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Berliner Circolo des Partito Democratico: Brief an Matteo Renzi

PDBrief an Herrn Matteo Renzi, Segretario, Partito Democratico
Kopie: PD Mondo/Eugenio Marino, PD Deutschland

Betr.: TTIP und CETA
Berlin, den 30. April 2016

„Lieber Matteo,

am 9. November 2015 überreichte Herrn Martin Schulz eine Delegation von „Stop TTIP“, einer Initiative von über 500 Organisationen aus der europäischen Zivilgesellschaft, eine Petition gegen TTIP Vertragsverhandlungen, die von über drei Millionen Bürgern unterschrieben war, davon ca. die Hälfte aus Deutschland. Am letzten Samstag, ein Tag vor einem Besuch von Barack Obama, haben wir eine Kundgebung in Hannover erlebt – und manche von uns waren auch dabei -, an der sich fast 100.000 Leute beteiligten.

Die Mitglieder unseres Berliner Circolo PD erleben als Berliner Einwohner täglich die Zuspitzung der kritischer und täglich immer schärfer werdenden Diskussionen über den Vertrag. TTIP verkauft sich immer schlechter: Eine vor kurzer Zeit vom ZDF in Auftrag gegebene Meinungsumfrage zeigt, daß nur ca. 13% der Befragten glauben, Deutschland wird eher Vorteile aus TTIP ziehen. Fast 60% vertritt die entgegengesetzte Meinung. Das, was hier über TTIP gesagt wird, gilt auch für CETA.

In Anbetracht der in Europa und anderswo wachsenden Zweifel über den Inhalt der zwei Verträge bitten wir Dich, eine Diskussion darüber innerhalb unserer Partei zu starten. Diese Zweifel, die in dem allgemeinen Diskurs innerhalb der Gesellschaft hochgekommen sind, beziehen sich auf ein sehr breites Spektrum von Problemen, das man wie folgt kurz fassen kann:

  1. Bedrohung der Beschäftigung und, als Folge, des Wirtschaftswachstums
    Nicht nur in den USA (und in Kanada) hat sich eine starke Front zugunsten des „buy American“, insbesondere in Bezug auf öffentliche Aufträge, formiert, aber auch wachsen Befürchtungen negativer Effekte nicht nur auf die Beschäftigung, sondern auch auf nationale Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmerschaft. Die Auswertungen der statistischen Wirtschaftsdaten nach der Einführung von NAFTA fallen sehr unterschiedlich.
    Die Agrarwirtschaft ist ein Bereich, in dem anscheinend vergangene Entwicklungen die Befürchtungen stärken (z.B. als Folge eines Abbaus der Importzölle bei einem Beibehalten massiver Subventionen zugunsten der Produktion – wie z.B. in Mexico im NAFTA Bereich oder in afrikanischen Ländern im Bereich bilateraler Handelsverträge).
  2. Investorenschutz („investor protection“) durch die Einführung von Schiedsgerichten
    Die Einführung weitgehend autonomer internationaler Schiedsgerichte wird als eine Aushebelung des Rechtstaates in seinen nationalen und internationalen Rahmen angesehen. Das System übergeordneter Schiedsgerichte ist durch den Fehler einer Bevorzugung multinationaler ggü. nationalen Unternehmen, die rechtlich keinen Zugang zu den schiedsgerichtlichen Instanzen haben dürfen (parallele Judikaturen). Es handelt sich um eine intransparente und sehr teure Gerichtsbarkeit, die außerdem den Unternehmen, welche über die erforderlichen finanziellen Ressourcen nicht verfügen, de facto ihre Inanspruchnahme verwehren.
    Fälle der Vergangenheit tragen nicht dazu bei, die Gemüter zu besänftigen (Beispiele unter vielen: zwei Verfahren von Vattenfall gegen die Bundesrepublik, Philipp Morris gegen Uruguay, Lone Pine gegen Kanada, Mobil gegen Kanada, sowie das angekündigte Verfahren von Transcanada gegen die USA in Wert von US$ 15 Mrd.).
    Das alles klingt als Anathema für Juristen, Anwälte und Richter. Es ist kein Zufall, dass sich die wichtigste Vereinigung deutscher Anwälte offiziell gegen das System übernationaler Schiedsgerichte ausgesprochen hat, sei es in der ISDS Version, sei es in der von der EU Kommission vorgeschlagenen ICS Version. Diese wird vorwiegend als eine neue Etikettierung der ersteren ohne Änderung ihrer Substanz betrachtet.
  3. Anwendung von Regeln zu Ungunsten der Umwelt- und Gesundheitsstandards.
    Es herrscht eine diffuse Befürchtung, dass die Anwendung der Regeln, die für die Unternehmen unabhängig von ihrer Herkunft eine „faire und gerechte“ so wie eine „nicht diskriminierende“ Behandlung bestimmen, durch eine „neo-liberale“ Interpretation zu einer Aushöhlung der mühevoll und unter großen Schwierigkeiten erkämpften Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Verbraucher führen könnte. Zwei emblematische Begriffe unter vielen anderen: genmanipulierte Produkte und Herkunftsbezeichnungen.
    Man fürchtet insbesondere, dass das in Europa geltende „Vorsorgeprinzip“ durch den in den USA angewandten „evidence based approach“ bei der Einführung von Nahrungs-, Pharma- und Chemieprodukten und von Zutaten für die Nahrungsmittel ersetzt wird.


Diese sind schwerwiegende Aspekte, die unterschiedlich einen fruchtbaren Boden in fast allen Kreisen der Gesellschaft finden. Richten wir für einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit auf negativ behaftete Betrachtungsweisen, welche Neoliberale, die seit der Zeit von Reagan das Feld beherrscht haben, als eine grundsätzlich isolierte Gruppe erscheinen lassen: von der neuen Rechte, die die Einführung protektionistischer Maßnahmen verlangt, zu den Konservativen, die eine Aushöhlung der nationalen Rechtssysteme verhindern wollen, zu den Gewerkschaften auf dem linken politischen Spektrum, die eine höhere Arbeitslosigkeit von einer weiteren Zuspitzung der Konkurrenz auf dem Markt erwarten, zu den Umweltschützern, die eine Überschwemmung durch gesundheits- und naturschädigende Produkte fürchten. Wir glauben, es ist kein Zufall, dass sich nicht nur Trump, Cruz und Sanders – jeder aus unterschiedlichen Gründen – in dem laufenden Wahlkampf in den USA gegen TTIP aussprechen, sondern sich auch die einst Befürworterin Hillary Clinton von einer Unterzeichnung des Vertrages zunehmend distanziert.

Es gibt aber schließlich zwei Themen, die eine überwältigende Mehrheit vereinigen und stark verärgern, insbesondere in Ländern wie Deutschland:

  1. Die Geheimhaltung, mit der die Verhandlungen von TTIP bisher geführt worden sind. Nur in der letzten Zeit konnten Parlamentarier Zugang zu den Vertragsunterlagen gelangen und dies für maximal zwei Stunden pro Tag (!) und unter dem Verbot, sich darüber mit Dritten zu unterhalten, die zur Einsicht der Unterlagen nicht berichtigt sind.
  2. ein Genehmigungsverfahren für beide Verträge (TTIP und CETA), das faktisch jede Diskussion in den EU Parlamenten ausschließt. Nur das europäische Parlament wird wahrscheinlich dazu gerufen, der Entscheidung vom europäischen Rat ohne verbindlichen Beschluss zuzustimmen. Das wird außerdem auf der Basis eines von der Kommission mit der Gegenseite ausgehandelten Textes erfolgen, der nicht mehr veränderbar ist.

Der Schaden für die europäischen Institutionen ist offensichtlich. Einmal mehr werden ihren Gegnern sehr gute Argumente geliefert, sie wegen mangelnder Demokratie anzuprangern. Man muss gegen diesen Zustand der Dinge reagieren.

Aus den Gründen, die wir hier kurz zusammengefasst haben, möchten wir anregen:

  • dass so bald wie möglich in unserem Parlament eine Debatte eingeleitet wird, die CETA als Anfangsthema hat, da sein Vertragsentwurf, anders als bei TTIP, öffentlich zugänglich ist, um anschließend TTIP zu behandeln, sobald sein Text bekannt sein wird.
  • dass diese Diskussion zu einer Empfehlung zu der Stimmenabgabe der italienische Vertreter im europäischen Rat bei beiden Entscheidungen über CETA und TTIP führt.

Wir hoffen, dass Du unseren Vorschlag zu eigen machen kannst. Stets bereit, unsere Meinung über diese Themen mit denjenigen zu teilen, die eine solche Diskussion für wichtig halten, verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

Circolo PD Berlin und Brandenburg
Federico Quadrelli, Segretario
Piero Rumignani, Presidente

Website: http://www.circolopdberlino.com/

Die Übersetzung des Briefes wurde mit der freundlichen Erlaubnis von Dr. Piero Rumignani auf die Website gestellt.