweise eingeführt wurde.
Wir wenden uns mit diesem Schreiben an Sie, um wesentliche Argumente gegen Fracking erneut vorzutragen und Sie zu einer klaren Ablehnung aufzufordern.
1. Keine Abhilfe in derzeitiger Energiekrise
Fracking schafft keine Abhilfe in Sachen aktueller Gasnotlage. Denn die aktuelle Lage ist vor allem in diesem und den folgenden Wintern alarmierend. So schnell stünde Gas aus Fracking in Deutschland aber keinesfalls zur Verfügung, denn dafür bräuchte es aufwendige Sondierungs- und Vorbereitungsarbeiten. Es vergehen mehrere Jahre, bis eine notwendige, flächendeckende Infrastruktur hergestellt werden könnte. Bis signifikante Mengen an Gas verfügbar wären, dürfte es bis zu zehn Jahre dauern. Dann aber wird es aufgrund des massiven Ausbaus der Erneuerbaren Energien gar keinen Engpass mehr geben. Es ergibt daher keinen Sinn, sich in neue Abhängigkeiten von fossilen, klimaschädlichen Energien zu begeben, denn diese helfen akut nicht weiter und werden mittelfristig nicht gebraucht.
2. Fracking befeuert die Erderhitzung
Wenn neben den beim Verbrennen entstehenden CO2-Emissionen auch die bei Förderung, Transport und Lagerung anfallenden Methanleckagen berücksichtigt werden, fällt die Klimabilanz von Erdgas – insbesondere von gefracktem Erdgas – in vielen Fällen mindestens so schlecht aus wie die von Kohle.[i]
Gemäß einer Studie der Cornell Universität, Ithaca, NY, USA, könnte die Schiefergasförderung in Nordamerika für mehr als die Hälfte der weltweit gestiegenen Emissionen aus fossilen Brennstoffen und für etwa ein Drittel des gesamten weltweiten Anstiegs an Emissionen in der letzten Dekade verantwortlich sein.[ii] Damit trägt Fracking wesentlich zur Erderhitzung bei. Dies ergibt sich aus der besonders klimaschädlichen Wirkung von fossilem Methan, das über 20 Jahre bis zu 108 mal stärker wirkt als CO2[iii]. Bei der von der deutschen Expertenkommission Fracking angenommenen durchschnittlichen Methanemissionsrate von 2-4% wäre Schiefergas klimaschädlicher als Kohle.[iv]
Gerade vor dem Hintergrund der zu erreichenden Klimaneutralität 2045 und den gewöhnlichen Laufzeiten von Fracking-Vorhaben ist Fracking für Deutschland nicht zielführend, da es weder kurzfristig zur Versorgungssicherheit beiträgt noch klimapolitisch verantwortbar ist.
3. Flächendeckende Industrialisierung und immenser Wasserverbrauch
Das Risiko für Deutschland wird durch die bisherigen Berichte der Expertenkommission insgesamt kleingeredet, obgleich das Umweltbundesamt in seinem zweiten umfangreichen Gutachten 2014 darauf hinwies, dass – zur Förderung der vermuteten Vorkommen im Untergrund – rund 48.000 Bohrungen auf rund 9.300 km² notwendig wären. Dabei werden mehrere Millionen Liter Wasser für eine einzelne Bohrung benötigt.
Das UBA hebt hervor: „Im Vergleich zu den bisher durch konventionelle Erdgasnutzung in Deutschland realisierten Fördervorhaben wären 48.000 Bohrungen jedoch eine enorme Steigerung, die in einem dicht besiedelten Gebiet wie Deutschland zu erheblichen Nutzungskonflikten führen dürfte.“[v]
Die Expertenkommission Fracking verweist zwar in ihrem Bericht über Grundwasser und Oberflächenwasser auf den hohen Wasserverbrauch, vertieft die Problematik aber nicht. Dabei hat wiederum das UBA bereits 2014 vor folgender Entwicklung gewarnt:
„Der … Wasserbedarf bei der unkonventionellen Gasförderung (sowohl Schiefer- wie Tightgasförderung) übersteigt in einigen Regionen Niedersachsens den vielfach schon heute als kritisch angesehenen Wasserbedarf für die landwirtschaftliche Beregnung so deutlich, dass an dieser Stelle eine hohe Wahrscheinlichkeit von Nutzungskonflikten zwischen Erdgasförderung und Landwirtschaft zu konstatieren ist. Dies, zumal mit fortschreitendem Klimawandel und zunehmend trockeneren Sommern auch die Notwendigkeit von landwirtschaftlicher Beregnung in heute noch weniger dürregefährdeten Regionen zunehmen wird.“[vi]
Gerade nach einem erneuten dramatischen Dürrejahr wie 2022 wäre es grotesk, diesen Aspekt zu ignorieren.
4. Negative Gesundheitsauswirkungen
Ebenfalls komplett ignoriert wurden die mittlerweile durch mehrere Studien gut dokumentierten negativen Gesundheitsauswirkungen von Fracking. Studien an Müttern, die in der Nähe der Öl- und Gasförderung leben, stellen durchweg eine beeinträchtigte Gesundheit von Säuglingen fest, insbesondere erhöhte Risiken für ein niedriges Geburtsgewicht und Frühgeburt. Auch eine erhöhte Inzidenz von Neuralrohrdefekten und angeborene Herzfehler wurden festgestellt.[vii]
Diese negativen Gesundheitsauswirkungen stellen – neben möglicher Wasserkontamination, Luftverschmutzung sowie einem immensen Wasserverbrauch gerade im Hinblick auf zunehmende Dürren – Menschenrechtsverletzungen dar.
Im Mai 2021 hat das Irish Centre for Human Rights in einem Sonderbericht die Menschenrechtsauswirkungen von Fracking dokumentiert und auf die Notwendigkeit eines Verbotes verwiesen.[viii] Der Bericht hebt auch die Bedeutung der im Laufe der Jahre von den Concerned Health Professionals of New York gesammelten und dokumentierten Beweise im Compendium of Scientific, Medical and Media Findings Demonstrating Risks and Harms of Fracking (8. Auflage erschienen im April 2022) hervor.[ix] Es ist interessant, dass diese maßgeblichen Quellen in der benutzten Literatur für die Berichte der Expertenkommission keinerlei Beachtung fand.
5. Warnungen von UN-Institutionen und Menschenrechtsverstöße
Die Erkenntnisse über die negativen Auswirkungen von Fracking werden von mehreren internationalen Institutionen seit Jahren bestätigt.
Im Oktober 2018 gab der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESR) eine offizielle Warnung bezüglich des Frackings von Schiefergas in Argentinien heraus. Im Abschlussbericht heißt es[x]:
„Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass das Hydraulic Fracturing-Projekt den Verpflichtungen des Vertragsstaats zum Pariser Abkommen widerspricht – mit negativen Auswirkungen auf die globale Erwärmung und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der Weltbevölkerung und künftiger Generationen“.
Im März 2019 forderte der Ausschuss der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) die britische Regierung auf, „die Einführung eines umfassenden und vollständigen Verbots von Fracking in Betracht zu ziehen“[xi], um insbesondere Frauenrechte im ländlichen England zu schützen. Hintergrund sind u. a. die oben genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass in der Nähe aktiver Gasförderanlagen das Risiko für ein geringes Geburtsgewicht steigt.[xii]
In seinem 2019er Safe Climate Bericht empfahl der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt „die Ausweitung der umweltschädlichsten Arten der Gewinnung fossiler Brennstoffe zu verbieten, einschließlich Öl und Gas, das mittels Hydraulic Fracturing (Fracking), gewonnen wird“.[xiii]
Deshalb fordern wir ein vollständiges und zeitunabhängiges Verbot von Fracking!
Zusätzlich zu den oben erwähnten Berichten zum Fracking hat der im Jahr 2021 veröffentlichte Bericht der Internationalen Energieagentur viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dieser besagt, dass die Förderung fossiler Brennstoffe jetzt gestoppt werden muss, um die sog. Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.[xiv] Dies gilt insbesondere für fossile Brennstoffe, die mittels Frackings gefördert werden müssten. Demnach dürfen keine neuen Öl- und Gasfelder mehr eröffnet werden. Die Erschließung neuer Fracking-Felder widerspricht klar und deutlich der lebensnotwendigen Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens.
Aus dem jüngsten Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klimaschutzgesetz geht hervor, dass das frühere Klimaschutzgesetz als teilweise verfassungswidrig zu bezeichnen ist, weil es nicht weit genug geht, um künftige Generationen zu schützen.[xv] Auch nach der erfolgten Revision des Klimaschutzgesetzes ist dieses noch nicht ausreichend, um den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu gewährleisten. Das zeigen nicht zuletzt die Berechnungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) zum verbleibenden deutschen CO2-Budget zur Einhaltung der Pariser Klimaziele. Das Bundesverfassungsgericht bezog sich in seinem Urteil explizit auf die SRU-Berechnungen; die nach dem Urteil aktualisierten Analysen des SRU zeigen derweil, dass Deutschlands Budget im Grunde aufgebraucht ist, um global unter 1,5 °C zu bleiben.[xvi]
Wir fordern Sie hiermit auf, die vorhandenen Erkenntnisse über die negativen Auswirkungen von Fracking auf Klima, Umwelt, öffentliche Gesundheit sowie Menschenrechte entsprechend deutlich zu machen und dem Bundestag die Einführung eines vollständigen und zeitunabhängigen Fracking-Verbotes zu empfehlen.
Anstatt uns von fossilen Vergangenheitsträumen vereinnahmen zu lassen, müssen wir die immens notwendige Energiewende vorantreiben.
Gerne stehen wir für einen Dialog zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Andy Gheorghiu Consulting
Deutsche Umwelthilfe e.V.
Nabu
BUND
Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der Gliedkirchen der evangelischen Kirche in Deutschland
Energy Watch Group
urgewald
Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre e.V.
WWF Deutschland
Umweltinstitut München e.V.
PowerShift e.V.
Forum Umwelt und Entwicklung
Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW)
Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung e.V.
a tip: tap e.V.
Berliner Wassertisch
Wissenschaftsladen Bonn e.V.
Food & Water Action Europe
Abgefrackt Bündnis Weidener Becken gegen Fracking
Parents For Future Nordfriesland
BI Saubere Umwelt & Energie Altmark
Wittorfer für Umwelt und Gesundheit e.V.
IG Fracking-freies Artland e.V., Quakenbrück
BI lebenswertes Korbach
BI Walle gegen Gasbohren
BürgerBegehren Klimaschutz
FDCL – Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
BI No-Fracking-Völkersen
pro grün e. V. Paderborn
Bündnis Klimabegehren Flensburg
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)
junges attac
Hamburger Energietisch e. V.
mpz e. v., Medienpädagogik Zentrum Hamburg
Bürgerinitiative Umweltschutz Uelzen
GENUK e.V., Gemeinnütziges Netzwerk für Umweltkranke,
STOP Fracking – Bürgerinitiative für sauberes Wasser Witten
Bezirkskonferenz Naturschutz Ostwestfalen-Lippe
AK Fracking Braunschweiger Land
Interessengemeinschaft gegen Gasbohren im Tecklenburger Land
IG Schönes Lünne
Bürgerinitiative gegen Gasbohren Halfing
BI für Gesundheit Hemslingen/Söhlingen
BI Frackingfreies Hessen
NaLaKiZu Bürgerstark
NoFracking Bodensee-Oberschwaben
BI LK Oldenburg
AG Erdgas Erdöl Fracking der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg
FrackingFreies Hamburg
BI kein frack in wf
[i] https://www.howarthlab.org/ Oil Change International. „Debunked: The G20 Clean Gas Myth“. 11.06.18. Link: http://priceofoil.org/2018/06/11/debunked-g20-clean-gas-myth/
DIW Berlin: Am Klimaschutz vorbeigeplant – Klimawirkung, Bedarf und Infrastruktur von Erdgas in Deutschland : Hintergrundpapier
[ii] https://www.biogeosciences.net/16/3033/2019/
[iii] IPCC, AR6. Climate Change 2021: The Physical Science Basis (). Erhältlich hier: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_FullReport.pdf
[iv] Berichtsentwurf Expertenkommission Fracking, 2021 (expkom-fracking-whg.de)
RW Howarth: Climate Change Summary Docs (howarthlab.org)
Alvarez et. al. „Greater focus needed on methane leakage from natural gas infrastructure”. Erhältlich hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3340093/
[v] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_53_2014_umweltauswirkungen_von_fracking_0.pdf
[vi] http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_53_2014_umweltauswirkungen_von_fracking_28.07.2014_0.pdf
[vii] https://concernedhealthny.org/compendium/
[viii] Irish Centre for Human Rights. International Human Rights Impacts of Fracking Report. Link: https://bit.ly/3z2bj0n
[ix] https://concernedhealthny.org/compendium/
[x] CESCR – International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. E/C/12/ARG/CO/4 https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/SessionDetails1.aspx?SessionID=1200&Lang=en
[xi] CEDAW – Concluding observations on the eight periodic report of United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, C/GBR/CO/8 (https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CEDAW%2FC%2FGBR%2FCO%2F8&Lang=en)
[xii] https://www.scinexx.de/news/medizin/fracking-schadet-ungeborenen/
[xiii] https://www.ohchr.org/Documents/Issues/Environment/SREnvironment/Report.pdf
[xiv] https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050
[xv] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
[xvi] https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.html
Offener Brief als pdf