Stadtwerke Karlsruhe: Ergänzung zur Auswertung: Wasserwirtschaft im EU-Japan-Abkommen

Problemstellen für Wasserwirtschaft im Japan-Handelsabkommen noch nicht gelöst
Ergänzung unserer Auswertung vom April 2018.
Unsere Auswertung vom 25. April 2018 hat einige teils gravierende Problemstellen für die öffentliche Wasserwirtschaft im Handelsabkommen EU-Japan aufgezeigt.

Inzwischen haben sich noch weitere Problemstellen aufgetan, auf die wir kurz vor der Abstimmung im EU-Parlament (voraussichtlich am 11.12.2018) ergänzend hinweisen möchten. (pdf)

 

1. Aktueller Stand
2. Forderung nach Rechtssicherheit für öffentliche Wasserwirtschaft
3. Zusammenfassung und Ausblick

1. Aktueller Stand

Die Auswertung (pdf) der Stadtwerke Karlsruhe zur Wasserwirtschaft im EU-Japan-Abkommen (JEFTA) floss in das Positionspapier des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (bdew) vom 25.05.2018 ein. Im Folgenden ergab sich dazu und zur Stellungnahme (pdf) der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft (AöW) vom 14.05.2018 eine breite öffentliche Diskussion und Medienberichterstattung, einschließlich eines offenen Briefes des ver.di-Vorsitzenden an den Bundeswirtschaftsminister und eines Eil-Appells der Online-Kampagnenplattform Campact mit über 500.000 Unterzeichnenden innerhalb der ersten Woche. Auch der Deutsche Bundestag debattierte am 14.06.2018 kontrovers zum Japan-Abkommen. Am 06.07.2018 veröffentlichte die EU-Kommission in Deutschland eine entgegnende Klarstellung, gefolgt von einer zusätzlichen Stellungnahme der AöW vom 11.07.2018. Am 17.07.2018 unterzeichneten die Vertragsparteien EU und Japan den Vertrag, vorher hatte im stillen Zustimmungsverfahren der Rat der Unterzeichnung zugestimmt. Eine Gegenposition veröffentlichte am 19.09.2018 der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) mit den kommunalen Spitzenverbänden im Verbund mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Kritische Punkte wurden indes im rechtlichen Gutachten (pdf) von Prof. Laskowski und einer Studie von Thomas Fritz festgestellt. Am 05.11.2018 stimmte der federführende (INTA-)Ausschuss des EU-Parlaments mehrheitlich dem Abkommen zu, so dass die Weichen auf eine Zustimmung des EU-Parlaments in der Sitzungswoche ab dem 10.12.2018 gestellt sind. Danach soll bereits 2019 das Abkommen ohne Abstimmung der nationalen Parlamente in Kraft treten, da das Japanabkommen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen soll.

Der Auswertung (pdf) der Stadtwerke Karlsruhe sind nunmehr folgende wichtige Punkte hinzuzufügen:

2. Forderung nach Rechtssicherheit für öffentliche Wasserwirtschaft

Im Japanabkommen ist eine vollständige Ausnahme nur für audiovisuelle Medien sowie für Aufgaben und Dienstleistungen in Ausübung hoheitlicher Gewalt[1], wie Polizei und Justiz gegeben. Für die Wasserwirtschaft (Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Bewirtschaftung der Gewässer) wurden Teilausnahmen von bestimmten Verpflichtungen formuliert (s. Auswertung (pdf)), eine vollständige Ausnahme fehlt jedoch bislang. Angesichts der grundlegenden Bedeutung von Wasser für Mensch und Natur sowie der Wasserwirtschaft als gesellschaftlicher Kernaufgabe ist jedoch deren vollständige Ausnahme unverzichtbar, nicht zuletzt, um staatliche Handlungsfähigkeit und kommunale Selbstverwaltung auch in Zeiten aufkommender Verschiebungen im Wasserhaushalt durch Klimawandel zu gewährleisten. Nach dem CETA-Abkommen mit Kanada ist das Japanabkommen das nächste Abkommen, das hierzu Nachbesserungsbedarf aufweist. weiterlesen

Geplantes Wasserkraftwerk Agua Zarca. Schuldsprüche für Mord an Umweltaktivistin Berta Cáceres

ZEIT online
30. November 2018

Berta Cáceres: Schuldsprüche für Mord an Umweltaktivistin
2016 wurde in Honduras die Umweltaktivistin Berta Cáceres erschossen. Sie hatte gegen ein geplantes Wasserkraftwerk gekämpft. Die Baufirma Desa soll den Mord beauftragt haben.
Zum Artikel

Siegfried Broß: Marke und Schutz des Eigentums – Überlegungen zur Einschränkung von Marken unter Gemeinwohlsaspekten

Siegfried Broß*, Vortrag bei dem Markenforum des Markenverband e.V. in München am 23. November 2018

Marke und Schutz des Eigentums – Überlegungen zur Einschränkung von Marken unter Gemeinwohlsaspekten

I. Einführung

Das Thema des heutigen Vortrags betrifft eine überaus reizvolle Problemstellung. Diese hat durch die Entscheidung des WTO-Schiedsgerichts zu Plain Packaging für Tabakerzeugnisse in Australien und eine Vorlage des Staatsrats von Frankreich an den EuGH im Zusammenhang mit Beschränkungen des Warenverkehrs mit Tabakerzeugnissen in jüngster Zeit an ganz erheblicher Aktualität gewonnen. Das hat mich bewogen, die Behandlung des Themas aufzuteilen, weil andernfalls der Rahmen der Tagung gesprengt würde. Dem Markenforum ist ein umfangreicherer rein wissenschaftlicher Text zur Verfügung gestellt und nachfolgend nehme ich vor dem aufgezeigten Hintergrund punktuell zu den zentralen Problemen Stellung.

Fotografie: ZAK

1. Ein grundlegendes Problem in Bezug auf den Schutz der Marke als Eigentum beruht darauf, dass es regelmäßig in den rechtlichen Grundlagen an einer Legaldefinition dafür, was Gegenstand des Eigentums und damit schutzfähig ist, fehlt. So formuliert etwa die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (Abl. Nr. C 303 S. 1) in Art. 17 Abs. 1 S. 1 schlicht, „jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.“ Ähnlich ist in Art. 1 Abs. 1 S. 1 des Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 niedergelegt, dass jede natürliche oder juristische Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums hat. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1) bestimmt dem entsprechend in Art. 14 Abs. 1 S. 1 „das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“

2. Im Hinblick auf diese Offenheit des Rechtsinstituts „Eigentum“ stellen sich nahe liegend verschiedene Fragen. Wenn – wie vorstehend deutlich geworden – die Verfassungen zur näheren Beschreibung des Inhalts des Eigentums schweigen, ist zunächst die Frage zu erörtern und zu beantworten, welche individuellen Positionen der Gesetzgeber aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgabe „Schutz des Eigentums“ als Eigentum zu definieren hat und sie folglich rechtlich unter Schutz stellt. Daran anschließend und damit eng zusammenhängend muss bedacht und in die Überlegungen für die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einbezogen werden, ob sich hierfür in der jeweiligen Verfassung Vorgaben oder anderweitig Anhaltspunkte finden. weiterlesen

Wasser und Wasserwirtschaft und die Handelsabkommen JEFTA und EU-Australien und Neuseeland

Wie soll es (nach derzeitigem Stand) nach dem Wunsch der Lobbyisten mit JEFTA weitergehen:Abstimmung im EU-Parlament: Dezember 2018

Inkrafttreten: 2019 (vermutlich nach vollzogenem Brexit)

Wie es nach der Vorstellung des Berliner Wassertischs weitergehen sollte: JEFTA wird im EU-Parlament gestoppt!

Keine Liberalisierung der Wasserversorgung. (Die negativen Erfahrungen mit der Teil-Privatisierung in Berlin (1999–2013) reichen uns! Nie wieder Veolia & andere „Partner“!) Das Menschenrecht Wasser (#right2water) ist unverhandelbar! Das europäische Vorsorgeprinzip darf nicht angetastet werden!

 

Update 30.11.2018:

28.11.2018. Unsere Auswertung vom 25. April 2018 hat einige teils gravierende Problemstellen für die öffentliche Wasserwirtschaft im Handelsabkommen EU-Japan aufgezeigt.

Inzwischen haben sich noch weitere Problemstellen aufgetan, auf die wir kurz vor der Abstimmung im EU-Parlament (voraussichtlich am 11.12.2018) ergänzend hinweisen möchten. Ergänzung Wasserwirtschaft im Japan-Abkommen. Zum Beitrag

EUWID Wasser: (28.11.2018) AöW warnt Europaabgeordnete erneut vor Jefta-Abkommen. Zum Artikel

26.11.2018. Die Allianz der Öffentlichkeit fordert die Europaabgeordneten in einem Brief auf, „die Empfehlung und den Entschließungsantrag des INTA Ausschusses zum EU-Japan-Abkommen abzulehnen bzw. abzuändern und die Belange der öffentlichen Wasserwirtschaft zu unterstützen.“

ÖGB: Mitte Dezember wird das Europäische Parlament über das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen EU und Japan (JEFTA) abstimmen. Ein Ausbau von Handelsbeziehungen kann dann unterstützt werden, wenn sie unter fairen Rahmenbedingungen erfolgen und damit für ArbeitnehmerInnen und Umwelt nachweislich von Vorteil sind. Diese Voraussetzungen sind jedoch – ähnlich wie bei CETA – auch bei JEFTA nicht gegeben. Der ÖGB fordert die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, JEFTA abzulehnen. Zum Beitrag

EU-Parlament, INTA-Ausschuss hat JEFTA am 5. November 2018 zugestimmt.

Netzwerk Gerechter Welthandel startet EMAILAKTION: Handelsabkommen der EU mit Japan (JEFTA) so nicht ratifizieren!

Rechtsgutachten belegt: JEFTA gefährdet unsere Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. „Um eine rechtliche Perspektive zu JEFTA einzuholen, hat Campact Prof. Silke Ruth Laskowski mit einem Rechtsgutachten beauftragt. Sie ist Professorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht mit Schwerpunkt Umweltrecht an der Universität Kassel. Prof. Laskowski forschte bereits intensiv zu internationalen Handelsabkommen und dem Recht auf Wasser. Ihr Gutachten (pdf) zeigt: Die Ausnahmeregelungen für Wasser – wie für die Daseinsvorsorge allgemein – sind nicht umfassend genug.“ Mehr hier

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Rentenprivatisierung ist ein weltweites Debakel

FREITAG
27.11.2018

Dreißig Jahre Abwegigkeit
Von Erik Türk, Rentenexperte in der Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK-Wien) u. Josef Wöss, der dort die Abteilung Sozialpolitik leitet

Gescheitert. Akteure wie Blackrock profitieren vom Rückbau der öffentlichen Altersvorsorge. Nun stellt eine UN-Studie klar: Die Rentenprivatisierung ist ein weltweites Debakel
Zum Beitrag

StopJEFTA-Schreiben der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft an die EU-Parlamentarier_innen

EU-Japan-Abkommen JEFTA: Abstimmung im Plenum über die Empfehlung und den Entschließungsantrag des INTA-Ausschusses

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter,
aus der Tagesordnung für die nächsten Plenartagungen können wir ersehen,
dass Sie sich am 10. Dezember 2018 mit o.g. Abkommen befassen und
voraussichtlich am folgenden Tag [11. Dezember 2018] darüber abstimmen werden. Als Interessenvertretung, der sich vollständig in öffentlicher Hand befindlichen Betriebe, Unternehmen und Verbände der Wasserwirtschaft möchten wir Sie um Unterstützung der Belange der öffentlichen Wasserwirtschaft als Hüterin des besonderen Gutes Wasser, das keine Handelsware ist, bitten.

In dem vom ENVI-Ausschuss beschlossenen Bericht, der nun dem EP-Plenum zur Abstimmung vorliegt, werden unsere Anliegen der öffentlichen Wasserwirtschaft vernachlässigt, obwohl ihr Schutz in den EU-Verträgen als kommunale Daseinsvorsorge fest verankert ist. Diese betreffen folgende Forderungen:

  • Einen Sonderartikel zu Wasser, wonach Wasser und seine Nutzung vom EUJapan-Abkommen insgesamt ausgenommen ist und in dem klargestellt wird, dass Wasser keine übliche Handelsware ist, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.
  • In Anhang II die Verwendung einer Positivliste, in der die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung nicht genannt sind.
  • Soweit eine Positivliste im vorgenanten Sinne nicht angewendet wird, einen korrigierten Vorbehalt (Anhang II – Vorbehalte in Bezug auf künftige Massnahmen – Liste der Europäischen Union“, Vorbehalt Nr. 15) für den Bereich Abwasser. Zwar gibt es im EU-Japan-Abkommen einen spezielleren Vorbehalt Nr. 15, der greift jedoch nicht für den relevanten Bereich „Investitionen“ (siehe dazu unsere Erläuterung vom 11.7.2018).
  • Die ausdrückliche Anerkennung des EU-Vorsorgeprinzips für die Bereiche Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz im EU-Japan-Abkommen.
  • Eine Klarstellung im EU-Japan-Abkommen im Vergabekapitel dahingehend, dass die kommunalen Handlungsmöglichkeiten für öffentliche Unternehmen im Wasserbereich entsprechend dem EU-Vergaberechtsregime ausdrücklich – auch für die Zukunft – abgesichert sind.

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Berliner Netzwerk TTIP | CETA | TiSA stoppen! besucht Berliner EU-Parlamentarier_innen

07.11.18: Jetzt kommt es darauf an: JEFTA im Europäischen Parlament stoppen!
Noch in diesem Jahr wollen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments abschließend über das Freihandelsabkommen EU-Japan (JEFTA) abstimmen.

07.11.18: Jetzt kommt es darauf an: JEFTA im Europäischen Parlament stoppen!

Fachgespräch: Vattenfalls Klagen gegen den Atomaustieg, der Energiecharta-Vertrag und die Zukunft der Konzernklagerechte

 

13. Dezember (Donnerstag)
Langenbeck-Virchow-Haus, Luisenstr. 58-59, 10117 Berlin

Fachgespräch

Vattenfalls Klagen gegen den Atomaustieg, der Energiecharta-Vertrag und
die Zukunft der Konzernklagerechte

13.00 – 16.00Uhr

(Ab 12.00Uhr Einlass und Mittagsimbiss)

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall verklagte Deutschland im Jahr 2012 vor einem privaten Schiedsgericht in Washington auf 4,7 Milliarden Euro Strafzahlung wegen des Atomausstiegs. Vattenfall berief sich dabei auf den Energiecharta-Vertrag, der die transnationalen Rahmenbedingungen für Handel, Transit und Investitionsschutz auf dem Energiesektor regelt und forderte Entschädigung für ungerechte Behandlung und verloren gegangene Investitionen. Anlässlich des bevorstehenden Urteils laden wir alle ExpertInnen, MultiplikatorInnen und Interessierten zum Fachgespräch nach Berlin ein. Gemeinsam mit unseren geladenen ReferentInnen wollen wir am Fall Vattenfall gegen die Bundesrepublik Unterschiede zwischen dem nationalen Rechtssystem und der Schiedsgerichtsbarkeit auf den Grund gehen und analysieren, welchen Weg die EU-Ivestitionspolitik aktuell einschlägt, sowie auch welche Alternativen dazu es gibt.

ReferentInnen und Themen:

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2016
zum Atomausstieg

Dr. Ulrich Wollenteit (angefragt) (Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Referententätigkeit und Veröffentlichungen u.A. auf den Gebieten des Umwelt- und Atomrecht)

Heinz Smital (Kernphysiker bei Greenpeace, Campaigner für Atomkraft, Mitglied des internationalen Strahlenschutzteams)

Vattenfalls ISCID Klage gegen Deutschland

Dr. Rhea Hoffmann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht der Friedrich-Alexander Universität Erlangen Nürnberg)

Der Energiecharta-Vertrag

Pia Eberhardt (Politische Referentin Internationaler Handel und Investitionen Corporate Europe Oberservatory)

Die Zukunft der Konzernklagerechte

Lucile Falqueyrac (Seattle to Brussels Network)

Anmeldung an: Jeremy.oestreich@power-shift.de

Direkt nach Bekanntwerden erster Details der Klage, veröffentlichte PowerShift ein Hintergrundpapier: Der deutsche Atomausstieg auf dem Prüfstand eines internationalen Investitionsschiedsgerichts? (aktualisierte Fassung: 2014, pdf)

Veranstaltet von:

Siegfried Broß: „Krankenfürsorge: Gleiches Recht für Alle?“ – Verfassungsrechtliche Sicht

Dr. Siegfried Broß*: „Krankenfürsorge: Gleiches Recht für Alle?“ – Verfassungsrechtliche Sicht. Vortrag auf dem 12. Straubinger Ethiktag: „Zwei-Klassen-Medizin“. Fakt oder Fiktion?, 12. November 2018.

I. Einführung
Aus verfassungsrechtlicher Sicht nähert man sich der Fragestellung zur besseren Verständlichkeit unter übergeordneten Gesichtspunkten, die keinen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Bezug haben.

Straubinger Tagblatt vom 15.11.18

1. So ist ein ,Kulturwandel‘ im Gesundheitswesen nicht zu verkennen. Die Vertiefung der Europäischen Integration hat einen Privatisierungsdruck für die Mitgliedstaaten in den Bereichen der öffentlichen Infrastruktur erzeugt.[1] Es muss nachdenklich stimmen, dass der schrankenlose, geradezu ungezügelte Wettbewerb zunächst zu einem zentralen ,Staatsziel‘ der Integration erhöht wurde. Ohne dass dies thematisiert oder in irgendeiner Weise deutlich wahrnehmbar gekennzeichnet worden wäre, wurde auf diese schleichende Weise eine neue Werteordnung geschaffen. Es ist nicht zu übersehen, dass die Menschen hierdurch als Mensch und selbst bestimmtes Individuum in einem nicht geringen Maße ausgeblendet werden.

Von den maßgeblichen Akteuren wurde unterdrückt, dass die öffentliche Infrastruktur im Bereich der Daseinsvorsorge eine unmittelbare Ausprägung des Sozialstaatsprinzips ist.[2] In der Bundesrepublik Deutschland wird die Stellung der Menschen in diesem Zusammenhang jedenfalls kraft Verfassungsrechts verstärkt. Das Sozialstaatsprinzip verbindet sich hier gemäß Art. 1 des Grundgesetzes mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Sie wirksam zu achten und zu schützen, ist eine originäre Staatsaufgabe.

Diese Akzessorietät zwischen Sozialstaatsprinzip und Unantastbarkeit der Menschenwürde schließt von vornherein die Privatisierung solcher staatlicher Infrastrukturbereiche aus, die für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar sind und die von den einzelnen Menschen nicht selbst geschaffen und sichergestellt werden können. Dazu gehören z. B. die Krankenfürsorge, aber auch die Leistungen von Bahn und Post, Energie, Straßen und Bildung. Wettbewerb als ein wesentliches Strukturmerkmal der privaten Wirtschaftstätigkeit ist definitionsgemäß rücksichtslos und nimmt keinerlei Bedacht auf das einzelne Individuum und die Allgemeinheit, wie die Vernachlässigung von Umweltschutz, Standards in der Arbeitswelt, aber auch kriminelle Absprachen und Vorgehensweisen wie etwa in Kartellverbindungen wie auch Vermeidungs- und Umgehungsstrategien in der Industrieproduktion belegen.

Aus diesem Grunde ist die Privatisierung der genannten staatlichen Infrastrukturbereiche kraft Verfassung ausgeschlossen, weil die Schranken von Art. 1 Abs. 1 (Schutz der Menschenwürde) und Art. 20 Abs. 1 (Sozialstaatsprinzip) des Grundgesetzes nicht überwunden werden können. Hierfür hat das Grundgesetz eine Sperre errichtet, die selbst mit einer verfassungsändernden Mehrheit nicht beseitigt werden kann.[3] Gleichwohl ist auch mir nicht fremd und meiner Beobachtung nicht entgangen, dass hiergegen häufig verstoßen wird. Das hat mich zu einem kritischen Beitrag mit dem Titel „Wenn rechtsstaatlich-demokratische Ordnungsrahmen stören oder hinderlich sind – Überlegungen zur Entstehung von Parallelwelten –“ bewogen.[4]

2. Weitere Gesichtspunkte treten im Rahmen dieses Entwicklungsprozesses hinzu. Zunächst muss man feststellen, dass eine Funktionselite herangewachsen ist, die von allem nur den Preis und den eigenen Vorteil und von nichts den Wert kennt oder versteht. Insoweit mögen der Hinweis auf die Banken-, Finanzmarktkrise und weltweit wirksame Manipulationen und Verstöße gegen elementare Menschenrechte durch Wirtschaftsunternehmen wie auch die bedrückenden Erfahrungen im eigenen Land durch rücksichts- und verantwortungsloses Handeln von ,Wirtschaftseliten‘ genügen.

Es kann schlechterdings nicht vertreten werden, dass die Krankenfürsorge vor dem aufgezeigten Hintergrund den nicht beherrschbaren Regeln von Markt und Wettbewerb ausgeliefert und z. B. das Krankenhaus wie ein kommerzieller Wirtschaftsbetrieb geführt werden dürfte oder nach den Verlautbarungen von Unternehmensberatungen und anderen nicht dem Gemeinwohl verpflichteten Akteuren müsste.[5] Zudem ist es denkgesetzwidrig, staatliche Monopole durch private Monopole, Oligopole oder äquivalente Strukturen wie Kartelle zu ersetzen.

Es hätte schon seit vielen Jahren im Gefolge der unreflektierten Überbetonung des sharehoulder value – ausgehend vom Banken- und Automobilsektor – auffallen müssen, dass ein die Stabilität der Gesellschaft und die rechtsstaatliche Demokratie gefährdender ,Kulturwandel‘ initiiert wurde: Der Dienst am Menschen wurde immer geringer eingeschätzt und dem gemäß indiskutabel niedrig entlohnt, während die Entgelte vor allem in der Finanz- und dann in der Automobilbranche unvertretbar anschwollen, zu einem nicht geringen Teil unter Gefährdung des Gemeinwohls und der Stabilität des gesamten Staatswesens. Kausal hierfür ist auch die seit vielen Jahren um sich greifende Schaffung von ,Näheverhältnissen‘ zu Wirtschaftskreisen durch die Politik.

3. Die Privatisierung und Kommerzialisierung des Betriebs eines Krankenhauses hat noch weitere – regelmäßig ausgeblendete – Facetten, die rechts- und sozialstaatlich nicht hingenommen werden dürfen. Die Güte der medizinischen Versorgung der Menschen und die verantwortliche ärztliche Tätigkeit würden direkt von Analysten und Ratingagenturen definiert und gelenkt. Sie können den Unternehmenswert des so dem freien Spiel der Marktkräfte ausgelieferten Krankenhauses bestimmen, etwa über Kreditbedingungen, Gewinnerwartungen – besser als Gewinnforderungen gekennzeichnet.[6] Es wird ferner ein Gefährdungspotenzial zulasten der Patienten und der sich ihrer Verantwortung für die ärztliche Tätigkeit noch bewussten Mitglieder dieses Berufsstandes geschaffen.

Die Überantwortung der Definitionshoheit an Entscheidungsträger außerhalb des ethisch gebundenen Berufsstandes ist nicht hinnehmbar und widerspricht allen hergebrachten Grundsätzen des Rechts- und Sozialstaats. Zudem verführen kommerzielle Strukturen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung zu Regelverstößen, Umgehungs- und Vermeidungsstrategien.

4. Die Führung eines Krankenhauses als kommerzieller Betrieb, der definitionsgemäß und systemwidrig die Gemeinwohlverpflichtung verletzt und der Gewinnerzielung die größte Aufmerksamkeit schenkt, hat noch eine weitere für Staat und Gesellschaft gefährliche Auswirkung. Diese ist ebenfalls geeignet, unmittelbar die Volksgesundheit als solche zu bedrohen.

Die Finanzmarktkrise hat das Problem der so genannten systemrelevanten Banken ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Diese müssten ,am Leben erhalten werden‘, weil andernfalls der Bestand eines Staatswesens bedroht sei. Wenn durch die Kommerzialisierung von Krankenhauswesen und Krankenfürsorge außerhalb durch die Schaffung von personeller Knappheit durch die Privatisierung des Krankenhauswesens und die Förderung medizinischer Versorgungszentren systemrelevante Verbünde entstehen, kann es beim Zusammenbruch eines Verbundes regional zu lebensbedrohlichen Versorgungslücken im medizinischen Bereich kommen.

II. Einzelheiten
1. Da die Frage der Kommerzialisierung des Krankenhauswesens die Grundlagen der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland und das Sozialstaatsprinzip betrifft, ist zunächst von einer insoweit einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen. Grundlegende Bedeutung hat das Urteil zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Unternehmen.[7] In dem Mitbestimmungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zur Wirtschaftsordnung ausgeführt, dass die Freiheit des Gesetzgebers zur Gestaltung der Wirtschaftsordnung nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten verbürgten Freiheiten führen darf, ohne die nach der Konzeption des Grundgesetzes ein Leben in menschlicher Würde nicht möglich ist. Die Aufgabe für den Gesetzgeber besteht sonach darin, die grundsätzliche Freiheit zu wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung mit dem Freiheitsschutz zu vereinen, auf den der einzelne Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat.

Demgemäß hatte das Bundesverfassungsgericht schon zu Beginn seiner Rechtsprechung die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für die Gesellschaft und deren Stabilität und damit für die rechtsstaatliche Demokratie insgesamt verdeutlicht. Hierzu hat es erläutert, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung des Sozialstaates zu sozialer Aktivität, vor allem dazu verpflichtet ist, sich um einen erträglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und um die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle zu bemühen.[8]

Des Weiteren bedürfen zwei Passagen aus dem seinerzeitigen KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts hier der Erwähnung:

„Die Tendenz der Ordnung und die in ihr angelegte Möglichkeit der freien Auseinandersetzung zwischen allen realen und geistigen Kräften wirkt aber in Richtung auf Ausgleich und Schonung der Interessen aller. Das Gemeinwohl wird eben nicht von vornherein gleichgesetzt mit den Interessen und Wünschen einer bestimmten Klasse; annähernd gleichmäßige Förderung des Wohles aller Bürger und annähernd gleichmäßige Verteilung der Lasten wird grundsätzlich erstrebt. Es besteht das Ideal der sozialen Demokratie in den Formen des Rechtsstaates.“[9]

An anderer Stelle führt das Bundesverfassungsgericht aus:

„Darüber hinaus entnimmt die freiheitliche demokratische Grundordnung dem Gedanken der Würde und Freiheit des Menschen die Aufgabe, auch im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen […]. Vorzüglich darum ist das Sozialstaatsprinzip zum Verfassungsgrundsatz erhoben worden; es soll schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen.“[10]

2. Allerdings möchte ich nicht verschweigen, dass trotz der Gültigkeit dieser Rechtsprechung sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Problematik Sozialstaatsprinzip und Gleichheit der Menschen neuerdings etwas schwer tut. Dies zeigt das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Januar 2012 über eine Verfassungsbeschwerde[11]. Diese betraf die Anordnung und Durchführung einer besonderen Sicherungsmaßnahme durch Bedienstete einer mit der Durchführung des Maßregelvollzugs beliehenen privatrechtlich organisierten Kapitalgesellschaft. In diesem Zusammenhang erwähnt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die Wahrnehmung von (öffentlichen) Aufgaben durch Berufsbeamte Kosten verursachen könne, die in anderen Organisationsformen – vor allem etwa im Privatisierungsfallwegen dann sich bietender Aufgabenerledigung zu Niedriglöhnen – vermeidbar wären. Das ist der Problematik nicht angemessen und steht im Widerspruch zu den zuvor wiedergegebenen Passagen des KPD-Verbotsurteils, ganz abgesehen davon, dass man hieraus die Billigung eines Regelverstoßes und eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips durch das Bundesverfassungsgericht herleiten könnte.

3. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1990[12] streifte im Zusammenhang mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Krankenhausfinanzierungsgesetzes von 1972 das Problem von Krankenfürsorge und gleichem Zugang der Menschen. Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits war die Ablehnung der Aufnahme einer Privatklinik in den Krankenhausplan des Freistaates Bayern. Schon seinerzeit unterlief dem Bundesverfassungsgericht eine gedankliche Nachlässigkeit, wie die folgende Passage ausweist:

„Es liegt auf der Hand, dass die staatliche Förderung und wirtschaftliche Planung des Krankenhauswesens erheblich erleichtert wird, wenn unnötige und leistungsschwache Krankenhäuser möglichst früh aus dem Wettbewerb ausscheiden. Während dies normalerweise durch die Marktgesetze bewirkt wird, bedarf es staatlicher Lenkungsmaßnahmen, wenn die Preise durch staatliche Fördermittel beeinflusst sind. Der Sinn dieser Förderung würde verfehlt, käme sie auch allen unnötigen und leistungsschwachen Anbietern zugute. Darüber hinaus müsste das (staatlich geförderte) Überangebot an Betten zu einer Steigerung der laufenden Betriebskosten führen. Selbst bedarfsgerechte und leistungsstarke Kliniken wären davon betroffen, weil sie weniger in Anspruch genommen würden und deshalb nicht voll ausgelastet wären.“[13]

Das Bundesverfassungsgericht hat hier zunächst eine Prüfung des angefochtenen Ablehnungsbescheides anhand der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes vorgenommen.[14] Es hat allerdings nicht erkannt, dass das verfassungsrechtliche Terrain vom Sozialstaatsprinzip her aufzubereiten war, weil es im Kern nicht um die Berufsfreiheit von Betreibern privater Kliniken ging. Vielmehr stand die Wahrnehmung einer zentralen Staatsaufgabe, der Versorgung der Bevölkerung im Krankheitsfall, inmitten. Unter diesem Gesichtspunkt war der Hinweis auf Wettbewerb und Markt verfehlt, weil diese einer anderen Kategorie angehören, der Marktwirtschaft für Warenverkehr und nicht der Daseinsvorsorge.

Zudem ging es jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt um die Konturierung des ebenfalls verfassungsrechtlich abgesicherten Subsidiaritätsprinzips, d. h., dass sich private (dazu zählen auch gemeinnützige) Anbieter im Krankenhausbereich betätigen dürfen. Beim Subsidiaritätsprinzip steht allerdings der Gedanke im Vordergrund, dass bei einer bestehenden – hier verfassungsrechtlich geforderten – Staatsaufgabe für die Tätigkeit von Privaten lediglich ein Lückenschluss in Betracht kommt – bei staatlicher Förderung – oder aber ihr Tätigwerden allein in ihren Risikobereich fällt. All das hat mit Markt und Wettbewerb nichts zu tun, weil die Ausprägung des Sozialstaatsprinzips in diesem Bereich der Krankenfürsorge solches verbietet.

Diese Entscheidung aus dem Jahr 1990 lässt den schon eingesetzten ,Kulturwandel‘ weg von der Krankenfürsorge für die Menschen hin zum Ökonomieprinzip des allgemeinen Geschäfts- und Wirtschaftsverkehrs deutlich erkennen.

4. Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu. Die Versorgung der Menschen im Krankheitsfall als herausragende Staatsaufgabe ist über das Sozialstaatsprinzip und auch das Demokratieprinzip – was generell übersehen wird – ferner geprägt vom Gedanken der Solidargemeinschaft. Das Gegenbeispiel wäre etwa die heftige politische Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten von Amerika über Obamacare. Diesen Gedanken hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der gesetzlichen Krankenversicherung aufgegriffen, die im Regelfall hinter der Versorgung der Menschen im Krankheitsfall steht und deshalb mit dieser nach einheitlichen Maßstäben zu bewerten ist.

In BVerfGE 102,68 <89> ist für die Krankenversorgung der Rentner insoweit ausgeführt:

„Ein Anhaltspunkt für die Sachgerechtigkeit einer solchen Grenzziehung mit der Folge unterschiedlicher Beitragslast ist die Beachtung der Prinzipien, die den Gesetzgeber bei der Einrichtung der Pflichtversicherung insgesamt leiten. Hier stellt er einerseits auf die Schutzbedürftigkeit des Einzelnen ab und berücksichtigt andererseits, dass die Solidargemeinschaft leistungsfähig ist und bleibt. Die Pflichtversicherung erfasst nach der gesetzlichen Typisierung jedenfalls die Personengruppen, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenversorgung erreicht werden soll.“

Auch das hat nichts mit Markt und Wettbewerb zu tun. Das wird noch an zwei anderen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts deutlich, einmal zum Pflegeversicherungsgesetz[15] und an der Entscheidung über die Zulassung von Ärzten nach dem 55. Lebensjahr zur vertragsärztlichen Versorgung andererseits.[16]

„Die Fürsorge für Menschen, die vor allem im Alter zu den gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderungen nicht in der Lage sind, gehört im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG). Dem Staat ist die Wahrung der Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfsbedürftigkeit besonders anvertraut (Art. 1 Abs. 1 GG). Soweit der durch die Pflegebedürftigkeit hervorgerufene Hilfsbedarf finanzielle Aufwendungen notwendig macht, ist es ein legitimes Konzept des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers, die dafür notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen, die im Grundsatz alle Bürger als Volksversicherung erfasst.“ (a.a.O., S. 221)

In BVerfGE 103, S. 185 f. wird dargelegt:

„Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist so ausgestaltet, dass es in weiten Bereichen nicht durch Marktkräfte gesteuert wird. Die Preise für Güter und Leistungen sind nicht Gegenstand freien Aushandelns im Rahmen eines Wettbewerbs.“

Sonach ist festzuhalten, dass Markt und Wettbewerb in diesem sozialen Bereich systemfremd und deshalb verfehlt sind, weil sie dem Sozialstaats-, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip nicht gerecht werden.

Allerdings sind immer wieder Unebenheiten zu beobachten. So wird in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wegen Behandlung eines Schwerstkranken wiederum zu Recht die solidarische Versorgung im Krankheitsfall als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips betont und bestätigt[17] und ferner, dass der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Grundaufgabe des Staates ist. Ihr sei der Gesetzgeber nachgekommen, indem er durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt habe. In Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips richte er die Beiträge an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten und nicht am individuellen Risiko aus.[18]

5. Schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gilt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz geht.[19] Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss vielmehr die Menschenwürde auch positiv schützen. Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Erfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen.

Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, weil das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt.[20] Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen als auch Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit umfasst.[21]

III. Abschließende Bewertung
1. Das Sozialstaatsprinzip nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist wie Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ein Wert an sich. Das bedeutet, dass das Sozialstaatsprinzip nicht in Euro und Cent gemessen werden darf und sich deshalb ein solches Ansinnen wegen der Verbindung mit der unantastbaren Würde des Menschen gemäß Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes verbietet. Das gilt zwangsläufig und folgerichtig auch für die substantiellen Ausprägungen von Sozialstaat und Menschenwürde. Die Gesundheit der Menschen und in ihrer Gesamtheit die Volksgesundheit, ihre Bewahrung und Behandlung im Krankheitsfall ist deshalb ein zentrales Strukturelement der Staatsform der Bundesrepublik Deutschland nach dem Grundgesetz.

2. Es erschließt sich ohne großen gedanklichen Aufwand, dass die Gesundheit vor diesem Hintergrund kein ,marktfähiges Gut‘ ist, das Gegenstand des allgemeinen Wirtschaftsverkehrs sein könnte. Damit würde die unantastbare Würde des Menschen verletzt sowie die fundamentalen Normen des Grundgesetzes unterlaufen und in ihrem Sinn als Leitlinie für alles staatliche Handeln in ihr Gegenteil verkehrt.

Die Krankenfürsorge allgemein wie auch der Betrieb eines Krankenhauses und der medizinischen Versorgungszentren wie auch die bewährte Tätigkeit in der ärztlichen Einzelpraxis dürfen deshalb nicht kommerziell ausgestaltet werden. Eine solche Organisationsstruktur gehört einer Kategorie an, die außerhalb der Verfassung und in ihrem ,ethischen‘ Gehalt mehrere Ebenen unterhalb der Staatsstrukturbestimmung ,Sozialstaat‘ in Verbindung mit der Menschenwürde angesiedelt ist. Daraus folgt abschließend, dass in Anbetracht der aufgezeigten Verbindung von Sozialstaatsprinzip und Menschenwürde in der Krankenfürsorge allen Menschen die gleiche Zuwendung zuteil werden muss. Die Würde jedes einzelnen Menschen ist der der Mitmenschen gleichrangig und gleichwertig.

* Dr. h.c. Universitas Islam Indonesia – UII – Yogyakarta Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D. Richter am Bundesgerichtshof a. D. Honorarprofessor an der Universität Freiburg im Breisgau Ehrenvorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission e.V. und der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Ehrenmitglied des Internationalen Beratungskomitees und Ehrenvorsitzender des Think Tank Africast von CAFRAD 12.Straubinger Ethiktag am 13. November 2018

Endnoten
[1] Einzelheiten hierzu bei Broß, Privatisierung staatlicher Infrastrukturbereiche in der „sozialen Demokratie“, Schriften der Hans-Böckler-Stiftung Bd. 84, 2015; ders., Der Umbau mehr oder weniger existenzieller Infrastrukturen, insbesondere der sozialen Sicherung, als Demokratieproblem, in: Hochhuth (Hrsg.), Rückzug des Staates und Freiheit des Einzelnen, Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 69, Berlin 2012, S. 9 ff.
[2] Einzelheiten hierzu bei Broß, Wasser, Gas, Strom… Warum Privatisierung kein Allheilmittel ist oder sogar die Demokratie gefährden kann, Vortrag am 30. Januar 2013 in Berlin, Schriftenreihe zur Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe. Hrsg. vom Berliner Wassertisch, Heft 2, 2013. (pdf)
[3] Vgl. Art. 79 Abs. 3.
[4] Festschrift für Wolfgang Krüger, 2017,S. 533 ff.
[5] Grundlegend hierzu mit zahlreichen Beispielen und Nachweisen Rolf Stürner, Markt und Wettbewerb über alles? Gesellschaft und Recht im Focus neoliberaler Marktideologie, München 2007.
[6] In diesem Zusammenhang ist die Formulierung eines Gewinnziels von 25 % für die Deutsche Bank AG seinerzeit durch Josef Ackermann in Erinnerung zu rufen.
[7] Vgl. BVerfGE 50, 290 <336–338>.
[8] Vgl. BVerfGE 1, 97 <105>.
[9] BVerfGE 5, 85 <198>.
[10] BVerfGE 5, 85 < 205/206.
[11] Vgl. BVerfGE 130, 76.
[12] Vgl. BVerfGE 82, 198.
[13] BVerfGE 82, 230.
[14] a.a.O., S. 228 f. [15] BVerfGE 103, 197.
[16] BVerfGE 103, 172. [17] Vgl. BVerfGE 115, 25 <42>.
[18] Vgl. BVerfGE 115, S. 43; es kommt also immer auf den Einzelfall an, siehe etwa BVerfGE 140, 229.
[19] Vgl. BVerfGE 125, 175 <223>.
[20] Vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>; ebenso etwa BVerfGE 132, 134 <159>; 137, 34 <72>.
[21] Vgl. BVerfGE 125, 175 <223>; vgl. auch BVerfGE 123, 186 <242/243>; 113, 167 <215>.

+++ Veranstaltungshinweis +++

11. Februar 2019, 19:30, Urania Berlin: Siegfried Broß: TTIP, CETA, JEFTA. Wie die neuen Freihandelsabkommen Rechtsstaat und Demokratie sowie die zwischenstaatlichen Beziehungen verändern. Vortragsveranstaltung der Urania Berlin e.V. in Zusammenarbeit mit dem Berliner Netzwerk TTIP | CETA | TiSA stoppen! Mehr hier

EMAILAKTION: Handelsabkommen der EU mit Japan (JEFTA) so nicht ratifizieren!

JEFTA ist die Abkürzung für „Japan-EU Free Trade Agreement”, der geplanten Wirtschaftspartnerschaft der EU mit Japan. So wie alle anderen EU-Handelsabkommen folgt auch JEFTA einer eindeutigen Konzernagenda: Unternehmen bekommen mit JEFTA viele Sonderrechte, aber keinerlei Pflichten. Soziale und ökologische Standards spielen – wenn überhaupt – nur eine Nebenrolle. Im Dezember 2018 muss das EU-Parlament über JEFTA abstimmen – das ist die letzte Chance, das Abkommen noch zu stoppen!

Daher haben wir einen Offenen Brief (pdf) an alle deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments veröffenlicht. Darin erläutern wir die Risiken, die in JEFTA enthalten sind, und fordern die Abgeordneten dazu auf, das Abkommen nicht zu ratifizieren.

 

Unterstützen Sie HIER unseren Offenen Brief: Schreiben Sie heute Ihrem oder Ihrer Abgeordneten im EU-Parlament und fordern Sie ihn oder sie dazu auf, JEFTA im Dezember nicht zuzustimmen.

 

Schleswig-Holstein: Volksinitiative zum Schutz des Wassers vor Fracking und Ölförderung teilweise zugelassen

(Kiel, 8.11.2018) Die mit 42.000 Unterschriften von Schleswig-Holsteinern unterstützte
Volksinitiative zum Schutz des Wassers sei unzulässig, soweit Fracking landesweit verboten werden soll, entschied soeben der Schleswig-Holsteinische Landtag. Zugelassen wurde die Volksinitiative, soweit die Kreise als Wasserbehörden zuständig werden, Bergbauunternehmen für Schäden haften sollen und der Geheimhaltung von Bohrplänen zum Schutz von “Geschäftsgeheimnissen” ein Ende gesetzt werden soll. Die Volksinitiative kündigt an, wegen der Nichtzulassung des Fracking-Verbots vor das Landesverfassungsgericht zu ziehen.

Die SPD stimmte gegen die nur teilweise Zulassung. Auch vom SSW kam scharfe Kritik daran.[1] Die Grünen verteidigten dagegen die Nichtzulassung des Fracking-Verbots.[2]

“Heute haben wir einen wichtigen Teilerfolg errungen”, erklärt die Vertrauensperson der Volksinitiative Dr. Reinhard Knof (Bürgerinitiative gegen CO2 Endlager). “Bergbau wird zukünftig nicht mehr ohne Einfluss der zuständigen Wasserbehörden der Kreise stattfinden können. Die Bergbauunternehmen werden in Zukunft für Schäden haften, bei Unfällen ihre Bohrungen unterbrechen müssen und können ihre Absichten nicht mehr hinter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verbergen. Damit ist es uns nach über fünf Jahren gelungen, den bisher nur unter der fragwürdigen Aufsicht des Bergamtes agierenden Bergbauunternehmen eine wirkunsvolle Aufsicht durch die Kreisverwaltungen entgegen zu setzen.”

“Zum Schutz unseres Wassers sollte Schleswig-Holstein als bundesweit erstes Land komplett aus dem hochriskanten und klimaschädlichen Fracking aussteigen”, fordert die Vertrauensperson der Volksinitiative Patrick Breyer (Piratenpartei). “Wir werden das Landesverfassungsgericht darüber entscheiden lassen, ob das möglich ist. Haben wir Erfolg, können auch andere Bundesländer Fracking verbieten und damit unsere Heimat und Lebensgrundlagen schützen.”

Nach Teilzulassung der Volksinitiative hat der Landtag nun vier Monate Zeit, über die Annahme und Umsetzung der zugelassenen Teile zu entscheiden. Die Volksinitiative wiederum kann innerhalb eines Monats gegen die Nichtzulassung des Fracking-Verbots vor das Landesverfassungsgericht ziehen.

Hintergrund:

Zehntausende Schleswig-Holsteiner unterstützen die Volksinitiative zum Schutz des Wassers (http://vi-wasser.de), die u.a. von BUND, attac, der Bürgerinitiative gegen CO2-Endlager und der Piratenpartei getragen wird. Die Volksinitiative will Fracking in Schleswig-Holstein verbieten, Bergbau-Unternehmen für Schäden haftbar machen und der Geheimhaltung von Bohrplänen zum Schutz von “Geschäftsgeheimnissen” ein Ende setzen. In Schleswig-Holstein hat es schon 98 bekannt gewordene Schadensfälle durch die Erdölförderung gegeben, bei denen Boden, Wasser und Umwelt vergiftet wurden.

Flyer der Volksinitiative:
http://vi-wasser.de/files/Flyer_VI_Wasser.pdf

Die Volksinitiative im Wortlaut:
http://vi-wasser.de/files/Volksinitiative%20Wassergesetz%20SH.pdf

[1] Pressemitteilung des SSW:
http://www.landtag.ltsh.de/presseticker/2018-11-08-17-34-58-5ff0/

[2] Pressemitteilung der Grünen:
http://www.landtag.ltsh.de/presseticker/2018-11-08-17-44-00-60b5/

Die heute angenommene Beschlussempfehlung im Wortlaut:
<http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/drucks/01000/drucksache-19-01016.pdf>

Meldung des Landtags:
http://www.landtag.ltsh.de/nachrichten/18_11_fracking_volksinitiative/

Zur Pressemitteilung

 

14.900 gegen Flüssiggas aus Nordamerika: Umweltgruppen übergeben offenen Brief an Bundesregierung

Berlin, 06.11.2018 – Mehrere Umweltgruppen haben heute einen offenen Brief gegen die deutsche Unterstützung eines Flüssiggasterminals in Kanada an den SPD Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels übergeben. In dem Brief fordern 34 Organisationen und 14.900 Unterzeichnende die Bundesregierung dazu auf, keine Garantie für einen Ungebundenen Finanzkredit (UFK-Garantie) über 4 Milliarden US-Dollar zum Bau des Terminals und zur Erschließung von Gasfeldern in Goldboro, Kanada, an das Unternehmen Pieridae Energy zu vergeben.

Die Umweltgruppen kritisieren, dass das Gas für das Terminal größtenteils mit der höchst umstrittenen Methode des Hydraulic Fracking gewonnen werden soll. Das besonders umwelt- und klimaschädliche Verfahren der Gasgewinnung gefährde Grundwasser und Flüsse durch Verunreinigung mit giftigen Chemikalien. Das Terminal soll unter anderem Erdgas für den deutschen Markt bereitstellen. Der Bau neuer Gasinfrastruktur führe so zur Verzögerung der Umstellung auf 100% erneuerbare Energien im In- und Ausland. Die Investition untergrabe die Deutschlands angestrebte Rolle in der Bewältigung der Klimakrise, so die Umweltgruppen.

Lea Dehning von den Gastivists Berlin stellt klar, dass Investitionen in fossile Energien keine Zukunft haben: „Wir fordern die Regierung auf kein Fracking durch die Hintertür zu unterstützen. Klimapolitisch verantwortliches Handel muss statt dessen zum Ziel haben, schnellstens und gerecht 100% erneuerbare Energien für alle zu ermöglichen.“

Andy Gheorghiu, Policy Advisor für Food & Water Europe, hob hervor, dass insbesondere Frackinggas nicht dem Klimaschutz dient und auf keinen Fall eine Brücke in eine post-fossile Zukunft sei. „Es kann nicht sein, dass wir Schiefergasfracking aus guten Gründen verbieten und nun Import-Infrastruktur auf beiden Seiten des Atlantiks mit öffentlichen Mitteln ermöglichen“.

Der Berliner Wassertisch warnt: „Fracking zerstört Wasser. Auch darum fordern wir: Keine Unterstützung für die Erschließung kanadischer Gasfelder! No2LNG!“

 

Der offene Brief wurde von Gastivists Berlin auf Anregung von Environnement Vert Plus aus Kanada initiiert. Weitere Unterzeichner sind u.a. NaturFreunde Deutschlands, PowerShift, urgewald, BUNDjugend, Berliner Wassertisch, 350.org, Gastivists Network, sowie Food & Water Europe.

 

Links:

Offener Brief: https://weact.campact.de/petitions/offener-brief-klimaschutz-statt-flussiggas-aus-nordamerika-1

* Vgl. z.B.: Fracking zerstört das US-amerikanische Trinkwasser. Energiezukunft, 21.08.2018.

Rezeption:
NDR: Brunsbüttel, Trump und das geplante LNG-Terminal. 8.10.2018.
Malte Daniljuk: Weltpolitik in Norddeutschland. In: Telepolis, 29.10.2018

Insekten- und Gewässerschutz prioritär, ambitioniert und gemeinsam angehen

Gemeinsame Pressemitteilung von Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Deutsche Umwelthilfe (DUH), Naturschutzbund Deutschland (NABU), Grüne Liga und WWF Deutschland und ihres Dachverbandes Deutscher Naturschutzring (DNR)

Umweltministerkonferenz

Insekten- und Gewässerschutz prioritär, ambitioniert und gemeinsam angehen

6. November 2018. Anlässlich der morgen beginnenden 91. Umweltministerkonferenz von Bund und Ländern appellieren die Naturschutzverbände BUND, DUH, NABU, Grüne Liga, WWF und ihr Dachverband Deutscher Naturschutzring in einem gemeinsamen Schreiben an die Umweltminister und -senatoren, die enormen Herausforderungen zum Insekten- und Gewässerschutz gemeinsam anzugehen und auf eine stärkere Kohärenz und Integration der Ziele des Insekten- und Gewässerschutzes in über die Umweltpolitik hinausreichende Politikbereiche und Gesetzgebungsvorhaben hinzuwirken.

„Die Verschmutzung unseres Trinkwassers und das Massensterben unserer Insekten haben die gleiche Ursache: Eine verfehlte Landwirtschaftspolitik, die den massenhaften Eintrag von Pestiziden und Düngern fördert. Was wir brauchen, ist ein ressortübergreifendes Sofortprogramm für eine vielfältige und gesunde Natur! Wer die Gewässer rettet, rettet auch Insekten“, betont Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings.

„Die Problemlage ist klar, jetzt geht es um Lösungen. Wenn wir im Insekten- wie im Gewässerschutz etwas erreichen wollen, dann wird dies nur über eine naturverträglichere EU-Agrarpolitik funktionieren. Die Umwelt- und Agrarminister der Länder müssen gemeinsam von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner fordern, sich bei den derzeitigen GAP-Verhandlungen in Brüssel für ambitionierten Naturschutz und ausreichende Finanzmittel einzusetzen“ stellt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller klar.

„Gewässerrandstreifen sind für den Schutz der Wasserressourcen, aber auch als Rückzugsraum für Insekten von elementarer Bedeutung. Deshalb plädieren wir für bundesweit einheitliche Gewässerrandstreifen von mindestens zehn Metern Breite, innerhalb derer die Ausbringung von Düngern und Pestiziden verboten ist,“ führt Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND, aus. Er fordert weiter: „Um alle Gewässer bis 2027 wieder in einen guten Zustand zu bringen, muss zudem der Umsetzungsstau bei den notwendigen Maßnahmen jetzt beendet werden. Auf Grundlage der Maßnahmenvorschläge, die die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) für die UMK erarbeitet hat, müssen Bundesregierung und Bundesländer einen gemeinsamen Aktionsplan erstellen, der klar darlegt, mit welchen Maßnahmen, Mitteln und Zuständigkeiten die Wasserrahmenrichtlinie umgesetzt werden soll.“

Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner von der DUH: „Die Bundesregierung muss ihr Nationales Aktionsprogramm zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen ausweiten. Das Düngerecht muss deutlich verschärft werden, damit sich betroffene Lebensräume und Arten langfristig erholen können. Ebenso nötig sind eine konsequente Anwendung des Bau- und Immissionschutzrechts durch die Länder sowie finanzielle Anreize, um Stoffeinträge zu verringern. Ansonsten drohen eine Verurteilung Deutschlands durch den Europäischen Gerichtshof und Strafzahlungen an die EU. Denn die Spatzen pfeifen es schon von den Dächern: Der EU-Kommission genügen die von der Bundesregierung bisher ergriffenen Maßnahmen zur Reduzierung der Nitratbelastung nicht.“

„Pestizide zu reduzieren hilft Insekten und Gewässern gleichermaßen. Seit Jahren verschleppt die Bundesrepublik Deutschland, die Vorgaben der EU-Pestizidgesetzgebung umzusetzen. Der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutz (NAP) muss endlich überarbeitet werden, um Wirkung zu entfalten. Auch werden viele der in der Landwirtschaft eingesetzten Pestizid-Wirkstoffe von der Gewässerüberwachung gar nicht oder nur unzureichend erfasst. Es ist höchste Zeit, im Rahmen der geplanten Ackerbaustrategie endlich eine Verpflichtung zu einer konsequent ressourcenschonenden landwirtschaftlichen Bewirtschaftungspraxis auf den Weg zu bringen“, kommentiert Michael Bender, Leiter der GRÜNE LIGA Bundeskontaktstelle Wasser.