OFFENER BRIEF
Für ein Moratorium bei den Rückkaufsverhandlungen des Senats mit Veolia
Berlin, 22. August 2013
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
das Thema Rekommunalisierung ist auf der politischen Agenda angekommen.
Nach dem Rückkauf der RWE-Anteile an den Berliner Wasserbetrieben will der Senat jetzt auch die Anteile von Veolia zurückkaufen. Als Berliner Wassertisch treten wir unverändert dafür ein, dass die Wasserbetriebe wieder in die öffentliche Hand zurückkehren. Aber nicht, bevor die noch offenen Gerichtsverfahren geklärt sind, denn diese werden noch erheblichen Einfluss auf die Modalitäten der Rekommunalisierung haben. Die aktuelle Rückkaufsumme ist viel zu hoch und entspricht den bis 2028 verfassungswidrigerweise für den Wasserkonzern garantierten Gewinnen. Deshalb fordern wir ein Moratorium der Rückkaufverhandlungen bis die Gerichtsentscheidungen vorliegen.
Wir appellieren daher an Ihr politisches Gewissen als Parlamentarier: Dieser Weg des Rückkaufs, den der Senat von Berlin jetzt einschlägt, ist falsch. Mit seiner unnötig hohen Rückkaufsumme schadet er den Interessen Berlins und denen seiner Bürgerinnen und Bürger. Was wir stattdessen benötigen, ist eine Nichtigerklärung der Wasserverträge und eine Rückabwicklung der Teilprivatisierung. Dieses Vertragswerk wäre niemals ohne die offenkundig verfassungswidrige Gewinngarantie zustande gekommen. Es wird deshalb auch keinen Bestand haben, sobald das Verfassungsgericht seine Verfassungswidrigkeit feststellt.
Als Abgeordnete treten Sie dafür ein, dass unser Rechtsstaat und unsere Demokratie ein hohes verteidigungswürdiges Gut sind. Seien Sie dann auch so konsequent und unterstützen Sie unsere Forderung nach einem Moratorium bei den Rückkaufsverhandlungen! Rechtsstaatliche Prozesse dürfen nicht durch das übereilte Schaffen von Fakten ausgehebelt werden. Wichtige politische Entscheidungen dürfen nicht nach Opportunitätsgesichtspunkten getroffen werden.
Die Verfahren
Der Rückkauf der Veolia-Anteile an den Wasserbetrieben darf nicht vollzogen werden, bevor folgende wichtige Entscheidungen oberster Gerichte ergangen sind: Dazu gehören die Klage der BWB gegen die Preissenkungsverfügung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, die Normenkontrollklage von Grünen und Piraten gegen die Unbestimmtheit bzw. Willkür im Berliner Betriebegesetz (bei der Festlegung wichtiger Zins-Kennzahlen für die Wasserpreiskalkulation) und die Organklage der Piratenfraktion, die sich gegen die Verletzung des Budgetrechts aller Berliner Abgeordneten durch eben diese oben erwähnte Gewinngarantie richtet.
Wie agiert Senator Nußbaum?
Finanzsenator Nußbaum beruft sich im Eckpunktepapier vom 12.06.2013 auf den Wunsch der Berlinerinnen und Berliner nach einer Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Wenn er aber diese Rekommunalisierung im Blitzverfahren durch einen überteuerten Rückkauf durchsetzen will, kann er den gleichermaßen erhobenen Wunsch der Berliner nach niedrigeren Wasserpreisen unmöglich erfüllen. Das stellt der Finanzsenator in seinem Papier auch unumwunden fest.
Wichtiger ist es ihm anscheinend, mit dem Rückkaufvertrag dem Wasserkonzern die bis zum Jahre 2028 verfassungswidrigerweise garantierten zukünftigen Gewinne vorzeitig in einer Summe auszuschütten. Dies ist nicht die Rekommunalisierung, für die sich 98,2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in dem Volksentscheid UNSER WASSER ausgesprochen haben. Dies ist eine Verschärfung der Lobbyistenpolitik von 1999.
Nußbaums scheinbar alternativlose Rekommunalisierung durch Rückkauf ist aber keineswegs der einzige Weg zur Wiedererlangung des Einflusses des Landes auf die Wasserbetriebe. Der Senat selbst hätte schon längst die Erfüllung der Verträge unter Hinweis auf ihre Verfassungswidrigkeit verweigern können. Dann wäre es in einem Prozess zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gewinngarantie und damit höchstwahrscheinlich zur Feststellung der Nichtigkeit der Verträge gekommen. Diesen alternativen und wegen einer dann möglichen Rückabwicklung der Verträge viel preisgünstigeren Weg zur Rekommunalisierung wollte der Senat aber nicht gehen. Ganz im Gegenteil: Noch Ende April wurde die Anzahl der vom Land zu bestimmenden Vorstände der Wasserbetriebe von zwei Vorständen auf einen Vorstand reduziert und damit Veolia praktisch die gesamte Steuerung der Wasserbetriebe übertragen.
Es ist offensichtlich, dass die Regierungskoalition nach wie vor den Interessen Veolias auf Kosten der Berliner Bürgerinnen und Bürger entgegenkommt.
Warum ist ein Moratorium der Rückkaufverhandlungen jetzt so wichtig?
Es gibt politisch im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder man sagt, es sollen möglichst schnell Fakten geschaffen werden durch einen Rückkauf, der auch viel zu teuer sein darf. Hauptsache, die Diskussion um die Wasser-Privatisierung ist endlich vom Tisch und es fragt niemand mehr nach der Rolle der für die desaströse Privatisierung verantwortlichen Politiker. Oder man sagt, zuerst müssen die anstehenden Gerichtsentscheidungen abgewartet werden, um klarzustellen, unter welchen Umständen es in Berlin möglich ist, eine Privatisierung mit verfassungswidriger Gewinngarantie und einkalkuliertem Preismissbrauch bis zum jetzigen Zeitpunkt durchzuführen. Ein demokratischer Rechtsstaat muss solche Fälle von Amtsmissbrauch aufklären, um solche Verträge für die Zukunft zu verhindern.
Zudem verbessert jedes dieser Verfahren im Erfolgsfall die Verhandlungsposition des Senats, weil der Wert der Veolia-Anteile drastisch sinken würde. Wenn die Preissenkungsverfügung des Bundeskartellamts vollumfänglich umgesetzt wird, werden die Einnahmen der Wasserbetriebe und der nach dem Ertragswertverfahren festzustellende Unternehmenswert der Wasserbetriebe erheblich sinken. Gleiches gilt, wenn über die Organklage die Verfassungswidrigkeit der Gewinngarantie festgestellt wird. Dann liegt mit der Rückabwicklung wegen Nichtigkeit der Verträge eine weitere, kostengünstigere Möglichkeit zur Rekommunalisierung vor. Auch dies wird die Verhandlungsposition des Senats stärken. Damit würde selbst ein Rückkauf viel günstiger ausfallen und es könnte damit sogar wieder Spielraum für sinkende Wasserpreise geschaffen werden.
Wir sind für die zweite Möglichkeit: Diese ist nicht nur klarer und demokratischer, sondern sorgt auch dafür, dass die Rolle der für die Wasserprivatisierung Verantwortlichen näher beleuchtet werden kann. Für die zweite Möglichkeit wird deshalb das Moratorium unbedingt gebraucht.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Rebel
(Pressesprecher Berliner Wassertisch)
Moratorium – Pro und Contra
1) Wir müssen die Wasserbetriebe schnellstmöglich rekommunalisieren, damit Veolia nicht weiter missbräuchlich überhöhte Preise bei den Berliner Bürgern erhebt.
Durch den Rückkauf bekommt der Konzern die verfassungswidrig garantierten Gewinne bis 2028 in einer Summe ausgezahlt – sogar ohne etwas dafür leisten zu müssen. Durch den überteuerten Rückkauf werden die Finanzen der Bürger nicht im Geringsten geschont.
2) Wir müssen die Wasserbetriebe schnellstmöglich rekommunalisieren, bevor weitere Wasserwerke geschlossen, Investitionen auf die lange Bank geschoben werden, etc.
Der Senat verfügt bereits über 75 Prozent der Anteile an den Wasserbetrieben. Wenn er wollte, könnte er schon jetzt mehr Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen. Stattdessen räumt die Regierungskoalition Veolia sogar mehr Einfluss im Vorstand ein. Eine wirkliche Ausrichtung der Wasserbetriebe auf Bürgerinteressen ist erst zu erwarten, wenn die Bürger das Unternehmen besser kontrollieren können. Landesbesitz verringert zwar in der Regel privatisierungstypische Erscheinungen wie Preismissbrauch, Reduzierung von Investitionen etc.; sie ist allein aber keine Garantie für eine bürgernahe Unternehmensführung.
3) Ein Moratorium wird die Steuerung des Wassergeschäfts auf Jahre blockieren.
Die Gerichte werden voraussichtlich innerhalb des nächsten Jahres entscheiden. Sollten die Urteile im Sinne der Bürger positiv ausfallen, wird der Rückkaufpreis erheblich günstiger sein. Von einer jahrelangen Blockade kann keine Rede sein. Auf die Geschäftsleitung der Wasserbetriebe kann das Land mit seinem 75 prozentigen Anteil bereits jetzt schon mehr Einfluss nehmen. Hier ist konsequente Oppositionsarbeit gefragt, damit das Land seine Einflussmöglichkeiten konsequent nutzt.
4) Die Prüfung der Wasserverträge ist bereits ausreichend erfolgt.
Es hat noch keine ausreichende juristische Prüfung des Vertragswerks stattgefunden. Alle Oppositionsparteien haben im Abschlussbericht des Wasser-Sonderausschusses darauf hingewiesen, dass die Regierungsparteien eine effektive Untersuchung verhindert haben. Die Prüfung findet erst jetzt vor den Gerichten statt.
5) Es ist unsicher, ob die Organklage zum Erfolg führen wird.
Veolia hat in dem Monat den Rückkauf angeboten, in dem die Piraten die Klageschrift durch Prof. Kirchberg eingereicht haben. Der Senat hat seine Stellungnahme zur Klageschrift bereits vorsichtshalber auf einen Termin hinter die Bundestagswahl verschoben. Offensichtlich wird die Klage ernst genommen. Im Sonderausschuss konnte die Senatsseite keinen Juristen aufbieten, der für die Verfassungsmäßigkeit der Gewinngarantie einstehen wollte.
6) Selbst wenn die Organklage erfolgreich sein sollte, würde eine anschließende Rückabwicklung zu lange dauern.
Bei einer Rückabwicklung würde der Kaufpreis von 1999 für die BWB-Anteile mit den bis jetzt erzielten Gewinnen verrechnet werden. Da die Konzerne den Kaufpreis bereits wieder eingenommen haben, würden voraussichtlich keine Rückkaufkosten entstehen. Wie lange eine Rückabwicklung dauern würde, steht nicht fest. Rückabwicklungen kommen jedoch häufiger vor und dauern nicht ewig. In der Regel haben beide Parteien kein Interesse daran, allzu lange mit einer Rückabwicklung wegen rechtswidriger Verträge in den Schlagzeilen zu stehen.
Eine gewonnene Organklage würde jedoch auch in Rückkaufsverhandlungen zu neuen Perspektiven führen: Veolia würde wesentlich entgegenkommender sein, wenn der Konzern damit rechnen müsste, anderweitig mit Verlusten dazustehen.