Olympia-Referendum in Hamburg am 29. November 2015
Berlin, 30.11.2015
Der Berliner Wassertisch gratuliert den Hamburger BürgerInnen zu dieser klugen Entscheidung!
In seinem lesenswerten Kommentar schreibt Jens Weinreich: „Ich verneige mich vor der Olympia-Opposition, vor Walter Scheuerl, vor den NOlympia-Aktivisten, vor NOlympia Hamburg und vielen anderen, die sich als wahre Demokraten erwiesen und unfassbar hartnäckig gekämpft haben. Respekt. […] mündige Bürger haben in Hamburg gegen die Propagandamaschine von Sport, Politik, Medien und Wirtschaft obsiegt.“ (Jens Weinreich, 29.11.2015)
Tom Strohschneider wiederum fasst im Neuen Deutschland zusammen: „In Zeiten explodierender Kosten für Prestigeprojekte, intransparenten Vertragsgebarens, korrupter Sporteliten und nach Jahren überall spürbarer Kürzungen der Daseinsvorsorge sind Mehrheiten für stadtpolitische Vernunft mobilisierbar.“
In ihrer Pressemitteilung vom 29.11.2 beklagt Mehr Demokratie e.V. Hamburg: „Die Gegner des Olympia-Referendums hatten nicht annähernd die gleichen finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten, mit ihren Argumenten an die Öffentlichkeit zu gelangen. Mit einem bisher nie erlebten Aufwand hatten Senat, Bürgerschaftsmehrheit, Wirtschaft und Sportorganisationen um das Ja für die Hamburger Bewerbung für die olympischen und paralympischen Spiele 2024 geworben. Der Hamburger Landesverband von Mehr Demokratie sieht dieses monatelange Medienfeuerwerk der Pro-Olympia-Akteure kritisch […]“
Mehr Demokratie e.V. sieht in der Abstimmung einen „Triumph für die direkte Demokratie“: „Das Ergebnis zeigt auch, dass Volksabstimmungen nicht käuflich sind! Schließlich gab es im Vorfeld eine breit angelegte und finanzstarke Kampagne der Regierung im Schulterschluss mit Wirtschaft und Sportverbänden für eine Olympia-Bewerbung – auch Medienunternehmen, nicht zuletzt die Bild-Zeitung, warben massiv für Olympia in Hamburg. Außerdem beachtlich: Alle Parteien in der Bürgerschaft außer der Linken rührten kräftig die Werbetrommel. Das alte Argument der Volksabstimmungsgegner, die Parteien würden die Interessen der Menschen ausreichend vertreten, hat sich hier offenbar als falsch erwiesen. Das Olympia-Referendum zeigt vielmehr, dass die Meinung der Bürger/innen in Einzelfragen sehr wohl von der Meinung der von ihnen bevorzugten Partei abweichen kann. Es braucht die direkte Demokratie, um den Bürgerwillen in Sachfragen auch gegen die Parlamentsmehrheit durchsetzen zu können.“ (zum Beitrag)
Ein Kommentar in der ZEIT: „Das Missverständnis zeigt, wie sich Politiker und Lobbyisten von der eigenen Begeisterung berauschen lassen und vom Publikum entfernen können. […] Direkte Demokratie kann eine Brücke sein, Politik und Wähler haben sich genug entfremdet. Bürgersinn ist nicht generell der Feind von großen Ideen, aber Bürgersinn kann falsche Euphorie entlarven“
Axel Schröder schreibt im Deutschlandfunk: „Die meisten ,Nein‘-Stimmen kamen aus den ärmeren Teilen der reichen Stadt [Hamburg]. Einer Stadt, in der die soziale Spaltung Jahr für Jahr größer wird, in der die Zahl der Millionäre genauso wie die Mieten, genauso wie die Zahl der prekär Beschäftigten steigt. Diesen Menschen nun vorzuwerfen, ihnen fehle der Mut zum Risiko oder das nötige Wissen, um die großen Chancen von Olympia zu begreifen, ist eine Unverschämtheit.“
Guido Pauling schreibt in seinem Kommentar „Freude statt Vorwürfe“ im NDR: „Von gewaltiger Enttäuschung, sogar von einem Scherbenhaufen ist die Rede, als ob die Hamburger etwas kaputt gemacht haben. Hier zeigt sich eine Kluft zwischen den Meinungsführern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und der ,normalen‘ Bevölkerung, die nachdenklich stimmen sollte. Denn wenn die einen so gar nicht merken, dass ihre hochfliegenden Pläne von den anderen nicht sonderlich geschätzt werden, dann stimmt etwas nicht in dem Verhältnis zwischen den Lenkern aus Politik und Gesellschaft und der Stadtbevölkerung.“
„Der Reiz der fünf Ringe verblasst, nicht nur in Deutschland. Auch Graubünden, Stockholm und Oslo hatten sich zuletzt gegen eine Bewerbung gewandt.“, schreibt Peter Burghardt in seinem SZ-Kommentar, und freut sich, „dass der deutsche Bürgersinn funktioniert. Bürgersinn heißt, nicht alles zu akzeptieren, was einem Politik, Wirtschaft oder Sport vorsetzen; Bürgersinn heißt, seine Meinung friedlich zur Geltung zu bringen. Bei Debatten, bei Wahlen – oder eben bei so einem Referendum. Man nützt seine Stimme, und die Mehrzahl der Stimmen setzt sich durch. So funktioniert lebendige Demokratie. Das Gegenteil ist jene Politikverdrossenheit, über die so viel gejammert wird und die obskure Protestparteien stärkt.“
Der Berliner Wassertisch war Mitglied im (erfolgreichen) Bündnis NOlympia Berlin und hat sich unter anderem mit einem Beitrag im Spiegel an der Berliner Olympia-Debatte beteiligt:
Olympia-Debatte: Warum Berlin auf die Spiele verzichten sollte. Ein Gastbeitrag von Sigrun Franzen und Rainer Schmitz. In: SPIEGEL ONLINE, Freitag, 27.02.2015 – 13:21 Uhr.
Der Berliner Wassertisch hat eine auf Berlin zugeschnittene Zeitleiste und ein NOlympia Lexikon auf seiner Seite eingerichtet.
Der beste deutschsprachige Blog zum Thema Olympische Spiele findet sich nach wie vor unter: http://www.nolympia.de/.