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Verbieten-Verflechten-Spalten-Verklagen? Die Berliner LINKE zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Kommentar des Berliner Wassertischs zum Fachgespräch der Berliner Linksfraktion „Direkte Demokratie in Berlin und der Volksentscheid Tegel“ am 5.12.2017.

(Berlin, 5.12.2017) Die direkte Demokratie hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Instrument des politischen Lebens in Berlin entwickelt. Insbesondere Projekte, die stark mit wirtschaftlichen Interessen verbunden sind, wie die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe oder die Freihaltung des Tempelhofer Feldes, wären ohne Gesetzesinitiativen aus der Bevölkerung kaum denkbar gewesen.

Die LINKE, die von sich sagt, „sich seit Jahren für eine Stärkung und Weiterentwicklung der direkten Demokratie“ einzusetzen, lädt nun am 5. Dezember zu einem Fachgespräch ein. Ziel sei es, die direkte Demokratie weiterzuentwickeln und „Fairness, Transparenz und Chancengleichheit“ zwischen direkter und repräsentativer Politik zu erhöhen.

Ein Vorhaben, das in der Tat längst überfällig ist, vor allem vor dem Hintergrund, dass das Verhältnis zwischen direkter und repräsentativer Demokratie nicht konfliktfrei ist. Beide stehen für gewöhnlich in einem Spannungsverhältnis. Die Gesetzesinitiativen von unten zeigten oftmals gravierende Fehlentwicklungen und Versäumnisse des Parlamentsbetriebs an. Mancher Politiker empfindet die direkte Demokratie vor allem als direkte Konkurrenz.

Auch das Verhältnis der Linkspartei zur direkten Demokratie war in der Vergangenheit weit weniger positiv, als die Veranstaltung suggeriert. Besonders in der Zeit, als sie Regierungspartei war. Am auffälligsten wurde die Distanz der LINKEN zur direkten Demokratie beim ersten erfolgreichen Volksentscheid „Wir wollen unser Wasser zurück“ (2011). Der LINKEN-Wirtschaftssenator Harald Wolf forderte die Berliner Bürger*innen dazu auf, nicht zur Abstimmung zu gehen. Der damalige Parteichef Klaus Lederer wollte gegen das Volksgesetz klagen. Erst im Nachhinein wertete er das Verhalten der angeblich privatisierungskritischen LINKEN gegenüber dem Wasser-Volksentscheid als größten Fehler in ihrer Regierungszeit.

Angesichts der Tatsache, dass die Linkspartei nun erneut ins Rote Rathaus eingezogen ist, stellt sich die Frage, wie sich die LINKE diesmal als Regierungspartei verhalten wird, ob ihren wohlklingenden Absichtserklärungen nun zu glauben ist.

Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Wir haben erhebliche Zweifel daran. Wir sind der Ansicht, dass die Vortragstitel schön klingen – doch zeigt das Veranstaltungsprogramm auf einer anderen Ebene, dass Anspruch und Wirklichkeit im Verhältnis der LINKEN zur direkten Demokratie immer noch weit auseinanderklaffen. Leider repräsentiert das Programm mindestens vier der Techniken oder Mechanismen, die die direkte Demokratie in der Vergangenheit ausgebremst haben – von „Verbieten“ bis „Verklagen“, auf deren mehr oder weniger engen Zusammengang mit der Berliner LINKEN im Folgenden eingegangen werden soll:

Verbieten
Als sehr effektive Möglichkeit, Volksentscheide zu verhindern oder sie zumindest zu entschärfen, hat es sich in der Vergangenheit erwiesen, die Gesetzestexte per Rechtsgutachten als nicht verfassungsgemäß zu bezeichnen und zu verbieten. Mit dieser Maßnahme lässt sich ein Volksbegehren auf die eleganteste Art entsorgen. Für die chronisch in Geldnöten befindlichen Initiativen ist es sehr schwierig, die nötigen Anwaltshonorare für eine Beratung und einen Prozess aufzubringen. Auch wenn sich das Volksbegehren letztendlich nicht verbieten lässt, wird Zeit gewonnen, um die Terminpläne ins Wanken zu bringen. Schließlich sind Volksentscheide grundsätzlich erfolgreicher, wenn die Abstimmung zusammen mit einem anderen Wahltermin stattfindet.

Darüber hinaus lassen sich in dieser Situation unliebsame Gesetzestexte abändern. In den zumeist basisdemokratisch organisierten Bürgerinitiativen befinden sich immer Aktivisten, die bereit sind, der Senatsargumentation zu folgen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass die ersten Politik-Amateure in den bisweilen mutwillig verschärften Auseinandersetzungen die Lust am Bürgerengagement verlieren und von sich aus das Feld räumen.

Diese Praxis hat eine lange Tradition. Der rot-rote Senat hatte bereits 2008 versucht, das Wasser-Volksbegehren zu verbieten. Der Berliner Wassertisch klagte zwar mit Erfolg gegen das Verbot, doch verzögerte der Prozess das Volksbegehren um anderthalb Jahre, in denen die Konzerne RWE und Veolia weiter Millionen aus dem Wasser-Preismissbrauch erhielten. Ebenso waren die Gesetze anderer Volksbegehren wie des Mieten-Volksentscheids oder des Volksentscheid-Retten-Volksentscheids angeblich juristisch fehlerhaft.

Die vom Senat beigebrachten Rechtsgutachten schufen hier die Gelegenheit, durch Verhandlungen die zweite Stufe zu verhindern. Bei „Volksentscheid-Retten“ wurde die Bürgerinitiative durch die Auseinandersetzungen um das Rechtsgutachten und dem darauf folgenden Prozedere sogar gesprengt.1)

Das Gutachten, das zum juristischen „Spaltkeil“ für Volksentscheid-Retten wurde, verfasste im Auftrag des vorigen Senats der Jurist Professor Dr. Christian Pestalozza (FU Berlin). Für das Fachgespräch am 5.12. wurde er von der Linksfraktion eingeladen, zu dem Thema „Gegenstände und Verbindlichkeit von Volksentscheiden“ zu referieren.

Verflechten
Die Veranstaltung wird organisiert von Dr. Michael Efler. Bevor Michael Efler für die LINKE in das Abgeordnetenhaus wechselte, war er Sprecher beim Energietisch und er ist weiterhin Bundesvorsitzender im Bundesvorstand des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“.
„Mehr Demokratie“ wiederum hat bei der Formulierung des Volksentscheid-Retten-Gesetzes mitgewirkt und stellte auch eine der Vertrauenspersonen. Die allzu enge Verflechtung zwischen direkter und repräsentativer Demokratie ist jedoch bislang ein kaum beachtetes grundsätzliches Problem.

Während in der Theorie zumeist eine klare Trennung zwischen Politik und Zivilgesellschaft angenommen wird, zeichnet die Praxis ein anderes Bild. Es gibt kaum eine Volksentscheids-Initiative, in der nicht auch zahlreiche Mitglieder der Parteien mitwirken. Eine Parteimitgliedschaft bedeutet nicht automatisch parteiliche Einflussnahme – wer politisch interessiert ist, hat sich häufig auch einmal in einer Partei engagiert. Problematisch wird es jedoch, wenn Parteien Mitglieder in Volksentscheids-Initiativen schicken, um dort Einfluss zu nehmen.
Problematisch wird es ebenso, wenn sich die Mitarbeit bei einem Volksentscheid als Sprungbrett für die Partei-Karriere herausstellt. Der sogenannte „Drehtür-Effekt“, der aus Politik und Wirtschaft bekannt ist, ist bis zu einem gewissen Maße auch bei der repräsentativen und der direkten Demokratie in Berlin zu beobachten. Die Wechsel zwischen den beiden Lagern gehen fließend vonstatten.

So erhielt Michael Efler das LINKEN-Abgeordnetenmandat nach seiner Tätigkeit für den Energie-Volksentscheid, ebenso wie sein Kollege Stefan Taschner, der jetzt für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Berliner Parlament sitzt. Die ehemalige SPD-Abgeordnete und Vertrauensperson des Wasservolksentscheids Gerlinde Schermer erhielt während des Volksentscheids die Direktkandidatur für einen aussichtsreichen Wahlkreis.

Die Parteien haben jedoch nicht nur Abgeordnetenmandate zu vergeben. Ebenso können sie gut bezahlte Mitarbeiter- oder Referentenstellen in Partei und Fraktion vermitteln, bei einer Regierungsbeteiligung außerdem in der Senatsverwaltung. Der Fantasie bei der Versorgung sind erfahrungsgemäß keine Grenzen gesetzt. Beim Mieten-Volksentscheid beispielsweise wurde ein maßgeblicher Akteur auf eine sehr gut dotierte Stelle bei einer vom Senat neu gegründeten Gesellschaft berufen.

Mit der Personalunion wird jedoch die Korrekturfähigkeit der direkten Demokratie unterlaufen. Einerseits entstehen bei konfrontativen Entscheidungen Interessenkonflikte, andererseits ist nicht nachvollziehbar, zu welchem Zeitpunkt und für welche Verdienste einem Aktivisten der Karrieresprung geglückt ist.

Auch wenn keine Einflussnahme stattgefunden haben sollte, werden die Bürgerinitiativen durch solche Wechsel geschwächt. Sie verlieren Mitstreiter*innen mit wichtigem Fachwissen. Die Parteien dagegen verstärken sich mit Insiderwissen über Kenntnisstände und Entscheidungsabläufe. Dieses Insiderwissen kann in möglichen Verhandlungen mit den Bürgerinitiativen genutzt werden.

Spalten (1)
Den Impuls-Vortrag über die „Rolle von Parteien in der direkten Demokratie“ hält der als Politikwissenschaftler angekündigte Dr. Benedict Ugarte Chacón (LINKE). Auch seine Personalie ist ein Beispiel für die Verflechtung von direkter und repräsentativer Demokratie. Er bewegte sich einige Zeit in Bürgerinitiativen. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berliner Piratenfraktion und später der LINKEN im Bundestag. Der Website der Senatsverwaltung ist zu entnehmen, dass er derzeit als Referent für „Angelegenheiten der Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH“ tätig ist, finanziert aus dem Etat von Kultur- und Europasenator Dr. Klaus Lederer (LINKE).

Sein Name ist auf der Liste der Vortragenden besonders brisant, da er dem Berliner Wassertisch bekannt ist als eine Person, die versuchte, die juristische Aufarbeitung der Teilprivatisierung der BWB nach dem Wasser-Volksentscheid zu behindern (eine Aussage, deren Zulässigkeit aufgrund von „Anknüpfungstatsachen“ bereits vom Landgericht Berlin bestätigt wurde (Aktenzeichen: 27 O 580/15 v. 12.11.2015)).

Als der rot-rote Senat das Wasser-Volksbegehren 2008 wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit verbot, vertrat Ugarte Chacón nach Aussage damaliger Wassertisch-Mitglieder eine Gruppe, die vor einer Klage gegen das Verbot erst eine Rechtsbeurteilung einholen wollte, was von anderen aufgrund der ihrer Ansicht nach klaren Rechtslage und der engen Fristen als Bremsmanöver empfunden wurde.

Als die zweite Stufe des Volksbegehrens geschafft war, besuchte er nach langer Pause wieder das Wassertisch-Plenum und beteiligte sich an der Spaltung der Bürgerinitiative in zwei Gruppierungen. Nach der Spaltung schloss er sich dem Berliner Wassertisch/Mehringdamm „um die SPD-Frau Gerlinde Schermer“ (Berliner Zeitung) an.

Diese Wassertischgruppe verzichtete weitgehend auf die zentralen Forderungen des Berliner Wassertischs auf eine Rückabwicklungs-Klage sowie die Umwandlung der Berliner Wasserbetriebe in einen kommunalen Eigenbetrieb. Der „SPD-Wassertisch“ verlegte sich stattdessen darauf, unsere diesbezüglichen Aktivitäten zu behindern – für den rot-roten Senat eine komfortable Situation.

Spalten (2)
Doch war das Wirken Ugarte Chacóns damit nicht beendet. Die mit dem Wasser-Volksentscheid angestrebte Rückabwicklung der Privatisierung war nur über eine Organklage einer Abgeordnetenhaus-Fraktion zu erreichen.

SPD und LINKE hatten verständlicherweise kein Interesse, dass ihr Beitrag an dem neoliberalen Privatisierungsprojekt in einem Prozess öffentlichkeitswirksam aufgearbeitet wurde. Der angeblich nach dem Volksentscheid geläuterte LINKEN-Parteichef Klaus Lederer lud uns zwar in sein Büro ins Karl-Liebknecht-Haus ein. Doch versuchte er, uns die Organklage auszureden – zugunsten eines anderen Verfahrens (das er selbst ebenfalls nicht weiterverfolgte).

Anders die PIRATEN. Die 2011 gerade frisch ins Abgeordnetenhaus gewählte Mitmach-Partei hatte während des Wahlkampfs versprochen, eine Klage des Berliner Wassertischs zu unterstützen. Auch beim zunächst zuständigen Fachabgeordneten Gerwald Claus-Brunner und der Piraten-Basis stieß das Vorhaben auf Zustimmung.

Doch traten an anderer Stelle unerwartete Probleme auf. Benedict Ugarte Chacón trat überraschend als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Piraten-Fraktion auf. Dort setzte er fort, was er bereits im Plenum des Berliner Wassertischs begonnen hatte: er versuchte, die Organklage zu verhindern.

Letztlich wurde die Klage beim Verfassungsgericht von der Piraten-Fraktion beschlossen. Allein die Klage-Einreichung hatte den schönen Erfolg, dass der letzte verbliebene Wasserkonzern Veolia umgehend den Weg für die Rekommunalisierung freimachte.

Dennoch erreichten die Klage-Gegner, dass
1. die Klagefrist überdehnt wurde
2. die Klagebeteiligung der LINKEN verhindert wurde
3. die Zusammenarbeit der Piraten-Fraktion mit unserem Berliner Wassertisch ohne Angabe von Gründen eingestellt wurde
4. der ursprüngliche Wasser-Abgeordnete der Piraten von seiner Aufgabe abgelöst und die Klage still beerdigt wurde

Am Vorgehen Ugarte Chacóns waren insbesondere zwei Umstände für diese Betrachtung bemerkenswert:
Erstens versuchte er, seine Agenda mit Methoden durchzusetzen, die für einen „Wissenschaftler“ eher untypisch sind: Er versuchte die Auseinandersetzung auf eine persönliche Ebene zu ziehen, beleidigte seine politischen Gegner öffentlich als „Knackbirnen“, „Idioten“ etc.; zudem griff er zum Mittel der Denunziation und verbreitete falsche Anschuldigungen (einige dieser Methoden sind hier dokumentiert).

Zweitens war er mit seinen Methoden und Ansichten vor allem bei einem Netzwerk von Piraten-Abgeordneten, Mitarbeitern und Mitgliedern erfolgreich, die noch vor der Abgeordnetenhaus-Wahl 2016 zur Linkspartei „twesteten“ und damit die Piratenfraktion spalteten (vgl. Pressemitteilung des Berliner Wassertischs vom 23.1.2016).

Ab wann man sich über den Wechsel und seine eventuellen Konditionen verständigte, ist uns nicht bekannt. Es besteht jedoch kaum Zweifel, dass dem Berliner LINKEN-Chef Lederer sowohl mit der Beerdigung der Organklage als auch mit der Spaltung der Piratenfraktion zwei „Herzenswünsche“ erfüllt wurden.

Zu unserer Überraschung konnten wir im Nachhinein feststellen, dass die hartnäckigsten Gegner der Organklage, einschließlich Ugarte Chacón, fast sämtlich von der LINKEN mit neuen Stellen versorgt wurden.

Verklagen (1)
Ein weiteres Mittel, die direkte Demokratie zu schwächen, ist es, Initiativen zu verklagen. Man erreicht damit mindestens drei Ziele. Erstens haben die Initiativen selten ausreichend finanzielle Mittel, um sich gute Rechtsanwälte zu leisten. Auch wenn die Klage unbegründet ist, kann man ggf. die Unterlassung von bestimmten Aussagen erreichen. Zweitens sind sie mit ihrer Verteidigung beschäftigt und verlieren Zeit für ihr eigentliches Anliegen. Drittens sollen sie eingeschüchtert werden. Die Anlässe sind dabei fast unwichtig, es zählt vorrangig der Abschreckungseffekt. Diese Strategie nennt man „Slapping“.

Auch der Berliner Wassertisch und seine Mitglieder wurden bereits mehrfach mit Unterlassungsforderungen konfrontiert. Die Anlässe waren zum Teil sehr nichtig. Eine Unterlassungsaufforderung erhielten wir beispielsweise von Benedict Ugarte Chacón, weil wir einen Text von ihm, den wir kritisierten, als Beleg auf unsere Seite gestellt hatten – was von uns ein Akt der Fairness war, damit die Behauptungen am Original überprüft werden konnten.

Insgesamt versuchte Ugarte Chacón, in mehreren Verfahren rund 14 Aussagen zu verbieten. Allerdings weitgehend erfolglos. Für unsere Behauptungen hatten wir genügend Anknüpfungstatsachen. Lediglich bei einer Äußerung konnte Ugarte Chacón einen Teilerfolg dadurch erringen, dass die Formulierung „mehrdeutig“ sei und deshalb ein Unterlassungsanspruch bestehe.

Für die Aussagen beispielsweise, dass er versucht hätte, die juristische Aufarbeitung der Wasser-Privatisierung zu be- oder verhindern, dass er die Partei- und Fraktionsstrukturen der Piratenpartei instrumentalisiert hätte, oder mit dem Mittel der Denunziation und falschen Anschuldigungen arbeiten würde, wurde vom Gericht dagegen die Zulässigkeit festgestellt.

Verklagen (2)
Ugarte Chacón ist jedoch nicht das einzige Mitglied der Berliner Linkspartei, das gegen den Berliner Wassertisch klagt oder geklagt hat. Auch der Anlass für den zweiten Verfahrenskomplex liegt in den Vorgängen um die Organ-Klage der Piraten gegen die Wasser-Privatisierung.

Als in einer Fraktionssitzung der Berliner Piraten die Entscheidung über die Organklage anstand, wurden Bedenken erhoben, ob die Fraktion sich das Verfahren überhaupt leisten könne. Der Berliner Wassertisch entkräftete das Kostenargument, indem er anbot, das Geld über eine Spendenaktion aufzubringen, wenn die Mittel der Piratenfraktion nicht ausreichen sollten. Der Fraktionsgeschäftsführer und sein Justiziar forderten eine Bürgschaft, die sie von zwei Wassertisch-Mitgliedern erhielten.

Erwartungsgemäß hatte die Fraktion jedoch genügend eigene Gelder. Eine Forderung wurde weder in dem Jahr der Einreichung der Wasser-Klage noch in den folgenden Jahren an den Berliner Wassertisch herangetragen. 2014 bestätigte der damalige Fraktionsvorsitzende Alexander Spies auf Nachfrage des Wassertisches, dass mit einer Forderung nicht mehr zu rechnen sei, ein Beschluss hierzu würde nicht mehr zustande kommen.

Die Situation änderte sich jedoch, als sich die Berliner Piraten auf ihrem Landesparteitag 2015 öffentlich bei einem Wassertisch-Mitglied entschuldigten, gegen das Ugarte Chacón bei seinen Aktivitäten gegen die Organklage falsche Anschuldigungen erhoben hatte. Das Wassertisch-Mitglied stellte einen Blog ins Netz, auf dem einzelne Vorgänge um die Verhinderung der Organklage und ihre Beteiligten dokumentiert wurden. Genannt wurden in diesem Zusammenhang unter anderem der Fraktionsvorsitzende der Piraten Martin Delius (jetzt LINKE), der Fraktionsgeschäftsführer Heiko Herberg (jetzt SPD) sowie der Fraktionsmitarbeiter Ugarte Chacón (jetzt LINKE).

Zwei Tage später forderte der Fraktionsvorsitzende Martin Delius die Wassertisch-Bürgen zur Zahlung von 25.000 EUR auf und verklagte sie. Angeblich sei er zur Einforderung des Geldes rechtlich verpflichtet. Der zuständige Richter hielt das Argument für unplausibel (vgl. Pressemitteilung Berliner Wassertisch, 5.6.2016). Es gebe zwar die Möglichkeit, das Geld anzufordern, aber keine Pflicht. Selbst beim Bund der Steuerzahler stieß das Verhalten von Delius und Co. auf großes Unverständnis (vgl. Artikel März 2016).

Auch politisch hatte die Entscheidung keine Rückendeckung. Für die quasi über Nacht erstellte Forderung gab es keinen Beschluss der Piratenfraktion. Er wurde auch nie nachgeholt. Der Landesvorstand der Piratenpartei distanzierte sich von der Klage. Die Forderung war offensichtlich ein Racheakt gegen Bürgeraktivisten, die die Intrigen um die Organklage zumindest teilweise öffentlich gemacht hatten.

Bezeichnend für das Verhältnis der Berliner Linkspartei zur direkten Demokratie ist ein Blick auf die Personalien. Der Prozess um das Spendenangebot des Berliner Wassertischs an die Piratenfraktion wird mittlerweile ausschließlich von jetzigen Parteimitgliedern der LINKEN und der SPD geführt. Der Fraktions-Liquidator Martin Delius ist bei der LINKEN (und Mitarbeiter im Referat Regierungsplanung in der Berliner Senatskanzlei) und sein Co-Liquidator Heiko Herberg bei der SPD. Auch der ehemalige Piraten-Justiziar, der die angebliche Klagenotwendigkeit herbeikonstruiert hat, ist jetzt Justiziar der Berliner Linksfraktion. Formal führt der Berliner Wassertisch einen Prozess gegen die ehemalige Piratenfraktion, tatsächlich wird er aber von Mitgliedern der Parteien geführt, die von Beginn an den Wasser-Volksentscheid zu verhindern versuchten.2)

Wer mit welchen Methoden in der LINKEN Karriere macht, sagt unserer Ansicht mehr über das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit der Linkspartei bezüglich der direkten Demokratie aus als bloße Absichtserklärungen.

Schluss
Der Impuls zu der Veranstaltung „Direkte Demokratie in Berlin. Wie weiter nach dem Volksentscheid Tegel?“ ist richtig und wichtig. Die direkte Demokratie ist ein wertvolles politisches Instrument und sie bedarf dringend der Stärkung. Allerdings wird die Berliner LINKE den Erwartungen, die sie mit dieser Veranstaltung weckt, in der Praxis wohl kaum gerecht werden.

Obwohl die LINKE derzeit am offensivsten die direkte Demokratie propagiert, sprechen unserer Ansicht nach die oben angeführten Punkte dafür, dass der Partei, beziehungsweise einigen ihrer Mitglieder auch das Instrumentarium von Verbieten, Verflechten, Spalten und Verklagen nicht fremd ist.

Wenn die demokratischen Parteien durch unfaire Praktiken die Hoffnungen enttäuschen, die in die direkte Demokratie gesetzt werden, riskieren sie ein weiteres Ansteigen der Politikverdrossenheit und ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer Parteien.

Dagegen gilt es, einen PARTEIUNABHÄNGIGEN Zugang der Initiativen zu den Medien sowie zu juristischen und wissenschaftlichen Ressourcen zu erleichtern, wie der Berliner Wassertisch dies bereits gefordert hatte. Auch Initiativen aus der Bevölkerung sollten ernst genommen und inhaltlich umgesetzt werden, wie das Volksentscheids-Retten-Gesetz, für das sich bereits rund 58.000 Tausend Menschen ausgesprochen haben. weiterlesen