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Bundesverfassungsrichter i.R. Siegfried Broß: Krankenfürsorge – ein Kulturproblem

Dr. Siegfried Broß*
Vortrag auf dem Radiologenkongress 17. Februar 2018, Berlin

Krankenfürsorge – ein Kulturproblem

A. Die Fragestellung
1. Aktualität
Das heutige Thema ist nicht erst seit einigen Jahren aktuell. Vielmehr ist es in einen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess eingebettet, der vor nunmehr etwa 30 Jahren (in einigen Bereichen auch schon früher) eingesetzt hat. Tragweite und Tiefe der Fragestellung sind überaus vielschichtig, sehr komplex und zunehmend auch in der rechtsstaatlich-demokratischen Staatlichkeit intransparent. Letzteres wird seit nunmehr schon geraumer Zeit an bedrückenden Erscheinungsformen und Entwicklungen wie Finanzmarkt- und Eurokrise wie auch der Manipulationen von Weltunternehmen bezüglich des Ausstoßes von Schadstoffen bis hin zu weit gespannten Kartellen im Automobilbereich deutlich. Nebenbei ist – wenn auch von der Politik nicht selten klein geredet – auf die für die Stabilität der Staatenwelt systemrelevanten Manipulationen von weltweit agierenden Bankinstituten hinzuweisen.

Was hat das mit der heutigen Fragestellung zu tun? Die Antwort erschließt sich erst bei einer umfassenden Betrachtungsweise und einer sehr differenzierten Herangehensweise an die vielfältigsten Ursachen. Die gesamte Problematik erschließt sich am eindrücklichsten, wenn man von der Entwicklung der Krankenfürsorge im Krankenhaus ausgeht. In diesem Bereich tritt die Kommerzialisierung der Krankenfürsorge und damit einhergehend der „Kulturwandel“ entgegen. Ob das Krankenhaus ein kommerzieller Wirtschaftsbetrieb ist, wird in der gesamten Tragweite nicht bei einer sehr eingeengten und vordergründigen, geradezu kleinkarierten betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise, erkennbar. Vielmehr ist die Problematik und dem entsprechend die Antwort unmittelbar und substantiell mit einem Kulturwandel verbunden. Möchte man – und das allein wird der Verantwortung gegenüber den Menschen und einer sich seit Jahrhunderten ändernden Welt mit vielen Rückschlägen und großen Opfern für die Menschen und persönliche Schicksale gerecht – zu einer ethisch und die Würde der Menschen wahrenden Antwort gelangen, kann dies angemessen nur mit den nachfolgenden weit ausgreifenden Überlegungen gelingen.

Diese haben bei den elementaren Strukturelementen der Staatsform der Bundesrepublik Deutschland an zu setzen. Diese ist nach Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Für den vorliegenden Zusammenhang sind das die entscheidenden Strukturelemente, während das Rechtsstaatsprinzip als weiteres elementares Strukturelement nicht die gleiche Bedeutung und das gleiche Gewicht hat. Allerdings – und darauf werde ich im weiteren Verlauf meiner Ausführungen noch näher eingehen – hat das Sozialstaatsprinzip neben Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gleichen Rang und gleiches Gewicht. Das wird in der aktuellen Diskussion um soziale Gerechtigkeit und Krankenfürsorge geflissentlich übersehen. Das Sozialstaatsprinzip vermittelt in der rechtsstaatlichen Demokratie nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, aber auch für alle modernen Demokratien die stützende Grundlage dafür, dass Demokratie und Rechtsstaat sich ihrem vollen Gehalt entsprechend entfalten können. Hieran nimmt die Krankenfürsorge und ihre Ausgestaltung in der gelebten Wirklichkeit maßgeblichen Anteil.

Zur weiteren Aufhellung dieser Problematik gehe ich von der Entwicklung der Krankenfürsorge im Krankenhaus im Zuge der um sich greifenden Kommerzialisierung aus. weiterlesen

Bundesverfassungsrichter i.R. Siegfried Broß mit Friedlaender Preis geehrt

Am 24. November 2017 hat Professor Siegfried Broß den diesjährigen Max Friedlaender Preis des Bayerischen Anwaltverbandes erhalten.

In seiner Laudatio auf Broß sagte Professor Stürner u.a.: „Gerade weil Siegfried Broß der europäischen Idee zutiefst verbunden ist, wendet er sich gegen die Aufweichung rechtsstaatlichen Rechtsschutzes und den Abbau sozialstaatlicher öffentlicher Daseinsvorsorge in der Erkenntnis, dass in Europa und Deutschland gesellschaftliche Stabilität nicht durch einseitige Orientierung an einem möglichst alle Lebensbereiche erfassenden Privatisierungs- und Marktmodell erreicht werden kann, sondern nur durch eine gemischte Struktur, die Markt und staatlich organisierte Solidarität sowie staatliche Gewalt und private Gestaltungsmacht in wohlorganisierter Balance hält, ein Realismus, der sich auf ein zutreffendes Menschenbild zu stützen vermag und auf die historische Erfahrung, wie teuer die Hinwendung zu theorieorientierten Gesellschaftsmodellen mit ihren oft monistischen Grundansätzen bezahlt zu werden pflegt. […]“ (Professor Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner, Freiburg: Laudatio auf Richter des Bundesverfassungsgerichts Dr. Dr. h.c. Siegfried Broß anlässlich der Verleihung des Max- Friedländer-Preises 2017 am 24.11.2017 im Künstlerhaus München (pdf))

Zum Abschluss seiner Dankesrede ging Professor Broß auch auf das Problem der Schiedsgerichtsbarkeit ein: „Mit der Schiedsgerichtsbarkeit und Näheverhältnissen zwischen staatlichen Institutionen wie der Justiz über Outsourcing von Gesetzesinitiativen, gemeinsame Vortrags- und Fortbildungsveranstaltungen werden intransparente Institutionen geschaffen und Grenzen verwischt, die das rechtsstaatlich-demokratische System der Bundesrepublik Deutschland schwächen und bei ungehindertem Fortschreiten substantiell aushöhlen. […] Bei den Schiedsgerichten im Rahmen der Freihandelsabkommen springt die Gefährdung des rechtsstaatlich – demokratischen Staates ins Auge: Durch Investorschutz, regulatorische Zusammenarbeit und Schiedsgerichtsbarkeit wird das parlamentarisch-demokratische System zentral getroffen und in vielen Bereichen beseitigt; denn die Definitionshoheit dessen, was vereinbart ist, geht auf die intransparenten Schiedsgerichte über und diese bestimmen für die Zukunft die Richtlinien der Politik. Ein Paradebeispiel für Entparlamentarisierung des demokratischen Rechtsstaats.“ (Dankesrede am 24. November 2017 anlässlich der Verleihung des Max-Friedlaender-Preises 2017 im Künstlerhaus am Lenbach-Platz in München (pdf))

Der Berliner Wassertisch gratuliert Professor Broß herzlich zum verdienten Max Friedlaender Preis.

 

‘EPC, EPO and UPCA lack guarantees for democracy, rule of law and human rights’

„Spezialistentum kann – wie gerade die EPO (European Patent Office) zweifelsfrei nachweist – Menschenrechte und rechtsstaatlich-demokratischen Grundlagen infrage stellen. Es ist das Problem, dass hierdurch Parallelwelten geschaffen und so über Staatenverbindungen das Demokratieprinzip zuerst und danach die Menschenrechte und der Rechtsstaat ausgehöhlt und unterlaufen werden.“ (Siegfried Broß)

Blog: Kluwer UPC News blogger/October 26, 2017
EPC, EPO, European Union, Germany, Unitary Patent, UPC. ‘EPC, EPO and UPCA lack guarantees for democracy, rule of law and human rights’
Zum Blogbeitrag (unten stehen Broß‘ Antworten in deutscher Sprache)

Leseempfehlung: Siegfried Broß zur Entstehung von Parallelwelten

Siegfried Broß*: Wenn rechtsstaatlich-demokratische Ordnungsrahmen stören oder hinderlich sind – Überlegungen zur Entstehung von Parallelwelten. In: Simplex Sigillum Veri. Festschrift für Wolfgang Krüger. Hrsg. v. Christian Hertel, Stephan Lorenz u. Christina Stresemann. München 2017, S. 533-544.

(Beck-Shop)

Ausschnitt: „Hingegen haben die regulatorische Zusammenarbeit, der Investorschutz und die private Schiedsgerichtsbarkeit eine ganz andere Qualität: In Anbetracht der Breite und Tiefe der im geplanten Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika (wie auch Kanada) wird eine diese und die Europäischen Union mit ihren 28 Mitgliedstaaten umfassende autonome Rechtsordnung geschaffen. In der Zukunft hätte sich alles, was sich die Parlamentarier auf beiden Seiten des Atlantiks, die Regierungen der Mitgliedstaaten und der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sowie der Kongress politisch gestaltend und in die Zukunft weisend für die Menschen, ihre Staaten und letztlich auch für die Weltgemeinschaft vorstellen, an dieser Vereinbarung auszurichten. Was aber vereinbart wurde und wie das in der Zukunft zu verstehen ist, bestimmen dann diese von den Wirtschaftsunternehmen und Vertragsbeteiligten nach deren Gutdünken zusammengesetzten privaten Schiedsgerichte. Auf diese Art und Weise gibt sich die parlamentarische rechtsstaatlich-demokratische staatliche Ordnung auf. Sie wird intransparenten wirtschaftlichen Interessengruppen ausgeliefert.“ (S. 540)

*Dr. h.c. Universitas Islam Indonesia – UII – Yogyakarta
Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D.
Richter am Bundesgerichtshof a.D.
Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau
Ehrenvorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission e.V. und der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe
Mitglied des Internationalen Beratungskomitees und Ehrenvorsitzender des Think tank Africacast von CAFRAD

Broß: Das Krankenhaus – ein kommerzieller Wirtschaftsbetrieb?

Siegfried Broß*: Das Krankenhaus – ein kommerzieller Wirtschaftsbetrieb?
Festvortrag auf dem 17. Bundeskongress des Bundesverband Deutscher Pathologen e.V. am 23. September 2017 in Berlin

A. Die Fragestellung

1. Aktualität
Das Thema des heutigen Vormittags ist nicht erst seit einigen Jahren aktuell. Vielmehr ist es in einen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess eingebettet, der vor nunmehr etwa 30 Jahren (in einigen Bereichen auch schon früher) eingesetzt hat. Die Tragweite und Tiefe der Fragestellung, die Sie mir erfreulicherweise als Thema für den heutigen Vortrag vorgegeben haben, sind überaus vielschichtig, sehr komplex und zunehmend auch in der rechtsstaatlich-demokratischen Staatlichkeit intransparent. Letzteres wird seit nunmehr schon geraumer Zeit an bedrückenden Erscheinungsformen und Entwicklungen wie Finanzmarkt- und Euro-Krise wie auch der Manipulationen von Weltunternehmen bezüglich des Ausstoßes von Schadstoffimmissionen bis hin zu weit gespannten Kartellen im Automobilbereich deutlich. Nebenbei ist – wenn auch von der Politik nicht selten klein geredet – auf die für die Staatenwelt systemrelevanten Manipulationen von weltweit agierenden Bankinstituten hinzuweisen.
Was hat das mit der heutigen Fragestellung zu tun? Die Antwort erschließt sich erst bei einer umfassenden Betrachtungsweise und einer sehr differenzierten Herangehensweise an die vielfältigsten Ursachen.

Ob das Krankenhaus ein kommerzieller Wirtschaftsbetrieb ist, wird in der gesamten Tragweite nicht bei einer sehr eingeengten und vordergründigen, geradezu kleinkarierten betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise, erkennbar. Vielmehr ist die Problematik und dem entsprechend die Antwort unmittelbar und substantiell mit einem Kulturwandel verbunden. Möchte man – und das allein wird der Verantwortung gegenüber den Menschen und einer sich seit Jahrhunderten ändernden Welt mit vielen Rückschlägen und großen Opfern für die Menschen und persönliche Schicksale gerecht – zu einer ethisch und die Würde der Menschen wahrenden Antwort gelangen, kann dies angemessen nur mit den nachfolgenden weit ausgreifenden Überlegungen gelingen. weiterlesen

Privatisierung Autobahnen

dasersteAutobahnen – privat oder staatlich?
Ein Beitrag von Hermann Abmayr.
Sendetermin: Mi, 07.12.16 | 21:45 Uhr
Das Erste

„Eigentlich sind die Pläne zur Privatisierung der Autobahnen vom Tisch. Was aber, wenn es ein Hintertürchen gäbe und private Investoren doch ins Geschäft mit den Straßen einsteigen und prächtig verdienen könnten? Ein Blick in die Zukunft.“ weiterlesen

Neuer Beitrag von Siegfried Broß: Überlegungen zu den Grundlagen von Staatenverbindungen

Broß

Siegfried Broß: Überlegungen zu den Grundlagen von Staatenverbindungen. In: Grundgesetz und Europa. Liber Amicorum für Herbert Landau zum Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht. Hrsg. v. Volker Bouffier et al. Tübingen 2016, S. 29–42. (Zum Verlag)

Kommentar Berliner Wassertisch: Diese neue Publikation vom RiBVerfG a.D. Prof. Dr. Dr. hc. Siegfried Broß nimmt aus verfassungsrechtlicher Perspektive Stellung zu CETA und TTIP. Er zeigt, dass es bei diesen sogenannten „Freihandelsabkommen“ gar nicht um Freihandel geht, sondern vornehmlich um die Gründung von Staatenverbindungen. Dafür aber seien, so Broß, „weder national noch gemeinschaftsrechtlich die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben“ (34). Er legt dar, wie durch die privaten Schiedsgerichte und den Investorschutz Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip unterlaufen und ausgehöhlt werden.  Sowohl der regulatorischen Zusammenarbeit als auch den „privaten Schiedsgerichten, aber auch einem allgemeinen internationalen Handelsgericht [seien] eine unmissverständliche Absage“ zu erteilen (38). Den privaten Schiedsgerichten fehle „von vornherein der rechtsstaatlich-demokratische Legitimationsstrang“ (38).

Publikationen von Siegfried Broß zum Thema CETA & TTIP u.a.:

  • Siegfried Broß: Rechtliche Beurteilung des TTIP. Kurzvortrag bei der gemeinsamen TTIP – Veranstaltung der IHK Karlsruhe und der HWK Karlsruhe am 23. November 2015 in Karlsruhe. In: Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen (JFF). Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 1. Berlin, Februar 2016. (pdf) (eingestellt bei der Zentral- und Landesbibliothekt Berlin)
  • Siegfried Broß: Privatisierung staatlicher Infrastrukturbereiche in der “sozialen Demokratie” Probleme, Risiken, verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Bindungen, Folgerungen für die Mitbestimmung und strategische Überlegungen. Baden-Baden 2015, bestellbar hier.
  • Siegfried Broß: TTIP und CETA – Überlegungen zur Problematik der geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Mit einem Vorwort von Christa Hecht, Geschäftsführerin der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW). In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge. Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 4. Berlin, Juni 2015 (pdf).
  • Siegfried Broß: Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit. In: Report. Januar 2015. Herausgegeben von der Hans Böckler-Stiftung (pdf).

 

Kampf um die Gesundheitsversorgung. Private vs öffentliche Kliniken

Am 24. März 2016 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über die Wettbewerbsklage des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken (BDPK) gegen den Landkreis Calw (Aktenzeichen I ZR 263/14) entschieden.

Pressemitteilung BGH: Bundesgerichtshof zur Notifizierungspflicht von Zuwendungen eines Landkreises an eine Kreisklinik bei der Europäischen Kommission. 24. März 2016.

 

Wer klagt gegen wen?

Kläger ist der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK). Er vertritt mehr als 1.000 private Krankenhäuser.

Beklagte ist der Landkreis Calw. Er ist Gesellschafter der Kreiskliniken Calw gGmbH, die Krankenhäuser in Calw und Nagold betreibt.

Worum geht es bei der Klage?

Es soll geklärt werden, ob der Landkreis Calw (Schwarzwald) seine Kreisklinken Calw und Nagold finanziell unterstützen durfte, um Verluste ausgleichen. Die Privaten Kliniken sehen darin eine verbotene Subvention von öffentlichen Krankenhäusern.

Verfahrensgang bislang:

LG Tübingen – Urteil vom 23. Dezember 2013 – 5 O 72/13, MedR 2014, 401 (Links)
OLG Stuttgart – Urteil vom 20. November 2014 – 2 U 11/14, WuW/E DE-R 4817 (Links)
BGH Karlruhe – Urteil vom 24. März 2016 – I ZR 263/14 (Links)

Was hat der BGH entschieden?

Der BGH hat nun entschieden, dass die Zuschüsse für Kliniken im Einzelfall zu prüfen sind. Die subventionierten kommunalen Krankenhäuser müssen belegen, dass die formalen Voraussetzungen für Ausnahmen nach EU-Recht gegeben sind.

Wie geht es weiter im Fall Calw?

Der BGH verweist den Fall zurück an das Oberlandesgericht Stuttgart. Das Berufungsgericht muss prüfen, ob es sich bei den Zuwendungen des Beklagten um staatliche Beihilfen handelt.

Was ist an dem Fall Calw so Besonderes?

Der Fall Calw könnte ein Musterprozess werden. Das Urteil könnte Geschichte schreiben. Der Berliner Wassertisch hofft, dass die Klage vor das Bundesverfassungsgericht kommt. Es muss eine Grundsatzentscheidung her, ob Verlustübernahmen für Krankenhäuser Beihilfen im Sinne des EU-Wettbewerbsrechtes sind, oder anders ausgedrückt, ob „Krankenhäuser kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates?“ sind.

Was ist der Hintergrund?

Seit langem ist es das Ziel von Privaten Klinikkonzernen, die öffentlichen Krankenhäuser zu übernehmen. Für sie sind Krankenhäusern ein lukratives Geschäftsmodell. Im EU-Wettbewerbsrecht sehen sie nun einen Hebel, um die Krankenhäuser finanziell derart auszubluten, so dass letztendlich einer Privatisierung nichts mehr im Wege steht.

Was für Folgen hätte eine Privatisierung der Krankenhäuser?

Kliniken werden der Marktlogik unterworfen. Aus gemeinwohlorientieren Institutionen der Gesundheitsversorgung werden gewinnorientierte Unternehmen, in deren Zentrum  weder die Patienten noch die Ärzte und Angestellten stehen, sondern einzig die Renditeerwartung der Aktionäre.

Reaktionen auf das BGH-Urteil:

Prof. Stefan Sell: Eine fundamentale Frage: Ist ein Krankenhaus ein kommerzielles Unternehmen oder kann das Gemeinwohl Zuschüsse notwendig machen, die das EU-Wettbewerbsrecht nichts angehen? 25.03.2016.

IVKK: BGH zum Fall Calw: Chance zur Klärung der Grundsatzfrage. 24. März 2016

Stuttgarter Nachrichten: BGH-Urteil über Kliniken. Kommunale Zuschüsse unter Bedingungen zulässig. 24. März 2016.

SWR: BGH Karlsruhe zu Calwer Krankenhausfinanzierung Geld für Kliniken zulässig – aber so nicht. Landkreise dürfen ihre Kliniken finanziell unterstützen. Aber im Kreis Calw lief einiges falsch, sagt der Bundesgerichtshof. 24. März 2016.

SWR: BGH verhandelt im Fall des Landkreises Calw. Wie viel Hilfe dürfen Kreiskliniken bekommen? 24. März 2016.

Clash of Leitbilder: Gemeinwohlorientierung versus Gewinnorientierung!

Der Berliner Wassertisch spricht sich gegen die Ökonomisierung der Daseinsvorsorge aus. Wettbewerb und Renditeerwartungen haben in der Krankenversorgung nichts zu suchen! Im Zentrum der Krankenversorgung muss der Patient stehen!

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Wie der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser e.V. fordert auch der Berliner Wassertisch den Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden Siegmar Gabriel auf, „sich im Sinne des Gemeinwohls in der Bundesregierung für eine entsprechende Umkehr in der Krankenhauspolitik in Deutschland einzusetzen! Kommerzielles Eigeninteresse darf im Krankenhaus keinen Platz haben!“ Denn, so der IVKK, „Gemeinwohlbelange sind kaum irgendwo stärker berührt, als im Krankenhauswesen. Die Absicherung des Krankheitsrisikos ist sowohl in der Krankenversicherung als auch in der Sicherstellung der stationären Versorgung gesetzlich garantierte Solidaraufgabe!“

Zur Erinnerung:

Anlässlich der Klage Calw hat der Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser e.V. im Januar 2014 gemeinsam mit dem Berliner Wassertisch eine Verstaltung durchgeführt, auf der der Bundesverfassungsrichter a.D. Siegfried Broß über das Thema „Krankenhäuser kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates?“ aus verfassungsrechtlicher Perspektive referiert hat.

 

Weiterführende Hinweise:

Ärztezeitung: Krankenhäuser im Südwesten stehen vor schwerer Zukunft. (24.03.2016)

Stefan Sell: Wenn aus einem bislang städtischen Krankenhaus ein kirchliches wird und eine der ersten Amtshandlungen aus der Abschaltung von Betriebsrat und Tarifbindung besteht. Wieder einmal die Kirchen und ihr Sonderrecht. (16.03.2016)

KMA online: Krankenhaus-Subventionen in Calw: OLG Stuttgart weist Klage der deutschen Privatkliniken ab (21.11.2014)

SWR: Krankenhausfinanzierung. Die Akte Calw (20.11.2014)

OLG: OLG Stuttgart entscheidet über Zulässigkeit der Krankenhausfinanzierung von Kreiskliniken im Landkreis Calw (20.11.2014)

KMA online: Privatkliniken-Klage: Der Fall Calw kommt voraussichtlich vor den Bundesgerichtshof (10.11.2014)

KMA online: Krankenhausreform: IVKK fordert Abkehr von Kapitalrendite in Klinikbetrieben (05.09.2014)

Jens Flintrop und Sabine Rieser: Streit um Krankenhaussubventionen: Daseinsvorsorge im Mittelpunkt. In: Deutsches Ärzteblatt, 31. Januar 2014 (pdf)

Roland Buckenmaier: Kreis Calw Klinik-Finanzierung: Entscheidung erst 2017. In: Schwarzwälder Bote (28.01.2014)

Siegfried Broß: Krankenhäuser kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates?. In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge. Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 3. Januar 2014.

Ärztezeitung: Klinikfinanzierung. Kommunen dürfen Finanzlöcher stopfen. 24.12.2013.

Ärztezeitung: Kliniken. Signale pro öffentliche Förderung. 22.11.2013

Siegfried Broß: Siegfried Broß: Wasser, Gas, Strom … Warum Privatisierung kein Allheilmittel ist – oder sogar die Demokratie gefährden kann. In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge. Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 2. Januar 2013.

Heike Jahberg: Interview mit Ex-Verfassungsrichter Broß „Der Staat ist erpressbar“. In: Tagesspiegel, 03.06.2012.

Mehr zum Thema Calw auf der Wassertisch-Website

Ansprechpartner

IVKK e.V.
Telefon: 030 / 2025 3587
Mail: berlin@ivkk.de
Website: http://ivkk.de/

Rechtsfreier Raum mitten in Deutschland?

Bayerischer Rundfunk | Kontrovers

Europäisches Patentamt München

  Foto: Wolfgang Dirscherl | pixelio.de

Sendung vom 02.03. 21.00 Uhr bzw. vom 03.03. 03.05 Uhr

Europäisches Patentamt in München
Die Story – Wenn der Traumjob zum Albtraum wird
Von Irene Esmann und Jutta Henkel

Fast 2.000 Demonstranten treffen sich vor dem Hauptsitz des Europäischen Patentamts (EPA) in der Münchner Innenstadt. Das ist in etwa die Hälfte der Belegschaft. Jeden Monat gehen hier große Teile des Personals auf die Straße. Wofür genau sie demonstrieren, verraten sie nicht – offensichtlich aus Angst: „Weil wir eine Verantwortung unseren Familien gegenüber haben. Die ganze Familie hängt daran. […] Alles hängt an diesem Job. Aber wenn wir den Job verlieren, verlieren wir alles.“ Das sagt ein Mitarbeiter, der nicht erkannt werden will. Andere sagen: „Wir dürfen nicht mit Journalisten sprechen.“

Diese Sendung können Sie sich hier nachträglich ansehen
weitere Infos auf der Webseite des Bayerischen Rundfunks
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CETA-Vertragstext veröffentlicht. CETA muss gestoppt werden!

Am 29. Februar 2016 teilte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) mit, dass die EU-Kommission den rund 1.600 Seiten starken ausgehandelten CETA*-Vertragstext veröffentlicht habe. Es zeigt sich, dass die gefährliche Paralleljustiz für Konzerne (lediglich leicht modifiziert) in CETA verankert wurde. Während der Europa-Abgeordnete der SPD Bernd Lange (Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments) einen vermeintlichen Etappensieg feiert, übt der Europa-Abgeordnete der Linken Helmut Scholz harsche Kritik. So erschien am 1. März folgender Beitrag:

DLFEuropäisch-kanadisches Freihandelsabkommen CETA

(01.03.2016) „Investoren haben ein Sonderklagerecht gegen Regierungen“
Beim Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada ist nun der ausgehandelte Vertragstext veröffentlicht. Trotz einiger Änderungen sei aber weiter ein Sonderklagerecht von Investoren gegen Regierungen vorgesehen, sagte der Europa-Abgeordnete der Linken, Helmut Scholz, im DLF. Eine Grenze nach oben bei den Schadenersatzforderungen werde nicht gesetzt.

Wasserqualität, Energiewende, CETA, TTIP - alles hängt zusammenHelmut Scholz im Gespräch mit Jule Reimer

Zum Beitrag

Pia Eberhardt hat unlängst ihre Kritik an dieser vermeintlich neuen Form zum Ausdruck gebracht und fordert auf, „gegen diese Investor-Staat-Klagen zu handeln: durch die Aufkündigung aller bestehenden Verträge, die es Konzernen ermöglichen, vor internationalen Schiedsgerichten zu klagen, wenn Gesetze und Regulierungen ihre Profitmöglichkeiten einschränken.“ (Eberhardt 2016, S. 4).

Der Bundesverfassungsrichter a.D. Siegfried Broß forderte bereits im November 2015 allgemein, „den Investorschutz und die private Schiedsgerichtsbarkeit durch schlichte Streichung aus den Vertragstexten zu entfernen. […] Desgleichen müssen alle Klauseln über eine kooperative regulatorische Zusammenarbeit der Vertragspartner beseitigt werden.“ (Broß 2016, S. 10)

Die Position des Berliner Wassertischs: CETA darf nicht ratifiziert werden! CETA muss gestoppt werden!!!

Mit CETA kommt Fracking!

Die unlängst veröffentlichte Studie Wie Investorenrechte in EU-Handelsabkommen
die Energiewende blockieren zeigt, „wie die hochgefährlichen Investor-Staat-Schiedsgerichte (ISDS) klima­freundliche Gesetzgebung verhindern können. Durch entsprechende Klauseln in Handels­verträgen würde es ausländischen Unternehmen erlaubt, Regierungen vor eigens eingerichteten Schiedsgerichten wegen klima- und energiepolitischer Maßnahmen zu verklagen. Dabei betreffen 35% aller bekannten derartigen Forderungen die Bereiche Öl, Bergbau, Erdgas oder Elektrizität. Klagen im Energiesektor steigen stetig an. Vom deutschen Atomausstieg bis hin zum FrackingMoratorium der kanadischen Provinz Quebec* – große Konzerne nutzen die unfairen Schiedsgerichtsklauseln, um praktisch jede Form progressiver Gesetzgebung zu verhindern oder deren Kosten zu sozialisieren.“ (ebd.) Wegen des Fracking-Moratoriums verklagt nun der kanadische Rohstoffkonzern Lone Pine Kanada über eine Tochterfirma in den USA auf der Grundlage des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) auf 250 Millionen US$ (ZEIT, 6. März 2014). Solche Klagen drohen hierzulande, wenn CETA verabschiedet ist. Es ist bekannt, dass von kanadischer Seite gerade die Bergbauunternehmen („mining companies“) CETA vorantreiben. CEO schreibt: „Die Investitionsströme aus Kanada in die EU sind von erheblicher Bedeutung in diesen Sektoren und zahlreiche kanadische Bergbauunternehmen sind in der EU bereits an umstrittenen Projekten zur Rohstoffgewinnung beteiligt. Branchen-Insider feiern CETA bereits als ,bahnbrechendes‘ Abkommen, das ,mit weitreichenden Auswirkungen für Bergbauunternehmen‘.“ (CETA. Verkaufte Demokratie, 19.11.2014)

Wichtige Links zum Fall:
ICSID – International Center for Settlement of Investment Disputes: Lone Pine Resources Inc. v. Canada (ICSID Case No. UNCT/15/2)
Proceeding
Materials
Procedural Details

Aus: Studie 2015, veröffentlicht von: PowerShift e.V. et al.

Aus: Studie 2015, veröffentlicht von: PowerShift e.V. et al.

Wer Fracking verhindern will, der muss mit uns gegen die Investitionsschutzabkommen TTIP und CETA auf die Straße gehen – zum Beispiel auf der überregionalen Demonstration in Hannover am 23. April anlässlich des Treffens von Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel bei der Hannover-Messe!
Berliner Wassertisch: Stoppt Fracking!

* CETA = Comprehensive Economic and Trade Agreement; Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen Kanada und Europa.

Nachtrag:

Rolf-Henning Hintze: „Abertausende Akteure könnten mit CETA klagen“. Handelsexpertin Pia Eberhardt: Neues Investitionsgericht hebt grundsätzliche Kritik am Investorenschutz nicht auf. In: Telepolis, 2.3.2016.

 

Neue Schriftenreihe: Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen

jff

(Berlin, 13. Februar 2016) Anlässlich des 5. Jahrestags des erfolgreichen Volksentscheids „Unser Wasser“ präsentiert der Berliner Wassertisch eine neue Schriftenreihe:

Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen (JFF)

Die erste Ausgabe bestreitet der Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D. Siegfried Broß.

Siegfried Broß: Rechtliche Beurteilung des TTIP. Kurzvortrag bei der gemeinsamen TTIP – Veranstaltung der IHK Karlsruhe und der HWK Karlsruhe am 23. November 2015 in Karlsruhe. In: Juristische Fachtexte zu Freihandelsabkommen (JFF). Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 1. Berlin, Februar 2016 (pdf)

Folgen der (Teil-)Privatisierung der Krankenhausversorgung. Beispiel Wiesbaden

FAZ
14.01.2016

Krankenhauskeime. Gefahr für Babys in umstrittener Wiesbadener Klinik
Ewald Hetrodt

Bei Frühgeborenen in den Wiesbadener Horst-Schmidt-Kliniken wurden lebensbedrohliche multiresistente Keime gefunden. Die Klinik steht schon länger in der Kritik: Kürzlich hatte die RTL-Sendung „Team-Wallraff – Reporter undercover“ über gravierende Hygienemängel in der Einrichtung berichtet.

Zum Beitrag

Vgl. dazu: Siegfried Broß: Krankenhäuser – kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates?, 2014.

Vortrag Broß: Überlegungen zu den Grundlagen von Staatenverbindungen – mit Bemerkungen zu der Problematik der Freihandelsabkommen

freiburg

  • Soeben erschienen ist im Nomos-Verlag: Siegfried Broß: Privatisierung staatlicher Infrastrukturbereiche in der “sozialen Demokratie” Probleme, Risiken, verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Bindungen, Folgerungen für die Mitbestimmung und strategische Überlegungen. Baden-Baden 2015, bestellbar hier.
  • Siegfried Broß: Rechtliche Beurteilung des TTIP. Kurzvortrag bei der gemeinsamen TTIP – Veranstaltung der IHK Karlsruhe und der HWK Karlsruhe am 23. November 2015 in Karlsruhe (pdf).
  • Siegfried Broß: TTIP und CETA – Überlegungen zur Problematik der geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Mit einem Vorwort von Christa Hecht, Geschäftsführerin der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW). In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge. Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 4. Berlin, Juni 2015 (pdf).
  • Siegfried Broß: Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit. In: Report. Januar 2015. Herausgegeben von der Hans Böckler-Stiftung (pdf).