FREITAG
14.11.2018
Der Busch brennt. Vorbeifahrt. Es ist höchste Zeit, die Kapitalmarktorientierung im Schienenverkehr zu beenden. Ein Acht-Punkte-Plan für eine Renaissance der Deutschen Bahn.
Prof. Tim Engartner
Zum Artikel
FREITAG
14.11.2018
Der Busch brennt. Vorbeifahrt. Es ist höchste Zeit, die Kapitalmarktorientierung im Schienenverkehr zu beenden. Ein Acht-Punkte-Plan für eine Renaissance der Deutschen Bahn.
Prof. Tim Engartner
Zum Artikel
Wir fordern, dass Krankenhäuser gemeinwohlorientiert, nicht gewinnorientiert arbeiten! Im Zentrum muss der Patient stehen (und auch die Angestellten und Ärzte) und nicht die Shareholder eines Klinikkonzerns….
Kommerzialisierung der Krankenhäuser revidieren from ivkk on Vimeo.
Dr. Siegfried Broß*: „Krankenfürsorge: Gleiches Recht für Alle?“ – Verfassungsrechtliche Sicht. Vortrag auf dem 12. Straubinger Ethiktag: „Zwei-Klassen-Medizin“. Fakt oder Fiktion?, 12. November 2018.
I. Einführung
Aus verfassungsrechtlicher Sicht nähert man sich der Fragestellung zur besseren Verständlichkeit unter übergeordneten Gesichtspunkten, die keinen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Bezug haben.
1. So ist ein ,Kulturwandel‘ im Gesundheitswesen nicht zu verkennen. Die Vertiefung der Europäischen Integration hat einen Privatisierungsdruck für die Mitgliedstaaten in den Bereichen der öffentlichen Infrastruktur erzeugt.[1] Es muss nachdenklich stimmen, dass der schrankenlose, geradezu ungezügelte Wettbewerb zunächst zu einem zentralen ,Staatsziel‘ der Integration erhöht wurde. Ohne dass dies thematisiert oder in irgendeiner Weise deutlich wahrnehmbar gekennzeichnet worden wäre, wurde auf diese schleichende Weise eine neue Werteordnung geschaffen. Es ist nicht zu übersehen, dass die Menschen hierdurch als Mensch und selbst bestimmtes Individuum in einem nicht geringen Maße ausgeblendet werden.
Von den maßgeblichen Akteuren wurde unterdrückt, dass die öffentliche Infrastruktur im Bereich der Daseinsvorsorge eine unmittelbare Ausprägung des Sozialstaatsprinzips ist.[2] In der Bundesrepublik Deutschland wird die Stellung der Menschen in diesem Zusammenhang jedenfalls kraft Verfassungsrechts verstärkt. Das Sozialstaatsprinzip verbindet sich hier gemäß Art. 1 des Grundgesetzes mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Sie wirksam zu achten und zu schützen, ist eine originäre Staatsaufgabe.
Diese Akzessorietät zwischen Sozialstaatsprinzip und Unantastbarkeit der Menschenwürde schließt von vornherein die Privatisierung solcher staatlicher Infrastrukturbereiche aus, die für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar sind und die von den einzelnen Menschen nicht selbst geschaffen und sichergestellt werden können. Dazu gehören z. B. die Krankenfürsorge, aber auch die Leistungen von Bahn und Post, Energie, Straßen und Bildung. Wettbewerb als ein wesentliches Strukturmerkmal der privaten Wirtschaftstätigkeit ist definitionsgemäß rücksichtslos und nimmt keinerlei Bedacht auf das einzelne Individuum und die Allgemeinheit, wie die Vernachlässigung von Umweltschutz, Standards in der Arbeitswelt, aber auch kriminelle Absprachen und Vorgehensweisen wie etwa in Kartellverbindungen wie auch Vermeidungs- und Umgehungsstrategien in der Industrieproduktion belegen.
Aus diesem Grunde ist die Privatisierung der genannten staatlichen Infrastrukturbereiche kraft Verfassung ausgeschlossen, weil die Schranken von Art. 1 Abs. 1 (Schutz der Menschenwürde) und Art. 20 Abs. 1 (Sozialstaatsprinzip) des Grundgesetzes nicht überwunden werden können. Hierfür hat das Grundgesetz eine Sperre errichtet, die selbst mit einer verfassungsändernden Mehrheit nicht beseitigt werden kann.[3] Gleichwohl ist auch mir nicht fremd und meiner Beobachtung nicht entgangen, dass hiergegen häufig verstoßen wird. Das hat mich zu einem kritischen Beitrag mit dem Titel „Wenn rechtsstaatlich-demokratische Ordnungsrahmen stören oder hinderlich sind – Überlegungen zur Entstehung von Parallelwelten –“ bewogen.[4]
2. Weitere Gesichtspunkte treten im Rahmen dieses Entwicklungsprozesses hinzu. Zunächst muss man feststellen, dass eine Funktionselite herangewachsen ist, die von allem nur den Preis und den eigenen Vorteil und von nichts den Wert kennt oder versteht. Insoweit mögen der Hinweis auf die Banken-, Finanzmarktkrise und weltweit wirksame Manipulationen und Verstöße gegen elementare Menschenrechte durch Wirtschaftsunternehmen wie auch die bedrückenden Erfahrungen im eigenen Land durch rücksichts- und verantwortungsloses Handeln von ,Wirtschaftseliten‘ genügen.
Es kann schlechterdings nicht vertreten werden, dass die Krankenfürsorge vor dem aufgezeigten Hintergrund den nicht beherrschbaren Regeln von Markt und Wettbewerb ausgeliefert und z. B. das Krankenhaus wie ein kommerzieller Wirtschaftsbetrieb geführt werden dürfte oder nach den Verlautbarungen von Unternehmensberatungen und anderen nicht dem Gemeinwohl verpflichteten Akteuren müsste.[5] Zudem ist es denkgesetzwidrig, staatliche Monopole durch private Monopole, Oligopole oder äquivalente Strukturen wie Kartelle zu ersetzen.
Es hätte schon seit vielen Jahren im Gefolge der unreflektierten Überbetonung des sharehoulder value – ausgehend vom Banken- und Automobilsektor – auffallen müssen, dass ein die Stabilität der Gesellschaft und die rechtsstaatliche Demokratie gefährdender ,Kulturwandel‘ initiiert wurde: Der Dienst am Menschen wurde immer geringer eingeschätzt und dem gemäß indiskutabel niedrig entlohnt, während die Entgelte vor allem in der Finanz- und dann in der Automobilbranche unvertretbar anschwollen, zu einem nicht geringen Teil unter Gefährdung des Gemeinwohls und der Stabilität des gesamten Staatswesens. Kausal hierfür ist auch die seit vielen Jahren um sich greifende Schaffung von ,Näheverhältnissen‘ zu Wirtschaftskreisen durch die Politik.
3. Die Privatisierung und Kommerzialisierung des Betriebs eines Krankenhauses hat noch weitere – regelmäßig ausgeblendete – Facetten, die rechts- und sozialstaatlich nicht hingenommen werden dürfen. Die Güte der medizinischen Versorgung der Menschen und die verantwortliche ärztliche Tätigkeit würden direkt von Analysten und Ratingagenturen definiert und gelenkt. Sie können den Unternehmenswert des so dem freien Spiel der Marktkräfte ausgelieferten Krankenhauses bestimmen, etwa über Kreditbedingungen, Gewinnerwartungen – besser als Gewinnforderungen gekennzeichnet.[6] Es wird ferner ein Gefährdungspotenzial zulasten der Patienten und der sich ihrer Verantwortung für die ärztliche Tätigkeit noch bewussten Mitglieder dieses Berufsstandes geschaffen.
Die Überantwortung der Definitionshoheit an Entscheidungsträger außerhalb des ethisch gebundenen Berufsstandes ist nicht hinnehmbar und widerspricht allen hergebrachten Grundsätzen des Rechts- und Sozialstaats. Zudem verführen kommerzielle Strukturen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung zu Regelverstößen, Umgehungs- und Vermeidungsstrategien.
4. Die Führung eines Krankenhauses als kommerzieller Betrieb, der definitionsgemäß und systemwidrig die Gemeinwohlverpflichtung verletzt und der Gewinnerzielung die größte Aufmerksamkeit schenkt, hat noch eine weitere für Staat und Gesellschaft gefährliche Auswirkung. Diese ist ebenfalls geeignet, unmittelbar die Volksgesundheit als solche zu bedrohen.
Die Finanzmarktkrise hat das Problem der so genannten systemrelevanten Banken ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Diese müssten ,am Leben erhalten werden‘, weil andernfalls der Bestand eines Staatswesens bedroht sei. Wenn durch die Kommerzialisierung von Krankenhauswesen und Krankenfürsorge außerhalb durch die Schaffung von personeller Knappheit durch die Privatisierung des Krankenhauswesens und die Förderung medizinischer Versorgungszentren systemrelevante Verbünde entstehen, kann es beim Zusammenbruch eines Verbundes regional zu lebensbedrohlichen Versorgungslücken im medizinischen Bereich kommen.
II. Einzelheiten
1. Da die Frage der Kommerzialisierung des Krankenhauswesens die Grundlagen der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland und das Sozialstaatsprinzip betrifft, ist zunächst von einer insoweit einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen. Grundlegende Bedeutung hat das Urteil zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen.[7] In dem Mitbestimmungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zur Wirtschaftsordnung ausgeführt, dass die Freiheit des Gesetzgebers zur Gestaltung der Wirtschaftsordnung nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten verbürgten Freiheiten führen darf, ohne die nach der Konzeption des Grundgesetzes ein Leben in menschlicher Würde nicht möglich ist. Die Aufgabe für den Gesetzgeber besteht sonach darin, die grundsätzliche Freiheit zu wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung mit dem Freiheitsschutz zu vereinen, auf den der einzelne Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat.
Demgemäß hatte das Bundesverfassungsgericht schon zu Beginn seiner Rechtsprechung die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für die Gesellschaft und deren Stabilität und damit für die rechtsstaatliche Demokratie insgesamt verdeutlicht. Hierzu hat es erläutert, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung des Sozialstaates zu sozialer Aktivität, vor allem dazu verpflichtet ist, sich um einen erträglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und um die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle zu bemühen.[8]
Des Weiteren bedürfen zwei Passagen aus dem seinerzeitigen KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts hier der Erwähnung:
„Die Tendenz der Ordnung und die in ihr angelegte Möglichkeit der freien Auseinandersetzung zwischen allen realen und geistigen Kräften wirkt aber in Richtung auf Ausgleich und Schonung der Interessen aller. Das Gemeinwohl wird eben nicht von vornherein gleichgesetzt mit den Interessen und Wünschen einer bestimmten Klasse; annähernd gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten wird grundsätzlich erstrebt. Es besteht das Ideal der sozialen Demokratie in den Formen des Rechtsstaates.“[9]
An anderer Stelle führt das Bundesverfassungsgericht aus:
„Darüber hinaus entnimmt die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Gedanken der Würde und Freiheit des Menschen die Aufgabe, auch im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen […]. Vorzüglich darum ist das Sozialstaatsprinzip zum Verfassungsgrundsatz erhoben worden; es soll schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen.“[10]
2. Allerdings möchte ich nicht verschweigen, dass trotz der Gültigkeit dieser Rechtsprechung sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Problematik Sozialstaatsprinzip und Gleichheit der Menschen neuerdings etwas schwer tut. Dies zeigt das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Januar 2012 über eine Verfassungsbeschwerde[11]. Diese betraf die Anordnung und Durchführung einer besonderen Sicherungsmaßnahme durch Bedienstete einer mit der Durchführung des Maßregelvollzugs beliehenen privatrechtlich organisierten Kapitalgesellschaft. In diesem Zusammenhang erwähnt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die Wahrnehmung von (öffentlichen) Aufgaben durch Berufsbeamte Kosten verursachen könne, die in anderen Organisationsformen – vor allem etwa im Privatisierungsfallwegen dann sich bietender Aufgabenerledigung zu Niedriglöhnen – vermeidbar wären. Das ist der Problematik nicht angemessen und steht im Widerspruch zu den zuvor wiedergegebenen Passagen des KPD-Verbotsurteils, ganz abgesehen davon, dass man hieraus die Billigung eines Regelverstoßes und eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips durch das Bundesverfassungsgericht herleiten könnte.
3. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990[12] streifte im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Krankenhausfinanzierungsgesetzes von 1972 das Problem von Krankenfürsorge und gleichem Zugang der Menschen. Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits war die Ablehnung der Aufnahme einer Privatklinik in den Krankenhausplan des Freistaates Bayern. Schon seinerzeit unterlief dem Bundesverfassungsgericht eine gedankliche Nachlässigkeit, wie die folgende Passage ausweist:
„Es liegt auf der Hand, dass die staatliche Förderung und wirtschaftliche Planung des Krankenhauswesens erheblich erleichtert wird, wenn unnötige und leistungsschwache Krankenhäuser möglichst früh aus dem Wettbewerb ausscheiden. Während dies normalerweise durch die Marktgesetze bewirkt wird, bedarf es staatlicher Lenkungsmaßnahmen, wenn die Preise durch staatliche Fördermittel beeinflusst sind. Der Sinn dieser Förderung würde verfehlt, käme sie auch allen unnötigen und leistungsschwachen Anbietern zugute. Darüber hinaus müsste das (staatlich geförderte) Überangebot an Betten zu einer Steigerung der laufenden Betriebskosten führen. Selbst bedarfsgerechte und leistungsstarke Kliniken wären davon betroffen, weil sie weniger in Anspruch genommen würden und deshalb nicht voll ausgelastet wären.“[13]
Das Bundesverfassungsgericht hat hier zunächst eine Prüfung des angefochtenen Ablehnungsbescheides anhand der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes vorgenommen.[14] Es hat allerdings nicht erkannt, dass das verfassungsrechtliche Terrain vom Sozialstaatsprinzip her aufzubereiten war, weil es im Kern nicht um die Berufsfreiheit von Betreibern privater Kliniken ging. Vielmehr stand die Wahrnehmung einer zentralen Staatsaufgabe, der Versorgung der Bevölkerung im Krankheitsfall, inmitten. Unter diesem Gesichtspunkt war der Hinweis auf Wettbewerb und Markt verfehlt, weil diese einer anderen Kategorie angehören, der Marktwirtschaft für Warenverkehr und nicht der Daseinsvorsorge.
Zudem ging es jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt um die Konturierung des ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Subsidiaritätsprinzips, d. h., dass sich private (dazu zählen auch gemeinnützige) Anbieter im Krankenhausbereich betätigen dürfen. Beim Subsidiaritätsprinzip steht allerdings der Gedanke im Vordergrund, dass bei einer bestehenden – hier verfassungsrechtlich geforderten – Staatsaufgabe für die Tätigkeit von Privaten lediglich ein Lückenschluss in Betracht kommt – bei staatlicher Förderung – oder aber ihr Tätigwerden allein in ihren Risikobereich fällt. All das hat mit Markt und Wettbewerb nichts zu tun, weil die Ausprägung des Sozialstaatsprinzips in diesem Bereich der Krankenfürsorge solches verbietet.
Diese Entscheidung aus dem Jahr 1990 lässt den schon eingesetzten ,Kulturwandel‘ weg von der Krankenfürsorge für die Menschen hin zum Ökonomieprinzip des allgemeinen Geschäfts- und Wirtschaftsverkehrs deutlich erkennen.
4. Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu. Die Versorgung der Menschen im Krankheitsfall als herausragende Staatsaufgabe ist über das Sozialstaatsprinzip und auch das Demokratieprinzip – was generell übersehen wird – ferner geprägt vom Gedanken der Solidargemeinschaft. Das Gegenbeispiel wäre etwa die heftige politische Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten von Amerika über Obamacare. Diesen Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der gesetzlichen Krankenversicherung aufgegriffen, die im Regelfall hinter der Versorgung der Menschen im Krankheitsfall steht und deshalb mit dieser nach einheitlichen Maßstäben zu bewerten ist.
In BVerfGE 102,68 <89> ist für die Krankenversorgung der Rentner insoweit ausgeführt:
„Ein Anhaltspunkt für die Sachgerechtigkeit einer solchen Grenzziehung mit der Folge unterschiedlicher Beitragslast ist die Beachtung der Prinzipien, die den Gesetzgeber bei der Einrichtung der Pflichtversicherung insgesamt leiten. Hier stellt er einerseits auf die Schutzbedürftigkeit des Einzelnen ab und berücksichtigt andererseits, dass die Solidargemeinschaft leistungsfähig ist und bleibt. Die Pflichtversicherung erfasst nach der gesetzlichen Typisierung jedenfalls die Personengruppen, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenversorgung erreicht werden soll.“
Auch das hat nichts mit Markt und Wettbewerb zu tun. Das wird noch an zwei anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich, einmal zum Pflegeversicherungsgesetz[15] und an der Entscheidung über die Zulassung von Ärzten nach dem 55. Lebensjahr zur vertragsärztlichen Versorgung andererseits.[16]
„Die Fürsorge für Menschen, die vor allem im Alter zu den gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderungen nicht in der Lage sind, gehört im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG). Dem Staat ist die Wahrung der Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfsbedürftigkeit besonders anvertraut (Art. 1 Abs. 1 GG). Soweit der durch die Pflegebedürftigkeit hervorgerufene Hilfsbedarf finanzielle Aufwendungen notwendig macht, ist es ein legitimes Konzept des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers, die dafür notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen, die im Grundsatz alle Bürger als Volksversicherung erfasst.“ (a.a.O., S. 221)
In BVerfGE 103, S. 185 f. wird dargelegt:
„Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist so ausgestaltet, dass es in weiten Bereichen nicht durch Marktkräfte gesteuert wird. Die Preise für Güter und Leistungen sind nicht Gegenstand freien Aushandelns im Rahmen eines Wettbewerbs.“
Sonach ist festzuhalten, dass Markt und Wettbewerb in diesem sozialen Bereich systemfremd und deshalb verfehlt sind, weil sie dem Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nicht gerecht werden.
Allerdings sind immer wieder Unebenheiten zu beobachten. So wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wegen Behandlung eines Schwerstkranken wiederum zu Recht die solidarische Versorgung im Krankheitsfall als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips betont und bestätigt[17] und ferner, dass der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates ist. Ihr sei der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt habe. In Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips richte er die Beiträge an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten und nicht am individuellen Risiko aus.[18]
5. Schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gilt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz geht.[19] Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss vielmehr die Menschenwürde auch positiv schützen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Erfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen.
Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, weil das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt.[20] Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen als auch Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit umfasst.[21]
III. Abschließende Bewertung
1. Das Sozialstaatsprinzip nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist wie Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ein Wert an sich. Das bedeutet, dass das Sozialstaatsprinzip nicht in Euro und Cent gemessen werden darf und sich deshalb ein solches Ansinnen wegen der Verbindung mit der unantastbaren Würde des Menschen gemäß Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes verbietet. Das gilt zwangsläufig und folgerichtig auch für die substantiellen Ausprägungen von Sozialstaat und Menschenwürde. Die Gesundheit der Menschen und in ihrer Gesamtheit die Volksgesundheit, ihre Bewahrung und Behandlung im Krankheitsfall ist deshalb ein zentrales Strukturelement der Staatsform der Bundesrepublik Deutschland nach dem Grundgesetz.
2. Es erschließt sich ohne großen gedanklichen Aufwand, dass die Gesundheit vor diesem Hintergrund kein ,marktfähiges Gut‘ ist, das Gegenstand des allgemeinen Wirtschaftsverkehrs sein könnte. Damit würde die unantastbare Würde des Menschen verletzt sowie die fundamentalen Normen des Grundgesetzes unterlaufen und in ihrem Sinn als Leitlinie für alles staatliche Handeln in ihr Gegenteil verkehrt.
Die Krankenfürsorge allgemein wie auch der Betrieb eines Krankenhauses und der medizinischen Versorgungszentren wie auch die bewährte Tätigkeit in der ärztlichen Einzelpraxis dürfen deshalb nicht kommerziell ausgestaltet werden. Eine solche Organisationsstruktur gehört einer Kategorie an, die außerhalb der Verfassung und in ihrem ,ethischen‘ Gehalt mehrere Ebenen unterhalb der Staatsstrukturbestimmung ,Sozialstaat‘ in Verbindung mit der Menschenwürde angesiedelt ist. Daraus folgt abschließend, dass in Anbetracht der aufgezeigten Verbindung von Sozialstaatsprinzip und Menschenwürde in der Krankenfürsorge allen Menschen die gleiche Zuwendung zuteil werden muss. Die Würde jedes einzelnen Menschen ist der der Mitmenschen gleichrangig und gleichwertig.
* Dr. h.c. Universitas Islam Indonesia – UII – Yogyakarta Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D. Richter am Bundesgerichtshof a. D. Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau Ehrenvorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission e.V. und der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Ehrenmitglied des Internationalen Beratungskomitees und Ehrenvorsitzender des Think Tank Africast von CAFRAD 12.Straubinger Ethiktag am 13. November 2018
Endnoten
[1] Einzelheiten hierzu bei Broß, Privatisierung staatlicher Infrastrukturbereiche in der „sozialen Demokratie“, Schriften der Hans-Böckler-Stiftung Bd. 84, 2015; ders., Der Umbau mehr oder weniger existenzieller Infrastrukturen, insbesondere der sozialen Sicherung, als Demokratieproblem, in: Hochhuth (Hrsg.), Rückzug des Staates und Freiheit des Einzelnen, Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 69, Berlin 2012, S. 9 ff.
[2] Einzelheiten hierzu bei Broß, Wasser, Gas, Strom… Warum Privatisierung kein Allheilmittel ist oder sogar die Demokratie gefährden kann, Vortrag am 30. Januar 2013 in Berlin, Schriftenreihe zur Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe. Hrsg. vom Berliner Wassertisch, Heft 2, 2013. (pdf)
[3] Vgl. Art. 79 Abs. 3.
[4] Festschrift für Wolfgang Krüger, 2017,S. 533 ff.
[5] Grundlegend hierzu mit zahlreichen Beispielen und Nachweisen Rolf Stürner, Markt und Wettbewerb über alles? Gesellschaft und Recht im Focus neoliberaler Marktideologie, München 2007.
[6] In diesem Zusammenhang ist die Formulierung eines Gewinnziels von 25 % für die Deutsche Bank AG seinerzeit durch Josef Ackermann in Erinnerung zu rufen.
[7] Vgl. BVerfGE 50, 290 <336–338>.
[8] Vgl. BVerfGE 1, 97 <105>.
[9] BVerfGE 5, 85 <198>.
[10] BVerfGE 5, 85 < 205/206.
[11] Vgl. BVerfGE 130, 76.
[12] Vgl. BVerfGE 82, 198.
[13] BVerfGE 82, 230.
[14] a.a.O., S. 228 f. [15] BVerfGE 103, 197.
[16] BVerfGE 103, 172. [17] Vgl. BVerfGE 115, 25 <42>.
[18] Vgl. BVerfGE 115, S. 43; es kommt also immer auf den Einzelfall an, siehe etwa BVerfGE 140, 229.
[19] Vgl. BVerfGE 125, 175 <223>.
[20] Vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>; ebenso etwa BVerfGE 132, 134 <159>; 137, 34 <72>.
[21] Vgl. BVerfGE 125, 175 <223>; vgl. auch BVerfGE 123, 186 <242/243>; 113, 167 <215>.
11. Februar 2019, 19:30, Urania Berlin: Siegfried Broß: TTIP, CETA, JEFTA. Wie die neuen Freihandelsabkommen Rechtsstaat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichen Beziehungen verändern. Vortragsveranstaltung der Urania Berlin e.V. in Zusammenarbeit mit dem Berliner Netzwerk TTIP | CETA | TiSA stoppen! Mehr hier
Pressemitteilung des Forum Umwelt und Entwicklung zum Weltwassertag am 22. März 2018
(Berlin, 21.3.2018) Zum morgigen Weltwassertag erinnern Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sowie VertreterInnen der öffentlichen Wasserwirtschaft an die Menschenrechte auf Wasser und Sanitärversorgung und an die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs).
Wir wollen keine Wasserraub-KomplizInnen sein
Heute leiden 1,3 Milliarden Menschen weltweit unter Wasserstress. 2030 werden voraussichtlich drei Mal so viele Menschen betroffen sein. Auch Deutschland importiert virtuelles Wasser in Form von landwirtschaftlichen Produkten und Industrierohstoffen aus Regionen, die unter Wasserstress leiden. Der zunehmende Ökonomisierungskurs weltweit, der von der Bundesregierung mitgetragen wird, hat schon jetzt dramatische Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. „Als BürgerInnen eines demokratischen Rechtsstaats erwarten wir, durch unseren Konsum nicht zu Wasserraub-KomplizInnen zu werden. Daher sehen wir die Bundesregierung in der Pflicht, zumindest für Transparenz über die Herkunft von Konsumgütern und Lieferketten zu sorgen“, erklärt Helge Swars vom Weltfriedensdienst.
Wasser muss öffentlich bleiben
Der Zugang zu Trinkwasser und zu Sanitärversorgung muss auf Dauer möglich und ökologisch, wirtschaftlich und sozial nachhaltig ausgestaltet sein. „Deutschland muss sich hierbei deutlich zu der kommunalen Daseinsvorsorge mit Organisationsstrukturen in öffentlicher Hand zur Lösung der Herausforderungen bekennen, denn das ist ein Erfolgsmodell“, bekräftigt Christa Hecht, Geschäftsführerin der Allianz für öffentliche Wasserwirtschaft (AöW). Sie bezieht sich dabei auch auf die Umsetzung des UN-Nachhaltigkeitsziels (SDG) 6. Sie fordert von der neuen Bundesregierung, die kommunale Ebene bei zukünftigen internationalen Umsetzungsbeiträgen zur Erreichung der Wasserziele stärker zu unterstützen und zu koordinieren.
Von einem verbesserten Zugang zu Wasser könnten nach Überzeugung der AG Wasser des Forum Umwelt und Entwicklung viele Menschen in ihrem Alltag direkt profitieren.
„Leitungswasser sollte für alle Bewohnerinnen und Bewohner in Deutschland in guter Qualität, preiswert und überall zur Verfügung stehen. Dafür müssen Trinkbrunnen im öffentlichen Raum wie an Plätzen, wichtigen Verkehrsknotenpunkten, aber auch in Schulen und öffentlichen Gebäuden gebaut werden“, fordert Franziska Killiches von der Initiative a tip: tap.
Unter dem Druck der ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative „Wasser und Sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht“ (Right2Water) wurde der Wasserbereich zwar aus der Europäischen Konzessionsrichtlinie herausgenommen – ein Riesenerfolg für die europäische Zivilgesellschaft. Doch hier können die Schlussfolgerungen aus der Bürgerinitiative auf keinen Fall enden. „Auch vor dem Hintergrund, dass 2019 eine Überprüfung der Ausnahme durch die Europäische Kommission ansteht, fordern wir, dass die EU den politischen Auftrag ihrer Bevölkerung ernst nimmt und ihre Privatisierungspolitik bei der Wasserversorgung endgültig beendet“, so Rainer Heinrich vom Berliner Wassertisch.info.
Pressekontakte:
Jürgen Maier, Forum Umwelt und Entwicklung
chef@forumue.de, +49 (0)30 678 177 588, 0171 38 36 135;
Helge Swars, Weltfriedensdienst e. V.
swars@weltfriedensdienst.de, +49 (0)30 253 990 28;
Christa Hecht, Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW),
hecht@aoew.de, +49 303 974 36 19;
Franziska Killiches, a tip: tap e.V.
franziska@atiptap.org, +49 (0)30 218 043 77;
Rainer Heinrich, Berliner Wassertisch.info
rainer.heinrich@berliner-wassertisch.info, +49 (0)30 915 092 41
Das Forum Umwelt und Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten deutscher Nichtregierungsorganisationen in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. In der AG Wasser sind unter anderem aktiv: Allianz für öffentliche Wasserwirtschaft, A tip:tap, Berliner Wassertisch.info, BORDA, GegenStrömung, GRÜNE LIGA, WECF, Weltfriedensdienst.
BDPK scheitert mit Klage gegen Landkreis Calw
(02. April 2017)
IVKK begrüßt Ergebnis, kritisiert umständliche Entscheidung Ziegler: „Das hätten wir einfacher bekommen können!“
Berlin. „Das hätten wir gerne einfacher und schneller bekommen.“ Bernhard Ziegler, Vorsitzender des Interessenverbandes kommunaler Krankenhäuser (IVKK) kann sich nur halb über das Urteil freuen, das welches der Privatklinikverband BDPK vor dem Oberlandesgericht Stuttgart nach nun bald vierjährigem Klageweg kassiert hat: Der Verlustausgleich des Landkreises Calw für seine Kreiskliniken war kein Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht und er war nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsgebiet zu gewährleisten. (AZ 2U11/14) „Wir sind froh über die Erfolglosigkeit der Klage des BDPK. […]“ (Zum Beitrag)
OLG Stuttgart, 23.03.2017 – 2 U 11/14: „Zur – hier bejahten – Frage, ob beim Ausgleich von Jahresfehlbeträgen einer Kreisklinik durch den zuständigen Landkreis eine rein lokale Fördermaßnahme ohne Auswirkungen auf den Handel innerhalb der Union vorliegt.“ Zum Urteil
Hintergrund
Am 24. März 2016 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über die Wettbewerbsklage des Bundesverbandes Deutscher Privatkliniken (BDPK) gegen den Landkreis Calw (Aktenzeichen I ZR 263/14) entschieden.
Pressemitteilung BGH: Bundesgerichtshof zur Notifizierungspflicht von Zuwendungen eines Landkreises an eine Kreisklinik bei der Europäischen Kommission. 24. März 2016.
Wer klagte gegen wen?
Kläger war der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK). Er vertritt mehr als 1.000 private Krankenhäuser.
Beklagte war der Landkreis Calw. Er ist Gesellschafter der Kreiskliniken Calw gGmbH, die Krankenhäuser in Calw und Nagold betreibt.
Worum ging es bei der Klage?
Es sollte geklärt werden, ob der Landkreis Calw (Schwarzwald) seine Kreisklinken Calw und Nagold finanziell unterstützen durfte, um Verluste ausgleichen. Die Privaten Kliniken sahen darin eine verbotene Subvention von öffentlichen Krankenhäusern.
Verfahrensgang:
LG Tübingen – Urteil vom 23. Dezember 2013 – 5 O 72/13, MedR 2014, 401 (Link)
OLG Stuttgart – Urteil vom 20. November 2014 – 2 U 11/14, WuW/E DE-R 4817 (Link)
BGH Karlruhe – Urteil vom 24. März 2016 – I ZR 263/14 (Links)
OLG Stuttgart – Urteil vom 23. März 2017 – 2 U 11/14 (Link)
Was hat der BGH entschieden?
Der BGH entschied 2016, dass die Zuschüsse für Kliniken im Einzelfall zu prüfen sind. Die subventionierten kommunalen Krankenhäuser müssen belegen, dass die formalen Voraussetzungen für Ausnahmen nach EU-Recht gegeben sind.
Was ist der Hintergrund?
Seit langem ist es das Ziel von Privaten Klinikkonzernen, die öffentlichen Krankenhäuser zu übernehmen. Für sie sind Krankenhäusern ein lukratives Geschäftsmodell. Im EU-Wettbewerbsrecht sehen sie nun einen Hebel, um die Krankenhäuser finanziell derart auszubluten, so dass letztendlich einer Privatisierung nichts mehr im Wege steht.
Was für Folgen hätte eine Privatisierung der Krankenhäuser?
Kliniken werden der Marktlogik unterworfen. Aus gemeinwohlorientieren Institutionen der Gesundheitsversorgung werden gewinnorientierte Unternehmen, in deren Zentrum weder die Patienten noch die Ärzte und Angestellten stehen, sondern einzig die Renditeerwartung der Aktionäre.
Der Berliner Wassertisch spricht sich gegen die Ökonomisierung der Daseinsvorsorge aus. Wettbewerb und Renditeerwartungen haben in der Krankenversorgung nichts zu suchen! Im Zentrum der Krankenversorgung muss der Patient stehen!
Zur Erinnerung:
Anlässlich der Klage Calw hat der Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser e.V. im Januar 2014 gemeinsam mit dem Berliner Wassertisch eine Veranstaltung durchgeführt, auf der der Bundesverfassungsrichter a.D. Siegfried Broß über das Thema „Krankenhäuser kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates?„ (pdf) aus verfassungsrechtlicher Perspektive referiert hat.
Ärztezeitung: Krankenhäuser im Südwesten stehen vor schwerer Zukunft. (24.03.2016)
Prof. Stefan Sell: Eine fundamentale Frage: Ist ein Krankenhaus ein kommerzielles Unternehmen oder kann das Gemeinwohl Zuschüsse notwendig machen, die das EU-Wettbewerbsrecht nichts angehen? 25.03.2016.
IVKK: BGH zum Fall Calw: Chance zur Klärung der Grundsatzfrage. 24. März 2016
Stuttgarter Nachrichten: BGH-Urteil über Kliniken. Kommunale Zuschüsse unter Bedingungen zulässig. 24. März 2016.
SWR: BGH Karlsruhe zu Calwer Krankenhausfinanzierung Geld für Kliniken zulässig – aber so nicht. Landkreise dürfen ihre Kliniken finanziell unterstützen. Aber im Kreis Calw lief einiges falsch, sagt der Bundesgerichtshof. 24. März 2016.
SWR: BGH verhandelt im Fall des Landkreises Calw. Wie viel Hilfe dürfen Kreiskliniken bekommen? 24. März 2016.
Stefan Sell: Wenn aus einem bislang städtischen Krankenhaus ein kirchliches wird und eine der ersten Amtshandlungen aus der Abschaltung von Betriebsrat und Tarifbindung besteht. Wieder einmal die Kirchen und ihr Sonderrecht. (16.03.2016)
KMA online: Krankenhaus-Subventionen in Calw: OLG Stuttgart weist Klage der deutschen Privatkliniken ab (21.11.2014)
SWR: Krankenhausfinanzierung. Die Akte Calw (20.11.2014)
OLG: OLG Stuttgart entscheidet über Zulässigkeit der Krankenhausfinanzierung von Kreiskliniken im Landkreis Calw (20.11.2014)
KMA online: Privatkliniken-Klage: Der Fall Calw kommt voraussichtlich vor den Bundesgerichtshof (10.11.2014)
KMA online: Krankenhausreform: IVKK fordert Abkehr von Kapitalrendite in Klinikbetrieben (05.09.2014)
Jens Flintrop und Sabine Rieser: Streit um Krankenhaussubventionen: Daseinsvorsorge im Mittelpunkt. In: Deutsches Ärzteblatt, 31. Januar 2014 (pdf)
Roland Buckenmaier: Kreis Calw Klinik-Finanzierung: Entscheidung erst 2017. In: Schwarzwälder Bote (28.01.2014)
Siegfried Broß: Krankenhäuser kommerzielle Wirtschaftsbetriebe oder Teil der Daseinsvorsorge des Staates?. In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge. Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 3. Januar 2014.
Ärztezeitung: Klinikfinanzierung. Kommunen dürfen Finanzlöcher stopfen. 24.12.2013.
Ärztezeitung: Kliniken. Signale pro öffentliche Förderung. 22.11.2013
Siegfried Broß: Siegfried Broß: Wasser, Gas, Strom … Warum Privatisierung kein Allheilmittel ist – oder sogar die Demokratie gefährden kann. In: Schriftenreihe zur kommunalen Daseinsvorsorge. Hrsg. v. Berliner Wassertisch. Heft 2. Januar 2013.
Heike Jahberg: Interview mit Ex-Verfassungsrichter Broß „Der Staat ist erpressbar“. In: Tagesspiegel, 03.06.2012.
Mehr zum Thema Calw auf der Wassertisch-Website
IVKK e.V.
Telefon: 030 / 2025 3587
Mail: berlin@ivkk.de
Website: http://ivkk.de/
Pressemitteilung von Heide Schinowsky (MdL Brandenburg)
15.12.2016
Umdenken bei der Landesregierung: Frankfurter Wasserbetriebe dürfen nun doch zu Sulfatgesprächen
Der Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft (FWA) ist es nun doch gestattet, an den sogenannten „Sulfatgesprächen der Staatssekretäre“ teilzunehmen, wenn sie ein „entsprechendes Ansinnen“ äußern, erklärte Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) auf Anfrage der bergbaupolitischen Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion Heide Schinowsky. Noch im November diesen Jahres lehnte die Landesregierung eine Teilnahme der FWA ab. In einem Schreiben an das Mitglied im Braunkohlenausschuss und Fraktionsvorsitzenden der Frankfurter Grünen Jörg Gleisenstein, wurde die Ausladung der FWA damit begründet, dass die Landesregierung die Interessen des Landes ausreichend vertritt und es zu einem späteren Zeitpunkt ein Fachgespräch geben soll. Daher gebe es keine „Notwendigkeit“ für eine Teilnahme an den Gesprächen durch die Frankfurter Wasserbetriebe, teilte ein Abteilungsleiter aus dem Wirtschaftsministerium noch Ende November dem Braunkohlenausschuss mit.
„So sehr ich das jetzige Umdenken der Landesregierung begrüße, so kommt es dennoch reichlich spät. Schließlich haben die Gesprächsrunden seit 2015 bereits dreimal stattgefunden. Es ist kein Wunder, dass in der Region Unmut herrscht, wenn die Brandenburger Wasserbetriebe ausgeschlossen werden, aber von Seiten Berlins deren Wasserbetriebe ohne Probleme teilnehmen können“, sagt Heide Schinowsky.
Jörg Gleisenstein wies darauf hin, dass die Wasserwerke Briesen, die die Stadt Frankfurt (Oder) und Teile des Landkreises Oder-Spree mit Trinkwasser versorgen, geplante Investitionen in die Ertüchtigung des Wasserwerkes Müllrose (Oder-Spree) zur Eindämmung der Sulfatbelastung nicht tätigen können, weil der Bergbausanierer Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) eine anteilige Kostenübernahme verweigert. Zusagen für die Kostenübernahme gibt es vom Land Brandenburg und vom damaligen Bergbaubetreiber Vattenfall. Die Frankfurter Wasserbetriebe stellen für mehr als 65.0000 Menschen in der Region Trinkwasser bereit. Aufgrund des massiven Braunkohleabbaus sind in den letzten Jahren die Sulfatwerte kontinuierlich angestiegen, so dass sich die Trinkwasserpreise für die Wasserkunden erheblich verteuern würden, wenn die FWA die notwendigen Maßnahmen alleine finanzieren müsste. Derzeit gilt bei Trinkwasser ein Grenzwert von 250 mg/l.
……………
Antwort Minister Albrecht Gerber auf mündliche Anfrage:
http://heide-schinowsky.de/wp-content/uploads/2016/12/ma712_2016_12_14_16_04_47.pdf
Der Berliner Wassertisch sieht in der Belastung des Trinkwassers in Berlin und Brandenburg ein gravierendes Problem, für das es bisher nur provisorische Lösungen gibt, die jedoch auf Dauer nicht tragfähig sind. So kann die Zumischung von sulfatfreiem Grundwasser, wie jetzt für die Frankfurter Wasserversorgung geplant, in einem regenarmen Land wie Brandenburg keine langfristige Lösung sein. Dies wird aus den Erläuterungen deutlich, die die Frankfurter Wasserwerke (FWA) auf ihrer Webseite zum Thema veröffentlicht haben. Ob der in der Vergangenheit praktizierte Ausschluss der FWA von den „Sulfatgesprächen der Staatssekretäre“ nur ein bedauerliches Versäumnis oder eher Teil einer Strategie war, die Sulfatproblematik als gewichtiges Argument der Gegner neuer Braunkohletagebaue aus der Diskussion herauszuhalten, soll dahingestellt bleiben.
junge Welt
04.01.2017
»Wir brauchen mehr Kontrollen auf den Höfen«
Belastung des Grundwassers steigt. Viele Landwirte scheren sich kaum um Folgen ihrer Feldbewirtschaftung. Gespräch mit Michael Bender
Interview: Ben Mendelson
Der Zustand von Grundwasser, Flüssen und Seen hat sich seit 2012 kaum verbessert, berichtete die Neue Osnabrücker Zeitung am Montag. Demnach wurden an 28 Prozent der Messstellen gesundheitsgefährdende Nitratwerte im Grundwasser festgestellt. Woran liegt das?
Die Hauptverursacher der Nitratbelastung sind Landwirte, die zu viel Dünger auf die Felder bringen. In den letzten 25 Jahren haben sie wenig getan, um die Qualität des Grundwassers zu verbessern. Und seit der Förderung der energetischen Nutzung der Biomasse verbessert sich hier wenig, oder es kommt zu Verschlechterungen. Das gilt vor allem in den Problemregionen von Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Dort gibt es besonders viel Massentierhaltung. Die konventionellen Landwirte können ihre Höfe nur mit einem großen Bestand an Tieren am Leben erhalten: Die Menge der Tiere pro Betrieb steigt bei zugleich stark sinkender Zahl der Unternehmen. Dadurch kommt es zu dieser regionalen Konzentration. Auch der Maisanbau ist problematisch. Mais braucht zwar nicht so viel Dünger – aber er verträgt Unmengen. Deshalb entsorgen viele Landwirte die Gülle auf Maisfeldern.
zum vollständigen Artikel hier
LeMonde.fr
29.11.2016
Let’s stop the manipulation of science
Stoppen wir die Manipulation der Wissenschaft!
Etwa hundert Wissenschaftler fordern Europa und die internationale Gemeinschaft auf, etwas gegen endokrine Disruptoren[1] zu unternehmen. Sie verurteilen von der Industrie eingesetzte Strategien, die Zweifel im Kampf um den Klimawandel säen sollen.
Schon seit Jahrzehnten wird auf die Wissenschaft Druck ausgeübt, sobald aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse Fragen in Bezug auf wirtschaftliche Aktivitäten und Kapitalinteressen auftreten. Wissenschaftliche Nachweise werden willkürlich von Leuten verfälscht, die diese Wissenschaftlichkeit leugnen und von der Industrie finanzierte Akteure erwecken den falschen Eindruck, es handele sich um Auseinandersetzungen über wissenschaftliche Streitfragen. Diese Herbeiführung von Zweifeln hat Vorsorge-Aktivitäten verzögert – mit gefährlichen Konsequenzen für die Gesundheit von Mensch und Umwelt.
Die „Produzenten der Zweifel“ arbeiten in verschiedenen Bereichen, so auch in der Tabak- und petrochemischen Industrie sowie auf dem Agrochemie Gebiet. Allein die petrochemische Industrie ist die Quelle tausender toxischer Chemikalien und trägt massiv zum Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre bei, wodurch der Klimawandel vorangetrieben wird.
Die Anstrengungen für den Klimaschutz traten mit dem Pariser Abkommen von 2015 in eine neue Ära ein. Sie wurden verbittert von Skeptikern bekämpft, trotz breiter übereinstimmender Bewertung unter Klima-Wissenschaftlern, die entschieden für öffentliche Interessen arbeiten. Ein ähnlicher Kampf wütet hinsichtlich der Notwendigkeit, die Belastung mit Chemikalien zu verringern, die als endokrine Disruptoren wirken. Die Europäische Kommission ist gerade dabei, die erste Regulierung für endokrine Disruptoren weltweit durchzuführen. Auch wenn viele andere Regierungen ihre Besorgnis über endokrine Disruptoren ausgedrückt haben, ließen sie alle es bisher an Regulierungen für diese Chemikalien fehlen. [expand title=“weiterlesen …“ swaptitle=“ “ trigclass=“arrowright“ alt=“Weiter im Aufruf“]
Niemals zuvor waren wir einer größeren Belastung durch hormonelle Krankheiten ausgesetzt wie Brustkrebs, Hodenkrebs, Eierstock- und Prostatakrebs, gestörte Gehirnentwicklung, Diabetes, Fettleibigkeit, ausbleibender Hodenabstieg, Missbildungen des Penis und schlechte Samenqualität. Die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler, die aktiv über die Gründe dieser beunruhigenden Krankheits-Trends forscht, stimmt darin überein, dass mehrere Faktoren eine Rolle spielen, unter anderem Chemikalien, die fähig sind, mit unserem Hormonsystem in Wechselwirkung zu treten.
Verschiedene fachwissenschaftliche Gesellschaften betonen, dass diese chemischen Stoffe, endokrine Disruptoren genannt, eine globale Gesundheitsgefahr darstellen. Unter ihnen sind Flammschutzmittel, die in Möbeln und in elektronischen Geräten stecken, Weichmacher in Kunststoffgegenständen und in Körperpflegeprodukten sowie Pestizide als Rückstände in unserer Nahrung. Die meisten endokrinen Disruptoren erreichen unsere Körper über Nahrungsmittel, die mit diesen Stoffen kontaminiert sind.
Die zielführendste Möglichkeit, etwas gegen den Anstieg hormonaler Krankheiten zu tun, ist die Vermeidung der Exposition solcher Stoffe durch eine effektivere regulatorische Gesetzgebung. Pläne in der EU, solche Regulierungen vorzunehmen, wurden von Wissenschaftlern, die starke Verbindungen zur Industrie haben, jedoch heftig bekämpft. Dies erschien dann nach außen als mangelhafte Übereinstimmung in der wissenschaftlichen Bewertung, obwohl es gar keine wissenschaftliche Auseinandersetzung dazu gab. Die gleiche Strategie war von der Tabakindustrie verwendet worden und hatte die Debatte vergiftet, die Öffentlichkeit verwirrt und Anstrengungen von Politikern und Entscheidungsträgern untergraben, effektivere Regulierungen zu entwickeln und anzuwenden.
Sowohl die Debatten über den Klimawandel als auch diejenigen über endokrine Disruptoren haben unter der Verfälschung wissenschaftlicher Beweise durch von der Industrie bezahlte Akteure gelitten.
Viele Wissenschaftler glauben, dass ihre Objektivität und Neutralität untergraben werden könnte, wenn sie öffentlich Ansichten über politische Themen formulieren und sich in politischen Debatten einmischen würden. Es wäre in der Tat besorgniserregend, wenn politische Ansichten von uns Wissenschaftlern unsere wissenschaftliche Urteilsfähigkeit einschränken könnte. Dies ist jedoch eher der Fall bei Menschen, die die Wissenschaft ablehnen und aufgrund ihrer politischen Ansichten in ihrer Urteilskraft eingeschränkt sind. Das Ergebnis ist ein nicht wieder gutzumachender Schaden. Die Verfälschung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf die Auswirkungen des Rauchens kostete mehrere zehn Millionen Menschen das Leben. Wir sollten den gleichen Fehler nicht wiederholen.
Wir glauben, dass es nicht länger akzeptabel ist, weiter zu schweigen. Als Wissenschaftler haben wir die Verpflichtung, uns in die Debatte einzumischen und die Öffentlichkeit aufzuklären.
Wir sehen es als unsere Verantwortung an, die sich aus unserer Arbeit ergebenden Konsequenzen für die Gesellschaft und für zukünftige Generationen zu benennen und die Aufmerksamkeit für die ernsten Risiken zu wecken, mit denen wir konfrontiert sind. Es steht viel auf dem Spiel. Politisches Handeln ist dringend nötig, um etwas gegen die Belastungen durch endokrine Disruptoren und gegen die Folgen der Treibhausgas-Emissionen zu unternehmen.
Als Wissenschaftler auf den Gebieten der endokrinen Disruptoren und des Klimawandels haben wir unsere Kräfte vereint, weil viele der nötigen Schritte zur Verringerung der Belastung durch endokrine Disruptoren auch im Kampf gegen den Klimawandel hilfreich sein werden. Die meisten menschengemachten Chemikalien basieren auf Erdöl-Nebenprodukten, die von der petrochemischen Industrie hergestellt werden. Wird die Menge des verarbeiteten Erdöls geringer, nimmt auch die Produktion von Nebenprodukten ab, mit denen Kunststoffe und Weichmacher hergestellt werden. Diese chemischen Substanzen beeinträchtigen die männliche Fortpflanzungsgesundheit und tragen zum Krebsrisiko bei. Durch die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen und durch die Förderung alternativer Energiequellen werden nicht nur die Treibhausgase reduziert, sondern auch die Quecksilber Emissionen. Quecksilber ist in geringen Mengen in Kohle enthalten und erreicht über Luftemissionen und die Anreicherung in Fischen den menschlichen Organismus und beeinträchtigt die Gehirnentwicklung.
Obwohl viele Regierungen ihren politischen Willen ausgedrückt haben, sich um die Treibhausgase zu kümmern, wurde die Umsetzung der wissenschaftlichen Kenntnisse über den Klimawandel in praktische Politik blockiert, zum Teil durch Falschinformation zur Verwirrung der Öffentlichkeit und der politisch Verantwortlichen. Die Regierungen sind schon spät dran.
Es ist wichtig, dass wir diese Fehler bei den endokrinen Disruptoren nicht wiederholen, sondern von den Erfahrungen der Klimaforscher und von den Fachleuten des Gesundheitswesens lernen.
Die Europäische Kommission könnte sich für regulatorische Instrumente im Hinblick auf endokrine Disruptoren entscheiden, mit denen sie weltweit neue Standards setzen und uns vor Krankheitswirkungen schützen würde. Wir sind jedoch besorgt, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagen Regelungsoptionen deutlich zu kurz greifen könnten und nicht dem entsprechen, was nötig ist, um uns und zukünftige Generationen zu schützen. Sie setzen eine Nachweisgrenze für endokrine Disruptoren fest, die viel höher liegt als für andere gefährliche Substanzen, wie z. B. für karzinogene Substanzen – faktisch wird es dadurch sehr schwer, irgendeine Substanz in der EU als endokrinen Disruptor einzustufen.
In beiden politischen Bereichen besteht dringender Handlungsbedarf. Deshalb fordern wir die Entwicklung und Einführung effektiver Maßnahmen, die für beide Bereiche – endokrine Disruptoren sowie Klimawandel – in koordinierter Weise in Angriff genommen werden müssen. Ein effektiver Weg, dies zu erreichen, wäre die Gründung einer Organisation innerhalb der Vereinten Nationen, die mit derselben weltweiten Geltung und Verantwortung auszustatten wäre wie der zwischenstaatliche Ausschuss für den Klimawandel (IPPC). Dieses Gremium würde die wissenschaftlichen Aussagen überprüfen, die dann von den politischen Entscheidern im öffentlichen Interesse genutzt werden könnten. So würde unsere Wissenschaft vor dem Einfluss von Kapitalinteressen geschützt werden können.
Dies schulden wir den Generationen, die in der Zukunft leben werden.
* * *
[/expand]
Die Erstunterzeichner dieses Artikels sind: Andreas Kortenkamp, Brunel University (UK); Barbara Demeneix, CNRS/Muséum national d’histoire naturelle (France ); Rémy Slama, Inserm, University Grenoble -Alpes (France); Edouard Bard, Collège de France (France); Ake Bergman, Swetox Research Center (Sweden); Paul R. Ehrlich, Stanford University (USA); Philippe Grandjean, Harvard Chan School of Public Health (USA); Michael Mann, Penn State University (USA); John P. Myers, Carnegie Mellon University (USA); Naomi Oreskes, Harvard University, Cambridge (USA); Eric Rignot, University of California (USA); Niels Eric Skakkebaek, Rigshospitalet (Denmark); Thomas Stocker, University of Bern (Switzerland); Kevin Trenberth, National Centre for Atmospheric Research (USA); Jean-Pascal van Ypersele, Université catholique de Louvain (Belgium); Carl Wunsch, Massachusetts Institute of Technology (USA); R. Thomas Zoeller, University of Massachusetts, Amherst (USA).
[1] Anmerkung des Übersetzers: endokrine Disruptoren sind hormonaktive chemische Substanzen, auch Xenohormone bzw. Umwelthormone genannt
Dieser Aufruf wurde in französischer und englischer Sprache am
29. November 2016 in der französischen Zeitung Le Monde veröffentlicht.
Übersetzung ins Deutsche durch Berliner-Wassertisch
zum Original-Artikel in englischer Sprache hier
dort finden Sie auch die Liste weiterer Unterzeichner des Aufrufs
zur deutschen Übersetzung als PDF hier
hierzu ergänzend:
Brachte TTIP die EU dazu, die Vorsorge bei endokrinen Disruptoren preiszugeben?
James Crisp: Endokrine Disruptoren: EU will USA und Kanada besänftigen. In: EurActiv, 13.12.2016.
Harald Ebner: Hormongift: Keine Zulassung für den Freihandel. In: EurActiv, 14.12.2016.
Fracking-Chemikalien senken Spermienproduktion bei Mäusen. In: Ärzteblatt, 15.10.2015.
AöW zur INTA-Empfehlung zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über den Abschluss des CETA-Abkommens [Dok.Nr. 2016/0205 (NLE) vom 31.10.2016]
An: Mitglieder aus Deutschland im Ausschuss für Internationalen Handel (INTA)
Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,
aus den Informationen des Europäischen Parlaments haben wir entnommen, dass Sie am 5. Dezember 2016 [verschoben auf den 23./24. Januar 2017*; Anm. BWT] über die o.g. Empfehlung abstimmen werden. Als Interessenvertretung der sich vollständig in öffentlicher Hand befindlichen Betriebe, Unternehmen und Verbände der Wasserwirtschaft bitten wir Sie um Unterstützung der Belange der öffentlichen Wasserwirtschaft als Hüterin des besonderen Gutes Wasser, das keine Handelsware ist.
Wir appellieren an Sie, dem derzeitigen CETA-Abkommen nicht zuzustimmen. weiterlesen
Bürgerinitiative Saubere Umwelt und Energie Altmark Pressemitteilung vom 18.11.2016 Nach Berichten von Anwohnern soll vor ca. zweieinhalb Monaten direkt nördlich von Pretzier, ca. 20 m hinter dem Bahnübergang direkt neben der Strasse nach Riebau „etwas aus der Erde heraus geblubbert sein“. „Danach sind Bagger und LKW gekommen, Spüllanzen kamen zum Einsatz und haben Wasser abgepumpt, … weiterlesen
Fairantwortung 18.11.2016 Tim Engartner im Interview bei campus.de über sein Buch »Staat im Ausverkauf«, das sich an all jene richtet, denen die »Verbetriebswirtschaftlichung« der öffentlichen Daseinsvorsorge Bauch- und Kopfschmerzen bereitet. Zum Beitrag Buchtitel: Tim Engartner: Staat im Ausverkauf. Privatisierung in Deutschland. Frankfurt am Main u. New York. 2016. Über das Buch: „Marode Schulen und Krankenhäuser, … weiterlesen
ZEIT
03.11.2016 (Editiert am 05.11.2016)
Rekommunalisierung: Der Irrglaube an die Privatisierung
Kommunen sollten die Niedrigzinsen nutzen, um Wohnungen, Krankenhäuser und Energiebetriebe zurückzukaufen.
Von Tim Engartner
[…] Wenn geschlossene Schwimmbäder, Theater und Museen, erhöhte Preise für Wasser, Strom und Gas sowie steigende Kita-Gebühren als unerwünschte Privatisierungsfolgen begriffen werden, dürfte die „Verbetriebswirtschaftlichung“ der öffentlichen Daseinsvorsorge ein Ende finden.
Zum Artikel
AöW – Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V.
15.10.2016
Interview mit Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski, Uni Kassel
Ist das Menschenrecht auf Wasser im Spannungsfeld von UN-Nachhaltigkeitszielen
und Freihandelsabkommen zu verwirklichen?
Silke Laskowski erläutert, warum das auf UN-Ebene verabschiedete Ziel Nr.6 – Wasser u. Sanitärversorgung für alle – eine Weiterentwicklung der kommunalen Daseinsvorsorge erfordert. Dieses am Gemeinwohl orientierte Ziel kollidiert damit zwangsläufig mit der profitorientierten Agenda von „modernen“ Freihandelsabkommen vom Typ CETA. Dazu trägt insbesondere der Investitionsschutz bei, der auch im Bereich der Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigung zum Tragen kommen kann. Im Interview zeigt sie weiter auf, wie sich die verschiedenen Rechtsebenen – UN, EU, WTO, CETA, nationales Recht – gegenseitig ins Gehege kommen und warum die Behauptung der CETA-Befürworter, dass die kommunale Daseinsvorsorge durch die Ausnahmen im CETA Abkommen hinreichend geschützt sei, den Tatsachen nicht gerecht wird.
Das Interview führt Dr. Durmus Ünlü, Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V.
Sehr geehrte Frau Prof. Laskowski, das Menschenrecht auf Wasser und die UN-Nachhaltigkeitsziele sind das Eine und das Andere sind Freihandelsabkommen. Inwieweit sind diese beiden Bereiche nach Ihrer Ansicht doch miteinander verknüpft?
Das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung ist im UN-Sozialpakt (in Art. 11 und
Art. 12) verankert; ergänzend ist der Rechtskommentar Nr. 15 (2002) heranzuziehen, der
von dem zuständigen UN-Ausschuss zur Auslegung formuliert wurde. Maßgeblich beteiligt daran war übrigens ein deutscher Völkerrechtler, Prof. Dr. Eibe Riedel, Universität Mannheim. Zentrale Kernverpflichtung der Staaten ist die Sicherstellung der existentiellen Grundversorgung der Bevölkerung, d.h. die Bereitstellung von 20 Litern Wasser pro Tag pro Person – ohne Wenn und Aber. Im Nachhaltigkeitsziel Nr. 6 der UN-Agenda 2030, selbst nur ein „soft law“, sind für das Recht auf Wasser in der Rechtswirklichkeit Durchsetzungsmaßnahmen bzw. eine Durchsetzungsstrategie formuliert, an die sich die Staatengemeinschaft durch Annahme der UN-Agenda 2030 selbst gebunden hat. Die zentralen Schnittstellen dieser Themen bestehen sowohl zum Grundgesetz (GG) als auch zum EU-Recht. Auf beiden Ebenen müssen die eingegangenen Verpflichtungen des Völkerrechts in Bezug auf das Menschenrecht auf Wasser beachtet, eingehalten und durchgesetzt werden.
…
Das vollständige Interview kann hier als PDF heruntergeladen werden
Anmerkung: Präsentations-Folien sind unter folgendem Link veröffentlicht (PDF)
http://www.aoew.de/media/Veranstaltungen/2016/PPP_Laskowski_Nuernberg_04_05_2016_final.pdf