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Schiefergas-Fracking in Deutschland? Stellungnahme des Arbeitskreises Fracking Braunschweiger Land zum Entwurf des Abschlussberichtes der Expertenkommission Fracking

Volker H.A. Fritz 38302 Wolfenbüttel, den 09.06.2021
Elbinger Straße 19

Mitglied im bundesweiten
Zusammenschluss „Gegen Gasbohren“

Offener Brief (per Mail vorab)
per Einschreiben

An Geschäftsstelle
Expertenkommission Fracking
Projektträger Jülich
Forschungszentrum Jülich GmbH
Zimmerstraße 26 – 27
10969 Berlin

Betreff: Stellungnahme des Arbeitskreises Fracking Braunschweiger Land zum Entwurf des Abschlussberichtes der Expertenkommission Fracking, veröffentlicht am 20.05.2021

Sehr geehrte Mitglieder der Expertenkommission,

Ihr Berichtsentwurf (pdf) wurde von uns durchgearbeitet, ebenso wie Ihre Zwischenberichte in der Vergangenheit. In diesem Zusammenhang verweisen wir noch einmal auf unsere Stellungnahme zu Ihrem Entwurf des Jahresberichtes 2020 vom 14.06.2020. Auch jetzt wieder fanden wir gravierende Unstimmigkeiten, die uns zu dem Gesamturteil geführt haben, dass dieser Berichtsentwurf dem Bundestag als Entscheidungshilfe bezüglich einer eventuellen Aufhebung des teilweisen Fracking-Verbotes gemäß §13 a WHG in dieser Form nicht vorgelegt werden darf.

Gemäß §13 Abs. 6 WHG war Ihr Auftrag, Erkenntnisse aus den dafür erlaubten 4 Versuchsbohrungen in Deutschland, durch deren wissenschaftliche Begleitung, zu erarbeiten und daraus dann eine Empfehlung für den Bundestag zu begründen, ob das teilweise Fracking-Verbot gemäß § 13 a Abs. 7 WHG ab 2021 aufgehoben werden könnte, oder nicht.

Ihre gesetzlich gestellte Aufgabe haben Sie nicht erfüllt. Bis zum Berichtstermin sind keine Anträge von Bohrfirmen auf Genehmigung für eine der Versuchsbohrungen bei den zuständigen Behörden gestellt worden.

Der von Ihnen eingeschlagene Weg, ersatzweise auf die Erfahrungen mit Fracking-Förderung in anderen Erdregionen zurückzugreifen, konterkariert direkt den Sinn der erlaubten 4 Versuchsbohrungen gemäß WHG. Denn es ging ja gerade darum, spezifisch deutsche Bedingungen zu untersuchen, um eben hier bei uns auch den speziellen Gefährdungsfaktor zu erkunden und entsprechend zu berücksichtigen.

Deshalb sind die drei eingeholten Gutachten schon vom Prinzip her ungeeignet.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass deren Aussagen auch nicht sachgerecht sind, weil offenbar wesentliche Sachkenntnisse und Informationen, die allgemein verfügbar sind, nicht Eingang gefunden haben und folglich auch unberücksichtigt blieben.

Insbesondere ist uns aufgefallen, dass in Ihrem Bericht die zur Zeit wesentlichste Quelle über Auswirkungen der Fracking-Förderung auf die menschliche Gesundheit, auf die Umwelt und auf das Erdklima gänzlich fehlt und auch in keinem der drei von Ihnen in Auftrag gegebenen Gutachten herangezogen wurde. Dies, obwohl wir Sie in unserer Stellungnahme vom 14.06.2020 ausführlich auf diese öffentlich zugängliche Quelle hingewiesen hatten.

In diese Sammlung von Berichten, Untersuchungen und Schadensmeldungen aus den nordamerikanischen Fracking-Fördergebieten, die unter dem Titel „COMPENDIUM“ veröffentlicht ist, sind bis Ende 2020 in die 7. Auflage fast 2.000 Einzelunterlagen aufgenommen worden, die allermeisten aus den letzten 5 Jahren.

Diese Sammlung wurde seit 2014 von CONCERNED HEALTH PROFESSIONALS, New York (CHPNY) und PHYSICIANS for SOCIAL RESPONSIBILITY (PSR) begonnen, weil US-Behörden und die Gesundheitsbehörden einzelner Förderbundesstaaten der USA – und ebenso die Förderunternehmen – sich weigerten, ihnen vorliegende Informationen herauszugeben, mittels derer Ärzte den Ursachen für bestimmte Erkrankungen in Fördergebieten auf die Spur kommen wollten. (www.concernedhealthny.org) (www.psr.org)

Der schon mehrfach vorgebrachte Einwurf der „Unwissenschaftlichkeit“ der Inhalte des COMPENDIUMs hat sich längst durch die schiere Masse der Einzelinformationen als unhaltbar erwiesen, weil bestimmte Ereignisse über die Zeit immer wieder auftraten und die Ursachen dafür sich als systembedingt herausstellten.

Die Redakteure von Fachzeitschriften und von CHP waren sich seit 2019 dann sicher, die folgende Aussage in den USA in der zusammenfassenden Bewertung abgeben zu können:

„Wir konnten nicht feststellen, dass eine Fracking-Förderung von Kohlenwasserstoffen möglich ist, ohne die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu beeinträchtigen. Obendrein schadet die Fracking-Förderung auch dem globalen Klima, von dem auch die menschliche Gesundheit abhängt“.

„Die einzige Möglichkeit, diese Schädigung zu verringern, ist die sofortige und nachhaltige Beendigung der Fracking-Förderung“.

Im COMPENDIUM werden einzelne Berichte zu Schadensgruppen zusammengefasst und dann auch diese Schadensgruppen bewertet.

Teilbereiche sind unter anderen:

  • Luftverschmutzung
  • Wasserverschmutzung
  • Konstruktionsschwächen, die über die Dauer zu erhöhten Problemen führen
  • Radioaktive Freisetzungen
  • Gesundheitsprobleme am Arbeitsplatz und Sicherheitsmängel
  • direkte Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit
  • Lärmbelastung, Lichtbelastung und Stress
  • Erdbeben und seismische Aktivitäten
  • aufgegebene und aktive Bohrungen als Aufstiegsmöglichkeiten für Gase und für die Migration von Flüssigkeiten
  • Belastungen für das Klimasystem

Die Summe dieser Einzelbewertungen hat dann zu dem vorstehenden Gesamturteil des Bewerter-Teams geführt. Da die Berichte aus Nordamerika letztendlich die Erfahrungen von vielen hunderttausend Fracking-Förderbohrungen wiedergeben, können wir am Gehalt der Gesamtbewertung der 7. Auflage des COMPENDIUMs nicht zweifeln.

Viele der beschriebenen Mängel und gesundheitlichen Belastungen haben wir bei unseren Recherchen in Deutschland ebenso feststellen müssen. Und auch hier wurde uns von den zuständigen Aufsichtsbehörden und den Förderunternehmen an Informationen nur das Wenige herausgegeben, was nicht mehr zu verbergen war. Und sehr häufig wurde, auf unsere Anfragen zu bestimmten Themen, erstaunt geantwortet, dass man so etwas noch nie gehört habe. Da waren die ersten 5 Jahre breiter Fracking-Förderung in den USA und in Kanada schon längst vorbei.

Aus den USA sind gesundheitliche Belastungen durch die Fracking-Förderung belegt. Hier in Deutschland will man uns, trotz belegter Emissionen rund um Erdgasförderplätze, noch immer weismachen, dass es keine gesundheitlichen Belastungen für die Anwohner gibt und weigert sich hartnäckig, doch einfach mal messtechnisch zu erfassen, was aus den Abluftkaminen der einzelnen Fackel- und Aufbereitungsstationen ins Freie tritt. Mit der Entscheidung unseres Verfassungsgerichtes Anfang 2021 (Leitsätze zum Beschluss fügen wir als Link bei), durch welche der Erhalt eines erträglichen Klimas für die Zukunft Verfassungsrang bekommen hat, gerät die geplante Fracking-Erdgasförderung aus Schiefergestein in erhebliche Schwierigkeiten, denn die hohen Methan-Emissionen belasten unser Klima in besonderem Maße.

Ihre Überlegungen, zukünftig in Deutschland nur beste und modernste Technik zu erlauben und zu verwenden, zur Minimierung der Emissionen, kranken an einem zentralen Punkt: wer soll die Förderfirmen kontrollieren?

Die dafür zuständigen Bergaufsichtsämter können dieser Aufgabe schon heute nicht gerecht werden und sind darauf angewiesen, dass die Förderfirmen, die sich selbst kontrollieren und überwachen, entstandene Schäden an Umwelt, Grundwasser und Menschen melden. Eigene Untersuchungen der Behörden erfolgen nur im Ausnahmefall. Allein schon diese bisher geübte Praxis ist ein unglaublicher Skandal! Die zahlreichen „Vorfälle“ der verschiedensten Art bei der Erdöl- und Erdgasförderung und den begleitenden Prozessschritten – bis hin zur Entsorgung der hochbelasteten Lagerstättenwässer, die bei der Förderung in großen Mengen mit heraufgefördert werden, zeigen, dass die „Sicherheit“ bei diesen Prozessen nur scheinbar gegeben ist.

Deutliche Hinweise auf Emissionen von Giftstoffen um Förder- und Aufbereitungsplätze sind gefunden worden. Die Sicherheits-Mindestabstände von Wohngebäuden zu Förderbohrungen betragen nach Bergrecht min 100 m. Das ist völlig inakzeptabel, denn die Auswirkungen von Emissions-Schleppen sind in den USA noch bei Entfernungen von 10 Meilen von den Quellen statistisch belegt worden.

Wir dürfen Sie in diesem Zusammenhang auch auf die bis heute ungeklärten Häufungen seltener Blutkrebsarten bei Bewohnern um die Förderschwerpunkte Rodewald (bei Steimbke), Rotenburg/Wümme und Hemslingen/Söhlingen (östlich von Rotenburg gelegen) hinweisen, die seit 2013 bis heute andauern. Viele der an Krebsen erkrankten Anwohner wohnten weniger als 1 km von der nächsten Emissionsquelle entfernt, einige sogar weniger als 500 m. Bis heute konnte der Verdacht, dass die Kohlenwasserstoffförderung hier die Ursache ist, nicht bewiesen werden, aber die Förderindustrie kann andererseits auch nicht von diesem Verdacht befreit werden, denn die bisherigen Versuche zur Aufklärung wurden von ihr nicht unterstützt. Andererseits wissen wir aus Berichten in den USA und Kanada von ebenfalls gehäuften Meldungen des Auftretens gleichartiger seltener Blutkrebsarten in Gebieten gehäufter Förderung und Gebieten mit mehreren Aufbereitungsanlagen. Die Anwohner weisen eine Krebshäufigkeit weit über dem Landesdurchschnitt von Gebieten ohne Kohlenwasserstoffförderung auf.

Wer also soll die deutsche Förderindustrie künftig überwachen, wenn die geplanten umfangreichen Bohr- und Frackarbeiten durchgeführt würden, um Erdgas aus Schieferlagen zu fördern?

Die hoch technischen Verfahren zur Überwachung der Fracking-Verläufe und Druckausbreitungen lassen sich noch schwieriger, praktisch gar nicht, kontrollieren. Und noch ein anderer Aspekt spielt mit hinein:

Bei der Vielzahl der künftig geplanten Bohrungen von mehreren 10.000 werden die Förderkonzerne mit Sicherheit nicht eigene Ausrüstungen und Bohrteams dafür bereitstellen. Vielmehr werden sie „Contractors“ aus dem Ausland heranholen, die ihre Ausrüstung selbst mitbringen und bei uns dann die Bohr- und Frackarbeiten durchführen. Und die „Standards“, die dann von diesen Firmen angewendet werden, sind nicht die von Ihnen ins Auge gefassten höchsten und sichersten, sondern die, mit denen man am schnellsten 1.500 m tief bohren, ablenken und fracken kann.

Das sogenannte Freihandelsabkommen CETA mit Kanada würde dafür dann die rechtliche Grundlage hergeben, dass diese Firmen auch bei uns so arbeiten können, wie sie das „international“ gewohnt sind, ohne Berücksichtigung deutscher Vorschriften.

Sie lassen in Ihrer abschließenden Stellungnahme eine klare Aussage vermissen und überlassen es dem Bundestag, eine Entscheidung dazu zu finden, ob das teilweise Fracking-Verbot in § 13 a Abs.1 S 1 Nr. 1 WHG aufgehoben werden sollte, oder nicht.

Die International Energy Agency (IEA) hat in ihrer neuesten Veröffentlichung vom 18. Mai 2021 die herausragende Aufgabe zur Bewältigung der Verringerung der Aufheizung
der Erdatmosphäre benannt und empfohlen, alle Massnahmen zu ergreifen, um 2050 mit den CO2-Emissionen global klimaneutral zu werden. Dazu empfiehlt sie unter anderen: “sofortige weltweite Einstellung jeglicher Aufsuchung und Erschließung neuer Erdöl-und Erdgasvorkommen“.

Das Irish Center for Human Rights (IHCR) hat in einer im Mai 2021 veröffentlichten Untersuchung (pdf) überprüft, ob sich Fracking-Aktivitäten mit den Internationalen Menschenrechten – Recht auf Leben, auf Wasser, auf Nahrung, auf Wohnen, auf Zugang zu Informationen, auf eine gesunde Umwelt – in Einklang bringen lassen.

Da das nicht der Fall ist, fordert das IHCR die Beendigung der Anwendung von Fracking und die Einführung eines vollständigen und nachhaltigen Verbotes. Bei sorgfältigster Abwägung aller zugänglichen Informationen kann es nur eine sachgemäße Entscheidung geben: das teilweise Fracking-Verbot muss dauerhaft verankert werden.

Und mehr noch, die bisherige Fracking-Förderung von Kohlenwasserstoffen in Deutschland muss ebenfalls vollständig gesetzlich verboten werden, denn auch sie gefährdet in unserem sehr dicht besiedelten Land die Anwohner und natürlich auch unser Grundwasser, das erkennbar immer knapper wird.

Der Kunstgriff, für tiefe Sandsteinvorkommen „konventionelles Fracking“ als Sonderform einzuführen, der von der Förderindustrie angewendet wurde, um die laufende Fracking-Erdgasförderung aus möglichen Restriktionen herauszuhalten, ist sachlich durch nichts begründbar. Der Unterschied liegt in den Vorkommen, nicht in unterschiedlich benannten Fracking-Anwendungen. Das bestätigt sogar die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Raumordnung (BGR) in Hannover.

Im Hauptförderland Niedersachsen werden über 85% des kommunal erzeugten Trinkwassers aus Grundwasservorkommen durch Abpumpen gewonnen.
Ein großer Teil dieses Grundwassers wird durch die Kohlenwasserstoffförderung direkt bedroht, trotz aller Schwüre der Förderunternehmen. Die sinkenden Grundwasserspiegel sind deutliche Signale, dass unsere Trinkwasserversorgung gefährdet ist.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Fritz

für den Arbeitskreis Fracking Braunschweiger Land im Zusammenschluss „Gegen Gasbohren“

Anhang: Link zum COMPENDIUM 7. Auflage
https://www.psr.org/wp-content/uploads/2020/12/fracking-science-compendium-7.pdf
Link zum IEA-Statement: Net Zero by 2050: https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050
Link zum IHCR-Report vom Mai 2021 :International Human Rights Impacts of Fracking
https://osur.org.ar/wp-content/uploads/2021/05/Informe-IHCR-Report-International-Human-Rights- Impacts-of-Fracking.pdf

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html

weitere Mitzeichner:
Berliner Wassertisch
BI Saubere Umwelt & Energie Altmark
BI LK Oldenburg gegen Fracking
BI Rote Hand, Thedinghausen/Achim
Abgefrackt Bündnis Weidener Becken gegen Fracking
BI Mensch und Umwelt Sulinger Land
BI „No Fracking“ im Erdgasfeld Völkersen
Gemeinnütziger Umweltschutzverein pro grün Paderborn e.V.
BI NaLaKiZu Bürgerstark, Aichstetten
Wir gegen Fracking BUND Lüneburg
BIGG Hamm gegen Gasbohren
BI Kein Fracking in der Heide
BI Frackingfreies Hessen
BI No Fracking Bodensee-Oberschwaben
IG Fracking-freies Artland e.V.
BI Gesundheit Hemslingen/Söhlingen
IG Schönes Lünne
BI „Inofrack“ Inde-Rur-Wurm, NRW
BI Frack-loses Gasbohren im Landkreis Rotenburg
BI Chiemgauer Seenplatte gegen Gasbohren
BI Walle gegen Gasbohren
BI Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe
IG Tecklenburger Land gegen Fracking
BI gegen CO2-Endlager e.V.
BI Flecken Langwedel gegen Gasbohren
WUG Initiative Wittorfer Bürger für Umwelt und Gesundheit
BI Walsrode gegen Gasbohren und Lagerstättenwasserverpressung
IG Hamminkeln gegen Gasbohren/Niederrhein
AG Post-Fossil, Kassel
GENUK e.V., Hamburg
BI Wesermarsch ohne Bohrtürme
BI Linteler Geest gegen Gasbohren
UBI Unabhängige Bürgerinitiative Salzhausen

Brief als pdf

Pressemitteilung: foodwatch wirft Grünen Falschaussagen zu CETA-Handelsabkommen vor


Berlin, 04.06.2021. Vor dem anstehenden Wahl-Parteitag der Grünen hat die Verbraucherorganisation foodwatch der Parteispitze Falschaussagen zu CETA vorgeworfen. Die Parteiführung versuche, vor der Öffentlichkeit und den Parteimitgliedern ihre Entscheidung zu kaschieren, das EU-Kanada-Handelsabkommen nicht mehr stoppen zu wollen. Der Grüne Außenpolitik-Experte Jürgen Trittin hatte in einem Interview mit dem Spiegel behauptet, seine Partei könne die Rücknahme des Abkommens nicht versprechen, weil dies schlichtweg nicht möglich sei: „Kein EU-Staat wird, selbst wenn er es wollte, die vorläufige Anwendung dieses Deals zurücknehmen können“. Tatsächlich kann Deutschland das Abkommen sehr wohl noch stoppen, wie es auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat: „Die vorläufige Anwendung des Abkommens kann (…) jederzeit von einem Mitgliedstaat beendet werden.“

foodwatch forderte Jürgen Trittin auf, seine Falschaussage öffentlich richtig zu stellen. Zudem erneuerte die Verbraucherorganisation ihre Forderung an die Grüne Parteispitze, im Wahlprogramm klar zu machen, die gegenwärtige vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens im Falle einer Regierungsbeteiligung zu stoppen. Eine entsprechende Online-Petition unter www.ceta-stoppen.foodwatch.de unterstützen bereits mehr als 57.000 Menschen. Ende Mai hatten sich fast 50 zivilgesellschaftliche Organisationen mit einem offenen Brief und einer ganzseitigen Zeitungsanzeige an die Grünen mit der Forderung gewandt: Wort halten – CETA stoppen!

„Die Grünen wollen offenbar vor der Bundestagswahl ihre Regierungsfähigkeit beweisen und die Union nicht vergraulen“, sagte foodwatch-Gründer Thilo Bode. „Noch vor wenigen Jahren demonstrierten die Grünen Seite an Seite mit hunderttausenden Menschen gegen Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Heute befürwortet die Parteispitze die vorläufige Anwendung von CETA – und kaschiert diese Kehrtwendung mit Tricks und Falschaussagen“.

foodwatch kritisierte, die Grünen rückten in ihrem Programm für die Bundestagswahl von ihrer bisherigen grundsätzlichen Ablehnung des CETA-Abkommens ab. Stattdessen heißt es in dem Programmentwurf nun, man wolle das Abkommen in der „derzeitigen Fassung nicht ratifizieren, sondern es bei der Anwendung der derzeit geltenden Teile belassen.“ Mit dieser schwammigen Formulierung tolerierten die Grünen, dass weite Teile von CETA auch in Zukunft in Kraft bleiben – ohne, dass Bundestag und Bundesrat je über den Vertrag abgestimmt hätten, so foodwatch. Das sei inakzeptabel, auch die schon heute vorläufig geltenden Teile des CETA-Vertrages seien undemokratisch und könnten negative Folgen für die Bürgerinnen und Bürger in Europa haben. Die durch CETA eingerichteten „Vertragskomitees“ könnten bereits jetzt ohne jegliche parlamentarische Kontrolle weitreichende Entscheidungen treffen, etwa zu Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltstandards.

Der Programmentwurf der Grünen wird auf dem Parteitag vom 11. bis 13. Juni von den Delegierten diskutiert und final beschlossen.

Das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada wird seit 2017 vorläufig angewendet. Damit es vollständig in Kraft treten kann, muss CETA von den Parlamenten aller 27 EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Stimmt auch nur ein Mitgliedsstaat gegen CETA, ist das Abkommen gescheitert. 12 Mitgliedstaaten haben CETA noch nicht ratifiziert, auch Deutschland nicht. Campact, foodwatch und Mehr Demokratie haben beim Bundesverfassungsgericht Eilanträge eingereicht, um die vorläufige Anwendung von CETA zu verhindern. Das Gericht hat diese zwar abgelehnt, es hat die Bundesregierung aber verpflichtet, sicherzustellen, dass Deutschland und andere Mitgliedstaaten die vorläufige Anwendung einseitig kündigen können. In der Hauptsache steht die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von CETA noch aus. Die Anhörung im Hauptsacheverfahren hatte das Gericht ursprünglich für die erste Jahreshälfte 2021 geplant.

180-Grad-Kehrtwende: So sprachen führende Grünen-Politiker in der Vergangenheit über CETA:

„Nach aktuellem Verhandlungsstand dienen TTIP & CETA vor allem den Interessen von Großkonzernen und drohen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu untergraben. Beide Abkommen setzten wichtige Standards im Umwelt-, Verbraucher-, Sozial-, und Datenschutz aufs Spiel. Die bevorstehende Einführung der Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren ermöglicht es Unternehmen, nationale Rechtssysteme zu unterlaufen. Wir wollen TTIP und CETA auf transparenter Grundlage neu verhandeln.“
Parteichefin Annalena Baerbock, Link

„Die erkämpften Rechte der Bürger, der Schutz der Verbraucher, der Arbeitnehmer, der Umwelt dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden. Das ist aber bei Ceta und beim TTIP-Abkommen mit den USA die Gefahr.“
Parteichef Robert Habeck, Link

„CETA ist ein schlechtes Abkommen. Es ist schlecht für die Bürger, weil es Klageprivilegien für Unternehmen etabliert. Es ist schlecht für Kommunen, weil es die Möglichkeiten der öffentlichen Daseinsvorsorge einschränkt. Es ist schlecht für Verbraucher, weil es das Vorsorgeprinzip schwächt. Ein solches Abkommen sollte weder vorläufig noch endgültig angewendet werden.“
Jürgen Trittin, Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Parteichef der Grünen, Link

„CETA ist aber politisch falsch. Es birgt mit den ungerechten Klageprivilegien für Konzerne enorme Risiken für den Umwelt- und Verbraucherschutz und die öffentlichen Haushalte.“
Katharina Dröge, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, Link

Zur Gefahr für die Demokratie durch CETA vgl. auch das Video von foodwatch: http://berliner-wassertisch.info/foodwatch-erklaervideo-stopceta/

Foodwatch: CETA: Abschaffung der Demokratie

Offener Brief an den Bundesvorstand der Grünen: WORT HALTEN – CETA STOPPEN!

Sehr geehrte Frau Baerbock,
sehr geehrter Herr Habeck,

wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern Sie dringend auf, im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 ein klares Nein zum Freihandelsabkommen CETA einschließlich der vorläufigen Anwendung festzuschreiben und klare Anforderungen an künftige Handelsabkommen zu formulieren. Im bisherigen Entwurf rücken Sie vom klaren Nein zu CETA deutlich ab, indem Sie CETA zwar nicht ratifizieren wollen, aber offensichtlich auch nicht ablehnen. Stattdessen wollen Sie es „bei der Anwendung der derzeit geltenden Teile belassen”.

Mit dieser „vorläufigen“ Anwendung sind weite Teile von CETA schon in Kraft. Auch wenn die umstrittenen Schiedsgerichte noch entfallen: In so genannten CETA-Ausschüssen tagen bereits jetzt die Vertreter*innen der kanadischen Regierung und der EU-Kommission unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit ihren Beschlüssen können sie Gesundheits-, Verbraucher-, und Umweltstandards in Europa senken – z.B. durch eine Reduzierung der Hygienekontrollen bei Fleischimporten oder wenn sie die in Kanada geringeren Sicherheitsstandards für Pestizide als gleichwertig mit europäischen Vorgaben anerkennen. Solche weitreichenden Entscheidungen werden ohne parlamentarische Kontrolle getroffen und sind zudem völkerrechtlich verbindlich. Damit wird eine Aushöhlung unserer Demokratie betrieben.

Jahrelang haben sich die Grünen klar gegen das Handelsabkommen CETA ausgesprochen, bundesweite Demos unterstützt und auf der Website der Grünen Bundestagsfraktion heißt es weiterhin: „Wir Grünen im Bundestag lehnen (deshalb) CETA ab.“

Das erwarten wir auch künftig von den Grünen. Und wir erwarten, dass Sie keinen Handelsabkommen zustimmen, deren Ausschusswesen die parlamentarische Kontrolle ausschalten.

Wir als zivilgesellschaftliche Organisationen bitten Sie eindringlich, den Schutz von demokratischen Prinzipien und den Einsatz für das Gemeinwohl in der Wirtschafts- und Handelspolitik im Wahlprogramm der Grünen unmissverständlich zu verankern. Um CETA zu stoppen und Neuverhandlungen möglich zu machen, müssen Bundestag oder Bundesrat CETA ablehnen. Setzen Sie sich für eine entsprechende Abstimmung ein!

Offener Brief als PDF

Gerechter Welthandel: Appell an die Grünen: Wort halten – CETA stoppen!

Aus dem Newsletter vom 20. April 2021:

Mitte März veröffentlichten die Grünen ihren Entwurf für das Bundestagswahlprogramm. Darin heißt es: „Am Ceta-Abkommen haben wir erhebliche Kritik. Wir wollen daher das Ceta-Abkommen in seiner derzeitigen Fassung nicht ratifizieren, sondern es bei der Anwendung der derzeit geltenden Teile belassen.“
Mit dieser Formulierung verabschiedet sich die Partei von ihrem klaren Nein gegen das EU-Kanada- Abkommen – dabei hatten die Grünen die breiten Proteste 2015 und 2016 stark unterstützt, ein Großteil der Basis lehnt CETA bis heute ab.

Sollte die Formulierung im endgültigen Wahlprogramm übernommen werden, unterstützen die Grünen somit ein Abkommen, das die parlamentarische Kontrolle umgeht und Konzerninteressen freie Bahn lässt. Denn schon jetzt tagen sogenannte CETA-Ausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die weitreichende Entscheidungen über Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherstandards treffen können. Erst kürzlich kritisierte ein Rechtsgutachten  im Auftrag von Foodwatch die demokratischen Defizite dieser Ausschüsse.

Als Reaktion auf das Grünen-Wahlprogramm starteten Foodwatch und Mehr Demokratie Anfang April eine Protestaktion: In einer Petition an die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck fordern sie: „Sorgen Sie dafür, dass das finale Wahlprogramm ein klares und unmissverständliches NEIN zu CETA enthält.“ Die Petition kann hier unterzeichnet werden: www.ceta-stoppen.foodwatch.de 

Auch in Baden-Württemberg regt sich weiterer Protest gegen die Linie der Grünen in Sachen CETA: Am gestrigen Montag veröffentlichten 18 Organisationen einen Appell  zu den laufenden grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen. Darin fordern sie, eine Ablehnung von CETA im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Die Stuttgarter Zeitung berichtete.

Foodwatch: E-Mail-Aktion Grüne: Wort halten – CETA stoppen!


„2015 demonstrierten die Grünen noch Seite an Seite mit hunderttausenden Menschen gegen Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Sechs Jahre später ist diese Haltung Geschichte. Im Wahlprogramm der Grünen für die Bundestagswahl findet sich kein Nein zu CETA mehr. Stattdessen befürworten die Grünen jetzt die vorläufige Anwendung von CETA. Das Problem: Auch die vorläufige Anwendung schafft Fakten und umgeht die parlamentarische Kontrolle. Schon jetzt tagen sogenannte CETA-Vertragskomitees unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die weitreichende Entscheidungen über Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherstandards treffen können. Wir fordern vom Grünen-Bundesvorstand ein klares Nein zu CETA im Wahlprogramm! Dieses Abkommen gefährdet unsere Demokratie und muss gestoppt werden. Unterzeichnen Sie jetzt unsere E-Mail-Aktion!“

Zur Aktion

Wahlprogrammentwurf zur Bundestagswahl 2021. Bündnis 90 / Die Grünen: Wir machen den Welthandel fair

„Im Hinterzimmer verhandelt, von Konzern-Interessen dominiert, von Millionen Menschen abgelehnt: die Beispiele TTIP, CETA, JEFTA und TISA zeigen, wie Handelsabkommen nicht aussehen dürfen. Deshalb lehnen wir Grüne sie ab und fordern einen Neustart. Dabei bietet gut gemachte, faire Handelspolitik die Chance auf hohe Lebensqualität und Wohlstand für alle. Das geht aber nicht, wenn man die Märkte sich selbst überlässt und Verbraucherrechte oder Umweltstandards zum Handelshemmnis erklärt. Im Gegenteil, es braucht starke Regeln, hohe Standards und gute Arbeitsbedingungen. Entwicklungsländer benötigen Spielraum, um sich entwickeln zu können.

Vom Handy in der Handtasche über den Besuch bei Freunden in der Ferne bis zur US-Serie auf Netflix: Globaler Handel bestimmt unseren Alltag. Doch ohne starke Regeln schafft die Globalisierung viele Verlierer. Damit offene Märkte nicht von Konzernen regiert werden, sondern von guten Spielregeln für fairen Wettbewerb; damit Verbraucherinnen und Verbraucher gegen Schadstoffe geschützt sind; damit Arbeiterinnen und Kleinbauern ihre Existenz sichern können – dafür brauchen wir faire Handelsabkommen.

Es geht um mehr als nur klassischen Freihandel in Abkommen wie TTIP – dem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, CETA – dem Handelsabkommen mit Kanada, oder JEFTA – dem EU-Japan-Handelsabkommen. Denn durch diese Abkommen sollen Handelshemmnisse abgebaut und Produktstandards angepasst oder anerkannt werden. Was harmlos und technisch klingt, gefährdet unseren Verbraucherschutz und das Vorsorgeprinzip. Denn oft sind es Umwelt-, Verbraucher- oder Sozialstandards, die zu Hürden für den Handel erklärt werden und darum abgeschafft werden sollen. Wir Grüne kämpfen dafür, das Vorsorgeprinzip und hohe Schutzstandards zu verankern.

CETA & Co. erhöhen auch den Druck zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Doch die öffentliche Daseinsvorsorge muss geschützt werden. Unsere Kommunen müssen frei entscheiden können, wie sie die Versorgung mit Wasser, Krankenhäusern und Bildungsangeboten sicherstellen wollen – und zwar ohne Angst vor abschreckenden Klageforderungen ausländischer Investoren. Mit CETA soll ein Investorengerichtshof eingerichtet werden, vor dem Großkonzerne gegen die demokratisch legitimierten Entscheidungen der EU-Staaten klagen können. Nach diesem Muster verklagt der Atomriese Vattenfall Deutschland wegen des Atomausstiegs auf horrende Schadensersatzsummen. Diese Klageprivilegien für Konzerne lehnen wir ab. weiterlesen

Foodwatch: Rechtsgutachten kritisiert Demokratie-Defizite des CETA-Handelsabkommens

Pressemitteilung
12.03.2021

foodwatch fordert: Bundestag muss CETA stoppen!

  • Völkerrechtliche Expertise belegt: Intransparente „CETA-Ausschüsse“ können ohne demokratische Kontrolle weitreichende Entscheidungen treffen
  • CETA-Ausschüsse könnten z.B. Standards bei Importkontrollen ändern oder die Gleichwertigkeit beim Pflanzenschutz anerkennen
  • Schutzstandards in der EU könnten „faktisch eingefroren“ werden

+++ Rechtsgutachten von Prof. Dr. Wolfgang Weiß, Universität Speyer, zum Download: https://t1p.de/Weiss-Gutachten +++

Das geplante EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA weist schwere demokratische Defizite auf und könnte negative Folgen für den Gesundheits- und Verbraucherschutz in Europa haben. Das geht aus einem Rechtsgutachten hervor, das die Verbraucherorganisation foodwatch am Freitag veröffentlicht hat. Insbesondere die durch das Abkommen eingerichteten Ausschüsse seien „unter demokratischen Gesichtspunkten defizitär“. In den geheim tagenden Ausschüssen könnten Vertreter*innen der Regierung von Kanada und der EU-Kommission weitreichende Entscheidungen treffen, etwa über Hygienekontrollen beim Import von Fleisch oder die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Sicherheitsstandards bezüglich Pestizide – eine demokratische Kontrolle durch das EU-Parlament oder die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten fehle dabei jedoch: „Das Europäische Parlament hat nicht mitzuentscheiden, es wird lediglich informiert. Auch sonst bestehen keine weiteren Mechanismen einer parlamentarischen oder öffentlichen Verantwortlichkeit der CETA-Ausschüsse für ihre Beschlüsse“, so Prof. Dr. Wolfgang Weiß, Professor für Völkerrecht an der Universität Speyer, in dem Gutachten im Auftrag von foodwatch. Die Verbraucherorganisation forderte alle im Bundestag vertretenen Parteien auf, ihre Zustimmung zu CETA verweigern.

„Die geheimtagenden CETA-Ausschüsse treffen Entscheidungen, die Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger betreffen – doch das EU-Parlament oder der Bundestag sind außen vor. Es wird Zeit, dass die Abgeordneten erkennen, dass sie sich mit der Zustimmung zu CETA selbst entmachten. Der Bundestag kann und muss CETA stoppen“, sagte Thilo Bode, Gründer und Geschäftsführer von foodwatch. „Tritt CETA endgültig in Kraft, droht die Gefahr, dass Verbraucher- und Umweltschutzstandards auf niedrigem Niveau eingefroren oder sogar gesenkt werden – ohne dass gewählte Abgeordnete darüber entscheiden.“

CETA entscheidet als ein sogenanntes modernes Handelsabkommen nicht nur über Zollsenkungen, sondern es sollen auch „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ wie etwa Regelungen des Gesundheits-und Verbraucherschutzes als gleichwertig anerkannt werden, um den internationalen Handel nicht zu behindern. Die Entscheidungen darüber fällen jedoch nicht gewählte Abgeordnete, sondern Regierungsvertreter in den CETA-Ausschüssen. Einmal getroffene Beschlüsse dieser  CETA-Komitees kann die EU dann nicht mehr einseitig aufheben, wie das Rechtsgutachten als besonders gravierend kritisiert. Selbst wenn die EU-Staaten sich also zum Beispiel einig wären, durch die Ausschüsse gegenseitig anerkannte Sicherheitsstandards für Pestizide zu verschärfen, könnte dies ohne die Zustimmung Kanadas nicht für kanadische Erzeugnisse gelten. Denn Regeln, die den CETA-Verpflichtungen widersprechen, stellen „automatisch einen Verstoß gegen das Völkerrecht“ dar. Damit würden durch CETA „Schutzstandards faktisch eingefroren“, so Prof. Weiß.

Als ein Beispiel für den Einfluss der Ausschüsse nennt der renommierte Verfassungsrechtler die Importkontrollen bei Lebensmitteln. Hier hätte der zuständige CETA-Ausschuss das Recht, die Häufigkeit der Einfuhrkontrollen zu ändern. „Das bedeutet, dass die Kontrollstandards zukünftig jederzeit durch Beschlüsse der Ausschüsse gesenkt werden könnten. (…) Dies würde zu einem unzureichenden Gesundheitsschutz für Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU führen.“

Das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada wird zwar schon seit 2017 vorläufig angewendet. Es wurde aber noch nicht von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert, auch von Deutschland nicht. Sagt ein einziges Land „Nein“, ist CETA vom Tisch. In Deutschland muss der Bundestag noch zustimmen.

Gemeinsam mit den Organisationen Campact und Mehr Demokratie hat foodwatch Verfassungsbeschwerde zu CETA eingereicht. Ein Urteil aus Karlsruhe steht noch aus.

Zum Beitrag

Prof. Dr. Wolfgang Weiss: CETA – Transparenz, Beschlussfassungsmandate und Demokratische Legitimation

Rechtsgutachten: CETA – Transparenz, Beschlussfassungsmandate und Demokratische Legitimation
Ausarbeitung im Auftrag von foodwatch
Prof. Dr. Wolfgang Weiss,
Universitätsprofessor für Öffentliches Recht, insbesondere Europa- und Völkerrecht
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Februar 2021 (Original hier (pdf))

1) Transparenz bei der Entscheidungsfindung in den CETA-Ausschüssen
Zur Gewährleistung von Transparenz bei der Tätigkeit in den Ausschüssen veröffentlicht die Europäische Kommission die Agenda (Tagesordnung) und zusammenfassende Berichte der Ausschusstreffen anstelle von Protokollen. Dies wird als ausreichend angesehen, um sich einen Überblick über die Arbeit der Ausschüsse und Dialoge zu verschaffen. Es ist zu erwarten, dass formale Entscheidungen der Ausschüsse publiziert werden.

Tatsächlich sieht der Beschluss des CETA Joint Committee über seine Geschäftsordnung (Beschluss 1/2018)1 in Rule 8 Abs. 3 die Veröffentlichung der vorläufigen Tagesordnung und in Rule 9 Abs. 5 die Veröffentlichung von Zusammenfassungen der Protokolle („summary of the minutes“) vor. Zu den Sitzungen werden gemäß Rule 9 Abs. 2 und 3 recht detaillierte Protokolle erstellt, die aber nicht publiziert werden. Bei den auf der Website der Europäischen Kommission veröffentlichten „Berichten“ über die einzelnen Sitzungen der CETA-Ausschüsse dürfte es sich also um die „summary of the minutes“ handeln. weiterlesen

Netzwerk Gerechter Welthandel: Bundesverfassungsgericht weist Organklage gegen CETA zurück

Berlin/Karlsruhe, 2. März 2021 – Das Bundesverfassungsgericht wies heute eine Organklage der Linksfraktion im Bundestag zurück, die sich gegen die unzureichende Beteiligung des Bundestages bezüglich des Handels- und Investitionsschutzabkommens der EU mit Kanada (CETA) richtete. Das Netzwerk Gerechter Welthandel bedauert die Entscheidung des Gerichts, verweist jedoch auf die noch laufende Verfassungsbeschwerde der Organisationen foodwatch, Mehr Demokratie und Campact zur Verfassungskonformität von CETA selbst.

„Sollte das EU-Kanada-Abkommen vollständig ratifiziert werden, treten die gefährlichen Sonderklagerechte für Konzerne in Kraft. Diese ermöglichen internationalen Konzernen, Staaten beispielsweise wegen Umwelt- oder Klimavorgaben auf horrenden Schadensersatz zu verklagen“, sagt Alessa Hartmann, Handelsexpertin bei der Nichtregierungsorganisation PowerShift.

Die Organisationen kritisieren außerdem die weitreichende Entscheidungsmacht der durch CETA eingerichteten Ausschüsse, die mit Vertreter*innen der EU-Kommission und Kanadas besetzt sind.

„Die CETA-Ausschüsse können weitreichende Entscheidungen treffen, die Millionen Bürgerinnen und Bürger unmittelbar betreffen – ohne irgendeine Mitsprache des EU-Parlaments oder der nationalen Parlamente. Die Entscheidungsfindung ist zudem aufgrund mangelhafter Transparenz kaum nachvollziehbar. Das sind schwerwiegende demokratische Defizite“, sagt Rauna Bindewald von foodwatch Deutschland.

Ob die CETA-Ausschüsse sowie die Konzernklagerechte überhaupt mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind, ist Gegenstand der von foodwatch, Mehr Demokratie und Campact eingereichten Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verhandlung für das erste Halbjahr 2021 angekündigt.

„Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Teile von CETA nicht verfassungskonform sind, doch davon unabhängig ist die politische Bewertung des Abkommens an sich. Es ist für keine Partei mehr rechtfertigbar, dass sie demokratische Entscheidungen freiwillig unter den Vorbehalt von Schiedgerichtsklagen stellt und damit Millionen an Steuergeld riskiert. Nach dem erneuten Bekanntwerden einer Schiedgerichtsklage, diesmal gegen die Niederlande aufgrund des Kohleausstieges auf 1,4 Milliarden Schadenersatz, ist eine Ratifizierung von CETA schlicht fahrlässig,” sagt Sarah Händel, Bundesvorständin von Mehr Demokratie.

@ Netzwerk Gerechter Welthandel

Auch vor Ort gab es Protest: Unter dem Motto „Auch das Bundesverfassungsgericht kann aus CETA kein gerechtes Handelsabkommen machen!“ protestierte das Netzwerk Gerechter Welthandel Baden-Württemberg gemeinsam mit Vertreter*innen der LINKEN auf dem Karlsruher Marktplatz. Auch der DGB Karlsruhe und Greenpeace Karlsruhe waren bei der Aktion vertreten.

siehe auch:

Bundesverfassungsgericht: Erfolgloses Organstreitverfahren betreffend das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA)
Pressemitteilung Nr. 18/2021 vom 2. März 2021

2. März 2021 – Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen CETA

Bundesverfassungsgericht

Urteilsverkündung in Sachen „Organklage betreffend das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA)“
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 (siehe Pressemitteilungen Nr. 70/2020 vom 7. August 2020 und Nr. 84/2020 vom 10. September 2020) am

Dienstag, 2. März 2021, um 12.00 Uhr (bisher: 10.00 Uhr),
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

sein Urteil verkünden

Zum Beitrag

 

13. Februar 2021. CETA-Online-Konferenz des Netzwerks „Gerechter Welthandel“

Einladung zur CETA-Online-Konferenz des Netzwerks Gerechter Welthandel


Samstag, 13. Februar 2021, 13-17:30 Uhr

Das Handels- und Investitionsschutzabkommen der EU mit Kanada (CETA) gefährdet den Umwelt- und Verbraucherschutz, die öffentliche Daseinsvorsorge und die Demokratie. Es verschärft die Klimakrise, vergrößert den Einfluss von Konzernlobbyisten und etabliert eine Paralleljustiz für Konzerne. Doch CETA ist noch nicht entschieden!

2021 stehen wichtige Entscheidungen über den weiteren Ratifizierungsprozess an: Das Bundesverfassungsgericht will endlich ein Urteil über mehrere Verfassungsbeschwerden fällen, die gegen CETA eingereicht wurden. Bei der Bundestagswahl werden die Weichen für die Position der zukünftigen Bundesregierung und des Bundestages zu CETA gestellt, und insgesamt sechs Landtagswahlen entscheiden über die Position der Bundesländer: Auch diese werden im Bundesrat noch über CETA abstimmen müssen. Zwar wird das Abkommen bereits vorläufig angewandt, wichtige Teile wie die Paralleljustiz für Konzerne sind hiervon jedoch ausgenommen und treten erst in Kraft, wenn CETA vollständig ratifiziert wurde.

In einer Online-Konferenz wollen wir uns auf den aktuellen Stand des Abkommens bringen, seine aktuellen und erwarteten Auswirkungen diskutieren sowie Aktivitäten zum bevorstehenden Ratifizierungsprozess planen. Die Konferenz richtet sich in erster Linie an Personen, die in lokalen und regionalen Bündnissen gegen CETA und andere ungerechte Handelsabkommen aktiv sind oder werden wollen. Auch weitere Interessierte sind herzlich eingeladen, teilzunehmen! Die Konferenz wird über Zoom durchgeführt, die Teilnahme ist kostenlos.

Mehr Infos und Anmeldung unter: www.gerechter-welthandel.org/ceta

Programm

ab 12:45 Uhr
Zoom-Raum offen, Technik-Check

13:00 Uhr
Begrüßung
– Programmvorstellung
– technische Hinweise
– Vorstellungsrunde

13:30 Uhr
Aktueller Stand der CETA-Verfassungsbeschwerden: Wann und worüber entscheidet das Bundesverfassungsgericht? Input und Rückfragen (Marie Jünemann, Mehr Demokratie)

13:50 Uhr
Sonderklagerechte für Konzerne: Welche Investorenklagen drohen uns mit CETA im Bereich fossile Energien/Klimaschutz sowie bei der öffentlichen Daseinsvorsorge? Vortrag und Diskussion mit Emma Jacoby/Fabian Flues (PowerShift) und Thomas Fritz (freier Autor)

14:50 Uhr
Pause

15:00 Uhr
Die CETA-Ausschüsse: Wie funktionieren und welche Entscheidungen treffen sie, und warum bedrohen sie die demokratische Entscheidungsfindung? Vortrag und Diskussion von Alessa Hartmann (PowerShift)

15:45 Uhr
Parallele Arbeitsgruppen zu Strategie-Diskussion und Aktionsplanung

AG 1: Bundestagswahl
Wie können wir CETA zum Thema während dem Bundestagswahlkampf machen? Mit welcher Schwerpunktsetzung gelingt das, und an welche Adressaten richten wir uns? Was brauchen lokale Bündnisse, um aktiv zu werden? Vorbereitung und Moderation: Anne Bundschuh (Forum Umwelt und Entwicklung)

AG 2: Landtagswahlen 2021 und Abstimmung im Bundesrat
Auch der Bundesrat wird noch über CETA abstimmen müssen, die Position der Landesregierungen ist daher entscheidend für das weitere Ratifizierungsverfahren des Abkommens. Sechs Landtagswahlen stehen 2021 bevor – wie bringen wir CETA als Thema in den Wahlkampf ein? Und welche Strategie und Aktivitäten verfolgen wir, wenn die Abstimmung im Bundesrat bevorsteht? Vorbereitung und Moderation: Ludwig Essig (Netzwerk Gerechter Welthandel Baden-Württemberg/Umweltinstitut München), Franz Rieger (Stop TTIP Berchtesgadener Land/Traunstein)

16:45 Uhr
Pause

17:00 Uhr
Vorstellung der Ergebnisse und gemeinsamer Abschluss

17:30 Uhr
Ende

Die Veranstaltung wird organisiert vom
Netzwerk Gerechter Welthandel
www.gerechter-welthandel.org

Bundesverfassungsgericht: Urteilsverkündung in Sachen CETA am Dienstag, 2. März 2021, 10.00 Uhr

Bundesverfassungsgericht – Pressestelle –
Pressemitteilung Nr. 5/2021 vom 19. Januar 2021

Urteilsverkündung in Sachen „Organklage betreffend das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA)“ am Dienstag, 2. März 2021, 10.00 Uhr

„Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 (siehe Pressemitteilungen Nr. 70/2020 vom 7. August 2020 und Nr. 84/2020 vom 10. September 2020) am

Dienstag, 2. März 2021, um 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

sein Urteil verkünden.“

Text unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-005.html