Schlagwort-Archive: Urteil

2. März 2021 – Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen CETA

Bundesverfassungsgericht

Urteilsverkündung in Sachen „Organklage betreffend das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA)“
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 (siehe Pressemitteilungen Nr. 70/2020 vom 7. August 2020 und Nr. 84/2020 vom 10. September 2020) am

Dienstag, 2. März 2021, um 12.00 Uhr (bisher: 10.00 Uhr),
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

sein Urteil verkünden

Zum Beitrag

 

Bundesverfassungsgericht: Urteilsverkündung in Sachen CETA am Dienstag, 2. März 2021, 10.00 Uhr

Bundesverfassungsgericht – Pressestelle –
Pressemitteilung Nr. 5/2021 vom 19. Januar 2021

Urteilsverkündung in Sachen „Organklage betreffend das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA)“ am Dienstag, 2. März 2021, 10.00 Uhr

„Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 (siehe Pressemitteilungen Nr. 70/2020 vom 7. August 2020 und Nr. 84/2020 vom 10. September 2020) am

Dienstag, 2. März 2021, um 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

sein Urteil verkünden.“

Text unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-005.html

Achmea-Urteil. EuGH: Die im Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei enthaltene Schiedsklausel ist nicht mit dem Unionsrecht vereinbar

www.curia.europa.eu
Presse und Information
Gerichtshof der Europäischen Union

PRESSEMITTEILUNG Nr. 26/18

Luxemburg, den 6. März 2018
Urteil in der Rechtssache C-284/16
Slowakische Republik / Achmea BV

Die im Investitionsschutzabkommen zwischen den Niederlanden und der Slowakei enthaltene Schiedsklausel ist nicht mit dem Unionsrecht vereinbar

Diese Klausel entzieht dem Mechanismus der gerichtlichen Überprüfung des Unionsrechts Rechtsstreitigkeiten, die sich auf die Anwendung oder Auslegung dieses Rechts beziehen können

Im Jahr 1991 schlossen die ehemalige Tschechoslowakei und die Niederlande ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen[1] (BIT[2]). Das BIT bestimmt, dass Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei gütlich oder, falls dies nicht möglich ist, vor einem Schiedsgericht beizulegen sind.

Nach der Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 trat die Slowakei in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein.

Im Jahr 2004 öffnete die Slowakei ihren Krankenversicherungsmarkt für private Investoren. Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, gründete daraufhin eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen anzubieten. Im Jahr 2006 machte die Slowakei jedoch die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig und untersagte insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft.

Im Jahr 2008 leitete Achmea auf der Grundlage des BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakei ein, mit der Begründung, dass das genannte Verbot gegen das Abkommen verstoße und ihr dadurch ein Vermögensschaden entstanden sei. Im Jahr 2012 befand das Schiedsgericht, dass die Slowakei gegen das BIT verstoßen habe, und verurteilte sie, Schadensersatz in Höhe von etwa 22,1 Mio. Euro an Achmea zu zahlen.

Im Anschluss daran erhob die Slowakei bei den deutschen Gerichten[3] Klage auf Aufhebung des Schiedsspruchs. Nach ihrer Auffassung verstößt die Schiedsklausel im BIT gegen mehrere Bestimmungen des AEU-Vertrags[4].

Der im Rechtsbeschwerdeverfahren angerufene Bundesgerichtshof (Deutschland) möchte vom Gerichtshof wissen, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit dem AEU-Vertrag vereinbar ist.

Die Tschechische Republik, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Polen, Rumänien und die Europäische Kommission haben Erklärungen zur Unterstützung des Vorbringens der Slowakei eingereicht, während Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Österreich und Finnland die streitige Klausel und – allgemeiner – ähnliche Klauseln in den 196 gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten der EU bestehenden BIT für gültig halten.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nach dem BIT das gemäß diesem Abkommen gebildete Schiedsgericht insbesondere auf der Grundlage des geltenden Rechts der von dem fraglichen Rechtsstreit betroffenen Vertragspartei und aller erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu entscheiden hat.

Angesichts der Merkmale des Unionsrechts – wie seiner Autonomie gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht, seinem Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten sowie der unmittelbaren Wirkung einer ganzen Reihe seiner Bestimmungen für die Unionsbürger und die Mitgliedstaaten – ist es zum einen Teil des in allen Mitgliedstaaten geltenden Rechts und zum anderen aus einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten hervorgegangen. Daher kann das fragliche Schiedsgericht unter diesen beiden Aspekten das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr auszulegen oder sogar anzuwenden haben.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Gerichtsbarkeit des fraglichen Schiedsgerichts im Verhältnis zu der der slowakischen und der niederländischen Gerichte Ausnahmecharakter hat, so dass es nicht Teil des Gerichtssystems der Slowakei oder der Niederlande ist. Folglich kann dieses Schiedsgericht nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden und ist daher nicht befugt, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen.

Zur Frage, ob der Schiedsspruch der Überprüfung durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, das dem Gerichtshof unionsrechtliche Fragen in Verbindung mit einem vom Schiedsgericht behandelten Rechtsstreit vorlegen könnte, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem BIT die Entscheidung des Schiedsgerichts endgültig ist. Zudem legt das Schiedsgericht seine eigenen Verfahrensregeln fest und wählt insbesondere selbst seinen Sitz und folglich das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des von ihm erlassenen Schiedsspruchs gilt.

Zum letztgenannten Punkt weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine solche gerichtliche Überprüfung von dem betreffenden nationalen Gericht nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie gestattet – eine Bedingung, die im vorliegenden Fall nicht vollständig erfüllt ist, da das deutsche Recht nur eine beschränkte Überprüfung in diesem Bereich vorsieht. In diesem Zusammenhang hebt der Gerichtshof hervor, dass die Überprüfung von Schiedssprüchen durch die Gerichte der Mitgliedstaaten zwar unter bestimmten Umständen im Rahmen eines Handelsschiedsverfahrens[5] legitimer Weise beschränkten Charakter aufweisen könnte, doch lassen sich diese Überlegungen nicht auf ein Schiedsverfahren wie das hier vorliegende übertragen. Während Ersteres nämlich auf der Parteiautonomie beruht, leitet sich Letzteres aus einem Vertrag her, in dem die Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System gerichtlicher Rechtsbehelfe, dessen Schaffung ihnen der EU-Vertrag[6] in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt, Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, in denen dieses Recht anzuwenden oder auszulegen sein kann.

Aus diesen Gründen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Slowakei und die Niederlande mit dem Abschluss des BIT einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen haben, der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet, wobei nur ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten.
Unter diesen Umständen beeinträchtigt die im BIT enthaltene Schiedsklausel die Autonomie des Unionsrechts und ist daher nicht mit ihm vereinbar.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

1 Abkommen zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen.
2 Bilateral Investment Treaty.
3 Da Schiedsort Frankfurt am Main (Deutschland) war, sind die deutschen Gerichte für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs zuständig.
4 Es handelt sich um die Art. 18, 267 und 344 AEUV.
5 Urteile vom 1. Juni 1999, Eco Swiss (C-126/97), und vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro (C-168/05).
6 Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV.
Pressemitteilung des EuGH: https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_16799. Als pdf (deutsch)

Das Urteil im Volltext:

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

6. März 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Bilaterales Investitionsschutzabkommen, das 1991 zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik geschlossen wurde und zwischen dem Königreich der Niederlande und der Slowakischen Republik weitergilt – Bestimmung, die es einem Investor einer Vertragspartei bei einer Streitigkeit mit der anderen Vertragspartei ermöglicht, ein Schiedsgericht anzurufen – Vereinbarkeit mit den Art. 18, 267 und 344 AEUV – Begriff ‚Gericht‘ – Autonomie des Unionsrechts“

In der Rechtssache C‑284/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Mai 2016, in dem Verfahren

Slowakische Republik

gegen

Achmea BV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter), der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, J. Malenovský und E. Levits, der Richter E. Juhász, A. Borg Barthet, J.-C. Bonichot und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, M. Vilaras und E. Regan,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Slowakischen Republik, vertreten durch M. Burgstaller, Solicitor, und Rechtsanwalt K. Pörnbacher,
– der Achmea BV, vertreten durch Rechtsanwälte M. Leijten, D. Maláčová, H. Bälz und R. Willer sowie A. Marsman, advocaat,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und M. Hedvábná als Bevollmächtigte,
– der estnischen Regierung, vertreten durch K. Kraavi-Käerdi und N. Grünberg als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch S. Charitaki, S. Papaioannou und G. Karipsiadis als Bevollmächtigte,
– der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta und A. Rubio González als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und D. Segoin als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
– der zyprischen Regierung, vertreten durch E. Symeonidou und E. Zachariadou als Bevollmächtigte,
– der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und G. Bambāne als Bevollmächtigte,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und M. Klamert als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, L. Bosek, R. Szczęch und M. Cichomska als Bevollmächtigte,
– der rumänischen Regierung, vertreten durch R. H. Radu als Bevollmächtigten im Beistand von R. Mangu und E. Gane, consilieri,
– der finnischen Regierung, vertreten durch S. Hartikainen als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Maxian Rusche, J. Baquero Cruz, L. Malferrari und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. September 2017

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18, 267 und 344 AEUV.

2 Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Slowakischen Republik und der Achmea BV über einen Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012, den das im Abkommen zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen (im Folgenden: BIT) vorgesehene Schiedsgericht erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

BIT

3 Das im Jahr 1991 geschlossene BIT trat am 1. Januar 1992 in Kraft. Nach seinem Art. 3 Abs. 1 verpflichten sich die Vertragsparteien, für die Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei eine faire und gerechte Behandlung sicherzustellen sowie Verwaltung, Erhaltung, Nutzung, Genuss oder Veräußerung dieser Investitionen nicht durch unbillige oder diskriminierende Maßnahmen zu beeinträchtigen. Gemäß Art. 4 des BIT gewährleistet jede Vertragspartei den freien Transfer von mit einer Investition in Zusammenhang stehenden Zahlungen, u. a. Gewinnen, Zinsen und Dividenden, in frei konvertierbarer Währung ohne unangemessene Beschränkung oder Verzögerung.

4 Art. 8 des Abkommens lautet:

„1. Alle Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei bezüglich einer Investition de[s] Letzteren sind, falls möglich, gütlich beizulegen.

2. Jede Vertragspartei stimmt hiermit zu, dass eine in Absatz 1 dieses Artikels genannte Streitigkeit einem Schiedsgericht vorgetragen wird, falls die Streitigkeit innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten ab dem Datum, an dem eine Partei der Streitigkeit die gütliche Beilegung gewünscht hat, nicht gütlich beigelegt ist.

3. Das in Absatz 2 dieses Artikels genannte Schiedsgericht wird für jeden einzelnen Fall in der folgenden Weise gebildet: Jede Partei der Streitigkeit ernennt ein Mitglied des Schiedsgerichts, und die beiden derartig ernannten Mitglieder wählen einen Angehörigen eines dritten Staates als Vorsitzenden des Schiedsgerichts. Jede Partei der Streitigkeit ernennt ihr Mitglied des Schiedsgerichts innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten ab dem Datum, an dem der Investor der anderen Vertragspartei seine Entscheidung mitgeteilt hat, die Streitigkeit dem Schiedsgericht vorzulegen, und der Vorsitzende wird innerhalb von drei Monaten ab diesem Datum ernannt.

4. Wurden die Ernennungen nicht innerhalb der oben genannten Fristen vorgenommen, so kann jede Partei der Streitigkeit den Präsidenten des Schiedsgerichtsinstituts der Stockholmer Handelskammer bitten, die erforderlichen Ernennungen vorzunehmen. Besitzt der Präsident die Staatsangehörigkeit einer der Vertragsparteien oder ist er aus einem anderen Grund an der Ausübung dieses Mandats verhindert, so wird der Vizepräsident gebeten, die erforderlichen Ernennungen vorzunehmen. Besitzt auch der Vizepräsident die Staatsangehörigkeit einer der Vertragsparteien oder ist auch er an der Ausübung des genannten Mandats verhindert, so wird das älteste Mitglied des Schiedsgerichtsinstituts, das nicht die Staatsangehörigkeit einer der Vertragsparteien besitzt, gebeten, die erforderlichen Ernennungen vorzunehmen.

5. Das Schiedsgericht wird sein eigenes Verfahren unter Anwendung der Schiedsordnung der UNCITRAL festlegen.

6. Das Schiedsgericht hat auf der Grundlage des Rechts zu entscheiden und dabei insbesondere, aber nicht ausschließlich zu berücksichtigen:

– das geltende Recht der betroffenen Vertragspartei;

– die Bestimmungen dieses Abkommens und anderer erheblicher Abkommen zwischen den Vertragsparteien;

– die Bestimmungen besonderer Vereinbarungen in Bezug auf die Investition;

– die allgemeinen Grundsätze des internationalen Rechts.

7. Das Schiedsgericht entscheidet mit Stimmenmehrheit; seine Entscheidung ist endgültig und für die Parteien der Streitigkeit bindend.“

Deutsches Recht

5 Nach § 1059 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Schiedsspruch nur aufgehoben werden, wenn einer der in dieser Vorschrift vorgesehenen Aufhebungsgründe vorliegt. So liegt u. a. ein Aufhebungsgrund vor, wenn die Schiedsvereinbarung nach dem Recht, dem die Parteien sie unterstellt haben, ungültig ist oder wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs der öffentlichen Ordnung widerspräche.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6 Am 1. Januar 1993 trat die Slowakische Republik als Rechtsnachfolgerin der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik in deren Rechte und Pflichten aus dem BIT ein, und am 1. Mai 2004 wurde sie Mitglied der Europäischen Union.

7 Im Zuge einer Reform ihres Gesundheitswesens öffnete die Slowakische Republik im Jahr 2004 den slowakischen Markt für in- und ausländische Anbieter privater Krankenversicherungen. Nach ihrer Zulassung als Krankenversicherer eröffnete Achmea, ein zu einem niederländischen Versicherungskonzern gehörendes Unternehmen, in der Slowakei eine Tochtergesellschaft, in die sie Kapital einbrachte und über die sie private Krankenversicherungen auf dem slowakischen Markt anbot.

8 Im Jahr 2006 machte die Slowakische Republik die Liberalisierung des privaten Krankenversicherungsmarkts teilweise rückgängig. Insbesondere verbot sie mit einem Gesetz vom 25. Oktober 2007 die Ausschüttung von Gewinnen aus dem privaten Krankenversicherungsgeschäft. Nachdem der Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgerichtshof der Slowakischen Republik) mit Urteil vom 26. Januar 2011 erklärt hatte, dass dieses Verbot gegen die slowakische Verfassung verstoße, ließ die Slowakische Republik mit einem am 1. August 2011 in Kraft getretenen Gesetz die fraglichen Gewinnausschüttungen wieder zu.

9 Da Achmea der Auffassung war, dass die gesetzlichen Maßnahmen der Slowakischen Republik ihr einen Schaden zugefügt hätten, leitete sie ab Oktober 2008 gemäß Art. 8 des BIT gegen diesen Mitgliedstaat ein Schiedsverfahren ein.

10 Da Frankfurt am Main (Deutschland) als Schiedsort festgelegt wurde, ist auf das fragliche Schiedsverfahren das deutsche Recht anwendbar.

11 Die Slowakische Republik erhob in diesem Schiedsverfahren eine Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts. Sie machte insoweit geltend, dass aufgrund ihres Beitritts zur Union der in Art. 8 Abs. 2 des BIT vorgesehene Rückgriff auf ein Schiedsverfahren mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren sei. Mit Zwischenentscheid vom 26. Oktober 2010 wies das Schiedsgericht diese Einrede zurück. Die dagegen gerichteten Aufhebungsanträge der Slowakischen Republik vor den deutschen Gerichten im ersten Rechtszug und im Rechtsmittelverfahren blieben erfolglos.

12 Mit Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012 verurteilte das Schiedsgericht die Slowakische Republik, an Achmea Schadensersatz in Höhe von 22,1 Mio. Euro zu zahlen. Die Slowakische Republik erhob beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Deutschland) Klage auf Aufhebung dieses Schiedsspruchs. Gegen die Zurückweisung ihres Antrags durch das Oberlandesgericht richtet sich die Rechtsbeschwerde der Slowakischen Republik beim Bundesgerichtshof (Deutschland).

13 Das vorlegende Gericht führt aus, dass das BIT seit dem Beitritt der Slowakischen Republik zur Union am 1. Mai 2004 ein Abkommen zwischen Mitgliedstaaten sei und daher im Streitfall die Bestimmungen des Unionsrechts in den von ihnen geregelten Bereichen Vorrang vor den Bestimmungen des BIT hätten.

14 Die Slowakische Republik äußert insoweit Zweifel an der Vereinbarkeit der Schiedsklausel in Art. 8 des BIT mit den Art. 18, 267 und 344 AEUV. Auch wenn das vorlegende Gericht diese Zweifel nicht teilt, hält es gleichwohl für seine Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit eine Befassung des Gerichtshofs mit dem Vorabentscheidungsersuchen für erforderlich, da der Gerichtshof über diese Fragen bislang nicht entschieden habe und sie wegen der zahlreichen bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedstaaten, die eine ähnliche Schiedsklausel enthielten, von erheblicher Bedeutung seien.

15 Das vorlegende Gericht hat erstens Zweifel an der Anwendbarkeit von Art. 344 AEUV an sich. Zunächst betreffe diese Bestimmung nach Gegenstand und Zielsetzung, auch wenn ihr Wortlaut keinen eindeutigen Schluss darauf zulasse, keine Streitigkeiten zwischen einem Einzelnen und einem Mitgliedstaat.

16 Sodann erfasse Art. 344 AEUV nur Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der Verträge. Darum gehe es jedoch im Ausgangsverfahren nicht, da der Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012 allein auf der Grundlage des BIT gefällt worden sei.

17 Schließlich diene Art. 344 AEUV dazu, die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung und damit die Autonomie des Rechtssystems der Union zu gewährleisten, deren Wahrung der Gerichtshof sichere, und sei gleichzeitig eine spezifische Ausprägung der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber dem Gerichtshof. Daraus könne jedoch nicht hergeleitet werden, dass Art. 344 AEUV die Entscheidungskompetenz des Gerichtshofs für jegliche Rechtsstreitigkeit schütze, in der Unionsrecht zur Anwendung oder Auslegung gelangen könne. Tatsächlich schütze diese Vorschrift die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs nur, soweit die Mitgliedstaaten die in den Verträgen vorgesehenen Verfahren vor diesem in Anspruch nehmen müssten. Ein Rechtsstreit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende könne jedoch nicht in einem Verfahren vor den Unionsgerichten entschieden werden. Die Verträge sähen nämlich kein gerichtliches Verfahren vor, das einem Investor wie Achmea ermögliche, gegenüber einem Mitgliedstaat den Schadensersatzanspruch aus einem bilateralen Investitionsschutzabkommen wie dem BIT vor den Unionsgerichten geltend zu machen.

18 Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 267 AEUV einer Schiedsklausel wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht.

19 Insoweit weist es zunächst darauf hin, dass das Schiedsverfahren für sich allein nicht geeignet sei, die von Art. 267 AEUV bezweckte Einheitlichkeit der Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen. Auch wenn das Schiedsgericht nach Art. 8 Abs. 6 des BIT das Unionsrecht beachten und im Kollisionsfall als vorrangiges Recht anwenden müsse, habe es jedoch nicht die Möglichkeit, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, da es nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden könne.

20 Sodann führt das vorlegende Gericht aus, dass im vorliegenden Fall die einheitliche Auslegung des Unionsrechts dennoch als sichergestellt angesehen werden könne, da ein staatliches Gericht vor der Vollstreckung aus dem Schiedsspruch ersucht werden könne, die Vereinbarkeit des Schiedsspruchs mit dem Unionsrecht zu prüfen, und den Gerichtshof gegebenenfalls mit einem Vorabentscheidungsersuchen befassen könne. Darüber hinaus zähle nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO ein Verstoß der Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs gegen die öffentliche Ordnung zu den Gründen für die Aufhebung eines solchen Schiedsspruchs. Im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Schiedssprüchen in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten könnte die Kontrollbefugnis der nationalen Gerichte über einen Schiedsspruch zu einer Rechtsstreitigkeit zwischen einem privaten Unternehmen und einem Mitgliedstaat wirksam auf Verstöße gegen grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts allein beschränkt werden. Dieser Umstand sollte nach Auffassung des vorlegenden Gerichts jedoch nicht dazu führen, dass eine Schiedsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gegen Art. 267 AEUV verstoße.

21 Schließlich habe der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine internationale Übereinkunft, die für die Auslegung und Anwendung ihrer Bestimmungen ein besonderes Gericht außerhalb der Unionsrechtsordnung vorsehe, mit dem Unionsrecht vereinbar sei, sofern die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt werde. Der Gerichtshof habe keine Bedenken gegenüber der Errichtung eines Gerichtssystems geäußert, das im Wesentlichen die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung und Anwendung der fraglichen internationalen Übereinkunft selbst zum Gegenstand habe und weder die Zuständigkeiten der Gerichte der Mitgliedstaaten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts noch deren Befugnis oder Verpflichtung berühre, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. Das im Ausgangsverfahren fragliche Schiedsgericht habe jedoch gerade über den Verstoß gegen Bestimmungen des BIT zu entscheiden gehabt, die es im Licht des Unionsrechts und insbesondere der Bestimmungen zum freien Kapitalverkehr habe auslegen müssen.

22 Drittens stellt das vorlegende Gericht fest, dass die Investoren anderer Mitgliedstaaten als das Königreich der Niederlande und die Slowakische Republik im Unterschied zu den niederländischen und slowakischen Investoren nicht die Möglichkeit hätten, anstelle des staatlichen Gerichts ein Schiedsgericht anzurufen, was einen erheblichen Nachteil darstelle, der eine gegen Art. 18 AEUV verstoßende Diskriminierung sein könne. Allerdings sei die auf einem unionsinternen bilateralen Abkommen beruhende Beschränkung von Vergünstigungen für die Angehörigen der vertragschließenden Mitgliedstaaten nur dann diskriminierend, wenn sich die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, denen diese Vergünstigung nicht zugutekomme, in einer objektiv vergleichbaren Lage befänden. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, denn der Umstand, dass die gegenseitigen Rechte und Pflichten nur für die Personen gälten, die in einem der beiden Vertragsmitgliedstaaten ansässig seien, sei eine Konsequenz, die sich aus dem Wesen bilateraler Abkommen ergebe.

23 Nach alledem hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht Art. 344 AEUV der Anwendung einer Regelung in einem bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen Mitgliedstaaten der Union (einem sogenannten unionsinternen BIT) entgegen, nach der ein Investor eines Vertragsstaats bei einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Vertragsstaat gegen Letzteren ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, wenn das Investitionsschutzabkommen vor dem Beitritt eines der Vertragsstaaten zur Union abgeschlossen worden ist, das Schiedsgerichtsverfahren aber erst danach eingeleitet werden soll?

Falls Frage 1 zu verneinen ist:

2. Steht Art. 267 AEUV der Anwendung einer solchen Regelung entgegen?

Falls die Fragen 1 und 2 zu verneinen sind:

3. Steht Art. 18 Abs. 1 AEUV unter den in Frage 1 beschriebenen Umständen der Anwendung einer solchen Regelung entgegen?

Zu den Anträgen auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

24 Nach der Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts am 19. September 2017 haben die tschechische, die ungarische und die polnische Regierung mit Schreiben, die am 3. November und am 19. und 16. Oktober 2017 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beantragt.

25 Diese Regierungen stützen ihre Anträge darauf, dass sie mit den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht einverstanden seien.

26 Es ist jedoch zum einen darauf hinzuweisen, dass die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und die Verfahrensordnung des Gerichtshofs keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung bezeichneten Beteiligten vorsehen, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (Urteil vom 22. Juni 2017, Federatie Nederlandse Vakvereniging u. a., C‑126/16, EU:C:2017:489, Rn. 30).

27 Zum anderen stellt der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Der Gerichtshof ist weder an diese Schlussanträge noch an ihre Begründung durch den Generalanwalt gebunden. Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (Urteil vom 25. Oktober 2017, Polbud – Wykonawstwo, C‑106/16, EU:C:2017:804, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28 Der Gerichtshof kann jedoch gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist (Urteil vom 22. Juni 2017, Federatie Nederlandse Vakvereniging u. a., C‑126/16, EU:C:2017:489, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29 Da im vorliegenden Fall jedoch die Anträge lediglich darauf gestützt sind, dass die tschechische, die ungarische und die polnische Regierung den Schlussanträgen des Generalanwalts widersprechen, und kein neues entscheidungserhebliches Vorbringen enthalten, ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts zu dem Ergebnis gelangt, dass er über alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen verfügt und dass diese zwischen den Beteiligten erörtert worden sind.

30 Daher sind die Anträge auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zurückzuweisen.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

31 Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 267 und 344 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung in einer internationalen Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten wie Art. 8 des BIT entgegenstehen, nach der ein Investor eines dieser Mitgliedstaaten im Fall einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Mitgliedstaat gegen diesen ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat.

32 Für die Beantwortung dieser Fragen ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine internationale Übereinkunft die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung und damit die Autonomie des Rechtssystems der Union, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, nicht beeinträchtigen darf. Dieser Grundsatz ist insbesondere in Art. 344 AEUV verankert; danach verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Verträge nicht anders als hierin vorgesehen zu regeln (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 201 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wird die Autonomie des Unionsrechts gegenüber sowohl dem Recht der Mitgliedstaaten als auch dem Völkerrecht durch die wesentlichen Merkmale der Union und ihres Rechts gerechtfertigt, die die Verfassungsstruktur der Union sowie das Wesen dieses Rechts selbst betreffen. Das Unionsrecht ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass es einer autonomen Quelle, den Verträgen, entspringt und Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten hat, sowie durch die unmittelbare Wirkung einer ganzen Reihe für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen. Solche Merkmale haben zu einem strukturierten Netz von miteinander verflochtenen Grundätzen, Regeln und Rechtsbeziehungen geführt, das die Union selbst und ihre Mitgliedstaaten wechselseitig sowie die Mitgliedstaaten untereinander bindet (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 165 bis 167 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34 Das Unionsrecht beruht somit auf der grundlegenden Prämisse, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 EUV heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden. In eben diesem Zusammenhang obliegt es den Mitgliedstaaten nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet insbesondere für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen und zu diesem Zweck alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Unionsorgane ergeben, zu ergreifen (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 168 und 173 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

35 Um sicherzustellen, dass die besonderen Merkmale und die Autonomie der Rechtsordnung der Union erhalten bleiben, haben die Verträge ein Gerichtssystem geschaffen, das zur Gewährleistung der Kohärenz und der Einheitlichkeit bei der Auslegung des Unionsrechts dient (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 174 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 In diesem Rahmen ist es gemäß Art. 19 EUV Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus ihm erwachsen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/09 [Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems] vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 68, und 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 175, sowie Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 33).

37 Insbesondere besteht das Schlüsselelement des so gestalteten Gerichtssystems in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren, das durch die Einführung eines Dialogs von Gericht zu Gericht gerade zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 176 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Im Licht dieser Erwägungen sind die erste und die zweite Vorlagefrage zu beantworten.

39 Hierfür ist als Erstes zu prüfen, ob sich die Streitigkeiten, über die das in Art. 8 des BIT genannte Schiedsgericht zu erkennen hat, auf die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts beziehen können.

40 Selbst wenn man sich insoweit dem Vorbringen von Achmea anschlösse, dass dieses Schiedsgericht ungeachtet des sehr weiten Wortlauts von Art. 8 Abs. 1 des BIT nur über einen möglichen Verstoß gegen dieses Abkommen zu befinden habe, änderte dies nichts daran, dass es dafür nach Art. 8 Abs. 6 des BIT u. a. das geltende Recht der betroffenen Vertragspartei und alle erheblichen Abkommen zwischen den Vertragsparteien zu berücksichtigen hat.

41 Das Unionsrecht ist jedoch angesichts seines Wesens und seiner Merkmale, auf die oben in Rn. 33 Bezug genommen worden ist, sowohl als Teil des in jedem Mitgliedstaat geltenden Rechts als auch als einem internationalen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten entsprungen anzusehen.

42 Folglich hat unter diesen beiden Aspekten das in Art. 8 des BIT vorgesehene Schiedsgericht gegebenenfalls das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Grundfreiheiten, darunter die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit, auszulegen oder sogar anzuwenden.

43 Somit ist als Zweites zu prüfen, ob ein Schiedsgericht wie das in Art. 8 des BIT vorgesehene zum Gerichtssystem der Union gehört und, insbesondere, ob es als ein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden kann. Aus der Zugehörigkeit eines von den Mitgliedstaaten geschaffenen Gerichts zum Gerichtssystem der Union folgt nämlich, dass seine Entscheidungen geeigneten Mechanismen zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts unterliegen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/09 [Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems] vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44 Insoweit hat der Gerichtshof in der Rechtssache, in der das Urteil vom 12. Juni 2014, Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta (C‑377/13, EU:C:2014:1754), ergangen ist, die Einstufung des fraglichen Gerichts als „Gericht eines Mitgliedstaats“ daraus hergeleitet, dass es insgesamt ein in der portugiesischen Verfassung selbst vorgesehener Teil des Systems der gerichtlichen Streitentscheidung in Steuerangelegenheiten war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2014, Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta, C‑377/13, EU:C:2014:1754, Rn. 25 und 26).

45 In der Rechtssache des Ausgangsverfahrens ist das Schiedsgericht jedoch kein Teil des in den Niederlanden und in der Slowakei bestehenden Gerichtssystems. Im Übrigen ist gerade der Ausnahmecharakter seiner Gerichtsbarkeit im Verhältnis zu der der Gerichte dieser beiden Mitgliedstaaten einer der Hauptgründe für das Bestehen von Art. 8 des BIT.

46 Infolge dieses Merkmals des im Ausgangsverfahren fraglichen Schiedsgerichts kann dieses jedenfalls nicht als Gericht „eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV eingestuft werden.

47 Zwar hat der Gerichtshof befunden, dass nichts dagegen spricht, dass ein mehreren Mitgliedstaaten gemeinsames Gericht wie der Benelux-Gerichtshof dem Gerichtshof ebenso wie die Gerichte der einzelnen Mitgliedstaaten Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. November 1997, Parfums Christian Dior, C‑337/95, EU:C:1997:517, Rn. 21, und vom 14. Juni 2011, Miles u. a., C‑196/09, EU:C:2011:388, Rn. 40).

48 Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Schiedsgericht stellt jedoch kein solches mehreren Mitgliedstaaten gemeinsames Gericht dar, das mit dem Benelux-Gerichtshof vergleichbar wäre. Während nämlich zum einen dieser die Aufgabe hat, die einheitliche Anwendung der den drei Beneluxstaaten gemeinsamen Rechtsvorschriften zu gewährleisten, und zum anderen das Verfahren vor ihm ein Zwischenstreit in den vor den nationalen Gerichten anhängigen Verfahren ist, nach dessen Abschluss die endgültige Auslegung der den Beneluxstaaten gemeinsamen Rechtsvorschriften feststeht, weist das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Schiedsgericht keine derartigen Verbindungen mit den Gerichtssystemen der Mitgliedstaaten auf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2011, Miles u. a., C 196/09, EU:C:2011:388, Rn. 41).

49 Daher kann ein Gericht wie das in Art. 8 des BIT genannte nicht als ein „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden und ist folglich nicht befugt, den Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen anzurufen.

50 Unter diesen Umständen bleibt noch als Drittes zu prüfen, ob der Schiedsspruch eines solchen Gerichts im Einklang insbesondere mit Art. 19 EUV der Kontrolle durch ein Gericht eines Mitgliedstaats unterliegt, die gewährleistet, dass die unionsrechtlichen Fragen, die das Schiedsgericht zu behandeln haben könnte, eventuell im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem Gerichtshof vorgelegt werden könnten.

51 Insoweit ist zu beachten, dass nach Art. 8 Abs. 7 des BIT die Entscheidung des in diesem Artikel vorgesehenen Schiedsgerichts endgültig ist. Zudem legt das Schiedsgericht nach Art. 8 Abs. 5 des BIT sein eigenes Verfahren unter Anwendung der Schiedsordnung der UNCITRAL fest und wählt insbesondere seinen Sitz und damit das Recht, das für das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des Schiedsspruchs gilt, mit dem es die bei ihm anhängige Streitigkeit beilegt.

52 Im vorliegenden Fall hat das von Achmea angerufene Schiedsgericht als Schiedsort Frankfurt am Main gewählt, so dass für das Verfahren der gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit des am 7. Dezember 2012 ergangenen Schiedsspruchs das deutsche Recht anwendbar wurde. Es ist somit diese Wahl, die es der Slowakischen Republik als Streitpartei erlaubt hat, nach diesem Recht eine gerichtliche Überprüfung des Schiedsspruchs zu beantragen und zu diesem Zweck das zuständige deutsche Gericht anzurufen.

53 Es ist jedoch festzustellen, dass eine solche gerichtliche Überprüfung durch dieses Gericht nur vorgenommen werden kann, soweit das nationale Recht sie gestattet. Darüber hinaus sieht § 1059 Abs. 2 ZPO nur eine beschränkte Überprüfung vor, die sich u. a. auf die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung nach dem anwendbaren Recht und auf die Frage bezieht, ob die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs die öffentliche Ordnung wahrt.

54 Für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass die Erfordernisse der Wirksamkeit des Schiedsverfahrens es rechtfertigen, Schiedssprüche durch die Gerichte der Mitgliedstaaten nur in beschränktem Umfang zu überprüfen, soweit die grundlegenden Bestimmungen des Unionsrechts im Rahmen dieser Kontrolle geprüft werden können und gegebenenfalls Gegenstand einer Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Juni 1999, Eco Swiss, C‑126/97, EU:C:1999:269, Rn. 35, 36 und 40, und vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro, C‑168/05, EU:C:2006:675, Rn. 34 bis 39)

55 Ein Schiedsverfahren wie das in Art. 8 des BIT vorgesehene unterscheidet sich jedoch von einem Handelsschiedsverfahren. Während Letzteres nämlich auf der Parteiautonomie beruht, leitet sich Ersteres aus einem Vertrag her, in dem Mitgliedstaaten übereingekommen sind, der Zuständigkeit ihrer eigenen Gerichte und damit dem System von gerichtlichen Rechtsbehelfen, dessen Schaffung ihnen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen vorschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 34), Rechtsstreitigkeiten zu entziehen, die die Anwendung und Auslegung des Unionsrechts betreffen können. Daher lassen sich die in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Überlegungen zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit nicht auf ein Schiedsverfahren wie das in Art. 8 des BIT vorgesehene übertragen.

56 Folglich ist unter Berücksichtigung aller in Art. 8 des BIT vorgesehenen und oben in den Rn. 39 bis 55 erörterten Merkmale des Schiedsgerichts festzustellen, dass mit dem Abschluss des BIT die an ihm beteiligten Mitgliedstaaten einen Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen einem Investor und einem Mitgliedstaat geschaffen haben, der ausschließen kann, dass über diese Streitigkeiten, obwohl sie die Auslegung oder Anwendung des Unionsrechts betreffen könnten, in einer Weise entschieden wird, die die volle Wirksamkeit des Unionsrechts gewährleistet.

57 Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine internationale Übereinkunft, die die Schaffung eines mit der Auslegung ihrer Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, dessen Entscheidungen für die Organe, einschließlich des Gerichtshofs, bindend sind, grundsätzlich nicht mit dem Unionsrecht unvereinbar. Die Zuständigkeit der Union im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Fähigkeit zum Abschluss internationaler Übereinkünfte umfassen nämlich notwendigerweise die Möglichkeit, sich den Entscheidungen eines durch solche Übereinkünfte geschaffenen oder bestimmten Gerichts in Bezug auf die Auslegung und Anwendung ihrer Bestimmungen zu unterwerfen, sofern die Autonomie der Union und ihrer Rechtsordnung gewahrt bleibt (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/91 [EWR-Abkommen I] vom 14. Dezember 1991, EU:C:1991:490, Rn. 40 und 70, 1/09 [Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems] vom 8. März 2011, EU:C:2011:123, Rn. 74 und 76, sowie 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 182 und 183).

58 Indessen ist im vorliegenden Fall außer dem Umstand, dass die Streitigkeiten, die unter die Gerichtsbarkeit des in Art. 8 des BIT vorgesehenen Schiedsgerichts fallen, die Auslegung sowohl dieser Übereinkunft als auch des Unionsrechts betreffen können, die Möglichkeit der Zuweisung dieser Streitigkeiten zu einer Einrichtung, die nicht Teil des Gerichtssystems der Union ist, in einer Übereinkunft vorgesehen, die nicht von der Union, sondern von den Mitgliedstaaten geschlossen wurde. Art. 8 des BIT ist jedoch geeignet, neben dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten die Erhaltung des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts, die durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren gewährleistet wird, in Frage zu stellen, und ist daher nicht mit der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils erwähnten Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit vereinbar.

59 Demnach beeinträchtigt Art. 8 des BIT die Autonomie des Unionsrechts.

60 Daher ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Art. 267 und 344 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Bestimmung in einer internationalen Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten wie Art. 8 des BIT entgegenstehen, nach der ein Investor eines dieser Mitgliedstaaten im Fall einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Mitgliedstaat gegen diesen ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat.

Zur dritten Frage

61 Angesichts der Beantwortung der ersten und der zweiten Frage braucht die dritte Frage nicht beantwortet zu werden.

Kosten

62 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 267 und 344 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Bestimmung in einer internationalen Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten wie Art. 8 des Abkommens zwischen dem Königreich der Niederlande und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen entgegenstehen, nach der ein Investor eines dieser Mitgliedstaaten im Fall einer Streitigkeit über Investitionen in dem anderen Mitgliedstaat gegen diesen ein Verfahren vor einem Schiedsgericht einleiten darf, dessen Gerichtsbarkeit sich dieser Mitgliedstaat unterworfen hat.

Lenaerts

Tizzano

Ilešič

Bay Larsen

von Danwitz

Malenovský

Levits

Juhász

Borg Barthet

Bonichot

Biltgen

Jürimäe

Lycourgos

Vilaras

Regan

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. März 2018.

Der Kanzler

Der Präsident

A. Calot Escobar

K. Lenaerts
* Verfahrenssprache: Deutsch.

Mehr hier

PM Berliner Wassertisch: STOP TTIP & CETA Initiative siegt beim Europäischen Gericht gegen EU-Kommission

(Berlin, 11. Mai 2017) Gestern hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) einen Beschluss der EU-Kommission für nichtig erklärt, womit diese 2014 die europaweite Unterschriftensammlung gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA verhindern wollte.

Am 10. September 2014 erklärte die EU-Kommission die vom Netzwerk StopTTIP beantragte Europäische Bürgerinitiative StopTTIP (EBI StopTTIP) für unzulässig. Das Netzwerk, in dem sich Hunderte von Organisationen, darunter der Berliner Wassertisch, engagieren, ließ sich davon nicht entmutigen und startete am 7. Oktober 2014 eine selbstorganisierte EBI (sEBI). Tatsächlich folgten über 3 Millionen EU-BürgerInnen dem Aufruf und unterschrieben die Forderung an die EU-Kommission, die Investitionsschutzabkommen TTIP und CETA zu stoppen. Angesichts der beispiellosen Zustimmung zur Bürgerinitiative StopTTIP und der Kritik des EuG am Demokratieverständnis der Kommission muss diese nun aufgefordert werden, die selbstorganisierte EBI nachträglich offiziell anzuerkennen und eine Anhörung im EU-Parlament durchzuführen.

Dazu Wolfgang Rebel, Pressesprecher des Berliner Wassertischs: „Die EU-Kommission muss die EBI >Stop TTIP und CETA< nun umsetzen. Eine Bürgerinitiative mit über 3 Millionen UnterzeichnerInnen darf nicht ignoriert werden. Jetzt ist die Gelegenheit zu zeigen, dass die EU den politischen Willen ihrer BürgerInnen respektiert.“

Das Demokratiedefizit der EU-Kommission

In der nun vorliegenden Urteilsbegründung sah sich der EuG genötigt, die EU-Kommission angesichts ihrer offensichtlichen Fehlinterpretation an den Demokratiegrundsatz der EU zu erinnern. Mit den Bürgerinitiativen werde vom Gesetzgeber das Ziel verfolgt, das „allgemeine Recht auf Beteiligung am demokratischen Leben“ zu sichern, so der EuG. Die eigenwillige Rechtsauffassung der Kommission hätte hingegen „die Inanspruchnahme des Instruments der EBI als Instrument der Beteiligung der Unionsbürger“ stark eingeschränkt. Mit anderen Worten: Die EU-Kommission setzt noch nicht einmal die demokratischen Mindeststandards der EU-Gesetzgebung um.

CETA per Verfahrenstrick?

Insbesondere bei CETA hat sich die falsche „Rechtsinterpretation“ der Kommission nachteilig ausgewirkt. Die Argumente der Bürgerinitiative konnten vor der Abstimmung von EU-Rat und -Parlament zu CETA nicht mehr in den politischen Prozess einfließen. Die UnionsbürgerInnen wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Wer jedoch Verträge, die „eine Änderung der Rechtsordnung der Union“ (EuG) bewirken, mit der Hilfe von fragwürdigen Methoden durchdrückt, wird die schon bestehende EU-Verdrossenheit nur noch weiter verstärken.

Weiter gegen TTIP und CETA

Noch können die Abkommen gestoppt werden. Der Berliner Wassertisch ruft darum auf, anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg gegen TTIP, CETA, TiSA und für einen gerechten Welthandel auf die Straße zu gehen. Am 2. Juli starten die Aktionen in Hamburg mit der Protestwelle: www.G20-Protestwelle.de

Weiterführender Link: Materialien zum Urteil hier
Pressemitteilung als pdf

 

Kontakt: Berliner Wassertisch
c/o GRÜNE LIGA Berlin e.V.
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin

Wolfgang Rebel, Telefon: 0152 57 23 34 84
Rainer Heinrich, Telefon: 030 / 915 092 41                     

E-Mail: webmaster@berliner-wassertisch.info
Web: www.berliner-wassertisch.info

Twitter: @BWassertisch
Facebook: http://facebook.com/BWassertisch

Europ. Bürgerinitiative StopTTIP-StopCETA. URTEIL DES GERICHTS in der Rechtssache T‑754/14

InfoCuria – Rechtsprechung des Gerichtshofs

URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

10. Mai 2017(*)

„Institutionelles Recht – Europäische Bürgerinitiative – Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen – Offenkundiges Fehlen von Befugnissen der Kommission – Vorschlag für einen Rechtsakt zur Anwendung der Verträge – Art. 11 Abs. 4 EUV – Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 – Gleichbehandlung“

In der Rechtssache T‑754/14

Michael Efler, wohnhaft in Berlin (Deutschland), und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Kläger(1), Prozessbevollmächtigter: Prof. Dr. B. Kempen,

Kläger,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch J. Laitenberger und H. Krämer, dann durch H. Krämer und schließlich durch H. Krämer und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Beschlusses C (2014) 6501 final der Kommission vom 10. September 2014, mit dem der Antrag auf Registrierung der Europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“ abgelehnt wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie der Richter E. Buttigieg (Berichterstatter) und L. Calvo‑Sotelo Ibáñez‑Martín,

Kanzler: S. Bukšek Tomac, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2016

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1 Der Rat der Europäischen Union ermächtigte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften durch Beschluss vom 27. April 2009 zur Aufnahme von Verhandlungen mit Kanada über den Abschluss eines Freihandelsabkommens, das später die Bezeichnung „Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“ (Comprehensive Economic and Trade Agreement, im Folgenden: CETA) erhielt. Durch Beschluss vom 14. Juni 2013 ermächtigte der Rat die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika über den Abschluss eines Freihandelsabkommens, das später die Bezeichnung „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership, im Folgenden: TTIP) erhielt.

2 Am 15. Juli 2014 übermittelten die Kläger, Herr Michael Efler und die weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Kläger, in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des zu diesem Zweck gegründeten Bürgerausschusses der Kommission einen Antrag auf Registrierung der geplanten Europäischen Bürgerinitiative (im Folgenden: EBI) „Stop TTIP“ (im Folgenden: geplante Bürgerinitiative). Die geplante Bürgerinitiative gibt als ihren Gegenstand an, „dass die Europäische Kommission dem Rat empfiehlt, das Verhandlungsmandat für das [TTIP] aufzuheben und das [CETA] nicht abzuschließen“. Die geplante Bürgerinitiative nennt als verfolgte Ziele: „TTIP und CETA [zu] verhindern, da sie mehrere kritische Punkte enthalten wie die Beilegung von Investor‑Staat‑Streitigkeiten und Regeln zur Zusammenarbeit in Regulierungsangelegenheiten, die eine Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit darstellen[, zu] verhindern, dass Standards in den Bereichen Arbeit, Soziales, Umwelt, Privatsphäre und Verbraucherschutz in intransparenten Verhandlungen gesenkt und öffentliche Dienstleistungen (wie beispielsweise die Wasserversorgung) und Kulturgüter dereguliert werden“, und „eine alternative Handels- und Investitionspolitik der [Europäischen Union]“ zu unterstützen. Die geplante Bürgerinitiative führt die Art. 207 und 218 AEUV als ihre Rechtsgrundlage an.

3 Mit dem Beschluss C (2014) 6501 vom 10. September 2014 (im Folgenden: angefochtener Beschluss) lehnte die Kommission unter Berufung auf Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (ABl. 2011, L 65, S. 1) die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative ab.

4 Es heißt darin im Wesentlichen, dass ein Beschluss des Rates über die Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens mit einem Drittland kein Rechtsakt der Europäischen Union sei und eine hierauf bezogene Empfehlung daher keinen geeigneten Vorschlag im Sinne von Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 2 Nr. l der Verordnung Nr. 211/2011 darstelle, da es sich bei einem solchen Beschluss um eine vorbereitende Maßnahme im Hinblick auf den späteren Beschluss des Rates handele, die Unterzeichnung des Abkommens in der verhandelten Fassung zu genehmigen und abzuschließen. Eine solche vorbereitende Maßnahme entfalte nur zwischen den betreffenden Organen Rechtswirkungen, verändere aber nicht das Unionsrecht, im Gegensatz zu dem Beschluss, ein bestimmtes Abkommen zu unterzeichnen und abzuschließen, der Gegenstand einer EBI sein könnte. Die Kommission schließt daraus, dass die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative, soweit sie darauf gerichtet sei, sie aufzufordern, dem Rat eine Empfehlung für einen Beschluss vorzulegen, mit dem die Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen zum Abschluss von TTIP aufgehoben werde, abzulehnen sei.

5 In dem angefochtenen Beschluss heißt es weiter, soweit die geplante Bürgerinitiative so verstanden werden könne, dass sie die Kommission dazu auffordere, dem Rat keine Vorschläge für Beschlüsse über die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA oder TTIP vorzulegen, oder dazu, ihm Vorschläge für Beschlüsse vorzulegen, die Unterzeichnung dieser Abkommen nicht zu genehmigen oder sie nicht abzuschließen, falle eine solche Aufforderung auch nicht in den Anwendungsbereich von Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 211/2011, wonach die EBI auf den Erlass von Rechtsakten der Union abziele, deren es bedürfe, um die Verträge umzusetzen, und die selbständige Rechtswirkungen erzeugten.

6 Der angefochtene Beschluss schließt mit dem Ergebnis, dass die geplante Bürgerinitiative daher offenkundig außerhalb des Rahmens liege, in dem die Kommission befugt sei, im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu unterbreiten, um die Verträge umzusetzen.

Verfahren und Anträge der Parteien

7 Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 10. November 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

8 Die Kläger haben mit besonderem Schriftsatz, der am 15. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, der mit Beschluss vom 23. Mai 2016, Efler u. a./Kommission (T‑754/14 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:306), zurückgewiesen wurde. Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 17. Juli 2016 ein Rechtsmittel gemäß Art. 57 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingelegt, das durch Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 29. September 2016, Efler u. a./Kommission (C‑400/16 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2016:735), zurückgewiesen wurde.

9 Die Kläger beantragen,

– den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

10 Die Kommission beantragt,

– die Klage abzuweisen;

– den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

11 Zur Stützung ihrer Klage berufen sich die Kläger auf zwei Klagegründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 4 EUV sowie die Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 und zweitens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung geltend machen.

12 Was den ersten Klagegrund angeht, tragen die Kläger erstens vor, soweit die Ablehnung der Registrierung der geplanten Bürgerinitiative darauf beruhe, dass Beschlüsse des Rates, mit denen der Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft zugestimmt werden solle, vorbereitende Handlungen darstellten, bestritten sie nicht, dass diese Beschlüsse einen vorbereitenden Charakter hätten. Das sei jedoch auch bei Beschlüssen des Rates, mit denen der Unterzeichnung einer internationalen Übereinkunft zugestimmt werde, der Fall. Außerdem betreffe die Verordnung Nr. 211/2011 allgemein jeden Rechtsakt, ohne sich auf Rechtsakte mit endgültiger Wirkung zu beschränken. Weder die Entstehungsgeschichte der betreffenden Normen noch ihr systematischer Zusammenhang böten Anlass für eine enge Auslegung des Begriffs „Rechtsakt“. Schließlich würde ein Beschluss über die Aufhebung des Verhandlungsmandats der Kommission die Verhandlungen beenden, wäre rechtlich verbindlich und hätte demnach endgültigen Charakter.

13 Die Kläger tragen zweitens vor, soweit die Ablehnung der Registrierung der geplanten Bürgerinitiative darauf beruhe, dass Beschlüsse des Rates, mit denen der Aufnahme von Verhandlungen zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft zugestimmt werde, nur Wirkungen zwischen den fraglichen Organen entfalteten, verbiete es der weite Begriff des Rechtsakts in den Art. 288 bis 292 AEUV, Beschlüssen der Kommission, die außerhalb eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ergingen, die Qualität eines Rechtsakts abzusprechen und sie vom Anwendungsbereich der Bestimmungen über die EBI auszunehmen, da diese Beschlüsse rechtlich verbindlich seien. Weder aus dem Wortlaut, aus dem systematischen Zusammenhang noch aus dem Ziel der Verträge ergebe sich, dass der Grundsatz der Demokratie, auf dem die Union beruhe, nur auf von einem Rechtsakt betroffene Personen anwendbar sein solle. Die Kommission gerate auch in einen Widerspruch zu sich selbst, wenn sie im Übrigen anerkenne, dass eine bejahende europäische Akklamations-Bürgerinitiative, die auf die Unterzeichnung und den Abschluss eines thematisch und inhaltlich bereits festgelegen Abkommens gerichtet sei, zulässig sein solle.

14 Die Kläger tragen drittens vor, soweit der angefochtene Beschluss mit einem behaupteten „destruktiven“ Charakter der vorgeschlagenen Rechtsakte begründet werde, mit denen der Kommission das Verhandlungsmandat für den Abschluss von TTIP entzogen und dem Rat der Vorschlag unterbreitet werden solle, die Unterzeichnung von TTIP und CETA nicht zu genehmigen oder sie nicht abzuschließen, stehe solchen Vorschlägen nicht entgegen, dass der intendierte Rechtsakt nach Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 der „Umsetzung der Verträge“ dienen müsse, da die angestrebten Maßnahmen auf eine wie auch immer geartete Operationalisierung der primärrechtlichen Kompetenzgrundlagen hinausliefen. Das allgemeine Recht der Bürger, sich am demokratischen Leben der Union zu beteiligen, schließe die Möglichkeit ein, darauf hinzuwirken, dass geltende Sekundärrechtsakte modifiziert, geändert und ganz oder teilweise aufgehoben würden. Die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative führe zu einem deutlichen Mehr an öffentlicher Diskussion, was das primäre Ziel jeder EBI sei.

15 Des Weiteren könne zwar, wie die Kommission erstmals in ihrer Klagebeantwortung geltend gemacht habe, jede Art eines völkerrechtlichen Vertrags, mit dem ein bestehender Vertrag außer Kraft oder ein völlig neuer Vertrag in Kraft gesetzt werden solle, von einer EBI angestoßen werden, jedoch sei es widersprüchlich, dass sie nicht darauf gerichtet sein könne, den Abschluss eines in Verhandlung befindlichen Vertrags zu verhindern.

16 Zudem schließe ein Vorschlag an den Rat, CETA nicht zuzustimmen, nicht aus, dass geänderte Entwürfe transatlantischer Freihandelsabkommen später erarbeitet werden könnten.

17 Schließlich liege die geplante Bürgerinitiative jedenfalls nicht „offenkundig“ außerhalb des Rahmens der Befugnis der Kommission, wie es in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 verlangt sei.

18 Die Kommission bemerkt zunächst, dass die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 11 Abs. 4 EUV ins Leere gehe und dass die auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 AEUV erlassene Verordnung Nr. 211/2011 den Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen der Kommission betreffend die Registrierung einer EBI bilde.

19 Die Kommission macht sodann geltend, dass ein Beschluss des Rates, mit dem sie zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft ermächtigt werde, im Gegensatz zu einem Beschluss des Rates, eine solche Übereinkunft zu unterzeichnen, einen lediglich vorbereitenden Charakter habe, da er nur im Verhältnis zwischen den Organen Rechtswirkungen entfalte. Eine systematische und teleologische Auslegung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 führe jedoch zu der Schlussfolgerung, dass ein Rechtsakt mit lediglich vorbereitendem Charakter keinen Rechtsakt im Sinne dieser Bestimmungen darstelle.

20 Im Übrigen könnten nur Rechtsakte, die Rechtswirkungen über das Verhältnis zwischen den Unionsorganen hinaus entfalteten, Gegenstand einer EBI sein, da die demokratische Teilnahme, die sie fördern solle, darauf abziele, dass die Bürger an der Entscheidung über Angelegenheiten mitwirkten, die ihre eigene Rechtssphäre zumindest potenziell beträfen. Der Rat und die Kommission verfügten über hinreichende mittelbare demokratische Legitimation, um Rechtsakte zu erlassen, deren Rechtswirkungen sich auf die Organe beschränkten.

21 Des Weiteren werde mit der geplanten Bürgerinitiative die Regel umgangen, wonach die Kommission durch eine EBI nicht aufgefordert werden könne, einen bestimmten Rechtsakt nicht vorzuschlagen oder einen Beschluss vorzuschlagen, einen bestimmten Rechtsakt nicht zu erlassen. Der Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 211/2011 setze nämlich mit der Bezugnahme auf „ihr weiteres Vorgehen“ voraus, dass eine EBI nur dann zulässig sei, wenn sie auf den Erlass eines Rechtsakts bestimmten Inhalts – oder auf die Aufhebung eines bestehenden Rechtsakts – abziele. Würde die Kommission in ihrer Mitteilung gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 211/2011 ankündigen, keinen Vorschlag für einen entsprechenden Rechtsakt vorzulegen, würde dies zu einer nicht hinnehmbaren politischen Beschränkung ihres Initiativrechts führen. Außerdem könne die Funktion der EBI, die darin bestehe, die Kommission zu veranlassen, sich mit dem den Gegenstand der EBI bildenden Thema öffentlich auseinanderzusetzen und auf diese Weise eine politische Debatte in Gang zu setzen, nur durch eine geplante Bürgerinitiative, die auf den Erlass eines Rechtsakts mit bestimmtem Inhalt – oder auf die Aufhebung eines bestehenden Rechtsakts – abziele, in vollem Maße erfüllt werden. Eine EBI, die auf den Nicht-Erlass eines Ratsbeschlusses abziele, könne nicht mehr die Funktion erfüllen, eine solche politische Debatte überhaupt erst in Gang zu setzen, und würde eine unzulässige Einmischung in den Ablauf eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens bedeuten.

22 Schließlich habe ein Ratsbeschluss über die Nicht-Annahme von TTIP oder CETA, wie er in der geplanten Bürgerinitiative vorgeschlagen werde, keine eigenständige Bedeutung gegenüber dem bloßen Nicht-Erlass eines Ratsbeschlusses über die Genehmigung des Abschlusses des Abkommens, so dass ein solcher Beschluss rechtlich überflüssig sei. Eine EBI mit einem solchen Ziel sei daher funktional äquivalent zu einer EBI, die auf das Unterlassen eines Vorschlags für einen Rechtsakt abziele, und als solche somit unzulässig.

23 Das Gericht weist darauf hin, dass gemäß Art. 11 Abs. 4 EUV Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern können, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.

24 Wie es im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 211/2011 heißt, mit der das Europäische Parlament und der Rat gemäß Art. 24 Abs. 1 AEUV die Bestimmungen über die Verfahren und Bedingungen, die für eine EBI im Sinne des Art. 11 EUV gelten, festgelegt haben, stärkt der EU-Vertrag die Unionsbürgerschaft und führt zu einer weiteren Verbesserung der demokratischen Funktionsweise der Union, indem u. a. festgelegt wird, dass jeder Bürger das Recht hat, sich über eine EBI am demokratischen Leben der Union zu beteiligen (Urteile vom 30. September 2015, Anagnostakis/Kommission, T‑450/12, mit Rechtsmittel angefochten, EU:T:2015:739, Rn. 26, und vom 19. April 2016, Costantini u. a/Kommission, T‑44/14, EU:T:2016:223, Rn. 53 und 73). Weiter heißt es in diesem Erwägungsgrund, dass dieses Verfahren den Bürgern, ähnlich wie dem Parlament gemäß Art. 225 AEUV und dem Rat gemäß Art. 241 AEUV, die Möglichkeit bietet, sich direkt an die Europäische Kommission zu wenden, damit sie einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zur Umsetzung der Verträge unterbreitet.

25 Zu diesem Zweck definiert Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 die EBI als eine Initiative, die der Kommission vorgelegt wird und in der die Kommission aufgefordert wird, im Rahmen ihrer Befugnisse „geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht von Bürgern eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen“, und die die Unterstützung von mindestens einer Million teilnahmeberechtigten Unterzeichnern aus mindestens einem Viertel aller Mitgliedstaaten erhalten hat.

26 Gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 3 der Verordnung Nr. 211/2011 verweigert die Kommission die Registrierung einer geplanten Bürgerinitiative, wenn sie offenkundig außerhalb des Rahmens liegt, in dem die Kommission befugt ist, einen „Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen“.

27 Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung bestimmt, dass die Kommission, wenn bei ihr eine EBI gemäß Art. 9 der Verordnung eingeht, innerhalb von drei Monaten ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zur EBI sowie „ihr weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf ein weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür“ darlegt.

28 In Bezug auf die Tragweite der geplanten Bürgerinitiative haben die Kläger auf eine in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage klargestellt, dass sie nicht zum Ziel habe, die Kommission dazu aufzufordern, dem Rat keinen Vorschlag für einen Rechtsakt über die Zustimmung zur Unterzeichnung von TTIP und CETA und zum Abschluss dieser Abkommen zu unterbreiten, sondern dass sie darauf gerichtet sei, die Kommission aufzufordern, dem Rat zum einen einen Vorschlag für einen Rechtsakt des Rates zu unterbreiten, mit dem das Verhandlungsmandat für den Abschluss von TTIP aufgehoben werde, und zum anderen einen Vorschlag für einen Rechtsakt des Rates, der der Kommission untersage, TTIP und CETA zu unterzeichnen und diese Übereinkünfte abzuschließen.

29 Des Weiteren betrifft die vorliegende Klage nicht die Zuständigkeit der Union zur Verhandlung von TTIP und CETA, sondern die Kläger beanstanden die Gründe, die im angefochtenen Beschluss für die Weigerung angeführt wurden, die geplante Bürgerinitiative zu registrieren, soweit diese darauf abzielt, das Verhandlungsmandat für den Abschluss von TTIP zu beenden sowie die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA und TTIP zu verhindern.

30 In diesem Zusammenhang geht aus dem angefochtenen Beschluss hervor, dass die Kommission der Auffassung ist, der Umstand, dass ein Beschluss des Rates, mit dem sie zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft ermächtigt werde, einen lediglich vorbereitenden Charakter habe und ausschließlich im Verhältnis zwischen den Organen Rechtswirkungen entfalte, verwehre es, diesen Beschluss als Rechtsakt im Sinne der fraglichen Regelungen einzustufen und die geplante Bürgerinitiative zu registrieren, soweit sie auf die Aufhebung eines solchen Beschlusses abziele. Das gelte auch für die geplante Bürgerinitiative, soweit die Kommission mit dieser aufgefordert werde, dem Rat einen Vorschlag über einen Beschluss vorzulegen, der Unterzeichnung der fraglichen Abkommen oder ihrem Abschluss nicht zuzustimmen, da ein solcher Beschluss keine eigenständigen Rechtswirkungen entfalte, wohingegen die EBI gemäß Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 auf den Erlass von Rechtsakten hinwirken wolle, deren es bedürfe, „um die Verträge umzusetzen“; das sei vorliegend nicht der Fall.

31 Wie bereits ausgeführt verweigert die Kommission die Registrierung geplanter Bürgerinitiativen, die offenkundig außerhalb des Rahmens liegen, in dem sie befugt ist, einen „Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen“.

32 Es steht fest, dass die Kommission dem Rat auf eigene Initiative einen Vorschlag für einen Rechtsakt unterbreiten kann, mit dem ihr das Verhandlungsmandat entzogen wird, durch das sie zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft ermächtigt wurde. Auch ist die Kommission nicht daran gehindert, dem Rat einen Vorschlag für einen Beschluss vorzulegen, mit dem er der Unterzeichnung einer ausgehandelten Übereinkunft letztlich nicht zustimmt oder diese nicht abschließt.

33 Dennoch macht die Kommission geltend, dass solche Rechtsakte nicht Gegenstand einer geplanten EBI sein könnten, und trägt zum einen vor, der Akt, Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Vereinbarung aufzunehmen, habe vorbereitenden Charakter und entfalte keine Rechtswirkungen außerhalb der Organe, und zum anderen bedürfe es dieser Rechtsakte, deren Erlass vorgeschlagen werde, nicht, „um die Verträge umzusetzen“.

34 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Parteien darin einig sind, dass ein Beschluss des Rates, mit dem die Kommission gemäß den Art. 207 und 218 AEUV zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft ermächtigt wird, eine vorbereitende Handlung im Hinblick auf einen späteren Beschluss über die Unterzeichnung und den Abschluss einer solchen Übereinkunft darstellt und dass sie lediglich Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Organen der Union entfaltet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. September 2014, Kommission/Rat, C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 40, und vom 16. Juli 2015, Kommission/Rat, C‑425/13, EU:C:2015:483, Rn. 28).

35 Nach zutreffender Ansicht der Kläger ist der Begriff des Rechtsakts im Sinne von Art. 11 Abs. 4 EUV, Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 jedoch mangels gegenteiliger Hinweise und entgegen der Auffassung der Kommission nicht dahin zu verstehen, dass er ausschließlich auf endgültige Rechtsakte der Union beschränkt ist, die Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten.

36 Weder der Wortlaut der fraglichen Bestimmungen noch die mit ihnen verfolgten Ziele rechtfertigen insbesondere, dass ein Beschluss, mit dem der Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines internationalen Abkommens zugestimmt wird, wie hier von TTIP und CETA, der auf der Grundlage von Art. 207 Abs. 3 und 4 AEUV und Art. 218 AEUV erlassen wurde und der offensichtlich einen Beschluss gemäß Art. 288 Abs. 4 AEUV darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. September 2014, Kommission/Rat, C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 40, und vom 16. Juli 2015, Kommission/Rat, C‑425/13, EU:C:2015:483, Rn. 28), für die Zwecke einer EBI nicht unter den Begriff des Rechtsakts fällt.

37 Der Grundsatz der Demokratie, der, wie u. a. in der Präambel des EU‑Vertrags, in Art. 2 EUV sowie in der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgeführt wird, zu den grundlegenden Werten gehört, auf die die Union sich gründet, und das mit dem Instrument der EBI spezifisch verfolgte Ziel, die demokratische Funktionsweise der Union zu verbessern, indem jedem Bürger ein allgemeines Recht auf Beteiligung am demokratischen Leben eingeräumt wird (vgl. oben, Rn. 24), erfordern es vielmehr, eine Auslegung des Begriffs des Rechtsakts zugrunde zu legen, die Rechtsakte wie den Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft mit einschließt, die unbestreitbar eine Änderung der Rechtsordnung der Union herbeiführen soll.

38 Die von der Kommission vertretene Auffassung, wonach sie und der Rat über hinreichende mittelbare demokratische Legitimation verfügten, um Rechtsakte zu erlassen, die keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten, hätte nämlich zur Folge, die Inanspruchnahme des Instruments der EBI als Instrument der Beteiligung der Unionsbürger an der Rechtssetzungstätigkeit der Union im Wege des Abschlusses internationaler Übereinkünfte stark einzuschränken. Sofern die im angefochtenen Beschluss angeführte Begründung gegebenenfalls so verstanden werden kann, dass sie die Unionsbürger letzten Endes daran hindert, eine Aufnahme von Verhandlungen über einen neuen zu verhandelnden Vertrag mit Hilfe einer EBI vorzuschlagen, widerspräche dies offensichtlich den mit den Verträgen sowie mit der Verordnung Nr. 211/2011 verfolgten Zielen und wäre demnach nicht zulässig.

39 Die von der Kommission im angefochtenen Beschluss vertretene Auffassung, wonach der Beschluss, die Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss von TTIP aufzuheben, für die Zwecke einer geplanten EBI deswegen nicht unter den Begriff des Rechtsakts falle, da diese Zustimmung selbst wegen ihres vorbereitenden Charakters und mangels Außenwirkung nicht unter diesen Begriff falle, ist folglich ebenfalls zurückzuweisen. Wie die Kläger zutreffend ausgeführt haben, gilt das umso mehr, als ein Beschluss, die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft aufzuheben, nicht als vorbereitende Handlung einzustufen ist, da er diese Verhandlungen beendigt, sondern insoweit endgültigen Charakter hat.

40 Ferner führt die Kommission als weiteres Argument gegen die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative an, dass die Rechtsakte des Rates, auf deren Erlass diese Initiative hinwirken wolle, namentlich Beschlüsse des Rates, TTIP und CETA nicht zu unterzeichnen oder nicht abzuschließen, „destruktive“ Rechtsakte seien, die nicht „zur Umsetzung der Verträge“ erfolgten und folglich nicht Gegenstand einer EBI sein könnten.

41 Hierauf ist zu antworten, dass die Regelungen über die EBI keinen Anhaltspunkt dafür enthalten, dass es undenkbar wäre, mit der Bürgerbeteiligung den Erlass eines Rechtsakts zu verhindern. Gewiss muss der intendierte Rechtsakt nach Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 zwar der Umsetzung der Verträge dienen, dies ist jedoch durchaus der Fall bei Rechtsakten, die die Verhinderung des Abschlusses von TTIP und CETA zum Gegenstand haben, mit denen die Rechtsordnung der Union geändert werden soll.

42 Wie die Kläger zu Recht ausgeführt haben, schließt das mit dem Verfahren der EBI verfolgte Ziel der Beteiligung am demokratischen Leben der Union offenkundig die Möglichkeit ein, zu beantragen, dass geltende Rechtsakte ganz oder teilweise geändert oder aufgehoben werden.

43 Somit besteht auch kein Grund, Rechtsakte, die auf die Aufhebung eines Beschlusses abzielen, mit dem der Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines internationalen Abkommens zugestimmt wird, wie auch Rechtsakte, mit denen die Unterzeichnung und der Abschluss eines solchen internationalen Abkommens verhindert werden soll, die – entgegen der Auffassung der Kommission – unbestreitbar autonome Rechtswirkungen besitzen und gegebenenfalls eine angekündigte Änderung des Unionsrechts verhindern, von der demokratischen Debatte auszuschließen.

44 Die von der Kommission vertretene Auffassung, wie sie sich aus dem angefochtenen Beschluss zu ergeben scheint, würde letzten Endes bedeuten, dass sich eine EBI nur auf den Beschluss des Rates beziehen könnte, internationale Übereinkünfte abzuschließen oder ihrer Unterzeichnung zuzustimmen, bei denen die Unionsorgane die Initiative ergriffen hätten und die sie zuvor verhandelt hätten. Dagegen wären die Unionsbürger daran gehindert, das Verfahren der EBI in Anspruch zu nehmen, um vorzuschlagen, solche Übereinkünfte zu ändern oder sie aufzugeben. Zwar hat sich die Kommission vor dem Gericht dahin eingelassen, dass eine EBI gegebenenfalls auch den Vorschlag für die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss einer internationalen Übereinkunft enthalten könne. In diesem Fall besteht jedoch kein Grund, den Organisatoren einer geplanten Bürgerinitiative aufzuerlegen, den Abschluss einer Übereinkunft abzuwarten, um anschließend nur deren Zweckmäßigkeit anfechten zu können.

45 Das Argument der Kommission, dass die Rechtsakte, die sie gemäß der geplanten Bürgerinitiative dem Rat unterbreiten soll, zu einer nicht hinnehmbaren Einmischung in den Ablauf eines laufenden Rechtssetzungsverfahrens führen würden, greift daher nicht durch. Das mit der EBI verfolgte Ziel besteht nämlich darin, den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihre Mitwirkung am demokratischen Leben in der Union zu verstärken, und zwar u. a. dadurch, dass sie der Kommission detailliert die durch die EBI aufgeworfenen Fragen darlegen, die Kommission auffordern, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu unterbreiten, nachdem sie die EBI gegebenenfalls im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Parlament gemäß Art. 11 der Verordnung Nr. 211/2011 vorgestellt und somit eine demokratische Debatte angeregt haben, ohne den Erlass des Rechtsakts abwarten zu müssen, dessen Änderung oder Aufgabe letztlich angestrebt wird.

46 Diese Möglichkeit zuzulassen, verstößt daher auch nicht gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, der für den organisatorischen Aufbau der Union kennzeichnend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. April 2015, Rat/Kommission, C‑409/13, EU:C:2015:217, Rn. 64), da es der Kommission obliegt, zu entscheiden, ob sie einer EBI Fortgang gewährt, indem sie gemäß Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 211/2011 in einer Mitteilung ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zu der EBI sowie ihr weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf ein weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür darlegt.

47 Demzufolge ist die geplante Bürgerinitiative, die von einer Einmischung in den Gang eines laufenden Rechtssetzungsverfahrens weit entfernt ist, Ausdruck der wirksamen Beteiligung der Unionsbürger am demokratischen Leben der Union und stellt das von den Verträgen gewollte institutionelle Gleichgewicht nicht in Frage.

48 Schließlich steht nichts dem entgegen, dass das „[weitere] Vorgehen bzw. [der] Verzicht auf ein weiteres Vorgehen“ der Kommission im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 211/2011 darin bestehen kann, dem Rat den Erlass von Rechtsakten vorzuschlagen, auf die die geplante Bürgerinitiative abzielt. Entgegen den Ausführungen der Kommission wären die Unionsorgane in einem solchen Fall durch nichts daran gehindert, neue Entwürfe transatlantischer Freihandelsabkommen zu verhandeln und die Abkommen sodann abzuschließen, nachdem der Rat die Rechtsakte erlassen hat, die Gegenstand der geplanten Bürgerinitiative sind.

49 Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission gegen Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 verstoßen hat, indem sie die Registrierung der vorgeschlagenen Bürgerinitiative abgelehnt hat.

50 Folglich ist dem ersten Klagegrund und damit der Klage insgesamt stattzugeben, ohne dass es erforderlich wäre, auf den zweiten Klagegrund einzugehen.

Kosten

51 Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kläger die Kosten des vorliegenden Verfahrens sowie die Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Der Beschluss C (2014) 6501 final der Kommission vom 10. September 2014, mit dem der Antrag auf Registrierung der Europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“ abgelehnt wurde, wird für nichtig erklärt.

2. Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten von Herrn Efler und den weiteren im Anhang namentlich aufgeführten Klägern, einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

Kanninen

Buttigieg

Calvo‑Sotelo Ibáñez‑Martín

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Mai 2017.

Der Kanzler

Der Präsident

E. Coulon

M. Prek

* Verfahrenssprache: Deutsch.

(1) Die Liste der weiteren Kläger ist nur der Fassung beigefügt, die den Parteien mitgeteilt wird.

Zur Website

CETA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung

BVerfG

Urteil Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht: Eilanträge in Sachen „CETA“ erfolglos. Pressemitteilung Nr. 71/2016 vom 13. Oktober 2016.

Urteil vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvE 3/16
Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, die sich gegen eine Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) richteten, über die der Rat der Europäischen Union voraussichtlich am 18. Oktober 2016 entscheiden wird. Die Bundesregierung muss allerdings sicherstellen,
– dass ein Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung nur die Bereiche von CETA umfassen wird, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen,
– dass bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache eine hinreichende demokratische Rückbindung der im Gemischten CETA-Ausschuss gefassten Beschlüsse gewährleistet ist, und
– dass die Auslegung des Art. 30.7 Abs. 3 Buchstabe c CETA eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland ermöglicht.

Bei Einhaltung dieser Maßgaben bestehen für die Rechte der Beschwerdeführer sowie für die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages keine schweren Nachteile, die im Rahmen einer Folgenabwägung den Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten erscheinen ließen. []

Vgl. auch BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1368/16 – Rn. (1-73), http://www.bverfg.de/e/rs20161013_2bvr136816.html

Kommentar

Björn Schiffbauer: Vorläufige Anwendung nur unter drei Auflagen – das (erste?) CETA-Urteil des BVerfG vom 13.10.2016.

Statement Campact, foodwatch und Mehr Demokratie

(Karlsruhe, 13. Oktober 2016) Das Bundesverfassungsgericht hat heute über die Eilanträge von Campact, foodwatch und Mehr Demokratie gegen die vorläufige Anwendung des geplanten Handelsabkommens CETA zwischen der EU und Kanada entschieden. Die drei Organisationen reagieren darauf mit ersten Bewertungen:

„Das Urteil ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung. Es ist ein großer Erfolg und eine große Ermutigung für über 125.000 Bürgerinnen und Bürger, die sich mit uns an dieser Verfassungsbeschwerde beteiligt haben. Nun müssen wir weiter Druck machen, damit CETA nicht ratifiziert wird. Wir werden die deutschen Europaabgeordneten auffordern, CETA abzulehnen. Aber auch die Grünen in Landesregierungen stehen beim Bürger in der Pflicht, CETA im Bundesrat zu stoppen.“

Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch: „Es ist ein Riesenerfolg, dass das Bundesverfassungsgericht unsere Bedenken in einem Hauptsacheverfahren prüfen will – schließlich haben weder die Bundesregierung noch die Europäische Kommission die Argumente bisher ernstgenommen. Das ist ein Schlag ins Kontor von Sigmar Gabriel und Angela Merkel, deren Versuch, ein Hauptsacheverfahren zu verhindern, grandios gescheitert ist. Wir mussten bis zum Höchsten Gericht gehen, damit endlich über die massiven Gefahren von CETA für unsere Demokratie diskutiert wird. Das Gericht winkt die vorläufige Anwendung nicht einfach durch, sondern formuliert strenge Auflagen – das zeigt, dass die Bundesregierung die Folgen des Abkommens für die Demokratie allzu sehr auf die leichte Schulter genommen hat. Fazit: Wir haben nicht alles gewonnen, aber vieles. Unser Kampf gegen dieses verfehlte Abkommen geht weiter!“
Roman Huber, Geschäftsführender Vorstand von Mehr Demokratie: „Wir haben in diesem Eilverfahren wichtige Erfolge: Unsere Argumente wurden gehört, sie werden im Hauptverfahren ausführlich verhandelt werden, und die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Deutschland die vorläufige Anwendung aus eigener Kraft wieder aufkündigen kann. Die Ausschüsse müssen jetzt demokratisch legitimiert werden und es dürfen weniger Teile von CETA vorläufig in Kraft gesetzt werden als geplant. Wir haben mehr Demokratie erreicht. Nach dem Verlauf der Anhörung ist es wahrscheinlicher denn je, dass CETA gegen das Grundgesetz verstößt.“

Pressekontakte:

Campact: Jörg Haas, haas@campact.de
Mehr Demokratie: Anne Dänner, presse@mehr-demokratie.de, 0178/816 30 17; Ansprechpartnerin für Organisatorisches vor Ort: Nicola Quarz, 0157/72389352
foodwatch: Martin Rücker, presse@foodwatch.de, 0174/3751689
noceta

Statement Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland

Zur heutigen Ceta-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sagte Ernst-Christoph Stolper, Handelsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):

„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist trotz Ablehnung der Eilanträge eine Ohrfeige für die EU-Kommission. Das Gericht hat der Bundesregierung klare Hausaufgaben aufgegeben, die auch Forderungen der Stop-Ceta-Bewegung enthalten. Es darf keine vorläufige Anwendung für Ceta-Teile geben, die in der Zuständigkeit Deutschlands liegen, dazu gehören die Sonderklagerechte für internationale Konzerne. Und es muss sichergestellt sein, dass eine vorläufige Anwendung auch einseitig von Deutschland zurückgenommen werden kann. Außerdem sollen die Entscheidungen des Gemeinsamen Ceta-Ausschusses unter den Vorbehalt einer einstimmigen Zustimmung der Mitgliedstaaten gestellt werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet, das Schicksal von Ceta ist weiter offen. Das Abkommen muss außer der Unterzeichnung im EU-Handelsministerrat auch die Ratifizierung im EU-Parlament und in allen Mitgliedstaaten sowie die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bestehen. Wir sind sicher, Ceta wird, so wie es vorliegt, nicht in Kraft treten.“

Pressekontakt: Ernst-Christoph Stolper, BUND-Handelsexperte, Mobil: 0172-2903751 bzw. BUND-Handelsexpertin Maja Volland, 030-27586-568, E-Mail: maja.volland@bund.net bzw. Rüdiger Rosenthal, BUND-Pressesprecher, Tel. 030-27586-425, E-Mail: presse@bund.net, www.bund.net

Statement Deutscher Kulturrat

Deutscher Kulturrat: CETA: Kultur muss jetzt bei vorläufiger Anwendung ausgenommen werden. Bundesregierung werden durch Bundesverfassungsgericht Fesseln bei CETA-Zustimmung angelegt. 13.10.2016.

KMU gegen TTIP

Kommentar „KMU gegen TTIP“ zum CETA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (pdf). 13.10.2016.
Martina Römmelt-Fella, Geschäftsführerin Fella Maschinenbau GmbH, Mitinitiatorin „KMU gegen TTIP“: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine schlechte Nachricht für den deutschen Mittelstand. CETA bedeutet unfaire Privilegien für ausländische Investoren und setzt ausgerechnet verantwortungsvolle Unternehmer*innen verstärkt unter Druck.“
Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin UnternehmensGrün e.V., Beirat „KMU gegen TTIP“: „Auch wenn das endgültige Urteil des Verfassungsgerichts über CETA noch aussteht: Karlsruhe sendet ein fatales Signal an unsere europäischen Nachbarn. Dort gibt Länder, die den Prozess sehr genau verfolgen und ihre Entscheidung im Rat auch von seinem Ausgang abhängig machen werden.“ (pdf)

Mehr Demokratie e.V.

Mehr Demokratie e.V.: CETA-Urteil aus Karlsruhe: Das hat unsere Bürgerklage schon jetzt erreicht… 13.10.2016.

Reaktion Parteien

Kläger Klaus Ernst (DIE LINKE) bei #Correctiv über die verlorene CETA-Klage vor dem Verfassungsgericht. 13.10.2016.
Pressemitteilung der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen: CETA: Die Quittung für unsaubere Arbeit. 13.10.2016.

Pressemitteilung der Piratenpartei: Karlsruhe legt CETA-Abkommen an die Leine, doch stoppen müssen es die Bürger! 13.10.2016.

DIE LINKE im Europaparlament: CETA-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: „Gabriel auf die Verbindlichkeit seiner Äußerungen verpflichten“. 13.10.2016.

Presseberichterstattung:

Tagesschau: Kommentar zum CETA-Urteil „Solange“ – Karlsruhes Lieblingswort. 13.10.2016.
Tagesschau
Tagesthemen
WDR: CETA-Klägerin: „Das Urteil ist einfach super“. 13.10.2016.
MDR: Bundesverfassungsgericht gibt grünes Licht für CETA. 13.10.2016.
MDR: Thüringer Koalition in Ceta-Frage gespalten. 13.10.2016.
Deutschlandfunk: Urteil zum Freihandelsabkommen. Gericht gibt Auflagen für CETA-Zustimmung. 13.10.2016.
FAZ: Bundesverfassungsgericht lehnt Eilanträge gegen Ceta ab. 13.10.2016.
FAZ: Karlsruher Notbremse. 13.10.2016.
ZEIT ONLINE: Karlsruhe weist Eilanträge gegen Ceta ab. 13.10.2016.
FAZ: Die Glaubwürdigkeit entscheidet. 13.10.2016.
SZ: Ceta-Klägerin: „Das ist mindestens ein 70-Prozent-Sieg„. 13.10.2016.
SZ: Die Richter sollen das mal genauer prüfen. 13.10.2016.
Spiegel: Karlsruhes knallharte Bedingungen für Ceta. 13.10.2016.
Freitag: Noch ist nichts entschieden. 13.10.2016.
Der Tagesspiegel: Das Urteil ist nicht das letzte Wort. 13.10.2016.
RP: Ceta-Urteil des Verfassungsgerichts. Vorsicht, Herr Gabriel! 13.10.2016.
correct!v: Verfassungsgericht will demokratischeres CETA. 13.10.2016.
Deutsche Welle: Ceta-Urteil ist Demokratie-Unterricht. 13.10.2016.
SHZ: Ceta vorläufig anzuwenden, findet Robert Habeck „politisch falsch“. 13.10.2016.
Neue Westfälische (Bielefeld): Jura-Professor Fisahn, Rechtsvertreter der CETA-Gegner, fühlt sich nach dem Karlsruher Richterspruch als Sieger. 13.10.2016.