Abstimmung im Europaparlament am 15.2.2017 – Europäische Gewerkschaftsverbände fordern #StopCETA

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Gemeinsames Briefing der europäischen Gewerkschaftsverbände für die Abstimmung im EP-Plenum über CETA am 15. Februar.
Gemeinsame Kritikpunkte der europäischen Gewerkschaftsverbände (EGV)
Die europäischen Gewerkschaftsverbände haben eine Reihe gemeinsamer Kritikpunkte an dem Freihandelsabkommen CETA, wie es jetzt dem Europäischen Parlament zur Abstimmung vorgelegt wird. Das Gemeinsame Auslegungsinstrument (JII = Joint Interpretative Instrument) trägt nicht in ausreichender Weise zur Klärung oder adäquaten Thematisierung dieser Kritik bei. Aus diesen Gründen bitten wir euch, der CETA-Ratifizierung in der Abstimmung im Plenum am 15. Februar nicht zuzustimmen.

Die wichtigsten Kritikpunkte fassen wir wie folgt zusammen:

Öffentliche Dienste fallen in den Geltungsbereich von CETA.
Das Europäische Parlament hat vor kurzem der Europäischen Kommission eindeutige Empfehlungen vorgelegt, öffentliche Dienste vollständig aus bilateralen und umfassenderen internationalen Handelsabkommen auszuklammern unabhängig davon, wie diese Dienstleistungen finanziert und organisiert werden. Der Flickenteppich der Schutzmaßnahmen, die CETA für öffentliche Dienste vorsieht, erfüllt diese Anforderungen jedoch nicht und ist kein umfassender Schutz für derzeitige und zukünftige öffentliche Dienste. Zwar enthalten die CETA-Anhänge eine Reihe von Einschränkungen für die öffentliche Gesundheitsversorgung, Bildung und andere Sektoren des öffentlichen Dienstes, aber dabei handelt es sich lediglich um einen wenig wirksamen Schutz öffentlicher Dienste, da sie auf so genannte „öffentlich finanzierte“ Dienste begrenzt sind – ein Begriff, der im EU-Vertrag so nicht vorkommt. Es wird keine eindeutige Abgrenzung zwischen öffentlich und privat finanzierten Dienstleistungen gezogen, und es bleibt unklar, in welchem Ausmaß Ausnahmeregelungen greifen würden, die auf dieser Formulierung beruhen.

Eine zweckmäßige Ausnahmeregelung würde öffentliche Dienste unabhängig von ihrer Finanzierung und Erbringung einschließen. In der Tat hat sich die EU immer für ein Modell öffentlicher Dienste ausgesprochen, das die ‚öffentliche‘ oder ‚private‘ Natur der Leistungsanbieter unberücksichtigt lässt und sich statt dessen am Konzept des Allgemeininteresses orientiert. Weiterhin findet sich nicht ein einziger Hinweis darauf, dass öffentliche Dienste oder Dienste im allgemeinen Interesse vom Geltungsbereich des Abkommens ausgenommen werden. Die EU hat für CETA beträchtlichen Liberalisierungsverpflichtungen für privat finanzierte Dienstleistungen zugestimmt, dazu gehören auch Bereiche öffentlicher Dienste. Diese Liberalisierungsverpflichtungen sehen in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund spezifischer Ausnahmeregelungen völlig unterschiedlich aus. Im Ergebnis öffnen die EU und ihre Mitgliedstaaten damit Tür und Tor für ausländische gewinnorientierte Anbieter und gestehen privaten Investoren neue Rechte zu, die über die bestehenden Handelsverpflichtungen hinausgehen.

CETA ist das erste EU-Abkommen mit einem „Negativlisten“-Ansatz für die Liberalisierungszusage öffentlicher Dienste.
Das bedeutet, dass alle Dienstleistungen der Marktliberalisierung geöffnet werden, wenn sie nicht explizit davon ausgenommen sind. Dies ist eine radikale Abkehr von dem bisher in EU-Handelsabkommen üblichen Positivlisten-Modell. Der Negativlistenansatz erweitert somit den Geltungsbereich von Handelsabkommen und erschwert die Neueinführung und Regulierung von Dienstleistungen, die evtl. erst in Zukunft entstehen werden.

Die Stillhalte- und Ratchet-Klauseln in CETA sorgen dafür, dass die jetzt und in Zukunft erreichten Liberalisierungsniveaus unumkehrbar festgeschrieben werden. Damit sind zukünftige Versuche von Staaten, stärker zu regulieren oder Dienstleistungen zu rekommunalisieren, nur noch begrenzt möglich, selbst wenn sich frühere Liberalisierungen als Fehlschläge erwiesen haben und wenn dies im öffentlichen Interesse liegen sollte. Derartige Bestimmungen behindern verantwortungsvolles Handeln auf staatlicher und besonders auf regionaler und kommunaler Ebene. Wir erinnern die Europaabgeordneten an die Ablehnung der Stillhalte- und Ratchet-Klauseln durch das Europäische Parlament in den Empfehlungen für das Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TiSA), denn genau diese Mechanismen unterlaufen demokratische Prozesse und Rechenschaftspflichten.

CETA kann sich negativ auf die Erfüllung von Universaldienstpflichten auswirken, wie sie für öffentliche Versorger wie Post, Stromwirtschaft, Telekom und öffentlichen Nahverkehr gelten.
Diese Dienstpflichten sorgen dafür, dass die BürgerInnen einen universellen Zugang zu grundlegenden Diensten zu einem bezahlbaren Preis haben. CETA wird ebenfalls zu einer Einschränkung der Freiheit öffentlicher Versorger führen, Energie entsprechend den Interessen der Allgemeinheit zu erzeugen und zu verteilen, zum Beispiel durch die Unterstützung erneuerbarer Energien im Kampf gegen den Klimawandel. Nur sehr wenige Mitgliedstaaten haben sich ausdrücklich das Recht auf bestimmte Maßnahmen im Hinblick auf die Energieerzeugung vorbehalten.

CETA enthält weitreichende Bestimmungen zum Investitionsschutz.
Zwar ist der geänderte Investor-Schutzmechanismus in CETA (Investitionsgerichtshof oder ICS) eine Verbesserung gegenüber dem toxischen und vielfach kritisierten ISDS-Mechanismus (Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren), diese Änderung geht aber an der eigentlichen Problematik vorbei. Nach dem ICS-Verfahren werden den Investoren nach wie vor Sonderrechte gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen eingeräumt, indem sie die Politik wegen politischer Maßnahmen verklagen können, die ihre Gewinne bedrohen. Dieses Recht wird auch für die zahlreichen US-Unternehmen gelten, die Niederlassungen in Kanada haben. Frühere Versuche zur Regulierung öffentlicher Dienste waren bereits Anlass zu Klagen privater Anbieter. Mit CETA besteht die Gefahr einer Fortschreibung dieses Trends, damit würden Sektoren wie Bildung, Wasserwirtschaft, Gesundheits- und Sozialdienste und Altersversorgung zum Spielball aller denkbaren Angriffe von Investoren. Das neue ICS-Verfahren ist nicht geeignet, die bisherigen Bedenken gegenüber dem ISDS-System auszuräumen, das betrifft besonders die finanziellen Interessen der Schiedsrichter, die Möglichkeit mehrfacher Schadensersatzansprüche, das Fehlen üblicher richterlicher Selbstbeschränkungen wie allgemeiner Akzeptanz oder Verhältnismäßigkeitsprüfungen sowie vage Schutzstandards für „indirekte Enteignung“ und „faire und gerechte Behandlung“ – all dies führt dazu, dass das ICS-Verfahren anfällig für eine missbräuchliche Auslegung ist.

CETA vernachlässigt Menschenrechte einschließlich Arbeitnehmerrechten

In CETA fehlt nicht nur eine Klausel mit der Aussage, dass die Beachtung der Menschenrechte ein unverzichtbarer Bestandteil des Abkommens ist, sondern das Kapitel über die nachhaltige Entwicklung enthält auch keine verbindlichen und durchsetzbaren Maßnahmen zur Durchsetzung der Kernarbeitsnormen der IAO. Es gibt nur unzureichende Überwachungsmechanismen, so dass die Durchsetzung von Grundsätzen wie gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit unmöglich wird. In Wirklichkeit steigt das Risiko für Sozialdumping und die Verletzung von Arbeitsrechten. In Verbindung mit den Modus 1-Bestimmungen für Online-Dienste im Ausland wird dies zu einem harten Preiswettbewerb und einer Unterbietungsspirale bei den Arbeitsbedingungen in der EU und in Kanada führen. Weiterhin beinhalten die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe keinerlei Verpflichtungen zur Einhaltung von Arbeits- und Umweltnormen und fördern auch nicht die Beachtung von Sozial- und Umweltkriterien in öffentlichen Ausschreibungen. Darüber hinaus besteht aufgrund der Bestimmungen über die Regulierungszusammenarbeit die Gefahr, dass weitere Fortschritte zur Verbesserung bestehender Rechte und Schutzmechanismen gefährdet werden. Das JII ist auch in dieser Hinsicht unzureichend und verweist lediglich darauf, dass CETA nicht zu einer Absenkung von Arbeitsschutznormen führt. Es gibt aber keinerlei Zusagen für den Schutz oder sogar eine Verbesserung von Beschäftigungs-, Gesundheits-, Sozial- und Umweltnormen. Damit würde CETA zu einem fortschrittlicheren und ambitionierteren Handelsabkommen als in seiner derzeitigen Fassung.

CETA ist kein fortschrittliches und faires Handelsabkommen
In der Öffentlichkeit findet eine zunehmend intensive Auseinandersetzung über die Handelspolitik statt. Es hat sich herausgestellt, dass die Freihandelsabkommen nicht mehr nur aus einer rein unternehmerischen Perspektive betrachtet werden können. Statt dessen müssen sie umfassendere gesellschaftliche Themen wie Beschäftigung, sozialen Zusammenhalt und nachhaltige Entwicklung integrieren. CETA leistet all dies nicht und kann deshalb nicht eine Blaupause für die Abkommen der nächsten Generation werden.

Weitere Informationen bei:
Harald WIEDENHOFER, EFFAT-Generalsekretär h.wiedenhofer@effat.org
Ricardo GUTIERREZ, EJF-Generalsekretär ricardo.gutierrez@ifj.org
Eduardo CHAGAS, ETF-Generalsekretär e.chagas@etf-europe.org
Susan FLOCKEN, EGBW-Direktorin Susan.Flocken@csee-etuce.org
Sam HÄGGLUND, EFBH-Generalsekretär samhagglund@efbh.be
Luc TRIANGLE, IndustriAll-Generalsekretär Luc.Triangle@industriall-europe.eu
Oliver ROETHIG, UNI Europa-Regionalsekretär Oliver.Roethig@uniglobalunion.org
Jan Willem GOUDRIAAN, EGÖD-Generalsekretär jwgoudriaan@epsu.org

 

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