Juristische Stellungnahme über Investitionsschutz und Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen im Rahmen von TTIP und CETA
Als Mitglieder des europäischen Rechtswesens fordern wir, Investitionsschutz und Verfahren der Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) weder in die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union noch in das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) zwischen der Europäischen Union und Kanada aufzunehmen. Dies begründen wir wie folgt:
Investitionsschutz und ISDS etablieren Sonderrechte für ausländische Investoren auf der Grundlage vager substanzieller Standards Investitionsschutz und ISDS räumen ausländischen Investoren substanzielle und verfahrensrechtliche Sonderrechte gegenüber allen anderen Akteuren in einer Gesellschaft ein. Die substanziellen Investitionsschutzstandards wie beispielsweise faire und gerechte Behandlung und Schutz gegen indirekte Enteignung ohne Entschädigung wurden großzügig ausgelegt, teilweise aufgrund vager Formulierungen in Abkommen. Einige Standards sind höchst umstritten, da sie Fälle einschließen könnten, in denen legitime, dem Gemeinwohl dienende Vorschriften die Zahlung einer Entschädigung an ausländische Investoren nach sich ziehen. ISDS-Vorschriften ermöglichen Investoren die Anrufung eines aus drei Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgremiums, um diese substanziellen Rechte geltend zu machen und politische, administrative oder juristische Entscheidungen prüfen zu lassen, die sich auf ihre Geschäfte auswirken. Investoren können somit den Staat für ihre entgangenen Gewinne haftbar machen, selbst wenn die Maßnahmen des Staates nicht diskriminierend, unter inländischen Gesichtspunkten rechtmäßig und beispielsweise darauf ausgerichtet sind, die Umwelt, die öffentliche Gesundheit oder die Arbeitnehmerrechte zu schützen beziehungsweise Eisenbahnen, die Wasser- oder Energieversorgung oder das Gesundheitswesen wieder zu verstaatlichen. Ausländische Investoren erhalten diese Sonderrechte, ohne dass sie im Gegenzug den verbindlichen und einklagbaren Verantwortungen unterworfen sind, die durch den Staat oder die von den Investitionen betroffenen Personen geltend gemacht werden können.
Investitionsschutz und ISDS bedrohen die Regulierung im Interesse der Allgemeinheit, den demokratischen Wandel und staatliche Budgets
Investitionsschutz bedeutet eine subtile Machtverschiebung hin zu einzelnen und ohnehin einflussreichen wirtschaftlichen Akteuren, während er gleichzeitig die Berücksichtigung öffentlicher Belange schwächt und den demokratischen Wandel einschränkt. In Anbetracht der Größenordnung und der Ströme transatlantischer Investitionen wird die Aufnahme des ausländischen Investitionsschutzes in die Abkommen TTIP und CETA möglicherweise zu einer großen Anzahl an Klagen zwischen Investoren und Staaten sowie in der Folge zu höheren Rechtskosten und Entschädigungen in Milliardenhöhe führen, die aus den öffentlichen Haushalten bestritten werden müssen. Dies könnte wiederum eine regulatorische Abschreckung nach sich ziehen, da Regierungen aufgrund der damit verbundenen Bedrohung durch Investitionsschiedsverfahren und hohe Entschädigungen von regulatorischen Maßnahmen im öffentlichen Interesse Abstand nehmen könnten. Im Rahmen der bestehenden Abkommen haben Investoren auf dieses Druckmittel gesetzt, um spürbar Einfluss auf den demokratischen Politikwandel zu nehmen. Dieses Problem darf nicht unterschätzt werden, da arme wie auch reiche Länder bewiesen haben, dass sie für diesen Druck anfällig sind.
ISDS steht für systemische Befangenheit und Mangel an rechtsstaatlichen Schutzmaßnahmen
Dem aktuellen ISDS-System mangelt es an Schutzmaßnahmen, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleisten, zwei wichtige Säulen der Rechtsstaatlichkeit, denn Schiedsrichter werden nach bearbeiteten Fällen bezahlt, und Klagen dürfen nur von Investoren erhoben werden. Dadurch entsteht ein systemischer Anreiz, das Recht zugunsten des Investors auszulegen. Diese systemische Tendenz ist besonders beunruhigend, da Schiedsrichter auf jeder Ebene des Streitbeilegungsprozesses über einen weitaus größeren Ermessensspielraum als einheimische Richter verfügen: von der Zulassung der Klage und anderen verfahrensrechtlichen Aspekten bis hin zur Anwendung vage formulierter substanzieller Standards und der Festsetzung angemessener Entschädigungen.
Der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission ist kein Rezept gegen diese fundamentalen Mängel
Der Vorschlag der Kommission bezüglich der Aufnahme eines Kapitels über Investitionen in TTIP (vom November 2015) und in den CETA-Text ist kaum in der Lage, diese fundamentalen Mängel des internationalen Investitionsrechts zu beheben. Dieses Ansinnen würde die Investoren im Wesentlichen mit den gleichen substanziellen Sonderrechten ausstatten und einen umfangreichen Ermessensspielraum bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen in genau diesem Zusammenhang einräumen. Andererseits gehen die Änderungsvorschläge an einer effektiven Auseinandersetzung mit den vagen substanziellen Standards vorbei. Selbst wenn die neuen Vorschläge über substanzielle Standards darauf abzielen, die bestehende Problematik des umfangreichen Interpretationsspielraumes abzustellen, hinterlassen sie alarmierende Schlupflöcher. Vor allem schaffen sie es nicht, den substanziellen Schutz allein auf die Nicht-Diskriminierung zu beschränken. Sie enthalten immer noch Standards wie beispielsweise faire und gerechte Behandlung und Schutz gegen indirekte Enteignung, die ausländischen Investoren substanzielle Sonderrechte einräumen. Im Hinblick auf eine spürbare Anpassung des Schutzes ausländischer Investitionen an das inländische Schutzniveau wäre es am Besten gewesen, ausländischen Investoren lediglich einen Nicht-Diskriminierungsschutz anzubieten. Gleichzeitig wäre es möglich gewesen, die regulatorische Flexibilität der Staaten zu schützen, die für eine demokratische Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Im Gegenteil, diese Versuche, das Recht der Staaten auf Regulierung im Interesse der Allgemeinheit zu schützen, sind zum Scheitern verurteilt. Die entsprechenden Vorschriften sind lediglich Interpretationsrichtlinien und beinhalten verschiedene Voraussetzungen und Beschränkungen für den öffentlichen politischen Handlungsspielraum. Andererseits würde das geplante “Investitionsgerichtssystem” einige institutionelle Verbesserungen in Bezug auf ISDS mit sich bringen, einschließlich einer Berufungsmöglichkeit und Auflagen, die einer größeren Transparenz dienen. Investoren hätten ferner kein Mitspracherecht bei der Auswahl der Schiedsrichter für ihren Fall. Stattdessen würde man ein Gerichtssystem bestehend aus 15 Richtern einrichten, die abwechselnd jeweils in Dreiergruppen agieren. Allerdings mangelt es dem Investitionsgerichtssystem immer noch an wichtigen institutionellen Schutzmaßnahmen nach Maßgabe der Rechtsstaatlichkeit. Die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der ausgewählten Richter ist nicht vollständig garantiert. Dies bedeutet nicht, dass die Richter zwingend gegenüber den Investoren voreingenommen oder verpflichtet sind, Fälle auf der Grundlage ihrer persönlichen Interessen zu entscheiden. Inländische und internationale Rechtssysteme haben jedoch kluge Vorkehrungen getroffen, um selbst vorgebliche Befangenheiten und Interessenkonflikte zu beseitigen, insbesondere dadurch, dass Richter eine unbefristete Vollzeitanstellung und ein angemessenes Festgehalt erhalten. Diese Maßnahmen erscheinen in einem einseitigen System, das allein auf Investitionsschutz gegenüber den Staaten ausgerichtet ist, sogar noch wichtiger. Der Entwurf der Kommission verkennt diese Bedenken: Richter sollen keine Vollzeitanstellung erhalten, und neben einer monatlichen Vergütung (2000 Euro) sollen sie nach bearbeiteten Fällen bezahlt werden. Interessenkonflikte könnten entstehen, da es ihnen nicht untersagt ist, gleichzeitig im gegenwärtigen ISDS-System als Schiedsrichter oder als Firmenanwälte zu arbeiten (außerhalb des engen Rahmens der Investitionsstreitigkeiten). Der Entwurf der Kommission gibt diesen Zweifeln hinsichtlich der juristischen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit lediglich eine andere Richtung, indem diese Grundsätze formell in einem Anhang zu diesem Vorschlag niedergelegt werden. Gleichzeitig werden Investoren ermutigt, bewährte Rechtsverfahren vor inländischen Gerichten zu umgehen, da sie dies in mancher Hinsicht an der möglicherweise vielversprechenden ISDS-Option hindern würde. Dies steht im krassen Gegensatz zu dem traditionellen und durchdachten Konzept des internationalen Rechts, das von Personen verlangt, zunächst die Rechtsmittel vor Ort auszuschöpfen, bevor sie ausländische Gerichte anrufen dürfen.
Starke Bedenken gegenüber verfassungs- und europarechtlichen Grundsätzen
Die geplanten Kapitel über Investitionen für TTIP und CETA stellen ebenfalls eine große Belastung für Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie dar, die in den nationalen Verfassungen und im europäischen Recht verankert sind. Darüber hinaus werden sie wahrscheinlich die Autonomie der Rechtsordnung der Europäischen Union berühren, da die verbindlichen und durchsetzbaren Entscheidungen der Investitionstribunale die effektive und einheitliche Anwendung des EU-Rechts bedrohen. Insbesondere können sie nationalen und EU-Bestimmungen entgegenwirken, die natürlichen und juristischen Personen finanzielle Belastungen aufbürden (unter Einschluss von Bestimmungen über Honorare, Steuern, Bußgelder und Umwelthaftung).
Investitionsschutz und ISDS sind unnötig
Die Vereinigten Staaten, Kanada und die EU verfügen jeweils über hoch entwickelte, effiziente Rechtssysteme, die einen angemessenen Rechtsschutz ausländischer Investoren gewährleisten. Darüber hinaus gibt es keinen schlüssigen Beweis, dass sich die Aufnahme der Investitionsregeln überhaupt positiv auf den Umfang der transatlantischen ausländischen Direktinvestitionen auswirkt. Der Investitionsschutz im Rahmen von TTIP und CETA ist daher unnötig. Wir fordern mit Nachdruck, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, auf denen unsere Mitgliedsstaaten und die Europäische Union beruhen, nicht dadurch zu schwächen und auszuhöhlen, dass ausländischen Investoren ein unnötiges, systemisch voreingenommenes und strukturell abträgliches paralleles Rechts- und Justizsystem im Rahmen von TTIP oder CETA zur Verfügung gestellt wird.
Liste der Unterzeichner:
Prof. Anneli Albi, University of Kent
Prof. Diamond Ashiagbor, University of London
Prof. Dr. Antoine Bailleux, Université Saint-Louis – Bruxelles
Dr. Marija Bartl, Universiteit van Amsterdam
Prof. Antonio Pedro Baylos, Universidad de Castilla-La Mancha
Prof. JUDr. Josef Bejček, Masarykova univerzita
Prof. Dr. Ronald Beltzer, Universiteit van Amsterdam
Prof. Dr. Carl Fredrik Bergström, Uppsala Universitet
Prof. Dr. Jochen von Bernstorff, Universität Tübingen
Prof. Dr. Leonard Besselink, Universiteit van Amsterdam
Prof. Georgi Bliznashki, Sofia University
Prof. Nada Bodiroga-Vukobrat, Sveučilište u Rijeci
Prof. Dr. Ted de Boer, Universiteit van Amsterdam
Prof. Alan Bogg, University of Oxford
Dr. Jacco Bomhoff, London School of Economics and Political Science
Prof. Pierre Brunet, Sorbonne Law School, University Paris 1 Pantheon-Sorbonne
Prof. Dr. Hauke Brunkhorst, Europa-Universität Flensburg
Prof. Geneviève Burdeau, Sorbonne Law School, University Paris 1 Pantheon-Sorbonne
Prof. Başak Çalı, Hertie School of Governance
Prof. David Capitant, Sorbonne Law School, University Paris 1 Pantheon-Sorbonne
Prof. Valeriu Ciuca, Universitatea „Alexandru Ioan Cuza” din Iași
Prof. Vesna Crnić-Grotić, Sveučilište u Rijeci
Prof. Simon F. Deakin, University of Cambridge
Prof. Joaquim Joan Forner Delaygua, Universidad de Barcelona
Prof. Laurence Dubin, Université de Vincennes à Saint-Denis
Prof. Dr. Hugues Dumont, Université Saint-Louis – Bruxelles
Prof. Julio Faundez, University of Warwick
Prof. Dr. em. Axel Flessner, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Andreas Fisahn, Universität Bielefeld 4
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, Universität Bremen
Prof. Ognyan Gerdzhikov, Sofia University
Prof. Lazar Gruev, Sofia University
Prof. Adoración Guamán, University of Valencia
Prof. em. Carol Harlow, London School of Economics
Prof. John Harrington, Cardiff University
Prof. James Harrison, University of Warwick
Prof. Alan Hervé, l’Université Bretagne Loire
Prof. Dr. Martijn W. Hesselink, Universiteit van Amsterdam
Prof. David Hiez, Université de Luxemburg
Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Joerges, Hertie School of Governance Berlin
Prof. Gábor Kardos, Eötvös Loránd Tudományegyetem
Prof. Dr. Bernhard Kempen, Universität zu Köln
Prof. Plamen Kirov, Sofia University
Prof. Csilla Kollonay-Lehoczky, Centeral European University
Prof. Dr. Martti Koskenniemi, Helsingin yliopisto
Prof. Dr. Markus Krajewski, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Nico Krisch, Graduate Institute of International and Development Studies, Geneva
Prof. Evelyne Lagrange, Sorbonne Law School, University Paris 1 Pantheon-Sorbonne
Prof. Dr. Ján Lazar, Universitas Tyrnaviensis, Trnava
Prof. Dr. Marco Loos, Universiteit van Amsterdam
Prof. Laura Lorello, Università degli Studi di Palermo
Prof. Dr. Verena Madner, Vienna University of Economics and Business
Prof. Ugo Mattei, Università di Torino
Prof. Maria Rosaria Marella, Università degli Studi di Perugia
Prof. Giovanni Marini, Università degli Studi di Perugia
Prof. Arjen Meij, Honorary Professor University of Luxembourg
Prof. Joana Mendes, University of Luxembourg
Prof. Agustín José Menéndez, Universidad de León
Prof. Carlos Manuel Almeida Blanco Morais, Universidade de Lisboa
Prof. Raymond Murphy, National University of Ireland Galway
Prof. Monica Navarro-Michel, Universidad de Barcelona
Prof. Danny Nicol, University of Westminster
Prof. Dr. François Ost, Université Saint-Louis – Bruxelles
Prof. Dr.Viorel Pasca, Universitatea de Vest din Timisoara
Prof. JUDr. Václav Pavlíček, The Charles University in Prague
Prof. Sasho Penov, Sofia University
Prof. Jeremy Perelman, Sciences Po – Paris
Prof. Amanda Perry-Kessaris, University of Kent
Prof. em. Sol Picciotto, Lancaster University
Prof. Iain Ramsay, University of Kent
Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Universität Kassel
Prof. Anne Saab, Graduate Institute of International and Development Studies, Geneva
Prof. Joel Samuelsson, Uppsala Universitet
Prof. Cesare Salvi, Università degli Studi di Perugia
Prof. Dr. Giovanni Sartor, Università di Bologna
Assoc. Prof. Andrej Savin, Copenhagen Business School
Prof. Dr. Harm Schepel, University of Kent
Prof. Robert Schütze, Durham University
Prof. Dr. Danielius Serapinas, Mykolas Romeris University
Prof. Stijn Smismans, Cardiff University
Prof. Constantin Stamatis, Aristotle University of Thessaloniki
Prof. Petros Stangos, Aristotle University of Thessaloniki 5
Prof. Georgi Stefanov, Sofia University
Prof. Arkadiusz Sobczyk, Uniwersytet Jagielloński
Prof. Jean-Marc Sorel, Sorbonne Law School, University Paris 1 Pantheon-Sorbonne
Prof. Krasimira Sredkova, Sofia University
Assoc. Prof. Celine Tan, University of Warwick
Assoc. Prof. Jan Trzaskowski, Copenhagen Business School
Prof. William Twining, University College London
Prof. Dr. Christoph Urtz, Universität Salzburg
Prof. Dr. Wouter Vandenhole, Universiteit Antwerpen
Prof. Dr. Javier A. González Vega, Universidad de Oviedo
Prof. Dr. Ingo Venzke, Universiteit van Amsterdam
Prof. Simone Vezzani, Università degli Studi di Perugia
Prof. Horatia Muir Watt, Sciences Po – Paris
Prof. Lotta Vahlne Westerhäll, Göteborgs universitet
Prof. Ralph Wilde, University College London
Dr. Marco Aparicio Wilhelmi, Universitat de Girona
Prof. Toni Williams, University of Kent
Prof. Siobhán Wills, Ulster University
Prof. Mikhail Xifaras, Sciences Po – Paris20161017
Brief als pdf
Vgl. auch: Legal statement on investment protection in TTIP and CETA