Prof. Dr. Wolfgang Weiss: CETA – Transparenz, Beschlussfassungsmandate und Demokratische Legitimation

Rechtsgutachten: CETA – Transparenz, Beschlussfassungsmandate und Demokratische Legitimation
Ausarbeitung im Auftrag von foodwatch
Prof. Dr. Wolfgang Weiss,
Universitätsprofessor für Öffentliches Recht, insbesondere Europa- und Völkerrecht
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Februar 2021 (Original hier (pdf))

1) Transparenz bei der Entscheidungsfindung in den CETA-Ausschüssen
Zur Gewährleistung von Transparenz bei der Tätigkeit in den Ausschüssen veröffentlicht die Europäische Kommission die Agenda (Tagesordnung) und zusammenfassende Berichte der Ausschusstreffen anstelle von Protokollen. Dies wird als ausreichend angesehen, um sich einen Überblick über die Arbeit der Ausschüsse und Dialoge zu verschaffen. Es ist zu erwarten, dass formale Entscheidungen der Ausschüsse publiziert werden.

Tatsächlich sieht der Beschluss des CETA Joint Committee über seine Geschäftsordnung (Beschluss 1/2018)1 in Rule 8 Abs. 3 die Veröffentlichung der vorläufigen Tagesordnung und in Rule 9 Abs. 5 die Veröffentlichung von Zusammenfassungen der Protokolle („summary of the minutes“) vor. Zu den Sitzungen werden gemäß Rule 9 Abs. 2 und 3 recht detaillierte Protokolle erstellt, die aber nicht publiziert werden. Bei den auf der Website der Europäischen Kommission veröffentlichten „Berichten“ über die einzelnen Sitzungen der CETA-Ausschüsse dürfte es sich also um die „summary of the minutes“ handeln.

Schwärzungen in den reports oder den agendas sind jedoch gemäß den vorstehenden Regelungen nicht vorgesehen, außer für den Fall vertraulicher Informationen nach Art. 26.4 CETA. Vertrauliche Informationen sind danach solche, die nach dem jeweils nationalen Recht als vertraulich eingestuft sind.

Insoweit entspricht die Veröffentlichungspraxis der Kommission wohl den bestehenden Regelungen, wobei die Praxis der recht häufigen Schwärzungen Bedenken begegnet. Es ist nicht klar, ob es sich dabei durchweg wirklich um vertrauliche, schutzwürdige Informationen handelt, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht offen gelegt werden dürfen, oder ob die Schwärzungen aus anderen Gründen vorgenommen werden.

Ein zufriedenstellender Einblick in die Tätigkeiten der Ausschüsse lässt sich mit den Zusammenfassungen nicht gewinnen. Das ist besonders bedauerlich, wenn es um die Annahme bindender Beschlüsse in den CETA-Ausschüssen geht. Jede Art von Rechtsetzung sollte in einer transparenten Weise erfolgen, die es ermöglicht, die zugrundeliegenden Positionen und Annahmen zu erkennen. In Bezug auf die bindende Beschlussfassung in Vertragsgremien ist daher mehr Transparenz erforderlich, als lediglich die Publikation von Tagesordnungen und von kurzen Sitzungsberichten. Denn damit lassen sich die Überlegungen der Parteien, die der Annahme bindender Beschlüsse von CETA- Ausschüssen zugrunde liegen, nicht nachvollziehen.

Bei bindenden Beschlüssen und ihrer Vorbereitung muss die Transparenz daher über die oben genannten Regeln hinausgehen. Schließlich hat sich die EU gerade im Bereich der Rechtsetzung zu Transparenz und Bürgernähe verpflichtet, s. Art. 1 Abs. 2 („Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah“), Art. 11 Abs. 1 und 2 EUV. Die Kommission hat im Jahr 2015 in ihrer Mitteilung „Handel für alle“ zugesagt, die Transparenz gerade in der Handelspolitik zu steigern. Dazu gehört auch die Gewährleistung von Transparenz nach Abschluss von Verhandlungen, also in der Umsetzungsphase eines Abkommens.2 So heißt es in „Handel für alle” auf Seite 18:

„Die politische Entscheidungsfindung muss transparent sein und die Debatte muss sich auf Fakten gründen. …
Darüber hinaus wird sich die Kommission stärker um die Förderung einer sachlich fundierten Debatte in den Mitgliedstaaten und einen vertieften Dialog mit weiten Kreisen der Zivilgesellschaft bemühen. Dies ist eine Gelegenheit, die Menschen für die laufenden und geplanten Verhandlungen über Handel und Investitionen zu sensibilisieren und von den jeweiligen Interessenträgern Rückmeldungen über damit zusammenhängende Fragen zu erhalten.“

Diesem Ziel – die Sensibiliesierung der Menschen zu erreichen – wird die Kommission mit ihrer oben dargelegten Praxis nicht gerecht, wenn es um die Vorbereitung und Annahme bindender Beschlüsse in Vertragsgremien geht. Denn auch Beschlüsse in Vertragsgremien tragen zu „policymaking“ in der bilateralen Handelspolitik mit Kanada bei und stellen – bei konkreten Themen – hierauf bezogene Verhandlungen dar.

Auf Seite 19 der Mitteilung „Handel für alle“ verspricht die Kommission einen „more open policymaking process”. Die Kommission erkennt also die Wichtigkeit von Transparenz gerade bei regulatorischen Auswirkungen der Handelspolitik:

„Transparency is fundamental to better regulation. Lack of transparency undermines the legitimacy of EU trade policy and public trust. There is demand for more transparency in trade negotiations, particularly when they deal with domestic policy issues like regulation. …. Transparency should apply at all stages of the negotiating cycle from the setting of objectives to the negotiations themselves and during the post-negotiation phase.”

Für die innerstaatliche Regulierung sind nicht nur die Verhandlungen zu den Abkommen selbst von Bedeutung, sondern auch die darauf folgende Umsetzung, insbesondere die Verabschiedung bindender Beschlüsse. Die CETA-Ausschüsse haben erhebliche Beschlussfassungszuständigkeiten. Dies wird nachfolgend näher dargelegt:

2) Reichweite der Beschlussfassungsmandate der CETA-Ausschüsse
Die Beschlussfassungsmandate der CETA-Ausschüsse sind weitreichend. Insbesondere haben die Ausschüsse die Macht, Teile von CETA zu ändern, wie im Folgenden gezeigt wird.

Bereits die Anzahl der Beschlussfassungsmandate für die zahlreichen CETA-Ausschüsse unterscheidet sich von dem, was wir bisher von anderen Handels- oder Assoziierungsabkommen gewohnt waren. Die CETA-Ausschüsse sind sehr aktiv, wie man der Liste relevanter Aktivitäten der Kommission entnehmen kann.3

Der Umstand, dass bisher noch nicht viele Beschlüsse gefasst worden sind, besagt nichts über die Reichweite und Intensität der Mandate. Schließlich ist mit Kapitel 8 des CETA zum Investitionsschutz ein wesentlicher Teil noch nicht in Anwendung.

Die Ausschüsse können mit ihren Beschlüssen das CETA weiterentwickeln, ergänzen, umsetzen oder auch ändern.

Das Mandat des Gemischten CETA-Ausschusses ist sehr weit gefasst: „Der Gemischte CETA-Ausschuss ist für alle Fragen zuständig, welche die Handels- und Investitionstätigkeit zwischen den Vertragsparteien und die Umsetzung und Anwendung des Abkommens betreffen“ (Art. 26.1 para. 3 CETA).

Das Mandat geht jedoch über die Anwendung und Umsetzung hinaus (vgl. Art. 26.1 Abs. 4 CETA). Die CETA-Ausschüsse haben etwa 30 verschiedene Beschlussfassungsmandate. Der zentrale Gemischte CETA-Ausschuss beaufsichtigt die Sonderausschüsse und hat die umfassendsten Befugnisse:

    • Er kann institutionelle Struktur von CETA verändern. Denn der Gemischte CETA-Ausschuss kann Sonderausschüsse auflösen, neue einrichten und ihnen Aufgaben zuweisen (Art. 26.1 Abs. 5 lit. g, h CETA).4
    • Außerdem kann er das CETA in bestimmten Punkten ändern (vgl. Art. 26.1 Abs. 5 lit. c) i.V.m. Art. 4.7 Abs. 1 f), Art. 8.1, Art. 8.10 Abs. 3, Art. 20.22). D.h. der Gemischte CETA-Ausschuss kann über die Erweiterung des Begriffs des geistigen Eigentums, Art. 8.1 CETA, oder über die Bedeutung der gerechten und billigen Behandlung von Investoren, Art. 8.10.3 CETA, entscheiden. Er kann CETA-Bestimmungen, die das Harmonisierte System betreffen, ändern oder ergänzen, Art. 2.13.1 b) CETA. Er kann auch Änderungen des 4. Kapitels des CETA prüfen, Art. 4.7.1 f in Verbindung mit Art. 26.1.5 c) CETA. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann auch Änderungen an Kapitel 23 des CETA vornehmen, Art. 23.11.5 CETA. Gemäß Art. 20.22.1 i.V.m. Art. 26.1.5 c) CETA kann der Gemischte CETA-Ausschuss durch Änderung des Anhangs 20-A geschützte geografische Ursprungsangaben hinzufügen oder entfernen. Der Gemischte Verwaltungsausschuss ändert die Anhänge zu Kapitel 5, Art. 5.14.2 d) CETA (letzteres bedarf der Zustimmung der Vertragsparteien, während alle anderen oben genannten Entscheidungsbefugnisse keiner nachträglichen Zustimmung der Vertragsparteien bedürfen).
    • Der Gemischte CETA-Ausschuss kann eine verbindliche Auslegung der CETA-Bestimmungen vornehmen (Art. 26.1.5 e), was auch eine Form der Änderung von CETA darstellt.
    • Er kann Änderungen der Anhänge und Protokolle des CETA beschließen (Art. 30.2 Abs. 2 CETA), die integraler Bestandteil von CETA sind (Art. 30.1 CETA).
    • Auch die Sonderausschüsse haben teilweise Befugnisse, das CETA zu ändern oder zu ergänzen. So gehört es zur Zuständigkeit des der Ausschusses für Warenhandel, über Maßnahmen zur Umsetzung des Austauschs von Produktwarnungen zwischen der EU und Kanada zu entscheiden (Art. 21.7 Abs. 5). Zur Zuständigkeit des Ausschusses für Dienstleistungen und Investitionen gehört die Änderung des Verhaltenskodex für die Richter des Investitionsgerichtshofs und der anwendbaren Verfahrensregeln (Art. 8.44 Abs. 2 und 3 b) CETA).

Damit wird ein neues und sehr hohes Niveau bei der Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch Organe der Exekutive erreicht. Dies gilt umso mehr, wenn man die Befugnisse der Ausschüsse mit bereits bestehenden EU-Handelsabkommen vergleicht, wo die Kompetenzen der Vertragsorgane vergleichsweise begrenzt sind (z.B. das Freihandelsabkommen mit Südkorea oder die Zollunion mit der Türkei). Diese umfassende Delegation hoheitlicher Befugnisse an Vertragsorgane erfordert mehr Transparenz bei deren Entscheidungen als bisher.

Die folgenden Beispiele verdeutlichen die potenziell weitreichenden Auswirkungen von Entscheidungen in den Ausschüssen auf Regelungen in der EU:

a) Senkung der EU-Kontrollstandards für die öffentliche Gesundheit

Wirksame Importkontrollen bei Lebensmitteln sind für den Gesundheitsschutz der Verbraucher unerlässlich. Der Gemischte Verwaltungsausschuss für gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Fragen (gemischter SPS-Ausschuss – ein spezieller Ausschuss, der in Artikel 5.14 CETA in Verbindung mit Artikel 26.2 Abs. 1 lit. d CETA vorgesehen ist) kann allerdings die Gleichwertigkeit abweichender Standards anerkennen und die Häufigkeit der Einfuhrkontrollen ändern.

Dies geschieht durch Beschlussfassung zur Änderung von Anhang 5-J zu Kapitel 5 des CETA (vorgesehen in Artikel 5.14 Abs. 2 lit. d CETA); alternativ kann der Gemischte SPS-Ausschuss dem Gemischten CETA-Ausschuss empfehlen, Änderungen in Bezug auf die Häufigkeit der Kontrollen in Anhang 5-J vorzunehmen.

Das bedeutet, dass die Kontrollstandards zukünftig jederzeit durch Beschlüsse der Ausschüsse gesenkt werden könnten. Das könnte die gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Standards untergraben, die im Rahmen der Importkontrolle angewandt werden. Dies würde zu einem unzureichenden Gesundheitsschutz für Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU führen.

Offenbar haben die Vertragsparteien die Durchführung von Importkontrollen sehr ausführlich diskutiert. Das Protokoll zu den Diskussionen des SPS-Ausschusses über die Bestimmungen zu Einfuhrkontrollen im Vertragstext sowie deren mögliche Änderung ist etwa 30 Seiten lang. Die Tatsache, dass diese 30 Seiten fast vollständig geschwärzt sind, ist jedoch beunruhigend. Dies gilt insbesondere, weil die Gesundheit der importierten Tiere und die Bestätigung, dass sie frei von Infektionskrankheiten sind, nicht nur von kommerzieller Bedeutung für die importierenden Marktteilnehmer sind, sondern auch von zentraler Bedeutung für die Gesundheit der Verbraucher in der EU.

b) Einfrieren von EU-Schutzstandards

Gemäß Art. 5.6 Abs. 3 CETA wird in Anhang 5-E CETA festgelegt, in welchen Bereichen SPS-Maßnahmen5 Kanadas als gleichwertig mit EU-Anforderungen anzusehen sind. Dort können weitere Bedingungen festgelegt werden. In CETA Annex 5-E ist die Gleichwertigkeit bereits völkerrechtlich verbindlich festgelegt, und zwar nach Maßgabe der dort genannten Bedingungen und faktisch beschränkt auf das, was dort explizit genannt ist. Somit gilt die Gleichwertigkeit derzeit für die in Anhang 5-E explizit aufgeführten Maßnahmen. Anhang 5-E enthält in seinem Abschnitt A bestimmte gesundheitspolizeiliche Maßnahmen für bestimmte tierische Erzeugnisse. Der Abschnitt B für pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen ist derzeit leer. Dieser Anhang kann jedoch durch einen Beschluss des SPS-Ausschusses nach Artikel 5.14 Abs. 2 lit. d) CETA oder durch einen Beschluss des Gemischten CETA-Ausschusses befüllt werden.

Somit können sowohl der Gemischte CETA-Ausschuss als auch der Gemischte SPS-Ausschuss Beschlüsse über die Anerkennung der Gleichwertigkeit von SPS-Normen fassen.

Die besondere Bedeutung solcher Beschlüsse liegt in ihrer völkerrechtlichen Natur. Sind Schutzstandards erst im Rahmen von CETA als gleichwertig anerkannt, sind sie für die EU völkerrechtlich verbindlich. Dementsprechend legt CETA als völkerrechtlicher Vertrag fest, was später im Wege des EU-Sekundärrechts oder der nationalen Gesetzgebung in Bezug auf Importe aus Kanada umgesetzt werden muss. Das bedeutet, dass Regeln, die den CETA-Verpflichtungen widersprechen, automatisch einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellen.

Diese Situation hätte schwerwiegende Folgen für viele Bereiche, die das tägliche Leben von Bürgern, Verbrauchern und Arbeitnehmern sowie von Unternehmen direkt betreffen. Darüber hinaus schwächt CETA dadurch die Parlamente. Durch die gegenseitige Anerkennung von Produkt- und Prozessstandards als gleichwertig im Rahmen des CETA-Abkommens werden Schutzstandards faktisch eingefroren. Denn in der Folge ist es sehr viel schwieriger, die Importstandards anzuheben.

Zwar kann eine Vertragspartei die Standards für den eigenen Markt nachträglich anheben, sie kann aber nicht verlangen, dass die Importe des Handelspartners diesen neuen Standards ebenfalls genügen, nachdem sie bereits als gleichwertig anerkannt wurden.

Ein einmal als gleichwertig anerkannter Standard bleibt aufgrund des Gebots der Gleichbehandlung aller Anbieter am Markt daher in der Praxis unverändert. Änderungen können dann faktisch nur durch Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern vorgenommen werden. Sobald also der zuständige SPS-Ausschuss oder der gemischte CETA-Ausschuss die niedrigeren Standards Kanadas für gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen im Rahmen von Einfuhrkontrollen als gleichwertig mit denen der EU anerkennt, können diese Standards nicht mehr einseitig von einer der Parteien angehoben werden, ohne gegen internationales Recht zu verstoßen.

3) Die demokratische Verantwortlichkeit und damit Legitimation der Beschlüsse der CETA-Ausschüsse
Die Beschlussfassung der CETA-Ausschüsse erfolgt auf Basis von Ratsbeschlüssen gemäß Art. 218 Abs. 9 AEUV im sogenannten vereinfachten Verfahren, um völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse in den CETA-Ausschüssen herbeizuführen. Der Rat bereitet in seinen Beschlüssen nach Art. 218 Abs. 9 AEUV die Positionen vor, die die EU in den Ausschüssen vertreten soll. Damit werden auch die Beschlüsse der CETA-Ausschüsse vorbereitet. Auch wenn dies derzeit dem EU-Recht entspricht, bleiben Bedenken hinsichtlich der demokratischen Legitimation dieses Verfahrens.

Denn das Verfahren nach Art. 218 Abs. 9 AEUV ist unter demokratischen Gesichtspunkten defizitär. In diesem Verfahren entscheidet nur der Rat über die Beschlüsse der CETA-Ausschüsse. Das Europäische Parlament hat nicht mitzuentscheiden, es wird lediglich informiert. Auch sonst bestehen keine weiteren Mechanismen einer parlamentarischen oder öffentlichen Verantwortlichkeit der CETA-Ausschüsse für ihre Beschlüsse. In der Wissenschaft ist dieses Defizit demokratischer Kontrolle schon früh beklagt worden. Es entspricht nicht dem vom EuGH in Bezug auf Art. 218 Abs. 6 AEUV festgestellten gleichen Recht von Rat und Europäischem Parlament in der Gestaltung von Handelsbeziehungen. Der Rat und das EP haben gleiche Befugnisse im Bereich der Gesetzgebung und die Vertragsgestaltung; Es wird gewährleistet, „dass das Parlament und der Rat im Zusammenhang mit einem bestimmten Bereich unter Wahrung des durch die Verträge vorgesehenen institutionellen Gleichgewichts die gleichen Befugnisse haben.“6

Es entspricht daher gerade dem institutionellen Gleichgewicht, diese Gleichstellung von Rat und Europäischem Parlament auch nach dem Abschluss von Handelsabkommen bei der Weiterentwicklung der bilateralen Handelsbeziehungen durch bindende Beschlüsse von CETA- Ausschüssen zu beachten; Art. 218 Abs. 9 AEUV steht der Einführung strengerer Legitimationsprozesse für Ausschussbeschlüsse nicht entgegen und schließt auch eine vorherige Zustimmung des Europäischen Parlaments nicht ausdrücklich aus. Nach ständiger verfassungsrechtlicher Praxis ist das Europäische Parlament an der Beschlussfassung des Rates nach Art. 218 Abs. 5 AEUV über die vorläufige Anwendung von Handelsabkommen beteiligt; ohne dass dies im AEUV ausdrücklich vorgesehen ist. Folglich müsste auch bei Beschlüssen nach Art. 218 Abs. 9 AEUV das Parlament in entsprechender Weise beteiligt werden.

Verfassungsrechtlich ist das Demokratiedefizit des vereinfachten Verfahrens nach Art. 218 Abs. 9 AEUV auch vom deutschen Bundesverfassungsgericht problematisiert worden – aus der Perspektive des nationalen Verfassungsrechts, das insoweit auch von der EU nach Art. 4 Abs. 2 EUV zu respektieren ist -, auch wenn das Gericht noch nicht abschließend entschieden hat. In der CETA-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13.10.2016 wurde das Demokratiedefizit in Rn. 59, 65 klar benannt:

„Es erscheint ferner auch nicht völlig ausgeschlossen, dass die Ausgestaltung des in CETA vorgesehenen Ausschusssystems die Grundsätze des Demokratieprinzips als Teil der Verfassungsidentität des Grundgesetzes berührt… Die demokratische Legitimation und Kontrolle derartiger Beschlüsse erscheint mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 und 2 GG prekär und dürfte wohl nur gewährleistet sein, wenn mitgliedstaatliche Zuständigkeiten oder die Reichweite des Integrationsprogramms berührende Beschlüsse nur mit der Zustimmung Deutschlands gefasst werden.“7

Diese fehlende Sensibilität der Kommission für die Sicherung der demokratischen Verantwortlichkeit und Rechenschaft jeder durch die EU etablierten Ausübung von Hoheitsgewalt steht im Widerspruch zu ihren Bekenntnissen zur Notwendigkeit stärkerer und breiterer Legitimation der Handelspolitik (dazu bereits oben die Zitate aus „Handel für alle“).

Endnoten

1 https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2019/february/tradoc_157677.pdf
2 Trade for All. Towards a more responsible trade and investment policy. COM (2015).
3 http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1811
4 Für das Bundesverfassungsgericht handelt es sich dabei um Änderungsbefugnisse, vgl. BVerfG, Urteil vom 13.10.2016, Rn. 60, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/10/rs20161013_2bvr136816.html;jessionid=D26249EA9FF34BA4A1F8DD96C0F49D5D.2_cid377: „Zu den wichtigen Befugnissen des Gemischten CETA-Ausschusses gehört, soweit in CETA vorgesehen, die Befugnis, Änderungen des Abkommens zu beschließen (Art. 26.1 Abs. 5 Buchstabe c CETA-E) und Protokolle und Anhänge zu ändern (Art. 30.2 Abs. 2 Satz 1 CETA-E). Protokolle und Anhänge aber machen quantitativ gesehen den größten Teil des in Rede stehenden Abkommens aus. Der Gemischte CETA-Ausschuss kann ferner durch Beschluss weitere Kategorien von geistigem Eigentum in die Begriffsbestimmung „Rechte des geistigen Eigentums“ aufnehmen (Art. 8.1 Abs. „Rechte des geistigen Eigentums“ Satz 2 CETA-E).“
5 Gem. Art. 5.1 para 1 lit a) CETA, ist die Bedeutung des Begriffs identisch mit der Begriffsbestimmung in Anhang A des SPS-Übereinkommens der WTO.
6 CJEU, Case C-658/11 ECLI:EU:C:2014:2025, para 56.
7 Vgl. Fußnote 4.

Zur Pressemitteilung von foodwatch

 

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