Bayerischer Rundfunk | Kontrovers
Sendung vom 02.03. 21.00 Uhr bzw. vom 03.03. 03.05 Uhr
Europäisches Patentamt in München
Die Story – Wenn der Traumjob zum Albtraum wird
Von Irene Esmann und Jutta Henkel
Fast 2.000 Demonstranten treffen sich vor dem Hauptsitz des Europäischen Patentamts (EPA) in der Münchner Innenstadt. Das ist in etwa die Hälfte der Belegschaft. Jeden Monat gehen hier große Teile des Personals auf die Straße. Wofür genau sie demonstrieren, verraten sie nicht – offensichtlich aus Angst: „Weil wir eine Verantwortung unseren Familien gegenüber haben. Die ganze Familie hängt daran. […] Alles hängt an diesem Job. Aber wenn wir den Job verlieren, verlieren wir alles.“ Das sagt ein Mitarbeiter, der nicht erkannt werden will. Andere sagen: „Wir dürfen nicht mit Journalisten sprechen.“
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„Ich stelle fest, dass dort ganz erhebliche Defizite bestehen, was die arbeitsrechtliche Stellung der Bediensteten anbetrifft. Es gibt zwar eine Personalvertretung, aber die hat keine konstitutiven Mitwirkungsrechte, sondern kann nur Empfehlungen abgeben, an die der Präsident nicht gebunden ist.“
Siegfried Broß, ehemaliger Bundesverfassungsrichter
Kritik an Reformen
Benoît Battistelli, der Präsident des Europäischen Patentamts, ist umstritten. Sein Ziel ist es, das Patentamt zu reformieren und vor allem Kosten zu senken. Das Amt hat ein jährliches Anmeldewachstum von durchschnittlich vier Prozent zu bewältigen und das bei gleichbleibendem Personalbestand. Die Reformen hätten positive Ergebnisse bewirkt: „Unsere Produktivität ist im letzten Jahr um zehn Prozent gestiegen, die Produktion gar um 14 Prozent“, so das Europäische Patentamt. Nur der Weg dahin ist fragwürdig, wie Recherchen des BR-Politikmagazins „Kontrovers“ und der Redaktion Bayern zeigen.
Krankenbett mit Hausarrest
Seit 2013 dürfen Mitarbeiter, die krankgemeldet sind, ihre Wohnung während der Kernarbeitszeit nur noch für angemeldete Arztbesuche verlassen. Das kann das Patentamt jederzeit mit einem Anruf oder einem unangemeldeten Besuch überprüfen.
„Man hat das Gefühl, dass man ein Verbrecher ist, dass man etwas Falsches gemacht hat, obwohl ich nur leider krank geworden bin. Es fühlt sich an wie ein Gefängnis.“
Anonymer Mitarbeiter
Ein Arzt, der viele Mitarbeiter des Europäischen Patentamts betreut, sagt, dass viele von ihnen Angst haben, sich krankschreiben zu lassen. Die Befürchtung: zu viele Krankheitstage könnten zur Entlassung führen. Das Patentamt sieht nur Vorteile.
„In Folge der stringenteren Praxis auf diesem Gebiet hat sich der durchschnittliche Krankenstand im Amt innerhalb eines Jahres bereits von über 14 Tagen auf 11,5 Tage reduziert.“
Auskunft des Europäischen Patentamts
Gewerkschaft ohne Führung
In Deutschland hilft bei Konflikten mit dem Arbeitgeber der Personalrat. Seine Mitglieder genießen besonderen Schutz. Anders hier: Gewerkschaftsvertreter wie die Biologin Elizabeth Hardon sind zur Zielscheibe geworden. Sie und ihr Kollege Ion Brumme wurden im November suspendiert, später sogar entlassen. Ausgerechnet sie als Mitarbeitervertreter sollen Kollegen gemobbt und das Amt diffamiert haben.
„Es ist schon sehr belastend und für meine Kollegen noch schlimmer. Ich bin im Vorrentenalter, aber meine Kollegen sind viel jünger. Für die anderen suspendierten Kollegen ist das sehr, sehr bedrohlich.“
Elizabeth Hardon, ehemalige Personalrätin EPA
Das gefürchtete Untersuchungsverfahren
Die interne Ermittlungseinheit des Europäischen Patentamts ist unter den Arbeitnehmern gefürchtet, weil sie dort die Aussage nicht verweigern können – selbst wenn es ihnen schadet.
„Wenn jemand sagt, er habe gewisse Probleme mit einem anderen Mitarbeiter, dann wird eine Untersuchung eingeleitet, dann werden Zeugen befragt, da ist halt der Rechtsstandard sehr niedrig, weil man keinen Rechtsanwalt einschalten darf.“
Mitarbeiter, der anonym bleiben will
Auch das Bundesjustizministerium hat den Präsidenten des EPA aufgefordert, die von ihm erlassenen Richtlinien für Ermittlungsverfahren zu ändern. Das Patentamt sieht jedoch keinen Grund zum Handeln.
„Das Untersuchungsverfahren im EPA ist kein Strafverfahren, sondern ein administratives Tatsachenfeststellungsverfahren im Sinne eines Dialogs zwischen beschuldigtem Mitarbeiter und Arbeitgeber. […] Es entspricht damit der Praxis und den Standards in nationalen und internationalen Organisationen unserer Vertragsstaaten.“
Europäisches Patentamt
Hoffnung auf Verwaltungsrat
Die einzigen, die den Präsidenten stoppen könnten, wären die Mitglieder des Verwaltungsrats. Sie kommen aus den 38 Mitgliedsstaaten. Jedes Land hat eine Stimme, egal ob San Marino oder Deutschland. Im Verwaltungsrat saß auch der Österreicher Friedrich Rödler. Seiner Meinung nach findet seit Jahren keine wirksame Kontrolle der Führungsspitze mehr statt. Doch der Druck nimmt zu. Verwaltungsratschef Jesper Kongstad fordert in einem Brief an den Präsidenten Battistelli, dass dieser einer externen und unabhängigen Untersuchung des Rauswurfs der Gewerkschaftsfunktionäre Hardon und Brumme zustimmt. Außerdem soll der völlig aus den Fugen geratene Betriebsfrieden im Amt wiederhergestellt werden.
Bisher sei es nicht gelungen, mit Battistelli in einen sinnvollen Dialog zu treten, deshalb werde ihn der Verwaltungsrat beim nächsten Treffen am 16. März mit den Forderungen konfrontieren.
Die Europäische Patentorganisation
Die Europäische Patentorganisation ist eine zwischenstaatliche Einrichtung. Damit ist sie nicht an nationale Gesetze wie zum Beispiel das deutsche Arbeitsrecht gebunden. Gegründet wurde sie am 7. Oktober 1977. Das Amt hat insgesamt rund 7.000 Mitarbeiter. An seiner Spitze steht seit 2010 der Franzose Benoît Battistelli.
Die Organisation hat zwei Organe, nämlich das Europäische Patentamt und den Verwaltungsrat, der die Aufgabe hat, die Tätigkeit des Amts zu überwachen. Die Mitglieder des Verwaltungsrats kommen aus 38 europäischen Staaten. Das Europäische Patentamt ist die europaweit führende Institution zum Schutz geistigen Eigentums.