Nachlese: TiSA contra öffentliche Daseinsvorsorge?


Referent: Michael Fischer (Bereichsleitung Politik und Planung Ver.di)

Vortragstitel: TiSA contra öffentliche Daseinsvorsorge? Mögliche Auswirkungen des plurilateralen Dienstleistungshandelsabkommens auf öffentliche Dienste und demokratische Regulierung

Datum: 15. März, 19 Uhr

Ort: DGB-Gewerkschaftshaus, Keithstr. 1+3

Veranstalter: Berliner Netzwerk TTIP | CETA | TiSA stoppen!

Zusammenfassung vom Berliner Wassertisch: Astrid Westhoff (Verdi) eröffnete die Veranstaltung mit einem Grußwort im Namen des DGB, der dankenswerterweise erneut die Kosten für die Saalmiete übernommen hatte. Sigrun Franzen (Berliner Wassertisch) führte wieder durch die Veranstaltung. Nach dem Vortrag von Michael Fischer (Verdi) fand eine Fragerunde statt.

In seinem Vortrag bettete Michael Fischer TiSA zunächst in den historischen Kontext ein, stellte im Anschluss die TiSA-Akteure, die Strukturelemente und einige (kritische) Bestandteile von TiSA vor. Abschließend berichtete er über den Stand der Verhandlungen und eröffnete Perspektiven.

Ein grundsätzliches Problem für die Zivilgesellschaft ist, dass TiSA im Geheimen verhandelt wird. Daher gibt es keine offiziellen Texte. Alles, was der Zivilgesellschaft derzeit vorliegt, sind Leaks (durch Wikileaks). Aus alleine diesen – dazu unkonsolidierten – Fassungen kann die Zivilgesellschaft Rückschlüsse ziehen. Es herrscht ein großes Durcheinander, was die Beschäftigung mit den in englischer Juristensprache verfassten Texte sehr mühsam und zeitaufwändig macht.

TiSA ist nicht tot!

Es fanden bislang 21 Geheimrunden zu TiSA statt. Die Verhandlungen könnten – trotz aller derzeitigen Schwierigkeiten – schon ab Mitte 2017 weitergehen und TiSA bis 2018 abgeschlossen sein.

Akteure von TiSA:

Die Akteure von TiSA sind transnationale Dienstleistungskonzerne und ihre Helfershelfer aus der Politik. Es verhandeln 22 Staaten und die EU. Paraguay und Uruguay sind aus den Verhandlungen ausgestiegen. Die derzeitigen Verhandlungspartner kontrollieren nahezu 70 % des weltweiten Handels mit Dienstleistungen. Der EU-Rat mandatiert die EU-Kommission. Alles verläuft extrem intransparent.

Was will TiSA:

Im Zentrum steht die Zuführung der Dienstleistungen unter kapitalistische Verwertungsprinzipien. Kernelemente von TiSA sind grenzüberschreitende Dienstleistungen, Konsum, Niederlassungen, Entsendung von Dienstleistungspersonal. Viele Punkte sind bereits von GATS bekannt.

(GATS war am Widerstand vor allem der ärmeren Länder in der sogenannten DOHA-Runde gescheitert). In der Anfangsofferte steht, dass das Höchstmaß an Verpflichtungen aus allen bisherigen Abkommen zur Anwendung kommen muss. Ziel ist ein Maximum an Liberalisierung. TiSA soll das gescheiterte GATS nicht nur ersetzen, sondern sogar übertreffen. Mit TiSA soll die völkerrechtliche Absicherung eingeholt werden.

Struktur von TiSA

Das Abkommen gliedert sich in Kerntext, Anhänge und Schedules of Commitments (Angebote zum Marktzugang). Der Kerntext ist keineswegs allein relevant. Die Regelungen in den Anhängen wirken sich unmittelbar auf den Kerntext aus.

Negativ- und Positivlisten:

Das plurilaterale Abkommen TiSA verfolgt einen Hybridansatz – hier sollen sowohl die Negativliste (für die Nichtdiskriminierung/Inländerbehandlung) als auch die Positivliste (für Marktzugang) zur Anwendung kommen.

Schiedsgerichtsbarkeit à la ISDS:

Derzeit ist von Investorenschutz bei TiSA zwar noch nichts bekannt, doch wird TiSA eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit erhalten müssen, da schon jetzt klar ist, dass Vieles Auslegungssache ist. TiSA ist darum eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Handelsjuristen.

„Daten – Öl der Zukunft? (Big Data)“

Probleme bereitet den Verhandlern der Datenschutz. Die EU ist – da sie härtere Bestimmungen hat als die anderen Länder – derzeit nicht sprachfähig. Die USA wiederum ist wegen ihrer neuen Regierung ebenfalls nicht sprachfähig. Es ist unklar, was die USA in Zukunft machen. USA haben angekündigt, in Zukunft keine Entscheidungen der Welthandelsorganisation mehr zu akzeptieren, die nicht in ihrem Sinne sind: „Die USA werden sich nicht mehr ohne Weiteres den Regeln und Entscheidungen der Welthandelsorganisation (WTO) beugen. Und zwar dann nicht, wenn diese Regeln und Entscheidungen nach Meinung der Regierung den USA schaden.“ (Nikolaus Piper: Welthandelsorganisation. Geliebt, verhasst, vergessen. In: SZ, 10.3.2017). Die Trump-Regierung droht, alle Hebel zu nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen („America first“). Beispiel für unterschiedliche Rechtsprechungen, die Verhandlungen zwischen den Ländern schwierig machen: Private Firmen in den USA sammeln jegliche Personendaten, auch entpersonalisierte Daten, führen sie zusammen und verkaufen sie an Kunden. Dies ist in den USA legal, in Europa jedoch (noch) nicht.

„Technische Neutralität“

Verpflichtet werden sollen die TiSA-Länder zur technischen Neutralität. Darunter fällt auch Energie. Der Staat darf nicht vorgeben, welche Energie (nicht) eingesetzt wird. So würde z.B. ein Verbot von Energie aus Teersanden dem Geist von TiSA widersprechen. Ein Land darf keine Energie mehr ausschließen. Jegliche Verbote werden begründungspflichtig. Der Staat verliert seine Regulierungsfähigkeit.

Bei TiSA sollen auch die berüchtigten Ratchet-Klauseln und Standstill-Klauseln zur Anwendung kommen.

Folgen von TiSA u. a.:

Umverteilung

Mit TiSA wird eine globale Umverteilung einhergehen – weniger Lohn für Arbeitnehmer, mehr Gewinn für Shareholder.

Privatisierungsfalle

Deregulierungen wären in Zukunft irreversibel (was einmal (teil)privatisiert wurde, kann nicht mehr in die öffentliche Hand zurückgeholt werden). Was für einzelne Länder gilt, soll für alle Länder gelten. D. h. Deregulierungsexperimente eines einzelnen Landes wirken sich auf alle TiSA-Länder aus.

Das Ende von Gemeinwohlorientierung

Kommunale Dienstleistungsunternehmen wären gezwungen, wie private Unternehmen zu handeln. Das würde das Ende jeglicher Gemeinwohlorientierung bedeuten. Es wäre ein Paradigmenwechsel hin zur Renditemaximierung.

Alles muss erlaubt werden

Mit TiSA hätte der Taxidienstleister UBER sein Geschäftsmodell in Europa durchsetzen können.

Position von Verdi

Verdi fordert faire Abkommen – CETA und TiSA gehören nicht dazu. Unabhängig von der genenerellen Kritik an TiSA fordert Verdi, dass ausschließlich der Positivlistenansatz zum Einsatz kommen darf. Es muss außerdem der politische Handlungsspielraum von Kommunen, Ländern, Bund erhalten bleiben. Es darf keinen Privatisierung-/Liberalisierungszwang geben. Es müsste Sanktionsmöglichkeiten gegen Konzerne geben. Verdi fordert eine grundsätzliche Schubumkehr bei Handelsabkommen. Das Gemeinwohl muss Vorrang vor den Interessen des internationalen Kapitals haben.

Was tun?

Die Kritiker sollen nicht darauf hoffen, dass (vorläufige) Unvereinbarkeiten (z.B. im Datenschutz) einen TiSA-Abschluss verhindern werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass, wenn es drauf ankommt, Verhandlungen sehr schnell durchgezogen werden können. Die EU-Kommission will TiSA unbedingt durchsetzen. Daher darf sich die Zivilgesellschaft nicht ausruhen, sondern soll sich vereint diesem gefährlichen Abkommen widersetzen. Dazu wird eine breite Allianz benötigt. Wichtig ist eine Debatte um eine Konversion.

Protektionismusfalle

Die Freihandels-Akteure nutzen die derzeitige Stimmungslage. Sie geben vor, dass in Zeiten von wachsendem Nationalismus Abkommen wie TTIP, CETA und TISA im Gegensatz dazu Weltoffenheit bedeuten. Sie schieben TiSA-Kritiker in die Ecke von Nationalisten wie den neuen US-Präsidenten Trump und unterstellen ihnen eine Politik des Protektionismus.*

TiSA ist noch lange nicht vom Tisch!

Nebenbei: Europa bleibt untätig bei den stattfindenden Menschenrechtsverletzungen in Bangladesch, obwohl im bilateralen Handelsvertrag die Einhaltung von Menschenrechten festgelegt wurde. Das zeigt, dass der EU nicht viel an der Einhaltung von Menschenrechten liegt.

Derzeit verhandelt Europa mehr als zwanzig bilaterale Handelsabkommen.

Alles über TiSA – Wissenswertes zum Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen
ist eine 30-seitige Broschüre (PDF 2,26 MB) des Internationalen Gewerkschaftsbundes vom Nov. 2016

* Vgl. auch Jürgen Maier (Forum Umwelt & Entwicklung): Wir sind das Volk? TTIP-Kritik von rechts – einige notwendige Anmerkungen. In: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung, 2016, Heft 2, S. 24-26.

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